Tommy Haas: „Man muss ein Egoist sein“
Herr Haas, das Grand Slam-Jahr ist zu Ende. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Wenn mir jemand am Anfang des Jahres gesagt hätte, dass es so gut läufen würde, hätte ich es nicht geglaubt. Ich habe mich wieder unter die 20 besten Spieler gekämpft. Ich bin zweimal erst an Roger Federer gescheitert.
Aber das Match gegen Verdasco bei den US Open hätten Sie gewinnen müssen.
Natürlich ist das bitter, wenn man 3:1 im fünften Satz führt und am Ende mit leeren Händen dasteht. Ich habe aber alles gegeben, deshalb muss ich das Positive sehen. Es war schon ein Ziel, überhaupt in einem großen Stadion gegen einen Top Ten-Spieler anzutreten.
Roger Federer hat nach Ihren Auftritten in Paris und Wimbledon geschwärmt, dass er Sie noch nie so gut hat spielen sehen. Werden Sie mit dem Alter immer besser?
Ich würde sagen: Je älter ich werde, desto schlauer werde ich. Ich habe schon so viele Höhen und Tiefen erlebt. Aber ich weiß nicht, ob ich heute mein bestes Tennis spiele. 2001 und 2002 hatte ich meine größten Erfolge. Ich habe in Wien und Stuttgart gewonnen, stand im Halbfinale der Australian Open. Ich war die Nummer zwei der Welt. Ich habe kontinuierlich sehr gutes Tennis gespielt.
Aber das Niveau im Welttennis ist heute besser als vor sieben Jahren.
Klar muss man sich jedes Jahr verbessern, um mitzuhalten. Mein Blickwinkel hat sich aber verändert. Ich weiß: Es kann jede Woche aus und vorbei sein. Wenn wieder so eine dumme Verletzung passiert, dann war es das.
Zu Beginn des Jahres waren Sie die Nummer 80 der Welt. Eine Rückkehr auf die Tour schien ungewiss. Dachten Sie an das Ende Ihrer Karriere?
Ich müsste lügen, wenn es diese Gedanken nicht gegeben hätte. Es gab sie schon einige Male. Als ich das zweite Mal an der Schulter operiert werden musste zum Beispiel. Ich war 25 Jahre alt und dachte:
Es sieht nicht gut aus. Ich hatte noch nie so etwas durchgemacht und konnte zweimal in Folge nicht die Australian Open spielen. Das war hart. 2007 hatte ich den besten Saisonstart überhaupt. Und dann hat wieder die Schulter schlapp gemacht.
Was treibt Sie noch an?
Mein Umfeld. Wenn ich nicht meine Leute hätte, die mich immer wieder motivieren und auch für Spaß außerhalb des Tennis sorgen, hätte ich letztes Jahr aufgehört. Es war ein komisches Jahr. Ich war oft nicht konzentriert, hatte Tennis nicht mehr so richtig ernst genommen. Im Sommer kamen Armprobleme dazu. Nach den US Open bin ich vier Wochen in Deutschland gewesen, habe mich bei Dr. Müller-Wohlfahrt in München behandeln lassen. So richtig geholfen hat das nicht. Der Vater meiner Verlobten, der Andre Agassi sehr gut kennt, meinte dann: Sieh dir doch mal das Training von Gil Reyes an…
… Agassis damaliger Fitnesstrainer…
Ich bin dann nach Las Vegas gereist. Der Zeitpunkt, im Dezember, war optimal, weil ich keine Turniere mehr spielte. Der Plan war, meinen Körper so aufzubauen, dass er verletzungsfrei bleibt.
Und es hat funktioniert?
Das ganze Programm durchzuziehen, dafür ist es mit Anfang 30 ein bisschen zu spät. Aber es war interessant zu sehen, wie sich mein Körper verändert hat. Ein bisschen an Muskelmasse habe ich zugelegt. Aber ich glaube nicht, dass mein Körper die Strapazen bei Reyes auf Dauer ausgehalten hätte. Aus dem Grund war ich in diesem Jahr nicht mehr bei ihm, obwohl ich jederzeit willkommen wäre. Ich habe dort mit Andre Agassi Bälle geschlagen. Er hat mich sehr motiviert. Ich kann ihn immer anrufen, wenn ich Tipps brauche.
Bei den French Open führten Sie mit 2:0 Sätzen gegen Roger Federer und verloren doch. Wie ärgerlich war die Niederlage?
Paris war positiv und negativ. Ich hatte dort zwei Jahre nicht gespielt wegen meiner Schulter. Auf Sand zu spielen, ist hart.Aber meine Verlobte und ich waren noch nie zusammen in Paris. Wir haben gesagt: Komm, wir spielen jetzt mal die French Open. Das hört sich komisch an, aber so war es. Ich bin ohne Druck ins Turnier gegangen. Gegen Roger habe ich mir dann kaum Chancen ausgerechnet. Aber im Match dachte ich: Ich kann es packen. Wenn mir das Break im dritten Satz gelungen wäre, hätte ich gewonnen.
Nachdem Federer das Turnier gewonnen hatte, haben Sie gesagt: Eigentlich bin ich froh, dass ich das Match verloren habe. Das war nicht Ihr Ernst, oder?
Ich habe es mit einem Lächeln gesagt. Weil es für Roger ein Happy End war. Er ist ein Freund, wir trainieren oft zusammen. Es hat meinen Schmerz etwas gelindert.
In Wimbledon spielten Sie plötzlich Serve-and-Volley. Ziemlich ungewöhnlich für einen ehemaligen Bollettieri-Schüler.
