Der Fall Karim Hossam: Gefangen im Netz der Tennis-Wettmafia
Ein Whistleblower steckte der BBC Details über die Machenschaften der Tennis-Wettmafia zu. Am Beispiel des Ägypters Karim Hossam wird deutlich: Profitennis auf Future-Level ist durchsetzt von verschobenen Matches.
Als er ihnen im Juni 2017 ins Netz ging, verschickte Karim Hossam noch eine letzte, verzweifelte Nachricht an seinen jüngeren Bruder: „Sie haben mich erwischt. Ich war zu blöd, nicht alles gelöscht zu haben.“ Ein gutes Jahr später ist die Tennis-Karriere von Karim Hossam aus Ägypten im Alter von nur 24 Jahren beendet – Sperre auf Lebenszeit wegen Wettbetrugs, ausgesprochen von der Tennis Integrity Unit (TIU).
Alles begann fünf Jahre zuvor. In Scharm el-Scheich, einem ägyptischen Urlaubsort auf der Sinai-Halbinsel, findet ein ITF-Turnier mit einem Gesamtpreisgeld von 15.000 US-Dollar statt. Vom Glamour der großen ATP-Tour ist hier nichts zu spüren. Gespielt wird in einem kleinen Tennisclub direkt neben einer Shopping-Mall vor wenigen Zuschauern.
Karim Hossam war die Nummer 11 der Junioren-Weltrangliste
2013 gilt Karim Hossam noch als große Hoffnung des nordafrikanischen Tennis. Als Nachwuchsspieler stand er 2012 auf Platz 11 im Junioren-Ranking des Tennis-Weltverbandes. 2011 erreichte er das Junioren-Viertelfinale bei den US Open, das er gegen den späteren Weltklassespieler Kyle Edmund verlor. Bei einem der größten deutschen Jugendturniere in Offenbach stieß er 2012 bis ins Halbfinale vor. „Ich traue es mir zu, die Top 10 zu erreichen“, sagte er Anfang 2014 in einem Interview mit der Tennis-Bloggerin Reem Abulleil.
Nachdem er zwei Jahre lang als Junior in der „Advantage Tennis Academy“ mit Mahmoud Karim in Kalifornien trainierte, wird Hossam Profi und spielt sich innerhalb eines Jahres von einem Ranking jenseits der Top 1000 in die Top 300. „Das hat mich selbst überrascht“, gibt er in dem oben erwähnten Interview zu. Aber seine Entwicklung stagniert bald. Er spielt Future-Turniere ohne Ende, fast in jeder Woche. Er gewinnt ein paar von ihnen, kommt aber nicht richtig vorwärts. Im September 2013 steht er auf Platz 334 in der Weltrangliste. Höher sollte er nicht mehr kommen.
In Scharm el-Scheich spricht ihn ein Profi an. Es ist kein Unbekannter für den Ägypter. Als Karim Hossam Anfang 2013 durch eine Wildcard ins Hauptfeld von Doha rutschte und dort auf Richard Gasquet traf, kontaktierte ihn jener Spieler schon einmal. Damals wurde Hossam gefragt, ob er für 1.000 Dollar den ersten Satz abschenken wolle. Hossam lehnte ab: „Ich spiele gegen Gasquet, ich bin nicht hier, um mein Match zu verkaufen.“ Beim zweiten Kontakt mit dem dubiosen Profi wird Hossam nun gefragt, ob er für 1.000 Dollar das Match verlieren wolle. Dieses Mal ist er angefixt – und geht den Deal ein.
„Mir war nicht klar, dass es Wetten wirklich gibt“
„Ich wollte es nur ausprobieren, weil ich es zuvor nie ausprobiert hatte. Ich dachte, dass dieser Typ mich anlügen würde. Mir war gar nicht klar, dass es Wetten wirklich gibt.“ Mit diesen Worten rechtfertigte sich Hossam später gegenüber den Ermittlern der TIU. Allerdings: Er bekam sein Geld, die vereinbarten 1.000 Dollar. Der Kontaktmann der Wettmafia hatte nicht gelogen.
All diese Detail spielte ein Whistleblower der BBC zu. Die Dokumente, zu denen auch Protokolle der Vernehmungen durch die TIU gehören, ermöglichen tiefere Einblicke in das Wirken der Tennis-Wettmafia. Vor allem: Wie sie Spieler rekrutiert und gefügig macht.
