Swiatek: „Ich möchte eine lange Karriere haben”
Iga Swiatek ist nach dem Rücktritt von Ashleigh Barty die neue Nummer eins der Welt – und das Maß der Dinge im Damentennis. Im Interview mit tennis MAGAZIN spricht sie über den Schock nach Bartys Rücktritt, einen besonderen Fan-Moment mit Rafael Nadal und die Zusammenarbeit mit ihrer Sportpsychologin.
Interview: Florian Goosmann
Frau Swiatek, Sie haben erzählt, dass Sie 40 Minuten lang weinen mussten, nachdem Ashleigh Barty ihren Rücktritt verkündet hatte. Es war für viele ein Schock – aber warum hat Sie das emotional so dermaßen mitgenommen?
Es war einfach sehr traurig, weil Ash ein wahnsinnig tolles Vorbild für alle ist. Und ehrlich gesagt: Sie hat das beste Tennis gespielt auf der Tour, mit ihrem Slice, ihrer Variabilität. Ihr Rücktritt kam für mich zudem völlig unerwartet. Dann wiederum habe ich Leute gehört, die sie etwas näher kennen, und für die war das alles gar nicht so überraschend. Es hat mich auch tief beeindruckt, dass Ash so mutig war, diese Entscheidung zu treffen und ihr Lebensglück an die erste Stelle zu setzen.
Ein guter Grund, um zurückzutreten?
Absolut! Und auch wenn Ash nicht mehr spielt, können wir uns alle ein Beispiel an ihr nehmen und sehen, wie man die Dinge stilvoll angeht.
Swiatek: „Habe versucht, mich auf Tennis zu fokussieren“
Haben Sie direkt begriffen, dass Sie nun die große Chance haben, Weltranglistenerste zu werden?
Ja, das schon, ich habe tatsächlich auch über meine Position nachgedacht. Aber ich wusste, dass ich mein erstes Match in Miami gewinnen muss, um es sicher zu schaffen. Von daher habe ich versucht, mich nur auf mein Tennis zu fokussieren.
Das ist Ihnen gelungen, Sie haben Miami am Ende gewonnen und im gesamten Turnier keinen Satz abgegeben. Gab es viele Glückwünsche von den Kolleginnen, als Sie die Nummer eins wurden?
In den ersten drei Tagen ist mein Telefon fast explodiert. Ash war eine der ersten, die mir geschrieben hat. Viele Spielerinnen auf der Anlage in Miami haben gratuliert, das war sehr nett. Rafa hat mir ebenfalls geschrieben, auch einige andere auf Twitter und Instagram. Am Anfang war alles etwas überwältigend und surreal. Dass es während des Turniers passiert ist, kam mir gewissermaßen auch entgegen: Ich musste mich auf mein Tennis konzentrieren, auf mein nächstes Match. Das hat mir geholfen, dieselbe Spielerin zu bleiben wie zuvor. Es waren viele Emotionen im Spiel, aber ich musste sie auf die Zeit nach dem Turnier vertagen, damit ich gut spielen konnte.
Swiatek: „Ich arbeite an meinem mentalen Spiel“
Ihre Finalbilanz ist ohnehin beeindruckend, auch in der Deutlichkeit Ihrer Siege. Sind Sie so abgebrüht, wenn es drauf ankommt?
Ich versuche, Finalspiele nicht anders anzugehen als andere Matches. Oft ist das Niveau in Endspielen schlechter, weil die Spieler gestresster sind. Ich arbeite an meinem mentalen Spiel, um genauso aufzutreten wie in den Runden zuvor. In Indian Wells zum Beispiel war ich deutlich gestresster als in Doha – ich weiß gar nicht, warum. Vielleicht, weil es das viel gepriesene Tennis-Paradies ist, das größte Turnier nach den Grand Slams. In Miami wollte ich nicht denselben Fehler machen, wollte entspannter sein, meinen Job in den Mittelpunkt stellen statt die vielen Gefühle. Jedes Turnier ist irgendwie anders, man muss alle unterschiedlich angehen. Aber cool zu bleiben, hilft sehr.
Swiatek: „Ich will andere Ziele im Leben finden“
Sie sind erst 20 Jahre alt, haben bereits ein Grand Slam-Turnier gewonnen, sind die Nummer eins der Welt. Müssen wir uns Sorgen machen, dass Sie auch bald zurücktreten wie Ash Barty oder planen Sie eine lange Karriere?
(lacht) Sie können wohl jede 20-Jährige etwas in dieser Art fragen und keine wüsste, was die nächsten Jahre so passiert. Tennis war immer mein Leben, und sagen wir es so: Ich könnte es mir aktuell zumindest nicht vorstellen, nicht zu spielen, bis ich 30 Jahre oder älter bin. Ja, ich würde gerne eine lange Karriere haben. Aber wenn ich irgendwann zu sehr zufrieden bin, glücklich mit dem, was ich erreicht habe, oder wenn ich körperlich nicht mehr kann, dann will ich auch andere Ziele im Leben finden.
