Philipp Kohlschreiber: „Mein Tennis-IQ ist heute höher”
Einer der Evergreens im deutschen Tennis. Im Interview spricht Philipp Kohlschreiber über seine lange Karriere, das Davis Cup-Finale in Madrid, Biken in den Bergen und die Fehler der Politik.
Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 11-12/2019
Herr Kohlschreiber, wir reisen ein paar Monate in die Vergangenheit. Haben Sie das Endspiel von Wimbledon gesehen?
Ja. Natürlich habe ich es nicht vom ersten bis zum letzten Punkt gesehen, aber ich würde sagen, ab Mitte dritter Satz war ich dabei. Das Match hat alles gehabt, was man sich als Zuschauer wünscht. Es war eine tolle Werbung für Tennis, sehr schön zum Anschauen. Ich weiß auch, wie sich ein Roger Federer gefühlt haben muss. Ich stand ja noch nie im Wimbledon-Finale, aber dort Matchbälle zu vergeben ist absolut super bitter. Das ist an Emotionalität nicht zu überbieten, besonders beim wichtigsten Turnier der Welt.
Wo haben Sie das Match gesehen?
Am Flughafen in Köln, weil ich selber Tennis-Bundesliga gespielt habe. An diesem Sonntag hatte ich für GHTC Gladbach gegen Blau-Weiß Aachen gespielt. Da waren wir ein bisschen früher fertig und dann konnte ich später vor dem Abflug das Match zu Ende schauen.
Djokovic hat das Match gewonnen, obwohl alle Statistiken gegen ihn gesprochen haben. Sie haben in Wimbledon in der ersten Runde gegen den Serben gespielt. Was macht ihn so besonders?
Das kann man nicht vergleichen. Ich glaube, Djokovic zeichnet sich stark dadurch aus, dass er ein extrem solider Spieler ist. Bei den Big Points oder in den Tiebreaks, von denen er drei im Match gegen Federer gewonnen hat, kommt ihm seine ruhige Spielweise zu Gute. Ich denke aber auch, wenn es keinen Tiebreak im fünften Satz gegeben hätte, dass die Partie eher zu Gunsten von Roger Federer ausgegangen wäre. Aber weil der Djoker sozusagen keine Fehler macht und er auch so stark returniert, ist es eben im Tiebreak gegen ihn verdammt unangenehm. Man selber ist ein bisschen angespannter und er gibt dir keinen einfachen Ball. Er arbeitet mit so einer guten Länge und so einer Präzision. Die Tiebreaks haben in jedem Fall gegen Roger gesprochen.
Sie haben auch schon ein Match nach fast fünf Stunden Spielzeit verloren, wenn auch nicht ein Grand Slam-Finale, aber zum Beispiel beim Davis Cup gegen Spanien. Wie verarbeitet man als Spieler so eine Niederlage?
Tja, das ist eine gute Frage. Ich glaube, jeder Spieler tut das auf seine eigene Art und Weise. Bei meiner Niederlage im Davis Cup gegen Spanien war es so, dass ich drei, vier Tage überhaupt keine Lust auf Tennis hatte. Es ist so, dass du auch Tage danach noch schlecht schläfst. Wenn du die Augen schließt, verarbeitest du immer wieder das Match. Du hast bestimmte Spielsituationen vor dir und hinterfragst: ‘Warum habe ich da nicht mehr gemacht oder warum musste der Fehler sein.’ Man verarbeitet es sehr, sehr lange. Irgendwann versucht dir wahrscheinlich dein Umfeld und du dir selber zu sagen: ‘Ja okay, so etwas passiert. Es war trotzdem eine tolle Leistung.’ Wenn wir beim Beispiel Davis Cup in Valencia bleiben. Da kamen von außen extrem viele positive Reaktionen wie ‘tolle Werbung für den Davis Cup’, auch weil da gerade darüber gesprochen wurde, dass sich der Davis Cup verändert. Ein Auswärtsspiel in der Stierkampfarena vor 10.000 Leuten. Die Stimmung war einfach unfassbar. Es war einer der intensivsten Momente, die ich in meiner Karriere erleben durfte.
Sie versuchen also, immer das Positive rauszuziehen?
