Ein Tag bei den Hamburg European Open
Unter einer neuen Turnierleitung finden die Hamburg European Open zum 113. Mal statt. Wir nehmen Sie mit auf einen Tag bei dem Traditionsturnier am Rothenbaum.
Die Ruhe vor dem Sturm
Es ist zehn Uhr in der Früh. Obwohl wir in Hamburg sind, ist es ausnahmsweise sogar hier warm. Es ist keine Wolke zu sehen, die Sonne scheint. Auf der Anlage am Rothenbaum sind lediglich die Helfer am Werk. Sie bauen die Stände für die Besucher auf. Von Essen und Getränken, bis hin zu Kleidern, Ausrüstung und Blumen ist alles in weißen Zelten rund um das Stadion zu finden. Auch die Arbeiter des Security-Service nehmen ihre Plätze ein. Gemütlich halten sie einen kleinen Plausch, bevor die Menschenmasse in knapp einer Stunde das Gelände betreten wird. Überraschenderweise sind auch die Trainingsplätze recht leer. Nur Tim Pütz, der deutsche Davis Cup-Spieler, trainiert gemeinsam mit seinem Trainer. Locker schlagen sie Volleys und Slice-Bälle im T-Feld auf kurzer Distanz. Gleichzeitig korrigieren auf dem Nebenplatz vier Mitarbeiter ein Loch an der Grundlinie. Hier ist detailgenaue Arbeit gefragt.
Etwas versteckt auf Match-Court 2 wärmt sich Casper Ruud für seine Erstrunden-Partie gegen Robin Haase auf. Unter Beobachtung seines Vaters, der auch sein Trainer ist, und vier Zuschauern lockert er seine Schulter und serviert auf einen Hitting-Partner. Nebenan auf dem ersten Match-Court bereiten sich Richard Gasquet, Hugo Dellien mit einem Spielpartner und dem Vorjahressieger Nikoloz Basilashvili auf ihr erstes Match vor. In knapp 90 Minuten werden der Franzose und Dellien auf dem selben Court gegeneinander antreten.
Auf der anderen Seite des Stadions verschwinden die ersten Spieler im Fitness-Center. Durch die Fenster kann man sie bei Gesprächen mit ihren Coaches, beim Dehnen und beim Aufwärmen auf dem Rad beobachten.Knapp 100 Meter weiter kommen alle Ballkinder in rosa T-Shirts zusammen. Sie werden für den Tag und die kommenden Matches eingewiesen.
Eine halbe Stunde später betreten die ersten Besucher die Anlage am Rothenbaum. Auch der Tennismagazin-Stand ist gut besucht. Kinder und Erwachsene drehen fleißig am Glücksrad und hoffen darauf, einen Gewinn zu ergattern. Aber das Team ist auch mit Trostpreisen bestens ausgestattet, denn es gibt Gummibärchen für alle unglücklich Gescheiterten. Auch das Pressezentrum ist zu dieser Zeit noch rege besucht. Von Stress ist auf den ersten Blick keine Spur. Am Nebentisch spielen drei Pressevertreter Stadt, Land, Tennis. Gefragt sind z.B. Turniere, Spieler und Tennisbegriffe. Neben der heiteren Stimmung bestimmen natürlich auch jede Menge Gespräche über die deutsche Nummer eins den Raum. „Also Thiem wird sicherlich gewinnen, aber Zverev?“, „Er hat kein leichtes Los, besonders nicht nach so schweren letzten Wochen“, „Sein Gegner ist bestimmt müde. Er hatte lange Pause. Er packt das schon.“ Die Meinungen gehen auseinander, aber die Neugier und Vorfreude auf das Nachmittagsmatch steigen. Ein Sieg des Hamburgers in seiner Heimatstadt wäre nicht nur für ihn, sondern auch für das Publikum sehr besonders.
