Osaka-Trainer Wim Fissette: „Naomi ist die Beste, die ich je trainiert habe”
Wenn er coacht, ist der Erfolg programmiert: Wim Fissette führt auch Naomi Osaka zu großen Titeln. Der Star-Trainer spricht im Interview über die Arbeit mit Naomi Osaka, die besondere Mentalität seines Schützlings und seine Coaching-Philosophie.
Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 5/2021
Es ist 7 Uhr morgens in Los Angeles, als wir Wim Fissette, den Trainer von Naomi Osaka, am Telefon erreichen. „Guten Morgen“, sagt der 40-jährige Belgier gut gelaunt. Fissette, Vater von zwei kleinen Kindern (fünf und zwei Jahre alt), ist es gewohnt, früh aufzustehen. „Wir können uns gerne auf Deutsch unterhalten“, sagt er in fast akzentfreiem Deutsch. Nachdem er im Alter von 18 Jahren anderthalb Jahre in Deutschland trainiert hat, konnte er seine Deutschkenntnisse bei seinen Trainerstationen bei Sabine Lisicki und Angelique Kerber auffrischen. Fissette nimmt sich 30 Minuten Zeit, ehe die Trainingsvorbereitung in Los Angeles, der Heimat von Osaka, beginnt.
Herr Fissette, wie sind Sie der Trainer von Osaka geworden?
Als ich als Trainer angefangen habe, war mein großes Ziel, mit jemandem wie Maria Sharapova zu arbeiten. Maria ist ein Weltstar mit einer überragenden Persönlichkeit. Das Engagement hat zwar nicht geklappt, aber nun mit Naomi habe ich das Gefühl, dass es das Größte ist, was man derzeit als Trainer im Damentennis erreichen kann. Nach den US Open 2019 kam das Team von Naomi auf mich zu und hat sich nach einer Zusammenarbeit erkundigt. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch Trainer von Victoria Azarenka. Vika hatte jedoch einige private Probleme, sodass es unmöglich war, gut Tennis zu spielen. Ich sprach mit Vika über ihre Zukunftspläne. Wir entschieden uns dazu, die Zusammenarbeit zu beenden. Danach war ich frei für Naomi.
Sie hatten einen schwierigen Start mit Osaka. Bei den Australian Open 2020 scheiterte sie in der dritten Runde an Coco Gauff. Danach begann die Pandemie. War die Pandemie rückblickend ein Segen, weil Sie vernünftig am Spiel und an der Fitness arbeiten konnten?
Wir als Team haben die lange Pause als große Chance gesehen, die man unbedingt nutzen muss. Wenn man so viel Zeit hat, muss man als Spielerin auf jeden Fall besser sein, wenn man zurückkehrt – sowohl körperlich als auch tennisspezifisch. Wenn man das nicht schafft, hat man etwas falsch gemacht. Ich bin froh, dass Naomi diese Mentalität während der vielen Trainingsmonate gezeigt hat. Es war nicht klar, wann die Tour wieder starten würde.
Wie äußert sich die Mentalität von Osaka auf und neben dem Platz?
Neben den Platz ist Naomi immer noch sehr ruhig und zurückhaltend sowie sehr respektvoll im Umgang mit allen Leuten. Sie ist immer noch genauso, wie ich sie kennengelernt habe. Wenn es auf den Platz geht, ist sie ein großer Champion, der zwar lieb aussieht, aber lieber stirbt als ein Match zu verlieren.
Was ist das Beeindruckendste in Osakas Spiel?
Zum einen das Körperliche. Serena Williams und Naomi sind eine andere Klasse als der Rest. Wenn sie die Bälle schnell spielt und satt trifft, merkt man den Unterschied zu den anderen. Lange Matches sind für sie kein Problem. Sie bleibt zum Ende genauso stark wie am Anfang. Taktisch ist sie eine Spielerin, die sich während des Matches ihrer Gegnerin anpassen kann. Die Fähigkeit, klar zu denken und frei zu spielen, haben nur wenige Spielerinnen. Sie weiß in bestimmten Situationen genau, was sie machen muss, um die Punkte zu gewinnen. Wenn sie bei 6:3, 5:4 gegen Serena ausservieren muss, dann macht sie alles richtig. Es ist so, als ob sie alles vorbereitet hat, um dieses eine Spiel perfekt zu spielen.
Osaka hat ihre Erfolge ausschließlich auf Hartplatz erzielt. Auf Sand und Rasen steht noch keine Finalteilnahme in ihrer Bilanz. Was muss Sie tun, um auch auf Sand und Rasen erfolgreich zu sein?
Das Wichtigste ist, dass sie auf Sand und Rasen Vertrauen findet in ihre Bewegung und einen bestimmten Spielplan hat. Sie bringt alles mit, um auf Sand erfolgreich zu spielen. Sie hat viel Kraft, bewegt sich gut und hat Geduld, um die Punkte aufzubauen. Ihr Aufschlag ist auch auf Sand eine Waffe. Auf Rasen fehlt ihr noch viel Spielpraxis, da sie nie bei den Juniorinnen dabei war. Hier geht es darum, viele Matches zu absolvieren, damit die Bewegungen natürlicher werden.
Ist Osaka mehr als nur eine Tennisspielerin?
Im Moment auf jeden Fall. Hier in den USA bekommt man mit, welche Strahlkraft sie hat, auch durch ihr Engagement in der Black-Lives-Matter-Bewegung. Das, was Naomi in dieser Bewegung tut, ist sehr wichtig für diese Welt. Sie ist in einer Position, in der sie die Power hat, etwas zu verändern.