Der WTA-Tour fehlte in den vergangenen Jahren die ganz große Rivalität, das ganz große Duell. Mit Ashleigh Barty und Ihnen wäre es sicher spannend geworden. Haben Sie nun ein Matchup im Blick, das sich zu einer schönen Rivalität entwickeln könnte?
(überlegt) Ein paar gute Duelle haben bereits begonnen, finde ich. Und die werden wir auch künftig sehen. Wenn ich an meine Spiele gegen Maria Sakkari denke, gegen Paula Badosa oder Anett Kontaveit. Mit Ausnahme von Paula habe ich gegen alle schon mindestens vier Mal gespielt. Okay, das klingt nicht nach so viel, aber für mich ist es das, ich bin ja erst seit drei Jahren auf der Tour. Mich reizen diese Matches auch, es ist wichtig, Spielerinnen um sich herum zu haben, die so gut spielen, dass sie einen selbst dazu zwingen, noch besser zu werden.
Swiatek: „Rafa hat mich inspiriert“
Es gibt ja verschiedene Arten, eine Karriere anzugehen. Wenn man die „Big Three“ anschaut: Federer wollte immer schon eine lange Karriere haben, hat dafür früh die Weichen gestellt, nicht zu viel gespielt. Nadal hat seinen „Ich schaue von Tag zu Tag“-Ansatz. Und Djokovic will Rekorde brechen. Wie ist es bei Ihnen?
Von diesen drei Ansätzen ist mir der von Rafa am nächsten. Ich versuche ebenfalls, Tag für Tag anzugehen, das ist für mich am einfachsten. Es gibt mir den klarsten Blick. Wenn ich anfangen würde, über Rekorde nachzudenken, diese Bestleistung brechen zu wollen oder jene – das würde sich anfühlen, als würde man ständig irgendetwas nachjagen. Mich auf ein Match nach dem anderen zu konzentrieren, statt direkt das ganze Jahr vor Augen zu haben, hilft mir dabei, ruhig zu bleiben, nicht zu viel Energie zu verschwenden. Ansonsten würde ich meinen Job nicht mehr so gut machen wie bisher. Aber klar: Jeder Mensch hat unterschiedliche Ansätze, sich zu motivieren. Von daher verstehe ich auch Novak.
Rafael Nadal gilt ohnehin als ihr größtes Idol. Die Parallelen zwischen Ihrem und seinem Spiel mit dem „Heavy Spin“ sind auch klar zu sehen. Aber Sie sagten auch mal, Sie wollten werden wie Ihre Schwester. Wer hatte den größeren Einfluss auf Sie?
Im normalen Leben natürlich meine Schwester. Ich habe sie jeden Tag gesehen, wollte so sein wie sie. Wie es wohl jeder kleinen Schwester so geht. Aber Rafa hat mich sehr inspiriert. Es hat immer Spaß gemacht, ihm vorm Fernseher zuzuschauen. Um ehrlich zu sein: Eigentlich waren seine Matches die einzigen, die ich mir überhaupt anschauen wollte (lacht). Ich wollte einen Topspin hinkriegen wie er, deshalb habe ich damit angefangen. Aber mein erster Trainer wollte unbedingt auch Übungen einbauen, die mir bei meinem Kick-Aufschlag helfen. Das war ein schlauer Schachzug. Ich erinnere mich an keine anderen Spielerinnen, die besonders viel am Kick gearbeitet hätten, als sie jünger waren. Ich habe das von Anfang an gemacht.
Swiatek: „Das Drumherum hat mich müde gemacht“
Mit Ihrem „Rafa“-Spiel haben Sie 2020 sensationell die French Open gewonnen. Jetzt fahren Sie als Nummer eins nach Paris.
Es ist wirklich sehr aufregend! Wobei das bei mir nicht von der Nummer eins abhängt, ich war immer aufgeregt, in Roland Garros zu spielen. Im vergangenen Jahr war es schwieriger, weil ich Titelverteidigerin war und nicht wusste, wie ich mich dabei schlagen würde. Das hat mir viel Erfahrung gegeben, jetzt kann ich gelassener rangehen, ein Match nach dem anderen spielen. Und entspannt und glücklich schauen, was drumherum geschieht. Die French Open waren schon immer mein Lieblingsturnier, ich habe dort immer tolle Erfahrungen gemacht. Ich möchte Paris in diesem Jahr auch als Stadt entdecken, das war zuletzt wegen der Coronapandemie schwierig.
Wie haben Sie das vergangene Jahr als Titelverteidigerin empfunden? Sie sind ins Viertelfinale gekommen.
Es war außerhalb des Platzes sehr stressig. Auf dem Platz, bei meinen Matches, war es dasselbe wie immer, da habe ich mich gut gefühlt. Aber das Drumherum, das hat mich müde gemacht. Allerdings konnte ich diese Erfahrungen wiederum nach dem Turnier nutzen und Dinge anders angehen. Heißt: Nicht zu viel Energie bei unwichtigen Dingen aufbringen und mich auf meine Arbeit konzentrieren. Sorry, das habe ich nun schon mehrmals gesagt, aber es ist wichtig – und es funktioniert (lacht).
