2019 French Open – Day Two

Mischa Zverev

Mischa Zverev: Das steckt hinter dem Burn-out

Nach seiner Erstrundenniederlage bei den French Open gegen Richard Gasquet (3:6, 4:6, 3:6) sprach Mischa Zverev von einem Burn-out, mit dem er fast acht Monate gekämpft hatte. tennis MAGAZIN-Chefredakteur Andrej Antic will in seinem Kommentar die Erkrankung nicht kleinreden, stört sich aber an dem Modewort Burn-out, das inflationär oft benutzt wird.

Ich schätze Mischa Zverev. Wenn er auf der Höhe seines Könnens agiert, ist sein Spiel eine Augenweide. Seine Volleys begeisterten schon John McEnroe. Und der amerikanische Altmeister kennt sich in dem Fach bekanntlich bestens aus. Wenn der große Zverev-Bruder nach den Partien Pressekonferenzen gibt, sind seine Analysen treffend, präzise wie – ja, wie seine Netzangriffe zu seiner besten Zeit. Es macht richtig Spaß, ihm zuzuhören. Weil er vor Publikum reflektiert, Dinge einordnet. Das, was er sagt, hebt sich wunderbar ab vom Gros der Profis, die mit Floskeln nur so um sich werfen – „Ich schaue nur von Punkt zu Punkt“, „Ich blicke nie so weit nach vorn“, bla bla bla.

Am Montag gab es wieder so eine PK, à la Mischa Zverev. Nicolas Kiefer war früher bekannt für den Spruch: „Ich habe mein Herz auf dem Platz gelassen.“ Mischa lässt sein Herz im sale d’interview, wie die Begegnungsstätten von Sportlern und Journalisten in Roland Garros heißen. Wenn Mischa redet, ist es nie oberflächlich, meist geht es in die Tiefe, regt zum Nachdenken an. Wie jetzt. Er erzählt von mentalen Problemen, von einem „leichten Burn-out-Syndrom“. „Ich hatte einen internen Kampf mit mir, fast acht Monate“, sagt Mischa. Er sagt auch: „Wenn du auf Rang 40 oder 50 stehst und Burn-out hast, denkst du: alles okay.“ Aber: „Wenn du auf Platz 150,200 stehst, dann wachst du eines Morgens auf und musst feststellen: Ob du Burn-out hast oder nicht, interessiert keinen.“

Mischa Zverev: Lange Pleitenserie

Mischa Zverev, 31, trifft seit einiger Zeit keine Kugel mehr, um es salopp zu formulieren. Nach Cincinnati 2018 – das war letzten Sommer – hat er nur ein Match gewonnen. Und das auch nur, weil sein Gegner Nicolas Kuhn aufgab. Ein entscheidender Moment für den Niedergang waren laut Zverev die US Open im September 2018. Gegen den Amerikaner Taylor Fritz führte er mit 2:0-Sätzen. Am Ende verlor er die Partie. Anschließend ging es nach Metz, Chengdu, Peking, Shanghai, Moskau und Basel. Bilanz: mit New York sechs Erstundenniederlagen am Stück. 2019 folgen im Januar (Melbourne), Februar (Acapulco) und März (Indian Wells) drei weitere.

Mischa spielte in der Zeit nur, weil er mit seinem Ranking in die Hauptfelder kam. Er musste praktisch spielen, wie er das formuliert. Aber der Körper und auch der Geist wollte nicht. Es war die Zeit, in der er geheiratet hatte, Vater wurde. Mischa Zverev wohnt in Monte Carlo. „Ich wollte lieber zu Hause sein“, gesteht er. Was nicht verwundern dürfte. Wie viele moderne Väter nehmen Elternzeiten? Bei wie vielen verschieben sich die Prioriäten? Windeln statt Windows. Das Baby wird zum Mittelpunkt, die Familie ist das Wichtigste, was völlig normal ist. Und Monte Carlo dürfte nicht der schlechteste Platz zum Relaxen sein.

Immer wieder wurde Zverev von Krankheiten gestoppt

Mischa berichtet von einer Wadenverletzung, ständigen Erkältungen. Die Blutwerte stimmten nicht und dann kommt in Australien noch ein Handgelenksbruch dazu. Anschließend stellt er die Technik bei der Vorhand um und – trifft noch weniger. Dann die nächste Rebellion des Körpers – ein Zucken im Arm. Monate vergingen, bis er sich eingestand: „Ich habe einen Burn-out. Ich muss etwas ändern.“ Zverev vergleicht es mit dem Leiden von Alkoholikern, die sich auch eingestehen müssen, dass sie ein Problem haben, um es dann lösen zu können.

Sich als Nicht-Betroffener zu einer Erkrankung zu äußern, ist schwierig. Man wird dem Patienten nicht gerecht. Wie genau Mischa Zverev sich gefühlt hat, weiß man nicht. Es ist ihm vermeintlich schlecht gegangen und das ist keine gute Nachricht. Aber es stellen sich schon einige Fragen: Es gibt auf der Tour viele Beispiele für Niederlagenserien. Haben die alle – oder zumindest einige von denen – Burn-out? Sieht eine richtige Krise nicht anders aus? Man verliert den Job, die Frau läuft davon, man streitet sich um das Sorgerecht um die Kinder, man kann die Miete nicht mehr bezahlen, man kann nachts nicht schlafen, weil sich die Rechnungen stapeln. Schlicht: Es geht um die Existenz. Eine Reihe von Niederlagen eines „Millionärs in kurzen Hosen“ erscheint da vielen Normalmenschen – mit Verlaub – als Luxusproblem.

Mischa Zverev ist 31 Jahre alt. Er setzte im Herbst seiner Karriere mit dem Erreichen des Viertelfinals in Melbourne 2017 noch einmal einen wunderbaren Akzent. Er ritt dann auf einer Welle des Erfolges, begeisterte mit Bruder Alexander wahlweise als „die Klitschkos des Tennis“ oder als „fabelhafte Zverev-Boys“ bei TV-Auftritten. Er war die Nummer 44 der Welt. Zverev hat rund 5,5 Millionen Dollar Preisgeld verdient, er strich darüber hinaus üppige Sponsorengelder ein. Er lebt in Monte Carlo, dem Synonym für Reichtum und Luxus. Allem Anschein nach existiert Familienglück im Kleinen mit Frau und Kind und die Familienbande mit Vater, Mutter und Bruder ist intakt. Man hatte auch nie den Eindruck, dass Mischa Zverev ein unglücklicher Mensch ist.

Mischa Zverev: Keine externe Hilfe

Die Diagnose Burn-out mag bei ihm zutreffen. Burn-out ist der Begriff für psychische Leiden, der in der modernen Welt leider inflationär oft benutzt wird. Fakt ist: Von einer existenziellen Bedrohung war Mischa Zverev so weit entfernt wie von seiner Bestform. Laut der „Süddeutschen Zeitung“ geht es Zverev aktuell wieder gut. Externe Hilfe hat er nicht in Anspruch genommen. „Die Realität hilft dir am meisten, wieder rauszukommen“, sagt Zverev. Und: Erst wenn man selber aus sich heraus bereit ist, sich zu ändern, schaffe man es.

Das ist trotz Erstrunden-Aus in Paris die gute Nachricht – Mischa Zverev hat wieder Spaß am Tennis. Und die Freunde tiefergehender PKs dürfen sich hoffentlich noch auf viele seiner Auftritte freuen.

 

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