Ja, ich kann sagen: ‘Hey, du warst ein Teil davon. Du hast alles gegeben.’ Man greift nach dem Strohhalm, um es ins Positive zu drehen. Ich glaube, nur so kann man es schaffen. Es gibt bestimmt Spieler, die an großen Niederlagen zerbrochen sind. Deswegen noch einmal: Man muss das Positive rausziehen. Es ist schwer. Ich weiß nicht, ob es irgendwas Positives gibt, wenn man verliert. Aber ich glaube, nur so kann man weitermachen und nach vorne schauen.
Federer ist ja bekanntlich jemand, der Niederlagen schneller verarbeitet. Aber bei so einem Match wird auch er nicht wieder zur Tagesordnung zurückgegangen sein, oder?
Ich kann jetzt nur sagen, dass er relativ früh das Turnier in Montreal abgesagt hat. Andererseits konnte es auch so sein, dass er den Schläger sowieso lange aus der Hand legen wollte. Er hat eine Familie, Kinder, die in einem Alter sind, in dem sie Siege oder Niederlagen nicht als wichtig erachten. Seine Kinder können ihn schnell auf andere Gedanken bringen. Ich kann mir gut vorstellen, dass er durch sie abschalten konnte und ihn die Kids bespaßt haben. Bei den US Open hat er ja wieder angegriffen.
Ende November steigt das Davis Cup-Finale in Madrid. Der Termin ist bekanntlich fest in Ihrer Planung. Viele Spieler sehen die Reform kritisch. Sie nicht?
Ich habe immer gesagt, dass ich mir das Event anschauen will und dazu stehe ich auch noch.
Sie geben dem neuen Format also eine Chance?
Ja. Bevor man etwas kritisiert, sollte man erst einmal die Erfahrung machen. Darum reise ich nach Madrid.
Wenn es normal läuft, werden Sie der zweite Einzelspieler sein.
Warum soll ich nicht der Erste sein? Trauen Sie mir das nicht zu? (lacht)
Wir trauen Ihnen vieles zu, aber sollte Alexander Zverev, was er angekündigt hat, nicht spielen, wäre nominell Jan-Lennard Struff die deutsche Nummer eins.
Das stimmt. Ich weiß auch, dass der Termin nicht gut gewählt ist. Wenn ich jetzt aber mal für mich spreche: Ich habe die letzten Jahre immer gemerkt, dass mir die Vorbereitung zu lange dauert. Ich hätte lieber im Sommer eine zusätzliche Woche frei, in der ich wirklich abschalten kann. Weil ich das Masters in Paris nicht spiele, brauche ich keine zwei Monate, in denen ich nur trainiere. Insofern passt der Davis Cup ein bisschen besser in meinen Turnierkalender. Aber mir ist klar, dass der Termin für viele andere schlecht und mit Stress verbunden ist. Ich kann nur sagen: Ich bin mittlerweile in einem Alter angekommen, wo ich weiß: Ich will nicht alles gleich von Anfang an Schwarz oder Weiß sehen, sondern ich will mir meine eigene Meinung bilden. Ich hoffe, dass das Event toll organisiert ist, dass es super ankommt, dass es eine super Stimmung wird und dass man vielleicht dann weiter ist und sagen kann: ‘Okay, es fehlt ein bisschen was.’ Zum Beispiel die Emotionen, wenn man ein Auswärtsspiel oder ein Heimspiel hat. Dass der Davis Cup deshalb besonders gut sein muss, weiß auch Kosmos (die veranstaltende Agentur, Anm. d. Red.). Sie wollen ein Monster-tolles Event haben und das will ich mir anschauen.
Alter ist so ein Stichwort. In welcher Phase Ihrer Karriere befinden Sie sich?
Das wird man natürlich, wenn man 30 oder Mitte 30 ist, relativ oft gefragt. Aber es ist eigentlich gar kein Thema. So lange mein Körper hält, weiß ich, dass ich noch gutes Tennis spiele und da ich ja nicht mehr Tennis spielen muss, sondern darf, schätzt man diesen – wahrscheinlich zu 90 Prozent – Traumjob sehr. Deshalb würde ich ihn gerne noch ein paar Jährchen ausüben.
Ist in der Hinsicht Federer ein Vorbild?
