Workshop mit Judy Murray: Bohnensack und Hula Hoop
Workshop mit einer Star-Trainerin: Judy Murray, Mutter und Coach der Weltklassespieler Andy und Jamie Murray, war während der Hamburg European Open 2019 am Rothenbaum, um Trainern Einblicke in ihre Arbeit zu geben.
Text: Nina Schwarz
„Kennt ihr eine Piñata?“ Judy Murray schnappt sich eine gefüllte Plastiktüte und knotet sie an den Griff ihres Tennisschlägers. „Gibt es die in Deutschland?“ Dann greift sie den Schläger am Kopf und hält ihn samt Tüte mit gestrecktem Arm nach oben in die Luft. Mit Piñata meint die schottische Tennistrainerin das aus Mittelamerika stammende Spiel für Kinder. Dabei baumelt eine bunte Figur aus Pappmache an einem Band oben in der Luft und die Kinder schlagen mit einem Stock dagegen, bis die darin versteckten Süßigkeiten herausfallen. Genau das sollen die Tenniskinder bei Judy Murray auch tun: mit dem Schläger – zwar nicht gegen eine bunte Figur – aber gegen die Plastiktüte schlagen. Es kommen dann keine Süßigkeiten heraus. Dafür etwas anderes: ein erstes Gefühl für den Bewegungsablauf beim Schmetterball. Judy Murray sagt: „Kinder wollen nicht euren Erklärungen zuhören, sie wollen spielen. Findet Spiele, die das Lehren übernehmen und ihr seid erfolgreich!“
Judy Murray: „Ich sehe zu wenig hochwertiges Training“
Samstagmorgen bei den Hamburg European Open. Es ist Halbfinaltag. Lange bevor die Profis ihre Matches bestreiten, steht Murray bereits auf dem Platz, genauer gesagt auf dem Kids Court, und leitet einen Workshop für Tennistrainer. Rund ein Dutzend Coaches aus verschiedenen Vereinen in Deutschland sind gekommen, um von der Erfahrung der 60-jährigen Star-Trainerin und wohl bekanntesten Tennismutter der Welt zu profitieren. Judy Murray, Mutter von Andy und Jamie Murray, hat sich aufs Kindertennis spezialisiert. „Ich sehe zu wenig hochwertiges Training – überall auf der Welt“, klagt sie. Und das möchte die Schottin ändern. Murray hat sich zur Aufgabe gemacht, mehr Kinder zum Tennis zu bewegen – und dort zu halten (siehe auch Interview S.12)
„Wir müssen Tennis attraktiver machen. Sonst suchen sich die Kids andere Optionen.“ Die Aufgabe mit der Piñata zeigt beispielhaft ihren Ansatz: Mit lustigen Spielen bei den Kindern die Fähigkeiten und Fertigkeiten schulen, die für das Tennisspiel nötig sind. Keine langweiligen und langen Erklärungen. Stattdessen: einfache Bewegungen, leichte Aufgaben, begleitet von buntem, spielerischem Equipment.
Simple Anfangsübung
An diesem Morgen am Hamburger Rothenbaum gibt sie ihr Wissen an die deutschen Coaches weiter. Knapp eine Dreiviertelstunde vor der Piñata-Übung: Murray eröffnet den Workshop. „Hi, ich bin Judy. Das ist Mel.“ Sie zeigte auf ihre Assistentin und lächelt. „Ich habe ein bisschen Deutsch.“ Dann redet sie auf Englisch weiter. Murrays Konzept, Kinder im Alter von fünf bis acht Jahren ans Tennisspiel heranzuführen, basiert auf einem entscheidenden Grundsatz: „Wir starten stets mit einer simplen Übung und fügen dann immer weitere Dinge hinzu“, erklärt sie und schaut in die Runde. In der Hand hält sie eine Hupe. „Ich benutze diese hier, das ist besser als ständig zu schreien.“
Los geht es mit den „skill building activities“, mit den Übungen also, die gezielt Fertigkeiten bei den Kindern schulen sollen, die sie fürs Tennisspiel brauchen. Als erstes: Den Schlägerkopf auf den Boden und am Griff senkrecht drehen. Mit der anderen Hand auffangen. Dann: Den Schläger hochwerfen und am Griff auffangen. Dann drehend hochwerfen und auffangen. Und dann von einer Hand in die andere werfen. Andersherum. Den Schläger waagerecht auf beide Hände legen, Handflächen nach oben, in die Höhe halten und von oben bis auf Kinnhöhe fallen lassen. Dort auffangen. Danach bis auf Höhe der Brust herunterfallen lassen. Auffangen. Bis auf Bauchhöhe. Bis zu den Knien, schließlich bis zu den Füßen.
