Medvedev: „Sollte uns nicht mit den Big Three vergleichen”
Daniil Medvedev spricht im Interview über die Entwicklung im Herrentennis, Nervosität während Matches und seinen Federer-Moment.
Erschienen in tennis MAGAZIN-Ausgabe 11-12/2022.
Herr Medvedev, Sie sind 2022 erstmals Nummer eins geworden. Haben Sie seitdem bei der Vorbereitung oder im mentalen Bereich etwas verändert?
Mit meinem langjährigen Trainer Gilles Cervara arbeite ich kontinuierlich daran, mich zu verbessern. Da spielt meine Ranglistenposition keine große Rolle. Was sich verändert hat, ist, dass der Fokus mehr auf den großen Turnieren liegt. Man bereitet sich so vor, dass bei diesen Turnieren das Spiel und der Körper in der bestmöglichen Verfassung ist. Dabei muss man trotzdem versuchen, seinen Rhythmus beizubehalten, den man häufig bei kleineren Turnieren bekommt.
Wie gehen Sie mit Nervosität während der Matches um?
Es gibt immer Situationen, in denen man nervös wird, zum Beispiel bei 6:6 im Tiebreak in einem vollen Stadion. Für mich ist Erfahrung das Wichtigste. Nach den Matches schaue ich mir an, was ich hätte besser machen können. Nervosität und Stress können auch gut sein. Wenn man keinerlei Stress hat, bedeutet dies, dass einem etwas nicht wichtig genug ist. Das passiert bei mir nie. Was mir gegen Stress hilft, sind Atemtechniken oder während der Seitenwechsel die Gedanken auf Dinge zu richten, die mit Tennis gar nichts zu tun haben.
Medvedev: „Haben derzeit viele Spielertypen“
Sie sind mit 1,98 Meter der längste Nummer-eins-Spieler der ATP-Geschichte. Wie sehen Sie die Entwicklung im Herrentennis?
Durch Roger Federer hat sich Tennis extrem weiterentwickelt. Die aktuelle Spielergeneration mit Zverev, Tsitstipas und auch mir ist sehr groß gewachsen. Die Körpergröße hilft enorm beim Aufschlag und der Power der Schläge, dennoch bewegen wir uns trotz unserer Größe sehr gut. Das liegt auch daran, dass sich der physische Aspekt im Tennis extrem weiterentwickelt hat – wie in allen anderen Sportarten auch. Das höre ich auch stets von Ex-Spielern. Damals war das reine Tennisspiel das Wichtigste, neben dem Mentalen natürlich. Man hat früher auf die Physis nicht das größte Augenmerk gelegt. Heutzutage wird man von seinen Gegnern zerstört, wenn man nicht genügend an seiner Physis arbeitet. Die Arbeit an seinem Körper nimmt viele Stunden am Tag in Anspruch.
Hat sich die Spielweise in den letzten Jahren etwas verändert?
Die physischen Fähigkeiten der Spieler haben sich dermaßen weiterentwickelt, dass man jeden Schlag nahezu perfekt ausführen muss. Wenn ich ans Netz stürme und mir beispielsweise Alcaraz gegenüber steht, dann weiß ich, dass mein Volley perfekt sein muss, weil ich sonst bestraft werde. Ich finde, wir haben derzeit viele verschiedene Spielertypen, darunter Maxime Cressy, der immer Serve-and-Volley spielt und auch Chip-and-Charge einstreut. Er hat damit Erfolg. Der Trend ist zwar weiter, dass es größtenteils All-Court-Spieler gibt, welche die Grundlinie beherrschen wollen. Es gibt aber zunehmend Spieler, die ans Netz kommen, wenn sie die Chance dazu haben. Das hat man gut bei Alcaraz bei den US Open gesehen. Er hatte mit seinen Netzangriffen viel Erfolg.
Medvedev: „Das ist spektakulär“
Sie haben einen Grand Slam-Titel gewonnen und waren die Nummer eins. Casper Ruud stand in zwei Grand Slam-Finals und Carlos Alcaraz gewann die US Open. Ist die Wachablösung im Herrentennis nun endgültig vollzogen?
Wir sollten die Leistungen meiner Generation nicht mit denen der „Big Three“ vergleichen, sondern unser tolles Tennis genießen. Derzeit vergleichen wir Alcaraz mit den „Big Three“ Novak Djokovic, Rafael Nadal und Roger Federer, als diese in seinem Alter waren. Alcaraz ist die jüngste Nummer eins der Geschichte. Das ist spektakulär. Das ist toll zu sehen, dass junge Spieler nun hervorstechen. Vor allem die Entwicklung von Casper Ruud ist erstaunlich. Vor zwei Jahren sprach kaum jemand über ihn. Ich habe sehr viel Respekt vor ihm. Er arbeitet hart und hat das Potential, ganz oben zu stehen. Vor einem Jahr haben manche Spieler noch gesagt, Ruud kann nur auf Sand spielen. Nun gehört er auch auf Hartplatz zu den Besten.
Medvedev: „Gut möglich, dass Djokovic jetzt die Nummer eins wäre“
Es gab einige glückliche Umstände, die dazu geführt haben, dass Alcaraz nun die Nummer eins im ATP-Ranking ist. Wie bewerten Sie das?