Die nächste deutsche Hoffnung
Zuerst ist aber die deutsche Nummer zwei Jan-Lennard Struff an der Reihe. Bei lauter Musik und an der Seite eines kleinen Kindes betritt der 1,96-Meter-Mann das Stadion um 11:30 Uhr. Unter den Augen von Teamkollege und Doppelpartner Tim Pütz sowie dem Davis Cup Trainer Michael Kohlmann verkauft sich Struff keines Falls unter Wert. Durch sein offensives Spiel nimmt er seinem Gegner Thiago Monteiro gleich sein erstes Aufschlagspiel ab. Zwar riskiert Struff daraufhin zwei Breakbälle, kann diese aber mit zwei Assen abwehren und sein Spiel verteidigen. Besonders seine kraftvollen Schläge, die langen Bälle an die Grundlinie sowie das aggressive Vorrücken ans Netz lassen dem Brasilianer kaum eine Chance. Das ganze Stadion scheint hinter dem Deutschen zu stehen, abgesehen von dem organisierten Monteiro-Fanclub aus Kindern. Für ihre Anfeuerungsrufe ernten sie erst kurzes Gelächter, welches anschließend von Applaus für ihren Mut gefolgt wird. Bereits nach 30 Minuten profitiert Struff von den Aufschlagschwächen seines Gegners und entscheidet den ersten Satz mit 6:1 für sich.
In der Zwischenzeit bereiten sich die anderen Spieler auf der nun leeren Anlage auf ihre ersten Partien vor. Auf Trainingsplatz eins wärmt sich Alexander Zverev unter Kontrolle seines Vaters auf. Zeitgleich trainieren die deutschen French Open-Sieger im Doppel, Kevin Krawietz und Andreas Mies, verschiedene Netzsituationen. Auf einem der anderen Plätze üben Daniel Altmaier und Rudi Molleker gemeinsam Volleys.
Während die einen trainieren, kämpft der Norweger Casper Ruud auf der Rückseite der Trainingsplätze gegen Robin Haase in seinem Erstrundenmatch. Die tatkräftige Unterstützung des Ruud-Kinder-Fanclubs und die Erschöpfung und Lustlosigkeit von Haase verhelfen dem 20-jährigen Norweger zu einem Sieg mit 6:3, 3:6, 6:1. Dankbar und sichtlich zufrieden verlässt Ruud den Platz und belohnt seine Fans mit einem gemeinsamen Gruppenfoto.
Derweil strauchelt, unter blauem Himmel und geöffnetem Dach, Struff zu Beginn seines zweiten Satzes. Ihm unterlaufen mehrere kleine Fehler, sodass Monteiro mit einem Break im zweiten Satz davonzieht. Aber „Struffi“ lässt sich nicht unterkriegen und kämpft weiterhin selbstbewusst. Nach jedem gewonnenen Punkt ballt er seine Faust und sammelt mit gezielten Blicken in seine Box neue Zuversicht. Auch nachdem er einen, eigentlich einfachen, Lob ins Netz setzt, verzieht der Weltranglisten 38. keine Miene. Sein ausgezeichnetes Winkelspiel und seine langen Returns belohnen Struff mit einem Rebreak und letztendlich mit einem klaren Sieg von 6:1 und 6:3 nach einer Stunde und zehn Minuten. Nach dem Spiel leert sich das Stadion. Die Zelte und Wege rund um den Center Court füllen sich. Begeistert von der soliden Leistung des Deutschen gönnen die Zuschauer sich in der warmen Mittagssonne ein Eis oder ein kühles Getränk.
Die kurze Erfrischungspause bleibt den Journalisten allerdings erspart. Kurz nach dem Ende seines Spiels betritt der sichtlich glückliche Jan-Lennard Struff den Interview-Raum im Pressezentrum. „Ich bin durchaus zufrieden mit meiner Leistung heute. Die Stimmung im Publikum hat mich wirklich positiv überrascht. Ich habe an dem heutigen Tag nichts auszusetzen“, erklärt er den Pressevertreten, die gespannt auf das Podium schauen, an dem die deutsche Nummer zwei Platz genommen hat. Bevor Struff den Raum verlässt, um zur Dopingkontrolle zu gehen, erwähnt er: „Ich mag Hamburg. Ich freue mich jedes Jahr, erneut hier zu sein. Es hat heute sehr viel Spaß gemacht.“
Der „Quasi-Deutsche”: Dominic Thiem
Aber bevor es nun endlich zum Highlight des Tages, dem Zverev-Match, kommt tritt die Nummer eins der Setzliste, Dominic Thiem, gegen einen seiner Angstgegner, Pablo Cuevas, an. Problemlos kämpft sich der Österreicher, der auch fast als deutscher Spieler durchgehen würde, mit 6:3 in den zweiten Satz. Obwohl Thiem auch im zweiten Satz mit einem frühen Break in Führung geht, kassiert er ein Rebreak vom Mann aus Uruguay. Erst im Tiebreak kann der Weltranglistenvierte deutlich machen, dass ihm der Matchgewinn zusteht. Nach einer Stunde und vierzig Minuten verwandelt er schließlich seinen Matchball zum 6:3, 7:6-Sieg über Cuevas.