Als nächstes balancieren wir den Schläger – erst mit dem Griffende senkrecht auf der Handinnenfläche, dann auf den Fingerkuppen. „Und jetzt die erste competition“, ruft Murray und hupt. Alle balancieren den Schläger, wer ihn verliert, hockt sich hin. Nach kurzer Zeit gibt es einen Gewinner. „We have a champion“, freut sich die Trainerin.
Dann verteilt sie Bohnensäckchen. Die handflächengroßen recht schweren Säckchen sind ideal, um das Ballgefühl zu schulen, erklärt Murray. Wir spielen in Zweier-Teams, stehen nah einander gegenüber und schlagen beziehungsweise schieben das Säckchen durch die Luft von einem zum anderen. „Wir sollten Übungen immer auf kleinem Raum beginnen“, sagt die Trainerin. „Sonst verlieren sich die Kinder zu sehr in der Weite. Viele mögen das nicht.“ Und weiter: „Ich arbeite gerne in Paaren oder in Teams. Tennis spielt man mit einem Partner. Daran sollten sich die Kinder frühzeitig gewöhnen.“ Säckchen hochschlagen, einmal in der Luft drehen lassen, mit dem Schläger auffangen und zum Partner zurückschlagen. Um die Schwierigkeit zu erhöhen, kann die Distanz vergrößert werden. So gehen die Partner beim Säckchen-hin-und-her-Schlagen weiter auseinander und wieder zusammen. Es folgt eine Bohnensäckchen-Übung zu viert (Beschreibung siehe Kasten I).
Die Übungen sind kurz, Murrays Ansagen präzise. Sie hupt. Es geht weiter. Noch haben die Säckchen aber nicht ausgedient. Ein Teilnehmer nimmt in jede Hand einen Schläger. Er muss das Säckchen zwischen den Schlägerköpfen fangen und dann wieder zum Partner zurückwerfen. Der Partner wiederum wirft das Säckchen per Hand – mal auf die Vorhand-, mal auf die Rückhandseite und auch nach oben. „Damit übt man die Schlagbewegungen“, erklärt Murray. Eine weitere Variante dieser Übung schult die schnelle Reaktion. Partner A hat in jeder Hand einen Schläger und steht mit dem Rücken zu B, Partner B wirft ein Säckchen von hinten über den Kopf von Partner A hinweg, ruft als Zeichen dabei ein Kommando oder den Namen, Partner B fängt das Säckchen zwischen beiden Schlägern auf. Die Hupe ertönt.
Der Hula Hoop-Reifen hat seinen ersten Auftritt. Er ist ein idealer Partner, um zu üben, die Hand und das Handgelenk zu kontrollieren. Wieder greift das Prinzip der simplen Anfangsübung und der immer komplexer werdenden Varianten. Je zwei Partner stellen sich an den Seitenauslinien gegenüber und rollen sich den Reifen zu. Ein weiterer Reifen kommt hinzu. Beide Partner rollen gleichzeitig einen Reifen zum anderen. Anschließend stehen beide Partner an derselben Stelle. Einer rollt den Reifen los, der andere rennt hinterher und stoppt ihn, indem er ihn überholt und dann anhält. „Es geht darum, hinter den Ball zu kommen“, erklärt Murray. Anschließend kann der Reifen noch weiter gerollt, gejagt und sogar über ihn hinüber gesprungen werden. Das ist die „Königs-Variante“ bei dieser Übung.
