Tsitsipas: „Tennis kann von der Formel 1 lernen“
Stefanos Tsitsipas spricht im Interview mit tennis MAGAZIN darüber, wie es ist, in Griechenland ein Star zu sein, über die „Droge“ Internet und seine Liebe für Motorsport.
Fotos Oliver Hardt
Dieses Interview ist in Ausgabe 10/2022 erschienen.
Begegnungen mit Stars hatte der Autor in den letzten Jahrzehnten viele. Das Treffen mit Stefanos Tsitsipas war, wenn auch kurz, insofern besonders, weil man teilweise nicht das Gefühl hatte, dass einem ein Tennisprofi gegenübersitzt. Der 24-jährige Grieche mit den guten Umgangsformen (die er auf dem Platz manchmal vermissen lässt, wie zuletzt in Wimbledon, als er Nick Kyrgios am Netz abschoss) könnte auch als Philosoph durchgehen.
Herr Tsitsipas, Sie sind seit Jahren einer der Stars der Tour. Wie wird das in Ihrer Heimat angenommen? Wie sehr boomt Tennis in Griechenland?
Ich habe eine Vorstellung davon, bin aber nicht dort, um es selbst zu erleben. Wie Sie wissen, lebe ich nicht mehr in Griechenland (Tsitsipas’ Wohnsitz ist Monte Carlo, Anm. d. Red.). Ich verbringe im Jahr sehr wenig bis überhaupt keine Zeit in meiner Heimat. Alles begann, als ich 2018 in Barcelona das Finale erreicht hatte. Plötzlich war das Interesse riesig. Danach folgte das Finale in Toronto, wieder gegen Nadal. Marias (Sakkari; Anm. d. Red.) Erfolg hat auch viel zum Boom beigetragen. Während der Pandemie war es der am meisten ausgeübte Sport in unserem Land aufgrund der Abstandsregelung. Jeder hat Tennis gespielt und jeder hat Tennis geschaut. Wir haben kein wirklich gutes Fußballteam wie vor einigen Jahren. Ich bin sicher, dass Tennis Fußball mittlerweile verdrängt hat.
Tsitsipas: „Die Leute erkennen mich oft“
Können Sie sich frei bewegen, wenn Sie zuhause sind?
Um ehrlich zu sein, es ist nicht einfach, in Athen oder den Vororten rumzulaufen. Ich komme aus einem kleinen Ort, 15.000 Einwohner. Die Leute haben eine besondere Verbindung zu mir, weil ich dort aufgewachsen bin und früh Tennis gespielt habe. Ich bin praktisch in den Hotels groß geworden, meine Eltern waren als Coaches tätig. Somit habe ich eine besondere Verbindung zu diesem Ort. Die Leute in Griechenland sind natürlich ganz aufgeregt und erkennen mich oft, aber am Ende des Tages haben sie mich unterstützt. Sie haben mich auf meinem bisherigen Weg begleitet und ich kann ihren Enthusiasmus vollkommen verstehen. Es kann anstrengend werden, um ehrlich zu sein, insbesondere wenn ich zum Beispiel versuche, in Athen in die Innenstadt zu gehen. Aber ich versuche, das ohnehin zu vermeiden.
Empfinden Sie es als Druck?
Nein, aber die Situation ist, wie sie ist und klar würde man sich manchmal gerne freier bewegen können.
Tsitsipas: „Ich will die Nummer eins werden“
Sie sind seit sieben Jahren auf der Tour und ein erfahrener Spieler. In welchem Stadium Ihrer Karriere befinden Sie sich gerade?
Gute Frage. Ich würde sagen, ich bin in einer Phase meiner Karriere, in der ich die Latte sehr hoch gelegt habe: was mein Ranking betrifft. Was meine Chancen angeht, Grand Slams zu gewinnen. Es geht jetzt darum, diesen kleinen extra Schritt zu machen, der mir bisher noch nicht gelungen ist.
Wie nah sind Sie dran am ersten Majortitel? An der Nummer eins?
Sehr nah. Ich war die Nummer drei letztes Jahr, das war bisher mein höchster Ranglistenplatz. Die Ellbogenoperation letzten November warf mich zeitweise etwas zurück. Ich habe vor, es wieder dorthin zu schaffen. Aber klar, ich will auch die Nummer zwei und die eins werden.
Sie gehören zur gleichen Generation wie Zverev und Medvedev. Glauben Sie, dass einer von Ihnen die Nachfolge von Nadal, Djokovic und Federer antreten wird oder ist es ein Kampf unter vielen Spielern?
Viele sind im Rennen. Und ich weiß nicht, ob die Zuschauer bereit dafür sind. In jedem erfolgreichen Sport gibt es nur wenige Helden, das macht die Attraktion aus. Fast zwei Jahrzehnte hatten wir Roger, Rafa und Novak und sie sind immer noch da. Roger ist zwar nicht mehr so aktiv, aber dies sind die Helden, denen wir alle zugeschaut haben, als wir aufwuchsen. Jetzt sind da wesentlich mehr Spieler, die das Ruder übernehmen wollen. Ich bin mir nicht sicher, ob es zur Beliebtheit von Tennis beitragen wird. Die Exklusivität dieser drei Spieler wird es nicht mehr geben.
