Andreas Mies im tM-Interview: „Wir waren die Gejagten“
Am Sonntagmorgen nach dem zweiten French Open-Triumph von Kevin Krawietz und Andreas Mies sprach tennis MAGAZIN-Chefredakteur Andrej Antic mit Andreas Mies. Während er mit seiner Familie und Freunden im Auto sitzt, auf dem Weg von Paris nach Köln, fährt sein Doppelpartner Krawietz mit seiner Gruppe Richtung München. Neben dem zweiten Grand Slam-Sieg spricht Mies über ihre taktischen Anpassungen in den Matches, die Magie von Roland Garros und erzählt, wer zum French Open-Triumph alles gratuliert hat.
Sind Sie nun mit dem Auto unterwegs von Paris nach München?
Nein, von Paris nach Köln. Ich bin jetzt gerade mit meiner Gruppe auf dem Weg nach Hause und Kevin ist mit seiner Familie auf dem Weg nach München. Wir haben das erste der zwei Turniere in Köln abgesagt. Bei dem zweiten sind wir am Start. Wir wollten erst mal ein paar Tage pausieren. Ich hatte ja auch Probleme am Knie.
Wie haben Sie Ihren Sieg gefeiert?
Kevin und ich hatten nach dem Spiel noch einiges zu tun: Pressekonferenz, Dopingkontrolle und Interviews. Danach haben wir mit allen zusammen im Hotel gegessen, im kleinen Rahmen gefeiert und angestoßen. Dann sind wir hoch in die Players Lounge im Hotel. Da war eine Leinwand aufgebaut und dort wurde das Finale noch mal gezeigt. Das haben wir uns alle zusammen angeschaut, dabei getrunken und Spaß gehabt – im kleinen Rahmen halt. So gegen zwei Uhr sind wir ins Bett. Es war alles ein bisschen gemütlicher und ruhiger als letztes Jahr.
Andreas Mies: „Ich dachte ’scheiße, das war’s“
War es das perfekte Turnier?
Das ist immer schwierig zu schaffen, aber es war schon nahezu perfekt. Mit den drei Matchbällen gegen uns im Achtelfinale gegen Hoang/Bonzi waren wir dreimal auf der Autobahn und haben die Ausfahrten Köln und München schon gesehen. Wir haben aber nochmal einen U-Turn geschafft und sind nach Paris umgebogen. Das Achtelfinale war eben ein Knackpunkt-Spiel. Das Match war fast vorbei.
Ich habe den einen Matchball noch in Erinnerung. Der Lob ging über mich drüber und ich dachte: ‚Scheiße, das war’s.‘ Aber Kevin rannte auf einmal hinter mir vorbei und schmettert das Ding weg. Es ist Wahnsinn, wie es in den zwei Wochen drunter und drüber ging. Alle anderen Matches waren stabil und fast perfekt – auch von der Taktik und dem Spielerischen. Insgesamt haben wir uns weiterentwickelt und noch besser gespielt als letztes Jahr.
Andreas Mies: „Wir waren die Gejagten“
Sind Sie besser als 2019?
Ja, wir haben uns weiterentwickelt und sind besser geworden, weil wir längere Zeit auf dem Niveau gespielt haben. Wir hatten viele Matches auf hohem Level gegen Top-Teams. Durch die Pause sind wir ziemlich aus dem Tritt gekommen, das hat uns auch erst mal zurückgeworfen. Deswegen waren die Ergebnisse erst mal nicht so, wie wir uns das gewünscht haben. Da hatte ich etwas Rhythmus-Probleme, besonders beim Return. Sowohl die Matchpraxis als auch das Selbstvertrauen haben gefehlt.
Dieses Jahr war es schwieriger, die Leistung zu bestätigen, weil uns jeder kannte. Wir waren die Gejagten, die Titelverteidiger. Jeder wollte uns schlagen und machen, was wir letztes Jahr gemacht haben. Wir mussten uns weiterentwickeln, unsere Taktik umstellen, weil die anderen Teams uns analysiert haben. Wir haben gemerkt, dass sie anders gegen uns spielen. Deshalb haben wir sogar im Turnierverlauf die Taktik umgestellt, weil wir analysiert haben, was gut geklappt hat und was weniger funktioniert.
Können Sie ein Beispiel nennen, was man taktisch umstellen kann, für alle die es nicht verstehen?
Ich will da nicht zu viel verraten. Ich weiß ja nicht, ob die Gegner das sehen (lacht). Wir werden uns auch wieder etwas Neues einfallen lassen. Letztes Jahr haben wir viel in normaler Funktion gespielt, wir haben den ersten und zweiten Aufschlag von der Taktik her ziemlich simpel gehalten. Da haben wir aber auch gegen viele Einzelteams gespielt, deshalb hat es gepasst: Serve-and-Volley und vorrücken. Volley cross und dann beide am Netz. Jetzt haben wir gegen mehr Doppelteams gespielt, auch die Franzosen im Achtelfinale haben wie ein Doppelteam gespielt. Wir haben z.B. mehr gemixt beim Aufschlag, alle Spots anserviert, waren unberechenbarer. Wir hatten unsere zwei, drei Spielzüge, die wir durchweg beibehalten haben, aber viele andere haben wir immer wieder gewechselt.
