Oscar Otte im Porträt: Oscar-reif!
Mittlerweile hat sich Oscar Otte fest unter den Top 100 etabliert. Doch der Weg des 28-Jährigen war alles andere als einfach. Die Geschichte über einen coolen Typen, der seinen Traum lebt.
Fotos: Jürgen Hasenkopf
Erschienen in Ausgabe 07/2022.
So hatte er sich die French Open nicht vorgestellt. Erstrunden-Aus im Einzel und im Doppel. Die Enttäuschung ist Oscar Otte anzusehen, als er sich mit tennis MAGAZIN zum Fototermin auf der Roland Garros-Anlage trifft. Auch die Blessuren nach den Matches kann er nicht verbergen. Als er sich seitlich an ein Geländer anlehnen will, verzieht er schmerzverzerrt das Gesicht. In seinem Einzelmatch am Vortag, das über drei Stunden, 45 Minuten und fünf Sätze gegen den Spanier Roberto Carballes Baena ging, hatte Otte im fünften Satz mit Krämpfen zu kämpfen, konnte teilweise nicht mehr gehen.
Unberechenbar
Dennoch bleiben dem 28-Jährigen viele positive Erinnerungen an das Match. „Die Unterstützung der Fans war schon heftig“, sagt er. Obwohl er auf Platz 10, einem Nebenplatz mit kleiner Tribüne, spielte, waren die Ränge proppenvoll. Teilweise quetschten sich die Zuschauer zwischen den Büschen durch, die den Platz umranden, um das spektakuläre Match der beiden Top-100-Spieler zu sehen. Die Mehrheit klatschte für den Deutschen, „auf geht’s Ossi“, riefen sie. Es schien, als hätte er einen eigenen Fanclub mitgebracht. Eine Seltenheit ist es nicht, dass Otte solch große Unterstützung in seinen Matches erfährt. Mit seinem „unberechenbaren Spielstil“, wie Davis Cup-Kapitän Michael Kohlmann ihn beschreibt, begeistert er das Publikum. „Ich versuche, die Ballwechsel kurz zu halten“, sagt Otte im Gespräch mit tennis MAGAZIN. Mit seinen Stärken, der Spieleröffnung, also Aufschlag und Return und den unerwarteten Sprints ans Netz, will er seine Gegner in Bedrängnis bringen. „Er soll sich unwohl fühlen“, so Otte.
Selbstverständlich ist es für den gebürtigen Kölner aber nicht, im Hauptfeld eines Grand Slam-Turniers zu stehen. Denn sein Weg in die Top 100 war alles andere als gewöhnlich. „Es läuft nicht immer so reibungslos, wie bei Carlos Alcaraz“, scherzt Otte.
Oscar Otte: „Man zahlt erst mal nur Lehrgeld“
Aber von vorne. An das erste Mal, dass Otte den Tennisschläger in der Hand hielt, kann er sich noch genau erinnern: „Ich war fünf Jahre alt und war mit meinem Papa im Rodenkirchener Tennis-Club.“ Otte fängt Feuer. „Mein Papa und meine Mama erzählen immer, dass ich etliche Erwachsene genervt habe, damit sie mit mir Tennis spielen“, erzählt er. Vom Bälle schlagen mit dem Vater geht es dann zum Kleinfeld-Training, von einer Stunde die Woche üben irgendwann auf drei bis vier Stunden. Als er zehn Jahre alt ist, wechselt Otte zum größeren Marienburger Sportclub in Köln und steigt ins Bezirks- und Verbandstraining ein.
Schon als Jugendlicher duellierte Otte sich mit den Herren. Eine Geschichte dazu mit Kumpel und Doppelspezialist Andreas Mies bleibt ihm bis heute in Erinnerung. „Ich war zwölf, Andy 15. Zu den Medenspielen in der Halle sind wir immer mit dem Moped gefahren. Einmal haben wir gegen eine Herrenmannschaft gespielt, die deutlich älter war. Im Einzel haben wir beide glatt verloren. Im Doppel haben wir sie geschlagen. Die hatten echt eine ordentliche Krawatte, weil sie gegen zwei Kinder verloren hatten“, erzählt er lachend.