Tsitsipas: „Habe noch Luft nach oben“
Müssen Sie etwas ändern an Ihrem Spiel, um den nächsten Schritt zu gehen? Worüber reden Sie mit Ihrem Vater oder mit Ihrem Mentor Patrick Mouratoglou?
Wir reden ständig. Ich bin ein Spieler mit einer eher aggressiven Ausrichtung auf dem Platz, gehe ans Netz, gehe auf den Winner, verlasse mich nicht gerne darauf zu warten, dass mein Gegner den Ball verschlägt. Ich bin auch nicht gerne in einer Defensivsituation, aus der ich mich befreien muss. Aber ich will auch nicht der Spieler sein, der mit einem Hammer rausgeht und einfach nur auf jeden Ball eindrischt. Ich versuche, klug zu spielen. Am Netz könnte ich mich auf jeden Fall noch verbessern und das ist auch der Grund dafür, warum ich viel Doppel spiele. Klar, bei meinem Aufschlag ist auch noch Luft nach oben, wobei ich in den letzten zwei, drei Jahren die Quote kontinuierlich verbessert habe.
Tsitsipas: „Tennis braucht ein neues Branding“
Haben Sie einen Lieblingsbelag?
Mein Lieblingsbelag ist der, auf dem ich die besten Erinnerungen habe. Also Sand. Das Finale in Paris war bisher mein größter Erfolg. Ich finde aber, dass ich überall gut spielen kann. Der Untergrund ist nicht wirklich entscheidend. Ich liebe es auch, auf Rasen zu spielen. Es ist ein Genuss. Ich würde es gerne sehen, wenn die Rasensaison verlängert wird.
Die Tour soll in den nächsten Jahren umstrukturiert werden, die Masters-Serie wird ausgebaut, möglicherweise wird es auch ein Masters auf Rasen geben. Interessieren Sie sich für die politische Seite des Sports?
Ich verfolge das nicht so sehr, bin auch nicht involviert. Ich weiß, dass die Leute, die in unserem Sport im Hintergrund wirken, gute Ideen haben. Es ist ihre Aufgabe, Tennis so gut wie möglich zu fördern. Ich freue mich über Innovation. Viele Ideen sind in der letzten Zeit diskutiert worden. Was Tennis mit Sicherheit braucht, ist ein neues Branding, um mehr Menschen anzuziehen. Das kann man bei der Formel 1 sehen, von der ich inzwischen ein großer Fan bin. Sie hat wirklich einen fantastischen Job gemacht, um Fans anzulocken und den Motorsport in einer unglaublichen Weise zu präsentieren. Dieses Potenzial sehe ich auch im Tennis. Wir können noch mehr Menschen inspirieren. Sie gehen raus und spielen Tennis, verfolgen die Matches im Fernsehen und digital. Sie suchen sich ihren Lieblingsspieler aus und machen unseren Sport zu einem großen Fest.
Tsitsipas: „Weiß nicht, ob ich talentiert bin“
Sie selbst sind ziemlich engagiert in den sozialen Medien.
Mir gefallen die guten Seiten, die die sozialen Medien bieten. Die vielen Möglichkeiten, in Interaktion zu treten. Wem gefällt das nicht? Aber ich versuche, nicht zu viel Zeit damit zu verbringen, weil es mein Gehirn stresst. Es kann eine Droge sein, die nicht gesund ist.
Sie twittern viel.
Ich benutze gerne meine kreative Seite, um Inhalte in den sozialen Medien zu transportieren: Texte, Fotos, Videos. Mir gefällt es, dass ich meine Ideen zum Ausdruck bringe und meine Follower daran teilhaben können.
Ihre Filme, gerade zu Beginn Ihrer Laufbahn, sind professionell gemacht. Sie sind hoffentlich noch weit vom Karriereende entfernt, aber könnte das etwas sein, dass Sie später intensivieren möchten?
Ich glaube, alle talentierten Leute wollen kreativ sein. Ob ich talentiert bin, weiß ich nicht, aber einige behaupten das. Ich bin vielseitig interessiert. Ich versuche immer und überall, meinen Weg zu finden und mich von anderen abzuheben. Filmemachen könnte eine Möglichkeit in der Zukunft sein. Eine Karriere als Schauspieler, Regisseur oder Produzent einzuschlagen, wäre cool. Aber im Augenblick habe ich andere Prioritäten und nicht wirklich Zeit, über solche Dinge nachzudenken.
Vita Stefanos Tsitsipas
Der Grieche, 24, (Foto mit Pokal beim Masters in Monte Carlo)steht seit 2019 ununterbrochen in den Top Ten. Als jüngster Spieler überhaupt schlug er Rafael Nadal, Novak Djokovic und Roger Federer (vor 21. Lebensjahr). Tsitsipas gewann bislang neun ATP-Turniere. Er ist der erste Grieche, der das Finale von Roland Garros erreichte (2021). 2019 siegte er bei den ATP-Finals. Der Rechtshänder mit der einhändigen Rückhand wird von seinem Vater Apostolos Tsitsipas gecoacht. Preisgeld: 20,4 Millionen US-Dollar.cheap air jordan 1 low | mens jordan release dates 2022