Ja und nein. Nein, weil er so ein extremer Ausnahme-Athlet ist. Er schafft es mit nur zwölf Turnieren im Jahr auf Platz drei der Welt zu stehen. Das funktioniert bei den meisten anderen einfach nicht. Ich merke das auch bei mir: Wenn ich mal weniger spiele, tut es mir nicht gut. Ich habe dann das Gefühl, ich bin zu weit entfernt von der Tour und mir fehlen die adäquaten Trainingspartner. Dann kommst du auf die Tour zurück und hast das Gefühl ‘Wow, der spielt ein Stück schneller, ist tougher’. Ich habe immer das Gefühl, ich spiele besser, je länger ich im Turnier stehe und je mehr Events ich bestreite. Oder umso kürzer meine Trainingsphasen sind, weil ich auf den Turnieren mit tollen Trainingspartnern extreme Levels erreichen kann. Ich darf immer mit den Topjungs spielen, weil ich ein guter Trainingspartner bin, der immer gut gelaunt ist und viel Energie mitbringt. Das ist natürlich auch etwas Positives für mein Tennis, dass ich da oben spielen kann.
Das war die Antwort auf die Frage, warum Federer kein Vorbild im Hinblick auf das Alter ist. Und warum ist er eins?
Weil er zeigt, was theoretisch machbar ist.
Wie trainieren Sie heute? Sie sagen, Alter sei nicht das Thema, aber auch Sie werden bestimmte Dinge anpassen müssen, weil sich der Körper verändert.
Ja, klar. Ich glaube, dass man viel spezieller und spezifischer trainiert. Vielleicht auch ein bisschen kürzer. Früher hat man einfach nur seine Zeiten gespielt, sodass man auf drei bis vier Stunden kommt. Man brauchte auch viele Wiederholungen. Jetzt weiß ich, dass ich nicht mehr ganz so viele brauche. Ich konzentriere mich auf bestimmte Punkte, die wir uns für das nächste Training vorgenommen haben. Ich bin im Alter fokussierter geworden. Man kann jetzt auch sagen, dass man ein bisschen früher aufhört, wenn man das Gefühl hat ‘hey, wir haben jetzt unsere Ziele erreicht’. Man weiß besser, wann Schluss ist.
Wie gehen Sie mit Ihrem Körper um? Sagt Ihnen Ihr Körper, wie Sie sich verhalten müssen. Kennen Sie Ihren Körper besser? Horchen Sie anders in ihn hinein und reagieren entsprechend?
Also ich muss eigentlich jetzt auf Holz klopfen, weil ich sagen kann, dass ich sehr gute Entscheidungen in meinem Sport getroffen habe. Der Körper hat natürlich seinen Verschleiß. Er meldet sich öfter in kürzeren Abständen und darum muss man vielleicht auch mehr Zeit beim Physio verbringen. Man muss auch manchmal entscheiden, dass die Trainingseinheiten verkürzt werden, weil sich der Körper meldet. Vor zehn Jahren gab es das bei mir zum Glück nicht, dass ich überhaupt in meinen Körper reinhören musste. Ich war gesegnet. Jetzt merkt man schon, dass man viele Tennis-Kilometer und Aufschläge gemacht hat. Aber es hält sich immer noch in Grenzen und ich bin eigentlich sehr happy, wie es jetzt ist.
Eigentlich? Es heißt Ihre Hüfte zwickt in letzter Zeit häufiger.
Ja. Das ging in München los. Dieser Sommer war ein bisschen schwierig. Da hat sich der Körper in den letzten Monaten relativ oft gemeldet und man hat auch gesehen, dass ich mich nicht mehr so wohl auf dem Platz gefühlt habe und die Ergebnisse nicht stimmten. Mir fehlten Trainingszeiten, damit ich ein gutes Körpergefühl bekomme. Das habe ich zu selten gehabt und es war dann auch für den Kopf sehr mühsam. Man weiß das und wartet förmlich auf neue Reaktionen seines Körpers. Deswegen waren die letzten Wochen ein bisschen unbefriedigend.
Spielt Ernährung in dieser Phase der Karriere eine größere Rolle?
Ja, ich achte seit etwa sechs Jahren darauf, dass ich mich vorwiegend glutenfrei ernähre. Mir hat es geholfen, aber das muss jeder für sich entscheiden. Djokovic ist wahrscheinlich die Spitze des Eisbergs, wenn er sein selbstgemachtes Zeug von daheim mitbringt, was für mich nicht so appetitlich ausschaut. Aber als Nummer eins macht man vielleicht auch alle Dinge, die nötig sind, um ganz oben zu bleiben.
Würden Sie sagen, Ihre Tennisintelligenz ist heute größer durch alle Erfahrungen, die Sie gemacht haben, aber gleichzeitig ist der Körper limitierter? Wären Sie ein besserer Tennisspieler, wenn Sie in Ihren Körper von vor 15 Jahren schlüpfen könnten?