Ja, aber auf Rasen passt diese Spielweise perfekt zu mir. Auf anderen Belägen ist Serve-and-Volley schwierig, da haben die Spieler Zeit zu passieren, wenn man nicht optimal trifft. In Wimbledon war ich auch so stark, weil ich viel Selbstvertrauen durch meinen Sieg in Halle hatte. Und dann stimmte auch mein Team.
Sie verpflichteten Ihren alten Coach, Thomas Högstedt. Ihren Physiotherapeuten haben Sie über eine Kontaktanzeige gesucht. Das hielten viele für einen Witz.
Ich ärgere mich darüber, dass ich das nicht früher gemacht habe. Es haben sich viele kompetente, aber auch witzige Leute beworben. So bin ich auch wieder auf Alex Stober getroffen, den ich schon lange kenne. Der Physiotherapeut ist mit der wichtigste Mann für mich geworden. Wenn die Schulter hängt, kann ich gleich aufhören.
In München haben Sie sich keine Freunde gemacht, weil Sie das Turnier absagten. War die Entscheidung ein Fehler?
Nein. Es gab auch Kritik von meinem Sponsor FWU. Ich habe mich mit dem Vorstandsvorsitzenden Manfred Dirrheimer längst ausgesprochen. Er hat mich verstanden. Ich muss letztlich auf mich selber schauen. Im Tennis muss man ein Egoist sein. Mir kann kein Sponsor, kein Freund, kein Coach sagen, was ich zu tun habe. Wenn ich das Gefühl habe, es bringt nichts und ich riskiere die nächsten Wochen auf der Tour, dann muss ich mich so entscheiden.
Sie verzichteten auch auf Hamburg und Stuttgart. Man hat Ihnen mangelnden Patriotismus vorgeworfen.
Wer mich dafür kritisiert, hat meine Karriere nicht verfolgt: Ich stand bei allen deutschen Turnieren im Halbfinale oder Finale. Im Davis Cup habe ich zehn Jahre für Deutschland gespielt. Ich habe dort nach Becker und Stich die beste Bilanz. Der Vorwurf, ich sei kein Patriot, ist Blödsinn.
Wären Sie im Nachhinein beim Davis Cup in Marbella gegen Spanien gern dabei gewesen?
Ich habe darüber nachgedacht. Wenn ich das Gefühl gehabt hätte, dass ich dem Team hätte helfen können, dann sicherlich. Aber ich war nach dem Halbfinale in Wimbledon richtig platt. Es hätte somit keinen Sinn gemacht.
Das Thema Davis Cup ist für Sie endgültig erledigt?
Überhaupt nicht. Ich bin traurig darüber, dass wir es in all den Jahren nie ins Finale geschafft haben. Wir haben ein gutes Team. Ich habe den Traum vom Davis Cup noch nicht aufgegeben. Ich könnte mir vorstellen, nächstes Jahr zu spielen. Mich stört nur grundsätzlich etwas am Davis Cup.
Sagen Sie es uns!
Es muss dringend eine neue Regel geben. Dass nur vier Spieler zum Team gehören dürfen, nervt mich tierisch. Bei den Amerikanern beispielsweise spielen die Bryans im Doppel. Dann bleibt noch Platz für Roddick und Blake. Wenn sich einer der beiden verletzt, dann spielen Bob oder Mike Bryan Einzel. Das will niemand sehen. Es wäre viel interessanter, wenn die Auswahl größer wäre.
Wie viele Jahre wollen Sie noch spielen?
Das hängt von meinem Körper ab. Ich muss fit sein, mich wohlfühlen. Dann kann ich selber bestimmen, wann ich aufhöre.
Haben Sie schon überlegt, was nach der Karriere kommen könnte?
Ich kann mir vorstellen, dass ich weiter im Tennis bleibe. Pläne gibt es aber nicht. Aber wenn ich aufhöre, werde ich mir erst einmal eine Auszeit gönnen. Das Leben auf der Tour ist hektisch genug. Ob ich später in Florida, Kalifornien oder Deutschland leben werde, weiß ich noch nicht.
Die deutschen Turniere haben Probleme. Könnten Sie sich vorstellen, sich dort zu engagieren?
Es tut weh zu sehen, wie Hamburg ums Überleben kämpft. Aber es gibt auch hausgemachte Probleme. Es ist eine Katastrophe, dass wir kein großes Hallenturnier haben. Stattdessen spielt man auf langsamem Sand. In Hamburg hat es nur geregnet und das Millionen Euro teure Dach hielt nicht. Das ist eine Blamage fürs deutsche Tennis. In den Umkleidekabinen lachen die Spieler darüber.
Was schlagen Sie als Lösung vor?
Wir brauchen ein Turnier, wie die Damen es in Stuttgart in der Porsche-Arena haben. Vielleicht werde ich eines Tages mit den Kontakten, die ich mittlerweile besitze, eine Herrenveranstaltung nach Deutschland in die Halle bringen. Das wäre meine Vision.
Themenwechsel. Ihre Ex-Freundin Sandy Meyer-Wölden bekommt ein Kind. Werden Sie gratulieren?
Wenn ich sie sehe bestimmt. Aber wir haben keinen Kontakt mehr.
Wie sehen die eigenen familiären Pläne aus?
Sara (Foster, Anm. d. Red.) und ich sind jetzt schon länger verlobt. Wir verstehen uns optimal. Es kann spontan und relativ schnell gehen, dass wir heiraten.
Das Interview führte Andrej Anticmen’s jordan retro release dates | 1576 nike air jordan 1 grises y negras