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Nicolas Kiefer: „Ich bin bereit für den Davis Cup“

Herr Kiefer, im Juni kehrten Sie auf die Tour zurück. Seitdem haben Sie eine Menge Turniere gespielt. Wie geht es dem Handgelenk?
Sehr gut. Am Anfang, als ich in Halle und Wimbledon spielte, habe ich noch gemerkt, dass nicht alles rund lief. Die Belastung im Match ist ja viel intensiver als im Training. Nach der langen Auszeit war ich auch nervös. Aber seit der Amerikatour gibt es keine Probleme mehr.

Fühlt sich die linke Hand anders an als früher?
Eigentlich nicht. Das Entscheidende ist, dass ich schmerzfrei spielen kann, und dafür lasse ich mein Handgelenk täglich behandeln. Es ist Teil meines Programms. Es wird mobilisiert, gelockert, massiert. Einige Übungen mache ich selbst. Ansonsten hilft mein Physiotherapeut Ralf Nonnemann. Was ich während meiner Pause gelernt habe: Es gibt immer Körperregionen, an denen ich arbeiten kann. Als ich mein Handgelenk nicht belasten konnte, habe ich meine Beine trainiert. Als die müde waren, den Oberkörper. Ich habe gelernt, die Zeit zu nutzen und nicht untätig herumzusitzen.

Haben Sie ein neues Bewusstsein für Ihren Körper entwickelt?
Auf jeden Fall. Als ich früher Verletzungen hatte, habe ich einfach weitergespielt, über den Schmerz hinaus. Dadurch kann man viel zerstören. Heute ist es so, dass ich lieber eine Woche pausiere als weiterzuspielen und dann vier oder fünf Wochen auszufallen.

Warum dauerte es so lange, bis Sie wieder auf die Tour zurückkehrten?
Ich konnte nach der zweiten Operation keinen einzigen Finger an meiner linken Hand bewegen. Das musste ich völlig neu lernen, was unvorstellbar ist. Aber diese Leidenszeit war für mich eine große Herausforderung. Ich konnte keine Gabel halten, nicht mal eine aus Plastik. Ich hatte null Gefühl, konnte keine Flasche Wasser aufdrehen. Nach der Operation war es für mich ein Riesenerfolg, dass ich beim Lesen mit der linken Hand eine Seite umblättern konnte. Einen Return ins Feld zu spielen daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Das war unendlich weit entfernt.

Warum ist die linke Hand bei einem Rechtshänder eigentlich so wichtig?
Bei meiner beidhändigen Rückhand ist die linke Hand für die schnellen Bewegungen zuständig. Wenn Aufschläge mit 200 Kilometer pro Stunde auf einen zukommen, ist der Druck auf dem Gelenk enorm. Am Anfang konnte ich nicht einmal einen Ball hochwerfen. Dazu hätte ich mein Handgelenk aufdrehen müssen, und das ging nicht. Ich habe mir alles ganz langsam wieder erarbeiten müssen.

Hatten Sie Angst, nie wieder Tennis spielen zu können?
Nein. Ich habe mir immer gesagt, egal, wie lange es dauert, ob ein, zwei oder drei Jahre, irgendwann steige ich wieder richtig ein.

Aber es gab bittere Momente?
Klar gab es die, sehr oft sogar. Mir hat die Aktion Kindertraum geholfen, obwohl ich eigentlich derjenige war, der hätte helfen sollen. Es geht um Kinder und Jugendliche, die schwerkrank sind oder aus sozial schwachen Familien stammen. Während meiner Verletzung habe ich begonnen, mich intensiver in dem Projekt zu engagieren. Ich bin mit den Kindern ins Fußballstadion gegangen, habe sie zu Hause besucht und mit ihnen Kaffee oder Saft getrunken. Da wurde mir klar, mir fehlt ja im Prinzip gar nichts. Denen aber geht es richtig schlecht. Da gibt es traurige Momente, wenn man erlebt, wie ein Kind stirbt.

Sind Sie reifer geworden?
Ich habe viele Erfahrungen gemacht. Wie oft beschwert man sich in Deutschland, wenn man an der Supermarktkasse warten muss oder die Ampel rot ist. Uns geht es so gut. Ich war neulich in Indien. Wenn man sieht, wie die Menschen dort leben, kann man weinen. Sie schlafen unter Plastikplanen, die sie über Büsche spannen, in kaputten Bussen oder in Pfützen.

Sie haben vor Kurzem zwei Ziele genannt: bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 zu starten und den Davis Cup zu gewinnen. Wie realistisch ist das?
Es sind langfristige Ziele, und ich glaube, dass ich sie erreichen kann. Als ich vor ein paar Wochen das Turnier in Peking spielte, hat es gekribbelt. Am Flughafen habe ich die Werbebanner gesehen. Es könnten meine dritten Olympischen Spiele sein.

Die nationale Konkurrenz ist groß geworden: Philipp Kohlschreiber, Florian Mayer
es gibt auch Benjamin Becker, Michael Berrer und viele andere. Aber diese Herausforderung nehme ich an. Ich habe mich mit nur neun Turnieren von null bis fast in die Top 100 gespielt. Jetzt geht es darum, wieder Konstanz zu bekommen. Ich bin 30 Jahre alt. Es kann noch viel passieren.

Sie sind optimistisch. So viele Jahre bleiben Ihnen auch nicht mehr.
Viele sagen, 30 ist alt, ich sage, ich bin jung. Solange der Körper mitspielt, die Beine, der Rücken, die Hüften, sehe ich kein Problem. Meine Liebe zum Tennis, dieses eins gegen eins, ist viel zu groß, als dass ich schon an ein Karriereende denke. Wenn es optimal läuft, spiele ich bis Olympia 2012 in London. Das wäre der schönste Abschluss.