Ich glaube sogar, dass ich jetzt ein besserer Tennisspieler bin. Der Körper ist nicht mehr wie Mitte Zwanzig, aber man wird intelligenter, hat einen höheren Tennis-IQ. Man lernt ja jeden Tag dazu. Das ist auch mein Credo: jeden Tag etwas dazuzulernen. Wenn man stehen bleibt oder denkt, man ist schon gut genug, dann wird man in der Tennisszene durchgereicht. Ich wollte jedes Jahr besser werden. Meine Schwächen ausmerzen und meine Stärken verbessern. Ich würde jetzt sagen, ich spiele einen viel besseren Slice. Ich bin beim Aufschlag nochmal variabler geworden. Deswegen glaube ich, dass ich ein besserer Tennisspieler bin. Aber es sind mittlerweile auch extrem viele junge Spieler nachgekommen und die Alten sind immer noch da. Es ist nochmal eine höhere Dichte entstanden.
Das ist ein großes Thema auf der Tour: Die Alten sind noch da und werden immer älter. Sie gewinnen immer noch die Grand Slams. Die Jungen klopfen an: Medvedev, Tsitsipas, Zverev und andere. Man hat das Gefühl, dass es ist schon eine Weile so, dass die Next Gen von der ATP gepusht wird. Nur: Es ist noch nicht so richtig viel passiert. Wie schätzen Sie diese Situation ein?
Ich will jetzt keinem zu nahe treten. Aber ich glaube, dass wir mit Djokovic, Nadal und Federer Tennisspieler haben, die, egal wer von unten nachkommt, einfach nochmal eine Klasse besser sind. Die jungen Spieler können, wenn sie sich weiterentwickeln, vielleicht einmal in diese Fußstapfen treten. Aber für mich bringt von der neuen Generation keiner das mit, was Federer, Nadal und Djokovic haben. Diese drei sind für mich, auch in dem Alter noch, die kompletteren, die besseren Tennisspieler. Deswegen sind sie auch im höheren Alter immer noch die, die die Grand Slams unter sich ausmachen.
Glauben Sie, wenn diese drei einmal abtreten, dass es dann ein riesiges Loch im Tennis geben wird, wie viele befürchten?
Ich dachte immer ja, aber ich bin jetzt von dieser Meinung ein bisschen abgerückt, weil irgendeiner wird die Grand Slams danach gewinnen. Wenn ein Sascha Zverev zehn in Folge gewinnt, dann interessiert die aktuelle Diskussion keinen mehr. Jeder stürzt sich dann auf diese Story: ‘Uh, zehn in Folge hat noch nie einer gewonnen.’ Und es gibt tolle Typen. Ich finde Tsitsipas extrem gut für die Tour. Er ist wie ein griechischer Gott: lange Haare, Monster-Athlet, er bringt einfach alles mit. Deswegen glaube ich mittlerweile, dass es kein Loch geben wird.
Wie sehen Ihre Ziele aus in dieser Karrierephase?
Die kurzfristigen: Ich würde gerne von der Verliererstraße wieder auf die Gewinner-straße fahren. Ich würde gerne noch ein paar Jahre spielen, weiterhin angreifen. Klar: Ich stehe jetzt auf Platz 80, so schlecht wie ewig nicht. Ich weiß auch gar nicht, ob ich aus dem Fenster springen soll – nein Spaß. Im Ernst: Ich muss schauen, dass ich wieder in die Schlagdistanz komme. Dass die Leute sagen: Kohlschreiber ist ein unangenehmer Gegner. Wenn er einen guten Tag hat oder gut drauf ist, kann er mit den Topspielern mithalten. Momentan sehe ich mich nicht in dieser Position, aber ich will es wieder nach oben schaffen..
Man muss ganz lange zurückscrolen. Auf Platz 80 standen Sie zuletzt vor 13 Jahren.
Ja, das ist lange her.
Sie waren ein sehr konstanter Spieler über die Jahre. Sie standen meist unter den Top 30. Haben Sie Ihrer Meinung nach die Wertschätzung für diese Leistung bekommen?