Karim Hossam kann sich aus den Fängen der Wettpaten nicht mehr befreien. Er vertraut sich seinem Vater an, erzählt von dem verschobenen Match. Der Vater hatte viele Jahre die Karriere seines Sohnes finanziert. Er sagt: „Du hast dein Leben ruiniert“. Die Folge: Er will den Sohn nicht weiter unter die Arme greifen. So erzählte es Hossam den TIU-Fahndern. Er wusste zu diesem Zeitpunkt angeblich nicht, dass allein ein Vergehen wie das mit Absicht verlorene Match in Scharm el-Scheich schon dazu führt, von der TIU zu einer lebenslangen Spielsperre verdonnert zu werden.
Karim Hossam wird zum „Fixer“ der Tennis-Wettmafia
Hossam macht weiter. Es ist leicht verdientes Geld, denkt er. Und es soll ihm helfen, weiter nach oben zu kommen, zu den großen Events – den Grand Slam-Turnieren. „Ich brauchte das Geld. Ich wollte es in meine Karriere stecken.“ Doch stattdessen reitet er sich immer tiefer rein. Er wird selbst zum „Fixer“, also zu einem Profi, der andere Profis im Namen der Wettmafia dafür gewinnen soll, Matches zu verschieben.
In gewisser Weise entspricht Hossam perfekt dem Beuteschema der Wettmafia. Er kommt aus einem guten Elternhaus, aber der finanzielle Hintergrund ist begrenzt. Er ist talentiert und bemüht, aber kein Überflieger. Vieles deutete früh bei ihm darauf hin, dass er sich eher in den unteren Ligen des Profitennis aufhalten werde. Und dort verdient man nicht das große Geld. Im Gegenteil: Für viele ist es ein Minusgeschäft. Die Spieler müssen sich oft die bangen Fragen stellen, wie sie den nächsten Turnier-Trip bezahlen und wo sie die kommende Woche schlafen sollen. Wenn einem dann jemand auch „nur“ tausend Dollar für einen Satz anbietet, den man mit Absicht verliert, hat man erstmal ein paar Tage keine Sorgen mehr.
„Ich konnte mir ein Leben als Tennisprofi irgendwann nicht mehr leisten. Mein Vater unterstütze auch meinen kleinen Bruder (der auch Profi ist, Anm. d. Red.) und gab mir kein Geld mehr. Ich hatte kein Einkommen mehr“, berichtet Hossam in den Anhörungen. Vier Jahre lang sollte er als professioneller Fixer auf Future-Turnieren in Nordafrika – vor allem in Ägypten, Tunesien und Nigeria – für die Wettpaten fungieren.
„Bruder, du verlierst den ersten Satz, gibt 2.500“
Der BBC liegen Facebook-Nachrichten vor, die Auskunft darüber geben, wie Hossam mit dutzenden Spielern vornehmlich aus Nordafrika die Deals bis ins kleinste Detail abklärte. Hossam ging dabei sehr gewissenhaft vor. Er fragte mehrmals nach, ob der geschmierte Spieler auch genau wüsste, was zu tun sei.
„Bruder, du verlierst den ersten Satz, dann gewinnst du das Match. Gibt 2.500“, instruiert Hossam etwa im Mai 2016 einen Profi. Später fragt er noch einmal nach: „Also, du verlierst den ersten Satz und gewinnst dann das Match. Hast du das auch wirklich verstanden?“ Antwort: „Das Ergebnis ist also nicht wichtig. Ich brauche nur den ersten Satz zu verlieren, richtig?“ Hossam schreibt: „Das Allerwichtigste ist, dass du den ersten Satz verlierst und dann gewinnst.“ Antwort: „Hoffentlich klappt alles, ich brauche das Geld.“ Der Dialog geht noch weiter, aber am Ende gibt es doch ein Problem und der Deal platzt.
Bei erfolgreichen „Matchfixings“ verdient Hossam zwischen 200 und 1000 Dollar. Auch das geht aus den Unterlagen hervor, die die BBC einsehen kann. Mehr als 20 Spieler sollen in den Absprachen, die Hossam eingefädelt hat, involviert sein.
Als er schließlich 2017 von der TIU geschnappt wird, ist ihm die Tragweite seiner Vergehen gar nicht bewusst. Er geht davon aus, dass er durch eine Zusammenarbeit mit der TIU straffrei aus der Sache rauskommt. Seinem Bruder schreibt er: „Ich erzähle denen, dass ich mit ihnen arbeiten werde. Das wäre doch großartig. Ich reise herum und kriege Kohle dafür, dass ich die Match-Fixer verrate.“
Lebenslange Sperre für Karim Hossam
Tatsächlich wird er wenige Tage nach dem ersten Verhör mit der TIU provisorisch gesperrt. „Dann werde ich von nun an noch mehr wetten“, teilt er daraufhin einem befreundeten Profi mit.