Die meisten Tennisprofis schwärmen von Grand Slam-Turnieren, Sie von Teamwettbewerben. Ist das nicht ungewöhnlich?
Ich habe die Bedeutung von Olympia früher unterschätzt. Vor Athen haben viele zu mir gesagt: Komm mit einer Medaille zurück. Ich habe gar nicht verstanden, was sie meinten. Wir Tennisspieler sind Einzelsportler. Wir reisen alleine, kämpfen für uns. Plötzlich erlebt man dieses Flair im Olympischen Dorf, merkt, wie viele Menschen sich mit dieser Idee identifizieren. Das sind Erlebnisse, die einem keiner nehmen kann.

Wären Sie lieber ein Mannschaftssportler?
Es ist manchmal einfacher. Gerade in Zeiten, in denen es nicht so läuft. Deswegen bin ich auch bewusst in Hannover geblieben und habe mir dort ein Team aufgebaut: mit meinem Trainer Sascha Nensel, den Ärzten, die mich schon seit meiner Jugend kennen, den Betreuern im Olympiastützpunkt. Als ich acht Wochen in der Reha-Klinik in Donaustauf war, tat es gut, dass sich dort auch die Fußballer Per Mertes-acker und Mario Gomez therapieren ließen. Wir haben uns bei den Mahlzeiten getroffen, über Fußball und Tennis geredet. So etwas hilft enorm.

Als Sie zum letzten Mal für Deutschland gegen Frankreich 2006 Davis Cup spielten, warf man Ihnen vor, kein Teamspieler zu sein.
Das ist fast zwei Jahre her. Wir sind erwachsene Menschen. Ich habe danach mit der Mannschaft gesprochen, mit Patrik Kühnen. Heute lachen wir darüber.

Auf der Tour feierten Sie ein starkes Comeback, schlugen viele gute Spieler. Haben Sie auf den Anruf vom Teamchef vor der Davis Cup-Partie in Moskau gewartet?
Ich hatte ja mit Patrik telefoniert, und er hat mir erklärt, warum er sich für Philipp Petzschner entschieden hat. Natürlich war die Enttäuschung groß, weil ich spielen wollte. Ich habe Patrik aber gesagt, dass ich bereitstehe, wenn er mich braucht. Dass er sich auf mich verlassen kann. Ich habe dann am Liveticker mitgefiebert. Ich bin wahnsinnig geworden, hatte hinterher rechteckige Augen.

Im Februar 2008 spielt Deutschland gegen Südkorea
und da wäre ich gerne dabei. Fakt ist, dass wir den Davis Cup nur zusammen gewinnen können. Aber die Entscheidung liegt beim Teamchef.

Sie gelten als schwierig.
Ich weiß, dass ich anecke. Ich sage meine Meinung. Entweder man mag mich oder nicht. Einen halben Kiwi gibt es nicht. Von meinem Freund Fredi Bobic (Ex-Fußballprofi, Anm. d. Red.) habe ich gelernt, dass man sich nicht verbiegen lassen soll. Es gibt so viele normale Menschen, die zu allem Ja und Amen sagen. Da bin ich froh, dass ich ein bisschen anders bin.

Sie sind seit zwölf Jahren Tennisprofi. Was hat sich für Sie geändert?
Ich bin ruhiger und entspannter geworden. Am Anfang wird man in ein Becken geworfen. Man ist völlig überfordert. Man läuft wie ein Baby mit Riesenaugen herum und weiß gar nicht, was los ist. Heute mache ich mir viel weniger Stress. Ich versuche, jedes Turnier als ein Geschenk zu sehen. Ich habe jede Woche die Chance, mich neu zu beweisen. Das ist das Schöne an unserem Sport. Ich habe auch gemerkt, wie wichtig andere Sachen sind. Die Fans zum Beispiel. Ich kümmere mich selbst um meine Autogrammpost, lese die Briefe, schaue mir die Fotos an, unterschreibe die Karten und bringe sie zur Post.

Haben Sie diese Selbständigkeit in der tennislosen Zeit gelernt?
Kann sein. Ich war zehn Jahre immer nur unterwegs. Auf der Tour wird einem fast alles abgenommen. Auf einmal lebte ich ein Jahr zu Hause. Ich musste dafür sorgen, dass mein Kühlschrank gefüllt ist und habe Einkaufszettel geschrieben. Ich habe mir eine Dauerkarte für den Zoo gekauft und beobachtet, wie ein Nilpferdbaby aufwächst. Aber ich war auch froh, als ich wieder meine Taschen packen und ins Flugzeug steigen konnte.

Wie haben die Kollegen auf Ihre Rückkehr reagiert?
Als ich in Wimbledon mit Roger Federer trainierte, meinte er: Schön, dass du wieder da bist. Ich sagte: Ja, aber ich will nicht nur dabei sein, sondern oben mitspielen.

Ist Federer der Maßstab?
Nein. Auch nicht Rafael Nadal und Novak Djokovic. Die sind zwar einfacher zu schlagen als Federer, aber erst, wenn ich sie mehrmals besiegen würde, könnte ich sagen, dass ich mithalten kann. Ich orientiere mich an den Spielern, die danach kommen. Sie will ich schlagen, denn es gibt nichts Geileres als zu gewinnen, den Matchball zu verwandeln. Dieses Blut wieder zu lecken dafür hat sich die harte Arbeit jetzt schon gelohnt.
Das Gespräch führten Andrej Antic und Thomas Kosinski

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