Dass Thiem wie ein Einheimischer gefeiert wird, wird spätestens dann spürbar, wenn man nach seinem Match versucht, am Players Center entlang zu gehen. Während wir gerade auf dem Weg zu einem Interview-Termin sind, kommen einige ATP-Spieler vom Essen zurück. Für die jungen Zuschauer ist der Wartebereich vor dem Spielerzentrum ein absolutes Paradies, um Autogramme und Fotos mit den Stars zu sammeln. Mit einem Grinsen im Gesicht und absolut widerstandslos stellen sich die Profis ihren Anhängern. Von Stress ist nichts zu spüren.
Zverev unter den kritischen Augen der Hamburger
Erst als die Stimme des Moderators aus dem Stadion ertönt, löst sich die Menschentraube auf der Rückseite des Stadions langsam auf. Nun ist es endlich so weit. Das Match, auf das alle mit Spannung gewartet haben, beginnt. Unter dem Song „Coming Home“ betritt der gebürtige Hamburger Sascha Zverev den Center Court. Tosender Applaus und lautes Klatschen umgeben den Weltranglistenfünften. Sein Gegner aus Chile, Nicolas Jarry, rutscht bei der Spielerpräsentation ganz in den Hintergrund. Abgesehen von den Rängen ganz oben unter dem Dach ist das Stadion gut gefüllt. Neben Papa und Bruder Zverev sind auch die deutschen Teamkollegen Molleker und Altmaier gekommen, um sich das Match ihres Landsmannes anzuschauen. Dass das Match keineswegs einfach werden wird, damit haben alle Fans, Zuschauer und Kritiker gerechnet. Jarry ist mit einem Turniersieg in Bastad aus der vorherigen Woche angereist, Zverev steht erstmals seit seiner Erstrunden-Niederlage in Wimbledon wieder auf dem Match-Court.
Dennoch: Trotz aller Zweifel gelingt Zverev früh im ersten Satz ein Break. Obwohl der Chilene Schmetterbälle weit hinter der Grundlinie abgreift und Zverev zu langen Grundlinienduellen zwingt, behält der Deutsche die Oberhand. Voll konzentriert wendet er sich nach jedem erfolgreichen Punkt zu seiner Box und hebt die Faust. Beim Stand von 5:2 und 40:0 erhält „Sascha“ drei Satzbälle. Nachdem der Deutsche seine vorerst letzte Chance auf den Satzgewinn in der neuen Membran des Dachs am Rothenbaum versenkt, gewinnt Jarry ein Grundlinienduell erster Klasse. Dieser Patzer, unerzwungene Fehler und wacklige Momente bringen Zverev trotzdem nicht von seinem Satzgewinn von 6:4 nach 40 Minuten ab.