Übung 1: Vierer-Teams mit Bohnensäckchen
Gespielt wird mit je zwei Paaren. Zwei Leute stehen sich gegenüber. Spieler A fängt an, spielt das Bohnensäckchen cross zu Partner B. Dieser spielt es longline zu C und dieser wiederum cross zu Spieler D, der longline zurückspielt zu A. So geht es immer weiter reihum. Nach einiger Zeit wird ein zweites Bohnensäckchen dazu genommen. Spieler A spielt das erste Säckchen wie gewohnt cross ein. Sobald B geschlagen hat, spielt er das zweite Säckchen hinterher. Später kann auch ein drittes Säckchen hinzukommen. Wichtig ist, dass immer nur ein Spieler (A) die Säckchen nacheinander einspielt. Um die Schwierigkeit weiter zu erhöhen, können die Spieler sich bewegen und gemeinschaftlich in eine Richtung gehen während sie schlagen. Eine gute Übung für Rhythmus, Ballgefühl und Hand-Geschicklichkeit. Diese Übung kann statt mit Säckchen auch mit normalen Tennisbällen gespielt werden.
Paare und Partner
Der Hula Hoop-Reifen landet nun auf der Asche, rund und groß liegt er auf dem Boden. Dicht davor positioniert Murray ein Zweier-Team. Abwechselnd rollen die Partner einen Tennisball über den Boden in den runden Kreis innerhalb des Reifens hinein. Manchmal hoppelt er wieder heraus. Ballgefühl ist gefragt. Es gilt, nicht zu viel, nicht zu wenig Schwung einzusetzen. Derjenige, bei dem der Ball im inneren Rund liegenbleibt, darf den Reifen einmal nach vorne umklappen, so dass der Reifen mit jedem erfolgreichen Hineinrollen weiter über den Tenniscourt wandert. Gleichzeitig verlängert sich die Distanz zum Team, der Schwierigkeitsgrad steigt.
Die Hupe tönt. „Und wieder eine competition“, ruft Murray. „Mal sehen, welches Team in einer Minute am weitesten kommt mit seinem Reifen.“ Los geht’s. 50 Sekunden laufen, die Teilnehmer rollen, rennen, klappen um. Dann zählt Murray von zehn herunter. Alle geben noch mehr Gas. 3,2,1 – Hupe. „Wieder ein Champion“, freut sie sich. „Und, habt ihr gemerkt, wie ihr alle schneller geworden seid, als ich die letzten Sekunden heruntergezählt habe?“, fragt sie. „Daran könnt ihr sehen, wie wir unser Umfeld beeinflussen können. So üben wir außerdem, mit Stresssituationen umzugehen.“ Die Übung mit dem Hineinrollen des Balles in einen auf dem Boden liegenden Reifen kann auch mit Tennisschläger variiert werden. „Das ist dann ein bisschen wie Minigolf“, sagt ein Teilnehmer. Der Ball kann per Vorhand- oder Rückhandbewegung gerollt werden – auch durch die Beine.
Übung 2: Mit Hula Hoop und Sidestep
Anfangsvariante: Spieler A und B stehen sich gegenüber, zwischen ihnen liegt ein Hula Hoop-Reifen auf dem Boden. Sie haben einen Ball. A wirft den Ball auf den Boden, so dass er in der Mitte des Reifens auftippt und zu B fliegt, der ihn auffängt. Es geht hin und her. Dann kommt ein zweiter Ball hinzu. A und B werfen den Ball gleichzeitig auf den Boden und damit zum Partner.
Nach einigem Hin und Her kommt ein zweiter Reifen hinzu. Beide Reifen liegen nebeneinander auf dem Boden. A und B stehen sich versetzt gegenüber, jeder hinter einem Reifen. Dann werfen beide zur gleichen Zeit ihren Ball auf den Boden in die Mitte des Reifens vor ihnen. Sofort macht jeder einen Sidestep zur Seite, um den Ball des anderen aufzufangen. Schwieriger wird es, wenn die Reifen immer weiter auseinandergelegt werden. Noch einmal schwieriger wird es, wenn der Ball nicht mit der Hand geworfen, sondern mit dem Schläger geschlagen wird. Diese Übung eignet sich auch für etwas bessere Spieler.