Alcaraz steht vollkommen verdient auf Platz eins. Die Weltrangliste reflektiert nun mal die Punkte, die man in den letzten 52 Wochen erzielt hat. Vor Beginn der US Open war ich trotzdem die Nummer eins, obwohl ich keine richtig gute Saison hatte. In der Weltrangliste geht es um Punkte, nicht nur um Grand Slam-Titel. Die große Debatte gab es immer um Djokovic. Ich hätte es befürwortet, dass wir diese Diskussion nicht führen und er alles spielen kann. Hätte Novak alles spielen dürfen, wäre er jetzt die Nummer eins? Gut möglich. Es hätte aber sich auch alles so entwickeln können, wie es derzeit ist. Ich glaube, dass Alcaraz mit seinem Spielniveau und seinem Selbstvertrauen sehr lange die Nummer eins bleiben kann. Natürlich will ich ihm die Nummer eins streitig machen, dafür muss ich aber so viele Punkte wie möglich gewinnen. Das habe ich während des Sommers nicht geschafft.
Herr Medvedev, gibt es einen Ex-Spieler, gegen den Sie gerne auf dem Höhepunkt seiner Karriere gespielt hätten?
Ich nehme jemand, der nicht mit einem Holzschläger gespielt hat, weil ich wahrscheinlich nicht in der Lage gewesen wäre, mit so einem Schläger zu spielen. Ich hätte gerne gegen Andre Agassi oder Pete Sampras gespielt. Sampras habe ich leider nie im Fernsehen spielen sehen, Agassi schon.
Medvedev: „Roger wird mir fehlen“
Roger Federer hat seine Karriere beendet. Haben Sie einen besonderen Federer-Moment in seiner Karriere?
Wir wussten, dass sein Abschied kommen wird. Trotzdem haben wir alle gehofft, dass er vielleicht noch mal Wimbledon spielt. Man kann sich eine Tenniswelt ohne Roger nicht vorstellen. Als ich angefangen habe, Tennis im Fernsehen zu schauen, war Roger schon da. Er ist, wie ihn alle beschreiben: respektvoll und vornehm, ein toller Typ. Eine Legende auf und neben dem Platz. Ich habe dreimal gegen ihn gespielt, dreimal verloren. Beim Turnier in Shanghai habe ich 2018 das erste Mal gegen ihn gespielt. Ich hatte eine Woche vorher mein erstes 500er-Turnier in Tokio gewonnen. Ich wusste, dass ich bei einem Sieg in der ersten Runde gegen Ze Zhang aus China dann gegen Roger spielen würde. Das war ein verrücktes Match gegen Zhang, er hat das Match seines Lebens gespielt. Ich musste Matchbälle abwehren. Das Match gegen Roger war dann eng. Ich hatte gute Chancen. Ich erinnere mich, wie er eine Art Retroschlag fabrizierte und das Stadion ausrastete. Damals war dieses Match der größte Moment meiner Karriere. Roger wird mir definitiv fehlen.
Medvedev: „Der Startschuss meiner Profikarriere“
Wann haben Sie sich entschieden, Tennisprofi zu werden?
In meiner Jugend habe ich nicht so viel trainiert wie andere Spieler. Eine Tenniseinheit pro Tag, zwei bis drei Fitnesseinheiten in der Woche. Ich habe später viel an meiner Technik gearbeitet und mich früh dem Wettbewerb gestellt. Der Wettbewerb bleibt bis zum Ende der Karriere bestehen. Es hängt auch immer davon ab, wie man den Begriff Profi definiert. Alle Spieler, die bei den Junioren auf der ITF-Tour spielen, kann man fast schon als Profi bezeichnen. Wenn man dann in jungen Jahren bei den Future-Turnieren gut spielt, weißt du, dass du es mit viel Training nach oben schaffen kannst.
Sie sind seit einigen Jahren das Aushängeschild der Schlägermarke Tecnifibre. Wie wichtig war für Sie das „Young Guns“-Programm von Tecnifibre?
Das war eine unglaubliche Möglichkeit für mich. Als ich meinen ersten Vertrag mit Tecnifibre unterzeichnet habe, war ich 20 Jahre alt. Ich habe damals Future-Turniere gespielt und hatte finanzielle Schwierigkeiten. Die finanzielle Unterstützung war sehr hilfreich, da Tennis ein teurer Sport ist. Die Aufwendungen für Trainer und Reisen sind enorm. Ich war im Jahr 2016 mit drei anderen Tecnifibre-Spielern, Mitchell Krueger, Omar Jasika und Gregoire Barrere, in einem viermonatigen Wettbewerb. Derjenige, der die besten Resultate auf dem Platz erzielte und zudem am besten via Social Media mit den Fans interagierte, konnte 50.000 US-Dollar gewinnen. Ich habe den Wettbewerb gewonnen und bin in dem Jahr von Platz 330 in die Top 100 vorgestoßen. Das war der Startschuss meiner Profikarriere.nike air jordan 1 low outlet | nike clearance outlet gatlinburg