Kann Osaka eine Ikone werden, nicht nur im Tennis, sondern generell im Sport?
Auf jeden Fall. Man spürt immer mehr, wie Naomi in ihre Rolle als Vorbild hineinwächst, auch für junge Mädchen, die kein Tennis spielen. Die Mentalität, die sie im vergangenen Jahr mit mir als Trainer, aber auch schon davor gezeigt hat, ist herausragend. Ihre Körpersprache auf dem Platz ist beispielhaft für junge Spielerinnen.
Sie haben sehr viele Spielerinnen zum Erfolg geführt: Kim Clijsters, Victoria Azarenka oder die Deutschen Angelique Kerber und Sabine Lisicki. Haben Sie eine Philosophie als Trainer?
Nein, eine bestimmte Philosophie habe ich nicht. Das ist bei jeder Spielerin anders. Jede Spielerin braucht etwas ganz anderes. Bei Beginn der Zusammenarbeit schaue ich, was ich ändern muss: sei es spielerisch, taktisch oder mental. Meine Herangehensweise ist immer unterschiedlich.
Was macht Osaka anders als ihre vorherigen Spielerinnen?
Naomi hat viel Vertrauen in sich und ihr eigenes Spiel. Das ist schon mal eine gute Voraussetzung. Man muss sie nicht überzeugen, dass sie gegen bestimmte Spielerinnen gewinnen kann. Sie ist außerdem sehr entspannt vor dem Match und gerät nicht in Stress.
Ist Osaka die beste Spielerin, die Sie bislang trainiert haben?
Ein klares Ja! Naomi ist die beste Spielerin, die ich je trainiert habe. Sie hat alles, was man braucht, um eine Topspielerin zu sein: eine herausragende Kombination aus körperlichen, taktischen und mentalen Aspekten. Ich sehe bei ihr keine Schwächen.
Es fällt auf, dass all ihre ehemaligen Spielerinnen nach der Trennung von Ihnen weitaus weniger Erfolg hatten als mit Ihnen. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Wenn man sich trennt, hat das immer einen bestimmten Grund. Bei jeder Zusammenarbeit habe ich das volle Vertrauen, dass ich mit meiner Spielerin Erfolg haben werde. Falls ich aber Dinge sehe, bei denen ich zweifle, dass diese erfolgreich sein werden, dann versuche ich sofort, das zu ändern. Wenn sich kleine technische Fehler bei den Schlägen einschleichen, möchte ich das sofort korrigieren. Wenn ich sehe, dass die Motivation im Training etwas nachlässt, spreche ich das sofort an, auch wenn Dinge außerhalb des Tennisplatz wichtiger werden. Manchmal ist die Spielerin damit einverstanden, manchmal hat die Spielerin aber auch einen eigenen Willen und denkt sich, dass sie es besser weiß als der Trainer. Dann kann es auch zur Trennung kommen. In manchen Fällen zeigt sich dann, dass der Trainer richtig lag mit seiner Meinung.
Sie hatten immer recht kurze Engagements bei Ihren Spielerinnen. Wie lange möchten Sie bei Osaka bleiben? Wann betrachten Sie den Job bei Osaka als erledigt?
Man sollte solange zusammenarbeiten, bis es nicht mehr funktioniert. Das können zwei, drei Jahre sein. Ich glaube jedoch nicht, dass es fünf Jahre sein werden. Irgendwann kann der Punkt kommen, dass die Erfolge ausbleiben, Naomi etwas die Motivation verliert und meine Ansprache sie nicht mehr so erreicht, wie es momentan der Fall ist. Man verbringt mit seinem Trainer so viel Zeit zusammen, dass es irgendwann langweilig werden kann und die Spielerin genau weiß, was ihr Trainer wann sagt. Dann ist es an der Zeit, dass man eine neue Stimme hört.
Wie hoch ist Preis, den man bezahlt, wenn man einen Star wie Naomi Osaka betreut im Hinblick auf das Familienleben?
Als meine Frau 2015 schwanger war, hatten wir die Meinung, dass Coaching auf dem höchsten Niveau sowie eine Familie zu haben, nicht funktionieren wird. Ich hatte zuvor auch keinen Trainer gesehen, der mit seiner Familie unterwegs war. Mein Plan war es, mehr von zu Hause zu arbeiten. Dann hat mich Victoria Azarenka kontaktiert und mir klar gemacht, dass sich das eine und das andere nicht ausschließen. Es war kein Problem, dass meine Familie auch gelegentlich mitreist. Mittlerweile ist das normal geworden für meine Spielerinnen. Meine Kinder freuen sich, wenn sie mitreisen dürfen und sind superstolz, wenn der Papa mit einem Pokal nach Hause kommt. Es ist die ideale Kombination, meinen Traumjob zu machen, wenn meine Familie dabei ist.
Die Trainererfolge von Wim Fissette
US Open-Titel 2009 (Kim Clijsters)
US Open-Titel 2010 (Kim Clijsters)
WTA-WM 2010 (Kim Clijsters)
Australian Open-Titel 2011 (Kim Clijsters)
Wimbledon-Finale 2013 (Sabine Lisicki)
French Open-Finale 2014 (Simona Halep)
Indian Wells-/Miami-Titel 2016 (Victoria Azarenka)
Miami, Halbfinale Wimbledon 2017 (Johanna Konta)
Wimbledon-Titel 2018 (Angelique Kerber)
US Open-Titel 2020 (Naomi Osaka)
Australian Open-Titel 2021 (Naomi Osaka) air jordan 1 royal nike outlet | what is the next jordan 1 release