Es ist schwer, das selbst objektiv einzuschätzen. Ich würde einmal behaupten, es ist im Sport meistens der maximale Erfolg, der zählt. Wenn jemand einmal für ein Jahr die Nummer fünf der Welt war, aber dann zehn Jahre um Platz 100 steht, wird er oft an der höchsten Platzierung gemessen. Sie hat einen höheren Stellenwert. Die andere Zeit wird dann nicht erwähnt. Deswegen lebt unser Sport immer nur von den maximalen Ergebnissen. Die Frage, wie lange ein Spieler ein Athlet auf Top-Niveau war, fällt meist weit runter. Aber das sollen die Medien entscheiden. Da will ich mich nicht einmischen. Ich bin auch einer, der sehr happy ist, dass andere Leute einen größeren Medienrummel erzeugen als ich. Ich bin da immer sehr bodenständig. Ich brauche keinen Zirkus um mich. Ich bin in dem Sport, um zu sein, wie ich bin und ich brauche nicht mehr so viele Stimmen von außen. Und deswegen bin ich unter dem Strich sehr glücklich, wie alles für mich so läuft.
Sie trainieren hin und wieder mit Alexander Zverev. Er befindet sich in einem komplett anderen Karriereabschnitt, hatte zuletzt Probleme mit dem Management, mit seinem Trainer. Sprechen Sie über solche Dinge? Geben Sie dem jüngeren Kollegen Tipps?
Nein, über so etwas sprechen wir nicht. Ich würde ihm sicherlich meine Meinung sagen, wenn er mich fragen würde. Ob ich ihm Ratschläge geben könnte, weiß ich nicht, weil er selbst einen Weg finden muss. Ich glaube, dass er da auf jeden Fall wieder her-auskommt. Dafür ist er einfach ein zu guter Tennisspieler. Er hatte eine kleine Durststrecke, aber er ist ein junger Spieler. So etwas durchlebt jeder einmal. Es ist ein Lernprozess und man muss die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Das war bei mir nicht anders. Er wird am Ende ein stärkerer und noch besserer Tennisspieler sein.
Wer ist aktuell Ihr Trainer?
Stephan (sein Manager Stephan Fehske; Anm. d. Red.) hilft mir, aber offiziell gibt es jetzt keinen wirklichen Trainer. Tobias Summerer und ich hatten uns beim Turnier in Stuttgart, also schon vor Wimbledon, getrennt. Aktuell habe ich keine Lust auf irgendetwas Neues. Wieder jemanden kennenlernen und beschnuppern und Philosophien austauschen – nein danke. Dann stellt sich wieder die Frage: Wie will er trainieren? Wie will ich trainieren? Dann hat Stephan gesagt, er kann mir gerne aushelfen. Ich reise ja auch mit einem langjährigen Freund, Roman Ewald, der mich jetzt auch schon viele Jahre begleitet hat. Er arbeitet mit mir im Fitness-Bereich. Ansonsten möchte ich mich selber ein bisschen mehr miteinbringen und das Zepter in die Hand nehmen.
Sind Sie jetzt in einer Phase, in der Sie einen Trainer möglicherweise gar nicht brauchen, sondern Ihr eigener Trainer sind?
Ja, das ist so. Wenn man sich einen Trainer aussucht, will man Input vom Trainer bekommen und ich würde sagen, ich habe mich jetzt die letzten ein, zwei Jahre ein bisschen zurückgenommen. Weil ich gesagt habe, okay ich will mich verändern. Ich musste mir ja viel Kritik von außen anhören nach dem Motto: ‘Er ist oft zu verbohrt.’ Oder: ‘Er macht sein eigenes Ding.’ Dann sucht man sich einen Trainer und versucht, neuen Input zu verarbeiten. Das habe ich mir jetzt zwei Jahre angeschaut mit mäßigem Erfolg.
Wie ist Ihre Work-Life Balance, wie das immer so schön heißt? Ist das anders als früher?
Ja, das ist absolut so. Früher gab es nur Tennis. Andere Interessen waren damals nicht so da. Wir sind vielleicht mal zwei Stunden ins Kino gegangen, mehr nicht. Mittlerweile hat sich das schon verändert. Ich habe jahrelang viel geopfert und auf Vieles verzichtet. Jetzt will man auch mal ein bisschen mehr leben. Als Vollzeit-Profi kann man es sich eigentlich nicht leisten, sich mitten in der Saison fünf Tage freizunehmen, Rad zu fahren oder sich an den See zu legen. In den letzten ein, zwei Jahren mache ich das aber häufiger. Das gönne ich mir.
Also muss man sich das so vorstellen, dass Sie durch die Bergwelt in Ihrer Wahlheimat Kitzbühel mit dem Mountainbike düsen und sich anschließend in der Natur entspannen?
