Mehr Geduld mit Sascha Zverev, bitte
Alexander Zverev ist in der zweiten Runde beim ATP Masters-Turnier in Indian Wells ausgeschieden. Anschließend gibt es in den sozialen Medien – mal wieder – Häme und Spott für die deutsche Nummer eins. Am Beispiel des immer noch jungen und ungeduldigen Talents wird deutlich: Die Deutschen sehen ihre Helden gerne am Boden.
Ungeduld. Dass das Substantiv im Wörterbuch dem Anfangsbuchstaben nach entsprechend weit hinten zu finden ist, ist eigentlich keine Erwähnung wert. Die darunterstehende Wortbeschreibung ist, bezugnehmend auf Deutschlands besten Tennisspieler Alexander Zverev, dafür umso lesenswerter, ein Nachschlagen lohnt. „Die Unfähigkeit, ruhig zu warten“, „ein Zustand, in dem man nach Veränderungen strebt“ und als drittes: „die Unfähigkeit, ruhig mit Schwierigkeiten oder Fehlern von anderen umzugehen.“
Alexander Zverev kann getrost als ungeduldigster Spieler einer ganzen Generation bezeichnet werden, nicht erst seit der vermeidbaren Niederlage gegen Joao Sousa. Die Gründe für diese These können positiv wie negativ ausgelegt werden. Die ein oder andere Entscheidung aus der Vergangenheit, getroffen von ihm und oder seinem Management, hat sich sportlich langfristig betrachtet, oft als richtige Entscheidung im Sinne des jungen Deutschen herausgestellt. Doch viele Fans, so der Eindruck in den sozialen Medien, können sich noch immer wenig mit Deutschlands Bestem identifizieren. Sie sehen ihn gerne straucheln – eigentlich ein Unding.
Zverevs Arbeitseinstellung
Zunächst zurück zu den Wortbeschreibungen: Die erste passt zum Trainingseifer des Davis Cup-Spielers, dem seit frühester Kindheit der absolute Wille nachgesagt wird, sich zu verbessern und dafür auch in jedem Training alles zu geben. Daran ändert auch die Pünktlichkeitsdebatte, die wegen der medialen Nebengeräusche nach der Trennung von Trainer Juan Carlos Ferrero aufkam, nichts. Wer den Youngster schon mal in einem ruhigen Umfeld hat trainieren sehen, weiß, dass er stets alles gibt – und das bei entsprechender Unzufriedenheit auch mal der Schläger gen Zaun fliegt. Vieler Fehler bedarf es dazu nicht.
Den Zorn kann Zverev wie kaum ein anderer in Energie umwandeln. Wenn der gebürtige Hamburger einen Centre Court betritt, glaubt er an den Sieg – egal, gegen wen. Etwas, was ihn an gewissen Tagen von der vorigen Generation deutscher Spieler unterscheidet. „Ferrero hat versucht, aus mir einen ruhigen Spieler zu machen, der ich nicht bin und nie sein werde.“ Eine Einstellung, die viele kritisieren. Ihm aber des öfteren gut tut. Oder stören sich einige lediglich an der Bemerkung, dass Zverev sich seiner russischen Wurzeln bewusst sei? „Ich spiele zwar für Deutschland, trage aber auch etwas Russisches in mir. Alle guten russischen Spieler waren auf dem Platz etwas verrückt“, sagte Zverev vor Wochenfrist in einem FAZ-Interview.
Ein Zustand, in dem man nach Veränderung strebt, lautete die zweite Beschreibung. Zverev wäre mit seinem Selbstverständnis lieber schon gestern als morgen ein großer Champion, hoch dekoriert mit Grand Slam-Titeln. Vor den US Open 2017 erklärte er selbstbewusst, nach seinen Turniersiegen und der Einsicht seines Tableaus sei das Halbfinale das realistische Ziel. Anschließend scheiterte er in Runde zwei. Sein Anspruchsdenken ist ausgerichtet auf den schnellen Erfolg und erwuchs aus seinem großen Ehrgeiz gepaart mit dem Wissen, dass es bei ihm stets nach oben ging, von Kindesbeinen an.
Zverevs Selbstverständnis in der Kritik
Ein Blick auf seine Weltranglistenentwicklung reicht, um einen aktuellen Transfer herzustellen. Untermalt werden sie von fünf Turniersiegen in 2017, darunter zwei Masters-Titel. Turniersiege in einer Kategorie, in der Spieler wie Milos Raonic, Kei Nishikori, Tomas Berdych und Juan Martin del Potro nie einen Erfolg feierten. Diejenigen, die nicht viel von Zverev halten, behaupten, er habe die Finalsiege gegen angeschlagene Gegner wie Djokovic (Rom) und Federer (Toronto) errungen, und bescheinigen ihm Überheblichkeit. Tenor nach frühen Niederlagen wie in New York, aber auch Anfang des Jahres in Melbourne gegen einen großaufspielenden Hyeon Chung: Zverev wird auf der großen Bühne nie etwas reißen. Sein bisheriges Abschneiden bei den vier großen Turnieren bestärkt sie dabei: Erst einmal erreichte er ein Grand Slam-Achtelfinale.