Ich habe mich wegen meines Knies nicht so explosiv gefühlt, um immer schnell nach vorne zu rennen und habe beim zweiten Aufschlag den Return immer schnell vor die Füße bekommen. Dann meinte ich zu Kevin: ‚Ich fühle mich wohler, wenn ich vielleicht beim zweiten hinten bleibe.‘ Im Match gegen die Franzosen habe ich noch einige Breaks kassiert. Aber als ich das umgestellt habe und beim zweiten Aufschlag hinten geblieben bin, haben wir kein Break mehr bis zum Ende des Turniers kassiert. Besonders im Finale beim letzten Aufschlagspiel war es eng und emotional noch mal richtig anstrengend. Da waren wir beide nervös. Ich hätte mir da ein einfacheres Aufschlagspiel gewünscht. Es ist ja normal, dass da die Nerven auch ein bisschen mitspielen.
Andreas Mies: „Wir waren on fire“
Wenn wir nochmal auf das Finale kommen. Es gab eine Szene, da haben Sie Kevin so angelächelt wie 2019. Man dachte, dass Sie das Gefühl haben, Sie könnten das nicht verlieren. Stimmt der Eindruck?
(lacht) Das war leider nicht so. Das hätte ich aber gerne. Aber wir haben in jedem Match ein sehr gutes Gefühl gehabt. Wir haben gesagt: Wir gehen mit breiter Brust in jedes Spiel, wir sind Titelverteidiger, wir sind hier bei den Bedingungen, die uns sehr liegen, extrem schwer zu schlagen. Wir sind ein starkes Team, haben uns stark geredet und diese Bestätigung auch in den Matches immer wieder bekommen. Mit jeder Runde haben wir unser Selbstvertrauen weiter gestärkt. Es war unfassbar, wie wir gespielt haben. Wir waren „on fire“. Natürlich gehst du mit einem anderen Selbstbewusstsein in die Matches, wenn du so geil spielst. Wir hatten schon das Gefühl, wenn wir unser Level abrufen, dass es ganz schwer ist, uns zu schlagen. Aber es wäre zu viel zu sagen, wir hatten das Gefühl, wir wären unschlagbar.
Andreas Mies: Das war kein One-Hit-Wonder
Vor den Matches haben wir uns auch an letztes Jahr erinnert, wie wir so weit gekommen sind und wie wir den Titel geholt haben. Das war zum einen mit der spielerischen Klasse und mit Qualität. Aber eben auch mit der Lockerheit und Unbekümmertheit. Wenn es gut läuft, ist es natürlich immer einfacher zu lächeln und Spaß zu haben. Es ist normal, dass man mal einen Hänger hat. Aber wir spielen immer Punkt für Punkt weiter und bleiben dabei positiv.
Ich bin so stolz auf uns, wie wir das gemeistert haben. Das ist unsere Art zu spielen. Wenn wir das nun über eine konstante Zeit auf den Platz kriegen, dann werden wir auch noch besser als im letzten Jahr nach dem Erfolg. Wir sind reifer und mental stärker geworden. Außerdem haben wir uns körperlich verbessert in den sechs Monaten Pause. Jetzt haben wir noch mehr Selbstvertrauen in uns als letztes Jahr. Das war kein One-Hit-Wonder, wir haben es bestätigt. Ich glaube, das wird eine gute Zeit.
Andreas Mies: „Letztes Jahr in Wimbledon haben wir einen Fehler gemacht“
Wie sehen Ihre nächsten Ziele aus?
Ziel ist es, bei jedem Turnier so weit zu kommen wie möglich und bestenfalls um den Titel mitzuspielen. Wir wollen jedes Turnier gewinnen, was wir spielen. Aber wir wissen auch, dass es nicht möglich ist, weil die anderen Teams auch gut sind und Doppel sehr eng beieinander liegt. Dadurch, dass wir auf der roten Asche ein bisschen mehr Zeit haben, weil es etwas langsamer ist, wir noch gefährlicher returnieren und den Gegnern unser Spiel noch mehr aufdrücken können, ist der Unterschied auf Sand zu den anderen Teams ein bisschen größer als auf anderen Belägen. Letztes Jahr, als wir nach Wimbledon kamen, haben wir den Fehler gemacht und gesagt, dass wir unbedingt gewinnen müssen, weil wir als French Open-Sieger anreisten. Dadurch haben wir total verkrampft gespielt. Diese Gelassenheit, die wir sonst haben, wollen wir beibehalten.
Andreas Mies: „Die Plätze sind phänomenal“
Sie hatten im On-Court-Interview gesagt „Paris ist magisch“. Können Sie diese Magie des Ortes erklären?