Ja genau. Entweder lege ich mich an irgendeinen Gumpen, also einen Bach, oder an einen See. Das sind immer so meine Destinationen, zu denen ich hinradele. Als kleine Belohnung. Danach geht es in der Regel bergab, was relativ angenehm ist. Diese Sachen genieße ich jetzt viel mehr als früher. Ich merke auch, dass ich das brauche. Als 22-Jähriger kam mir so etwas nicht in den Sinn. Aber durchs Radfahren trainiere ich ja auch noch meine Fitness.
Sind Sie beim Biken ein richtiger Freak? Achten Sie genau aufs Material?
Naja, so ein bisschen. Es gibt jemanden in der Familie, der professionell Downhill-Rennen fährt. Der kennt sich gut aus und hat mir irgend so ein Fahrrad zusammengestellt und das konnte ich mir dann leisten. Jetzt fahre ich bestimmt mit einem sehr, sehr tollen Fahrrad, aber ich bin überhaupt kein Experte. Also mir könnte man auch irgendwas hinstellen. Ich bin kein Freak, aber ich bin sicherlich gut ausgerüstet und es ist eine Sache, die viel Spaß macht.
Sind Sie risikofreudig?
Nein, ich passe auf. Wie beim Skifahren im Winter versuche ich, das zu genießen, aber ich weiß auch, dass mein Körper mein Kapital ist. Beim Berg runterfahren mit dem Fahrrad überholen mich alle. Aber ich sage mir, okay, es soll sich keiner verletzen, aber bei mir wäre die Ausfallquote dann doch ein bisschen schmerzhafter.
Sie sprachen neulich davon, dass Sie sich für Politik interessieren. Können Sie das präzisieren?
Ich verfolge das sehr intensiv. Aber ich will mich jetzt nicht politisch äußern, weil ich das Gefühl habe, dass man mittlerweile in Deutschland gar keine normale Diskussion mehr führen kann, egal über welches Thema. Es gibt soziale Medien, es gibt anders denkende Menschen, die dich gleich kritisieren. Mir fehlt der ehrliche und offene Dialog, ohne dass gleich jemand rechts, links oder geradeaus eingestuft wird. Das finde ich mittlerweile sehr, sehr schade. Ich verfolge viele Dinge. Ich habe auch unter Freunden eine sehr starke Meinung. Es interessiert mich.
Könnten Sie sich vorstellen, in die Politik zu gehen?
Ich hätte große Lust, aber mir gefallen viele Prozesse nicht und ich glaube, dass ich keine Freude hätte, meine Energie dafür zu opfern, wenn ständig alles kritisiert wird. Als Sportler muss man sich ja schon Einiges anhören. Da ich kein Social Media habe, bekomme ich es wahrscheinlich noch weniger mit. In der Politik sind es gewisse Strukturen, die mich stören würden. Wir haben extrem alteingesessene Politiker, kaum junge Leute. Sebastian Kurz aus Österreich beispielsweise ist ein toller Typ, ein junger Politiker, der auch die jungen Wähler anspricht. In Deutschland, glaube ich, würde man aber gar nicht so schnell nach oben kommen.
Sie sind jetzt 36 Jahre alt, das Ende der Laufbahn rückt näher. Was wäre ein idealer Karrierabschluss?
Vielleicht ein letztes Mal in München bei den BMW Open spielen. Das ist eines meiner Lieblingsturniere. Ich spiele sowieso immer gerne in der Heimat, weil ich mich dort am wohlsten fühle. Der Davis Cup wäre auch so ein Ding, wo man sich verabschieden könnte, wobei man schauen muss, wie er sich entwickelt. Um ehrlich zu sein: Es gibt kein Szenario. Ich glaube, dass ich eines Tages aufwache und sage: Das war es jetzt. Ich bin nicht der Typ, der einen großen Abgang will. Ich will auch nicht, dass einer vom Turnier sagt: ‘Jetzt müssen wir den Philipp ehren.’ Ich möchte auch keine Botschaften von den anderen Spielern haben. Das bin ich nicht. Ich entscheide es für mich, wenn es so weit ist. Mein Umfeld wird eingeweiht. Aber eine Abschiedstournee, bei der ich sage, ich spiele jetzt noch einmal in München, noch einmal in Hamburg – das wird es bei mir nicht geben. New Air Jordans 1 release dates | is air jordan outlet fake