More details on Karim Hossam's lifetime ban: https://t.co/umDsop8zSa
— Reem Abulleil (@ReemAbulleil) July 3, 2018
Der TIU indes geht es vor allem darum, die Hintermänner zu erwischen. Etwa jenen Profi, der Hossam 2013 erst in Doha und später in Scharm el-Scheich ansprach. „Wir sind stark davon überzeugt, dass er nicht nur dich da mit reingezogen hat, sondern viele andere auch – und dass er das wahrscheinlich immer noch macht. Du wirst uns sicher zustimmen, dass er jemand ist, der im Tennissport nichts mehr verloren hat, weil er junge Spieler verführt. Wenn er nicht wäre, wärst du vielleicht nie dort, wo du heute bist“, will ihn ein TIU-Ermittler zum Auspacken überreden.
Hossam aber erzählt nicht alles. Vielmehr ist er verärgert darüber, dass ihm eine lebenslange Spielsperre droht: „Ich habe alles gesagt, was ich sagen konnte. Ich habe nicht gelogen, ich war offen. Aber eine lebenslange Spielsperre zu erhalten … Ich meine, ich spiele seit 17 Jahren Tennis. Ich wurde gezwungen, das unter gewissen Umständen zu machen. Und ich sehe auch keine Vorteile dabei für mich. Beweise habe ich nicht mehr, auch keine Chats mehr.“
"Egyptian tennis player Karim Hossam banned for life and fined for match-fixing offences" I just hope sooner or later most of the players I exposed here will be banned https://t.co/J54BF3FNeT
— Stefano Berlincioni (@Carretero77) July 3, 2018
Im Juli 2018 wurde seine lebenslange Spielsperre wirksam. Der BBC liegen Hinweise vor, dass Hossam aber schon im August 2018 erneut als Match-Fixer in Erscheinung trat. So bot er einem Profi 3.500 Dollar dafür an, einen Satz mit einem bestimmten Ergebnis zu verlieren. Aber die Absprache fliegt auf, der Profi macht einen Rückzieher. „Mein Freund, wir brauchen Männer, keine Babys“, schrieb Hossam ihm.
„Die TIU arbeitet langsam und ineffektiv“
Die BBC nahm mit allen Beteiligten Kontakt auf. Karim Hossam antwortete aber nicht auf ihre Fragen. Die TIU ließ mitteilen, dass sie zu laufenden Ermittlungen grundsätzlich nichts sagen würde, da „die öffentliche Bekanntgabe unweigerlich Verdächtige alarmieren und es ermöglichen würde, glaubwürdige Beweise zu vernichten.“ Der Whistleblower stellte die Arbeit der TIU grundsätzlich in Frage. „Sie arbeitet zu langsam und zu ineffektiv. Sie erhält Beweise und schließt ihre Untersuchungen erst zwei Jahre später ab“, moniert er.
Wie groß der Korruptionssumpf insbesondere auf unteren und mittleren Profilevel ist, lässt sich nur erahnen. Feststeht, dass die jüngsten Enthüllungen nur die Spitze des Eisbergs sind. Nachdem die BBC in Zusammenarbeit mit BuzzFeed 2016 über 28 Spieler berichtete, die bereits 2008 in Wettmachenschaften verwickelt gewesen sein sollen, wurden diese Fälle 2018 von einer unabhängigen Kommission untersucht. Die TIU sprach schon 2018 von einem „Korruptions-Tsunami“, der auf den Tennissport zurollt.
Im Januar 2019 wurde zudem ein Wettsyndikat in Spanien ausgehoben, 15 Verdächtige wurden festgenommen. Bei den Betrügern handelt es sich um ein europaweit tätiges Netzwerk, das von Armeniern gesteuert wurde. Die Bande soll Profimatches im großen Still manipuliert haben. Insgesamt stehen 83 Personen unter Verdacht, 28 davon sind Tennisprofis.
Karim Hossam, der ebenfalls Kontakt zu den Armeniern gehabt haben soll, arbeitet eigenen Angaben zufolge mittlerweile als Tennistrainer für Kinder. Der Profi, der ihn 2013 ins Wettgeschäft lotste, ist nach wie vor auf freien Fuß und noch im Profitennis aktiv.
Den Original-Artikel der BBC zu den Enthüllungen finden Sie HIER!
EDIT: In einer früheren Version des Artikels wurden fälschlicherweise Fotos von Youssef Hossam verwendet, dem jüngeren Bruder von Karim Hossam. Wir haben den Fehler mittlerweile korrigiert und entschuldigen uns dafür. cheap air jordan 11 | cheapest jordan 1 low colorways