Radu Albot: Der Quereinsteiger im Porträt
Der Moldawier Radu Albot kam einst als 13-Jähriger völlig mittellos nach Deutschland, kämpfte sich von der Bezirksliga ins Profigeschäft. Mit Ende 20 ist er in der erweiterten Weltspitze angekommen. Nun will er Tennis in seiner Heimat salonfähig machen.
Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 5/2019
Seine Augen werden groß, als würde er die Frage respektlos finden. Seine Gesichtszüge, sein freundliches Lächeln entkräften dies aber umgehend. „Natürlich stimmt das. Im Winter musste ich auf Holzplatten trainieren. Die waren nur sporadisch etwas lackiert“, sagt Radu Albot und schmunzelt, als er die Frage nach den Trainingsmöglichkeiten in den Wintermonaten in seiner moldawischen Jugendzeit beantwortet. Der 29-Jährige spürt den Kontrast in diesem Moment, hier in einem der Interviewräume im Inneren des Hardrock-Stadions bei den Miami Open.
Am Folgetag wird er dem späteren Turniersieger Roger Federer einen großen Kampf über drei Sätze liefern und dank überstandener Qualifikation und Zweitrundeneinzug sein Karrierehoch auf Position 46 festigen. Der mit Abstand beste Spieler seines Landes in der Geschichte ist in der erweiterten Weltspitze angekommen – und erinnert sich an eigentlich undenkbare Bedingungen als Kind in seiner moldawischen Heimat. Wenige Minuten später erklärt er: „Ohne die Unterstützung, die ich später in Deutschland erfahren habe, wäre meine Laufbahn nicht möglich gewesen.“
Radu Albot: Zahltag mit 29 Jahren
Die Profikarriere von Radu Albot hat ihren bisherigen Höhepunkt im Februar diesen Jahres gefunden, als der Rechtshänder sein erstes ATP-Turnier in Delray Beach gewann. Albot strich neben den 250 Weltranglistenpunkten 97.000 US Dollar (86.400 Euro) ein – sein bisher höchstes Preisgeld. Gemessen am Karriereverlauf des nur 1,75 Meter kleinen Osteuropäers ist das noch immer eine große Summe. Der Aufstieg des emsigen Arbeiters war sogar der New York Times ein großes Porträt wert. Darauf angesprochen, freut sich Albot von ganzem Herzen. Beim Treffen in Miami wird klar: Hier ist jemand auf natürliche Art und Weise mit sich und seiner Leistung im Einklang. Albot genießt den späten Aufstieg und den Zahltag, arbeitet aber weiter hart an seinen Fähigkeiten und glaubt an Verbesserungen.
Angefangen hat alles im Alter von sechs Jahren. Albots Vater Vladimir Albot, inspiriert durch Übertragungen im TV, beschloss, seinen Sohn beim Tennis anzumelden. „Das Problem ist damals wie heute: Moldawien mangelt es an Tennisplätzen, an qualifizierten Trainern, an Ausrüstung. Eigentlich an allem“, sagt Albot. Doch sein Vater habe immer Wege gefunden, damit der kleine Radu die ersten Schritte gehen konnte. „Ob ich das alles freiwillig getan habe, daran kann ich mich ehrlicherweise nicht mehr erinnern. Ich war einfach zu jung. Aber mit den anderen Kindern Sport zu treiben, hat mich immer erfüllt“, sagt Albot heute.
In der Nähe der Hauptstadt Chisinau (unweit des Elternhauses) fand die Familie eine weiterführende Schule mit dem Schwerpunkt Tennis. Wer jetzt aber an Eliteschule oder Sportgymnasium denkt, hat die falschen Bilder im Kopf. „Im Sommer trainierte ich drei bis viermal die Woche auf Sandplatz.“ Im Winter waren es die beschriebenen Holzplatten. Gepaart mit den kaum vorhandenen qualifizierten Trainerstunden war eine überdurchschnittliche Entwicklung kaum möglich.
Doch dann hat sich so etwas wie eine schicksalhafte Fügung ergeben“, erinnert sich Albot. Er habe in Baden-Baden ein U14-Turnier spielen dürfen. „Danach wollte mein Vater einen Gebrauchtwagen kaufen bei einem Händler, der in Mainz ansässig war“, sagt Albot. Der Vater habe immer auch versucht, die Tenniskarriere des Sohnes zu fördern und fragte den Autohändler nach Tennistrainern. „Und da gab es tatsächlich einen Landsmann in Wiesbaden – Jimmy“, sagt Albot und strahlt.