Natürlich ist es magisch, weil wir das Turnier letztes Jahr mit unseren ersten Grand Slam-Titel gewonnen haben – gleich beim ersten Versuch. Vielleicht ist es die Pariser Luft, vielleicht auch alles insgesamt. Wenn wir auf die Roland Garros-Anlage kommen, haben wir das Gefühl, als ob wir nach Hause kommen, obwohl wir letztes Jahr das erste Mal da waren. Wir haben viele positive Emotionen. Das fühlt sich so magisch an.
Dieser Ort ist auch was Besonderes, weil wir das als Kinder oft im Fernsehen gesehen haben. Ich weiß noch: Ich bin nach der Schule nach Hause gerannt, um French Open zu schaue, und habe die großen Matches gesehen: Federer gegen Nadal und Nadal gegen Djokovic. Dass ich jetzt Jahre später selber hier mitspiele ist der Wahnsinn. Außerdem: Bei unserer ersten Trainingseinheit hier hatten wir den Ball so satt und gut im Schläger. Die Plätze sind phänomenal. Da verspringt gefühlt kein Ball. Das ist wie ein Hartplatz mit ein bisschen Asche drüber.
Andreas Mies: „Letztes Jahr hat es uns Glück gebracht“
Wo lag in der Umkleidekabine Ihr Schrank? Welche Spieler waren um Sie?
Wir waren ganz hinten in der Umkleide und hatten dieselben beiden Spinds wie letztes Jahr – da hatte es ja Glück gebracht. Da waren vermehrt Doppelspieler. Aber die Umkleide ist relativ übersichtlich, alle sind irgendwie in der Nähe. Nach zwei Jahren wusste ich auch genau, wo jeder seinen Spind hat. Rafas Spind ist, wenn du reinkommst, direkt rechts, einen Gang weiter hat Djokovic rechts seinen Spind. Es war ähnlich wie letztes Jahr. Die Jungs haben natürlich auch ihren Spind von den Jahren zuvor.
Stehen da die Namen drauf?
Nein, da stehen keine Namen drauf, selbst bei Rafa und Novak nicht. Bei allen anderen Grand Slams ist das der Fall, aber die French Open sind die einzigen, wo keine Namen an den Türen stehen. Durch Corona und die Hygienemaßnahmen mussten wir den Schrank nach dem Tag auch wieder räumen. Wir konnten nichts über Nacht da lassen, da die Spints abends gesäubert wurden.
Andreas Mies: „Wir haben wieder Geschichte geschrieben“
Wie ist der Stellenwert dieses Turniers? Im Vergleich 2019 und 2020 – welcher Titel ist wichtiger?
Das ist echt schwer, beide miteinander zu vergleichen, weil beide so besonders und einmalig sind. Ich glaube, der erste Grand Slam-Titel bei unserem ersten Versuch, es war unser zweites Grand Slam überhaupt nach Wimbledon 2018, wird immer wahnsinnig besonders sein. Der Erste ist der, der dir mehr in Erinnerung bleibt. Aber das soll auch den Zweiten nicht schmälern. Ich glaube, der erste ist einfach etwas extrem Besonderes und Unglaubliches, weil du das noch nie erfahren hast. Ich muss schon sagen, der zweite Titel hat sich so ähnlich angefühlt. Die Freude war auch genauso groß, auch wenn es vor wenig Zuschauern war. Wir haben wieder Geschichte geschrieben.
Ich glaube, einen Grand Slam-Titel zu gewinnen, ist die eine Sache. Aber ihn im nächsten Jahr zu verteidigen, ist die andere. Der zweite Titel ist fast schwieriger zu erreichen, weil uns letztes Jahr niemand kannte. Wir waren die Nobodys. Ab dem Viertelfinale dachten alle so „häh, wer sind denn die zwei, die immer noch in der Umkleide rumlaufen?“ Aber jetzt kannten uns alle. Auch die Einzelspieler grüßen uns alle. Wir halten mal Smalltalk mit Rafa und Novak. Ich glaube, wir wurden anders wahrgenommen. Alle hatten uns auf dem Schirm. Deswegen ist der zweite Titel, also ein Jahr später zu bestätigen, schwieriger. Das macht uns extrem stolz.
Andreas Mies: Glückwünsche von Rafa und Novak
Wer hat Ihnen gratuliert?
Rafa hat uns zum Finale gratuliert und Novak hat uns auch viel Glück gewünscht. Kevin und ich haben beide wieder extrem viele Nachrichten bekommen. Ich habe es bis jetzt nicht geschafft, alle durchzusehen. Aber WhatsApp, Instagram, Facebook ist wieder explodiert. Ich habe es nur grob überflogen: Boris Becker, Michael Kohlmann, das Davis Cup-Team, die Familie, auch der ein oder andere aus der Politik. Letztes Jahr haben wir einen Brief von Angela Merkel bekommen, mal gucken, was diesmal kommt.
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