Swiatek: „Habe geweint, als Rafa gegen Novak verloren hat“
Haben Sie eine Art Lieblingsmoment als Zuschauerin in Roland Garros? Sie sagten ja, es ist Ihr Lieblingsturnier.
(überlegt lange) Im letzten Jahr war es eher eine traurige Erinnerung – als Rafa gegen Novak verloren hat. Da habe ich geweint. Aber im Jahr zuvor, da habe ich das Finale zwischen den beiden live geschaut. Es war verrückt: Ich hatte am Tag zuvor gewonnen und gerade das Fotoshooting mit dem Pokal hinter mir, ich trug dieses lange Kleid. Und dann bin ich einfach ins Stadion gelaufen, als hätte ich etwas völlig Normales an (lacht). Ich habe die ersten zwei Sätze gesehen, das war recht aufregend. Die Chance, Rafa live zu erleben, hatte ich noch nicht so oft, da wollte ich sie nutzen.
Swiatek: „Es ist toll, eine Person zu haben, der man vertraut“
Nach Ihrem Paris-Sieg haben Sie sehr konstant gespielt, immer die zweite Grand Slam-Woche erreicht. Ein zweites Majorfinale fehlt bislang noch. Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Entwicklung?
Ich bin sehr zufrieden! Ich wusste immer, dass ich mein Spiel auf Hartplatz verbessern muss. Die Australian Open in diesem Jahr haben mir gezeigt, dass es mir gelungen ist. Ich hatte einige harte Matches in Melbourne, über drei Sätze. Dass ich ins Halbfinale gekommen bin, war gut. Natürlich will ich mehr erreichen, aber ich war damit erst mal glücklich. Im vergangenen Jahr wäre ich froh gewesen, bei einem anderen Grand Slam-Turnier als den French Open überhaupt ins Viertelfinale zu kommen. Auch dass ich in Paris als Titelverteidigerin gut gespielt habe, hat mich zufriedengestellt. Dabei ging es mir gar nicht ums Resultat, sondern darum, wie ich mit dem Druck umgehe, der neuen Situation. Aber ich will ohnehin keine bestimmte Runde erreichen. Mein Ziel ist es, Spaß zu haben, gut zu spielen. Ich will mich nicht darin verlieren, immer das Beste erreichen zu müssen. Ich will mein Leben auf der Tour auch genießen und das ganze Jahr spielen.
Sie haben seit 2019 die Sportpsychologin Daria Abramowicz in Ihrem Team. An was genau arbeiten Sie mit ihr?
Als ich mit Daria angefangen habe, ging es mir darum, mich auf dem Platz zu verbessern. Ich wollte fokussierter werden, meine Emotionen unter Kontrolle kriegen. Nach und nach hat sich das verändert, wir sprechen nun auch viel über das Leben an sich, arbeiten an meinem Selbstvertrauen. Darüber, wie es ist, erwachsen zu werden. Über Popularität. Oder wie man Sport und Business vereint. Quasi über alles. Es ist toll, eine Person zu haben, der man vertraut, mit der man reden kann, Erfahrungen teilen und Dinge durchsprechen. Das tut gut, um den Geist freizubekommen.
Swiatek: „Die Leute erkennen mich nun“
Das Thema „Mental Health“, die mentale Gesundheit, ist durch Naomi Osaka, Bianca Andreescu und auch die Turnerin Simone Biles ein großes Thema geworden. Sprechen Sie auch darüber?
Ja, das hat sich im Laufe der Zeit dahin entwickelt. Wir arbeiten ebenso an der Erwartungshaltung, wie nach meinem French Open-Sieg. Ich hatte anschließend nur wenig Zeit, mich auszuruhen, musste direkt andere Ziele verfolgen, mich vorbereiten auf die neue Saison, die kommenden Turniere. Daria hilft mir sehr, sie ist unglaublich wichtig in meinem Team. Im Grunde ist es so: Ich habe meinen Physiotherapeuten, der auf meinen Körper aufpasst. Meinen Trainer, der sich ums Tennis kümmert. Aber ich brauche auch jemanden, der immer für mich da ist, wenn ich über irgendetwas sprechen möchte.
Zusammen mit Robert Lewandowski sind Sie wohl der größte Sportstar in Ihrer Heimat. Spüren Sie die Euphorie in Polen?
Ich spüre die Aufregung, die Leute erkennen mich nun. Nach meinem Sieg in Paris war das ziemlich heikel, aber nun ist es anders. Ich mag es auch irgendwie, denn ich habe mir immer gewünscht, dass Tennis in Polen populärer wird. Nun habe ich die Chance, etwas dafür zu tun und dafür will ich meine Popularität nutzen. Ich möchte mich auch dafür einsetzen, dass es für mehr Kinder möglich wird, Tennis zu spielen. So genau kann ich aber gar nicht sagen, wie es in Polen aussieht, ich bin ja ständig unterwegs und war zuletzt gerade mal für vier Tage zu Hause. Aber der Billie Jean King Cup bei uns in Radom war toll: zu erleben, wie enthusiastisch die Leute sind, so eine Aufregung beim Tennis! Es hat mich unheimlich gefreut, das zu sehen.men’s jordan retro release dates | cheap air jordan 1s for sale