Radu Albot startete in der Bezirksliga B
Die Rede ist von Djerald Oganezov, einem DTB-B-Lizenz-Trainer. Der heute 42-Jährige, der 2004 die „International Tennis School“ (ITS) beim TC am Bingert in Wiesbaden gründete, nahm den 13-Jährigen die folgenden Jahre jeweils für die Sommermonate auf. „Ich habe dort als Jugendlicher an eins in einer Herrenmannschaft gespielt mit Amateurspielern und mich von der Bezirksliga B hochgearbeitet“, sagt Albot. „Jimmy“ habe er ganz viel zu verdanken. „Er hat mir in den folgenden Jahren am meisten geholfen. Ich bin technisch und taktisch ein besserer Spieler geworden und so weit weg von zu Hause auch menschlich gereift.“
Beim größeren Wiesbadener Verein WTHC war er jahrelang Publikumsliebling. „Vor zwei Jahren war ich das letzte Mal ein Wochenende dort und habe die Mannschaft, Freunde und Bekannte besucht – eine tolle Zeit. Deutschlands kann ich ganz ehrlich als meine zweite Heimat bezeichnen. Ich habe den Menschen dort viel zu verdanken.“ Albots Engagement beim TC Grün-Weiß Mannheim, mit dem der Moldawier 2018 Deutscher Meister wurde, passt ins Bild.
„Natürlich haben wir schon damals alle gewusst, was er drauf hat. Dass er eines Tages tatsächlich den Sprung in die absolute Weltklasse schaffen würde, kam für mich aber doch überraschend“, sagte der ehemalige Mannschaftskamerad Frank Prüfer, der sich einst im elterlichen Haus in Wiesbaden ein Zimmer mit Albot teilte, 2018 im Wiesbadener Kurier. Doch so wie sich Albot mit seinem Kämpferherzen einst aus der Bezirksliga nach oben spielte, so erklomm er Schritt für Schritt auch die Stufen in der Weltrangliste. 2018 knackte er die Top 100, stand mit 28 erstmals in der dritten Runde von Wimbledon. Sein Karrierehoch 46 liegt mehr als 150 Plätze über dem zweitbesten Moldawier (Roman Borvanov war 2011 die Nummer 200).
Dieser Fakt war lange ein großes Problem für das moldawische Talent: „In anderen, größeren Ländern gibt es viele Vorbilder, Superstars, an denen sich Talente orientieren können. Ich hatte in Moldawien keine finanzielle Unterstützung, keine Spieler, zu denen ich aufschauen konnte, kaum Trainer, die mich fördern konnten“, ergänzt Albot. Es sei ein ungleiches Spiel, auch im Hinblick auf Wildcards, um auf natürliche Art und Weise in der Rangliste nach oben zu kommen.
Radu Albot möchte Kinder inspirieren
Aber Albot jammert nicht, wenn er diese Dinge benennt. Im Gegenteil: „Ich versuche, daran jetzt etwas zu ändern.“ Die Medien in seinem Land verfolgen seinen Aufstieg seit geraumer Zeit. „Ich versuche, das zu nutzen, um mehr Kinder für den Sport zu begeistern. Ich hoffe sehr, dass die Kinder meine Leistungen wahrnehmen und mir nacheifern. Die Zeit ist reif, dass sich tennistechnisch etwas tut in Moldawien.“ Nach dem Karriereende, das laut Albot noch in weiter Ferne liegt, möchte er helfen, die Infrastruktur in seiner Heimat zu verbessern. Ein Superstar wie Federer sei er in Moldawien nicht. „Aber ich werde erkannt auf der Straße, zumeist von Frauen“, sagt er und lacht. Albot ist seit Jahren glücklich vergeben. Seine Freundin reist mit ihm auf der Tour, managt parallel aber noch eine eigene IT-Firma. Haben sie mal frei, verbringen sie die Zeit in der Heimat nahe Chisinau. Dort leben auch noch die Eltern Albots. „Wir versuchen, die wenige Zeit dann alle gemeinsam zu nutzen“, erklärt der Familienmensch.
Der Familie hat er viel zu verdanken: Der Papa hatte damals große Teile der Ersparnis- se für die erste Bustour von Chisinau nach Wiesbaden aufgetrieben. 72 Stunden dauerte die Tortur. Der Teenager landete mittellos und ohne Sprachkenntnisse in Wiesbaden – aber er fand sich zurecht. So erging es ihm immer, wenn ihm etwas wichtig war. Das gilt auch für die Weiterentwicklung seines Landes. „Bei der vorletzten Wahl habe ich während eines Turniers in Frankreich ein ziemlich teures Taxi genommen, um in der moldawischen Botschaft von Paris meine Stimme abzugeben. „Mir ist unsere Politik wichtig, aber ich habe mich nie mit Politikern ablichten und mich instrumentalisieren lassen. Ich möchte Tennis für mich sprechen lassen.“ Bei der letzten Wahl war Albot aber verhindert. Sie fand am Tag seines Finals in Delray Beach statt.
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