Dass bei Zverev durchaus eine Entwicklung zu erkennen ist, im Vorfeld der Australian Open hielt er sich mit öffentlichen Kampfansagen zurück, stellten und stellen die wenigsten fest. Ausgerechnet Roger Federer erklärte wie ein unentgeltlich arbeitender Anwalt vor versammelter Presse, dass es dem Deutschen aber auch in der Kommunikation gegenüber sich selbst guttun würde, die eigene Zielsetzung bei den großen Turnieren herunterzuschrauben. Den Fehler habe Federer selbst früher begangen. Einen besonderen Zuspruch an Sympathie brachte das Zverev aber auch nicht ein.
Vergleiche zum jungen Federer
Wohl auch, weil der DTB-Spieler auf dem Platz hitzköpfig agiert, mit Schiedsrichtern diskutiert, mit sich, Fans und seinem Team lamentiert und Schläger zerstört. Was dabei, wohl auch wegen seiner Erfolge ausgeblendet wird, ist das Alter. 20. Ausgeschrieben: z-w-a-n-z-i-g. Ein Roger Federer war in seinen jungen Jahren im Übrigen beileibe kein Engel. Ein Youtube-Exkurs hilft bei der Auffrischung:
Bleibt noch die Interpretation von Beschreibung Nummer drei: „die Unfähigkeit, ruhig mit Schwierigkeiten oder Fehlern von anderen umzugehen.“ Diesen Satz sollte man im Falle von Zverev nicht an ihn, sondern vielmehr an die Jünger der deutschen Meckerkultur richten. Es scheint, als haben einige noch immer nicht abgehakt, dass Zverev in den Jahren 2016 und 2017 für die Abstiegsrelegation im Davis Cup nicht zu Verfügung stand. 2016 gegen Polen, um seinen Vier-Jahres-Plan mit Fitnesstrainer Jez Green nicht zu gefährden. Es war in der Betrachtung des Zverev-Clan die einzige Möglichkeit, nochmal einen vierwöchigen Fitnessblock einzubauen. Bevor der Schützling in die Weltklasse vordringt. Seine körperliche Weiterentwicklung spricht rückblickend für diese Entscheidung.
Deutsche Meckerkultur: Zverev passt wunderbar ins Bild
2017 wollte Zverev sein Ziel, das ATP-Masters in London, nicht gefährden und weigerte sich, nochmal auf Sand zu wechseln. Der Plan ging auf. Die Medienschelte in Deutschland fiel heftiger aus, als es der erfahrene Manager Patricio Apey erwartet hatte. Zum Teil war sie auch nachvollziehbar. Auch der Autor dieses Kommentars hat die Entscheidung damals kritisiert. Jeder sieht den besten Spieler des Landes gerne für sein Team kämpfen. Der Davis Cup ist in Deutschland für viele immer noch heilig.
Doch einige sind wohl selbst zu ungeduldig mit dem Deutschen und unfähig, mit seinen Fehlern und der durchaus vorhandenen Entwicklung des Top Ten-Spielers umzugehen. Ein genauerer Blick auf sein Verhalten auf- und außerhalb des Platzes beim Davis Cup-Erstrundensieg in Australien würde genügen, um das anzuerkennen. Ein Massenmedium wie die BILD-Zeitung benutzte auch nach den Siegen von Brisbane noch immer Sätze wie: „Ausgerechnet Verweigerer Zverev…“
Unterstützung im Jahr nach dem Durchbruch
Das zeigt lediglich, dass es noch en vogue ist, den heimischen Star lieber am Boden zu sehen. Den Eindruck vermitteln nun viele Kommentare in den sozialen Medien nach seiner Niederlage in Indian Wells. Mit seiner Ausstrahlung auf dem Platz ist Zverev beileibe nicht jedermanns Liebling. Seine Ziele sind ambitioniert. Doch nicht minder ambitioniert waren die Wunschvorstellungen der jungen Federers, Djokovics oder Murrays. Jemand wie Boris Becker fordert und fördert diese Ambitionen gar und versucht sie zu kanalisieren.
Dass es im Jahr nach dem Durchbruch am schwersten ist, oben zu bleiben und die Leistung zu bestätigen, gilt nicht nur, aber vor allem für einen immer noch erst 20-Jährigen. Die Findungsphase, die Suche nach Konstanz, die der Hardhitter gerade durchläuft, gehört zum Prozess der Entwicklung dazu. Gut möglich, dass Alexander Zverev die Meinungen anderer gänzlich egal sind. Doch während des Prozesses hätte er sich ein bisschen mehr Unterstützung durchaus verdient. Erst zu Jubeln, wenn er einen großen Titel gewinnt, wäre langweilig – aber auch so furchtbar deutsch.
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