Im zweiten Durchgang präsentiert sich der Deutsche deutlich souveräner. Durch die aggressive Spielweise seines Gegners, profitiert Zverev auch von der damit verbundenen höheren Fehlerquote des Chilenen. Sein guter Aufschlag, seine taktische Cleverness und die gute Länge in seinen Grundschlägen lassen den Hamburger schließlich nach gut einer Stunde zum Matchgewinn servieren. Voller Zuversicht, versammeln sich die Kinder mit ihren Tennisbällen auf der Treppe rund um den Ausgang der Spieler, um sicher zu gehen, dass sie auch ein Autogramm von dem deutschen Tennis-Star erhalten. Aber ausgerechnet jetzt kommt der Hamburger ins Straucheln und muss zwei Breakbälle gegen sich verteidigen. Den ersten wehrt er mit einem guten zweiten Aufschlag ab und beim Zweiten überzeugt er mit seinem kraftvollen Grundlinienspiel. Schließlich heißt es nach einer Stunde und elf Minuten dann doch Matchball Zverev. Mit einem Ass sichert er sich den Einzug in die zweite Runde und wird mit tobendem Applaus von allen Seiten gefeiert. Nachdem er sich dem On-Court Interview und den wartenden Fans gestellt hat, erscheint er kurz darauf in der Pressekonferenz im Mediencenter. Hier gesteht Zverev: „Ich war schon etwas nervös. Es ist heimisches Publikum und die Erwartungen sind hoch.“
Lenz treibt Fognini zur Weißglut
Während Zverev die Medienvertreter mit Input versorgt, leert sich draußen nicht nur langsam das Stadion, sondern auch die Anlage. Zverev war das absolute Highlight für die Hamburger Zuschauer. Sie stärken sich noch mit etwas Kühlem zu Trinken und einer Kleinigkeit zu Essen, bevor die letzten Überbleibenden die Treppen zurück nach oben zum Center Court nehmen. Hier tritt nämlich im letzten Spiel des Tages der deutsche Überraschungs-Qualifikant Julian Lenz gegen den an drei gesetzten Fabio Fognini an.
Da Lenz zum ersten Mal im Hauptfeld eines ATP-Turniers steht, geht ein Großteil davon aus, dass es ein kurzes, eindeutiges Spiel wird. Aber da unterschätzen sie den Weltranglisten 374. Zwar zieht der Italiener gleich zu Beginn mit zwei Breaks davon, Lenz hält aber gut mit und spielt mutig nach vorne auf. Er erkämpft sich eines der Breaks zurück und bereitet Fognini mit seinen flinken Stops kurz hinter das Netz Probleme. Obwohl der Deutsche nach 34 Minuten den ersten Satz abgeben muss, lässt er sich nicht entmutigen. Im zweiten Durchgang zieht Lenz gegen einen nun wankenden Fognini mit einem Break vorweg. Nicht nur die höhere Fehlerquote von Seiten des Italieners, sondern auch der Mut und die Entschlossenheit des Deutschen belohnen ihn mit einer 3:1-Führung. Hörbar erstaunt ist auch das Publikum, was sich mit tosendem Applaus hinter den Deutschen stellt.
Spätestens nachdem Fognini aus Wut nach einem verlorenen Ball den Schläger auf seinem Oberschenkel zerbricht, verliert der Italiener endgültig die Zustimmung der Hamburger Zuschauer. Unter lauten „Buh-Rufen“ ist der emotionale Spieler gezwungen weiterzuspielen. Aber Fognini wittert die Gefahr von Seiten des Qualifikanten und beginnt nun, aggressiver und taktisch klüger zu spielen. Letztendlich gelingt dem Top-Ten-Spieler nicht nur das Rebreak, sondern auch ein weiteres Break zur Satzführung. Nach einer Stunde und 16 Minuten muss sich der erschöpfte Deutsche schließlich mit einer 4:6, 4:6-Niederlage geschlagen geben. Trotzdem scheint nicht nur das Publikum beeindruckt von dem unerwartet gut verteidigenden Qualifikanten, auch Fognini lobt Lenz: „Es war ein verdammt hartes Match. Er hat es mir nicht leicht gemacht, heute zu gewinnen.“
Mit einer Vielzahl spannender und emotionaler Matches kühlt nun die Luft rund um das Stadion am Rothenbaum ab. Die letzten Helfer schließen langsam ihre Zelte und der Security-Service verlässt seine Posten. Auch das Pressezentrum ist abgesehen von wenigen Journalisten wie leergefegt. Um 20 Uhr, nach elf Einzel-Partien und einem Doppelmatch, treten nun auch die letzten Zuschauer nach draußen durch die Tore. „Wow, es gab einiges zu sehen heute“, sagt eine Zuschauerin zu ihrer Freundin. „Mir war wirklich keine Sekunde langweilig. Der Tag hat sich wirklich gelohnt.“air jordan 1 low outlet | Cheap Air Jordans 1 low For Sale