Kinder wollen spielen
Trinkpause. Murray bringt bunte Federfußbälle ins Spiel. „Die kann man hin- und herwerfen und mit der Handfläche auffangen“, sagt sie. „Ein gutes Mittel um die Trainingseinheit zu unterbrechen. Lasst die Kinder ein bisschen zusammen spielen – vor allem, wenn das Training anstrengend war.“ Als alle Trainer beisammensitzen, zeigt Murray eine weitere Übung. Sie nimmt einen Schläger ohne Bespannung. Zwei Leute (A und B) stehen sich gegenüber, einer (C) steht mit dem nicht bespannten Schläger in der Mitte. Während A und B sich den Ball zuspielen, geht C mit dem Schläger dazwischen wie beim Volley – der Ball fliegt durch den Rahmen hindurch. Das ist gut für Spieler, die beim Volley das Handgelenk zu locker haben. Ute Kahl vom TC Langenhorn probiert es gleich aus.
Es folgen weitere Übungen mit Ball, Bohnensäckchen und Hula Hoop. Dann wandert das „Sonder-Equipment“ an den Rand. Murray möchte noch einige Schlagübungen über das gesamte Spielfeld zeigen. Eine davon ist wie ein Doppel zu acht. Auf jeder Spielfeldhälfte stehen vier Spieler. Zwei an der Grundlinie, zwei am Netz. Die Positionen markiert sie. Einer spielt den Ball ein. Nachdem ein Spieler geschlagen hat, rotiert dessen Team auf der jeweiligen Spielfeldseite wie beim Volleyball.
Jeder Spieler nimmt ständig eine neue Position ein, bei jedem Schlag muss geschaut werden, wer den Ball am besten erreichen kann. „Wenn ihr eine Lücke seht, schlagt den Ball dorthin“, ruft Murray. Die Übung ist auch mit einer fünften Person auf jeder Seite machbar, die beim Rotieren hineingeht, während ein anderer herausgeht. „Tennis ist ein Denksport“, sagt sie. „Wir müssen Spiele erfinden, die zum Denken anregen.“
Übung 3: Hoch das Handtuch
Eine kleine Übung, die sehr viele Fertigkeiten schult. Zwei Leute halten zusammen ein Handtuch, jeder mit beiden Händen an einer Seite. Oben auf das Handtuch kommt ein Ball, den sie mit dem Handtuch nach oben in die Luft werfen und mit dem Tuch wieder auffangen. Erweiterte Variante: Ein zweites Team stellt sich daneben, ebenfalls ein Handtuch haltend. Team A wirft den Ball mit dem Handtuch seitlich nach oben zu Team B hinüber. Team B fängt ihn mit dem Handtuch auf. Direkt, nachdem es den Ball geworfen hat, rennt Team A, immer das Handtuch haltend, einmal um Team B herum auf die andere Seite, um dort den Ball aufzufangen, den Team B wiederum bereits in die Luft geworfen hat. Dann rennt Team B los und so geht es immer weiter, bis kein Platz zum Weiterlaufen da ist. Die Übung schult Rhythmus, Timing, Kommunikation, Team- und Beinarbeit.
Nach einigen weiteren Spielübungen und sehr viel Spaß, ertönt das letzte Hupen des Workshops. Die Teilnehmer sind begeistert und inspiriert. „Ich habe noch nie so viel für das Ballgefühl getan“, erzählt Imke Schlünzen vom TuS Erbstorf. „Ich fand es spannend zu sehen, dass alle Übungen die gleiche Grundstruktur haben – von simpel zu komplex. Man hat immer gleich gemerkt, was dahintersteckt, was sie damit erreichen will“, schwärmt Morten Pohl vom TSC Mainz. Und Kim Hillgruper vom TG Bergstedt Winsen-Balken meint: „Es war toll, wie sie den Ball zu Anfang extrem langsam gemacht hat, damit man ein Gefühl entwickelt und Kontrolle bekommt.“
Nach einer Pause stürmten Kinder den Platz – für den Kids Workshop. Dort konnten die Coaches sehen, wie das Gelernte von den Kids umgesetzt wird. Und vielleicht gibt es beim nächsten Training im heimischen Club bald Bohnensäckchen, Hula Hoop-Reifen oder sogar eine tennisspezifische Piñata.Luxury Online Shop | High-End Designer Fashion Store Shopping | JmksportShops | reviews on air jordan outlet