Oscar Otte: Jahrelang auf der Future-Tour rumgedümpelt
Sein erstes Schulpraktikum absolvierte Otte bei seinem damaligen Tennistrainer. Eigentlich sollte er das Bespannen von Schlägern lernen und Trainerstunden geben. „Wir haben das gut verkauft, sodass die Lehrer es nicht gemerkt haben. Ich habe eigentlich nur trainiert“, blickt Otte zurück. Er gesteht, dass Schule nie seine Priorität war. „Ich will nicht sagen, dass ich blöd war, aber ich war extrem faul. Ich hatte meinen Fokus immer schon auf Tennis gesetzt“, sagt er. Deshalb entschied er sich dazu, die Schule nach der elften Klasse abzubrechen und im Alter von 17 Jahren seine Profi-Karriere auf der Future-Tour zu starten. „Mein Vater stand ein bisschen mehr hinter der Entscheidung als meine Mama“, erzählt er.
Allerdings dauerte es, bis er erste Erfolge nach Hause bringen konnte. „Ich bin jahrelang auf der Future-Tour rumgedümpelt. Erst nach zwei, drei Jahren habe ich dann mal eins gewonnen“, sagt Otte. Trotz gelegentlicher Siege auf dieser Ebene konnte er aber nicht von einem Leben als Profispieler sprechen. „Da zahlt man erst mal nur Lehrgeld. Ich war weit davon entfernt, am Ende mit einer schwarzen Null aus dem Turnier zu gehen.“
Oscar Otte begeistert die Zuschauer
Mit dem fehlenden Ausblick auf einen Durchbruch im Profigeschehen und den finanziellen Sorgen geriet Otte ins Zweifeln. Er entschied sich dazu, seine Tenniskarriere auf Eis zu legen und erst mal sein Abitur per Fernschule nachzuholen. Nebenher gab er Trainerstunden, um sich über Wasser zu halten. Seine erkämpften Weltranglistenpunkte verlor er. Aber seine Motivation, sich auf das Abi zu fokussieren, war zu klein und die Sehnsucht nach dem gelben Filzball zu groß. „Kann es das schon gewesen sein? Haben meine Eltern und ich so viel umsonst investiert?“, fragte er sich. Ihm wurde bewusst: „Tennis ist eine Sache, die ich echt gut kann.“ Und so kehrte er nach einem halben Jahr zurück auf die Tennistour und startete von vorn.
Erfolgreich, wie sich später zeigte: Er sammelte acht Future-Titel und kämpfte sich dadurch eine Ebene höher auf die Challenger-Tour. 2015 siegte er bei den Deutschen Meisterschaften in Biberach. Mit fünf Challenger-Titeln, drei davon 2021, schaffte er es schließlich auf die ATP-Tour, wo er sich mittlerweile in den Top 100 fest etabliert hat. „Die Pause damals hat mir ganz gut getan, danach habe ich besser gespielt“, sagt er heute rückblickend. Aber Otte spielte sich nicht nur unter die besten Spieler der Welt, er spielte sich auch in die Herzen der Tennisfans, wohlgemerkt: nicht nur in die der Deutschen. Durch seine lockere und witzige Art sowie seinen unterhaltsamen Spielstil begeisterte er die Zuschauer rund um die Welt.
Oscar Otte: „Früher war ich eine Rampensau“
Besonders im Kopf bleibt wohl seine Zweitrunden-Partie in Wimbledon gegen Andy Murray 2021. Otte hechtete von der einen Seite des Platzes zur anderen, jagte jedem Ball nach und versuchte, Murray mit Tweenern, Netzangriffen und Stoppbällen aus der Reserve zu locken. Als er nach einem langen Hecht auf dem Rasen hinfiel, blieb er liegen, winkelte die Beine an und tat so, als würde er eine Zigarette rauchen. „Das sind diese Momente, in denen der private Oscar rauskommt“, grinst er. Er gesteht: „Früher war ich auf dem Platz eine Rampensau.“ Was er meint: Er hat seinen Gefühlen freien Lauf gelassen. Heute sieht es anders aus: „Ich bin gereift und ruhiger geworden“, sagt er. Allerdings: nur auf dem Platz. Zu Hause bei seiner Familie, seinen Freunden und seiner Freundin Emma ist er wie früher: locker, entspannt und witzig. „Ich bringe viele zum Lachen“, versucht er, sich selbst zu beschreiben.
Oscar Otte: „Mittlerweile dreht sich alles um Tennis“
Da er die meiste Zeit von Turnier zu Turnier um die halbe Welt reist, bleiben ihm nur wenige Möglichkeiten, seine Familie und Freunde zu sehen. „Ich habe nicht mehr viel Zeit für mein Umfeld, ein Wochenende mit den Jungs einen zu trinken, geht nicht mehr so einfach“, sagt er. Sein Privatleben beschreibt er als „eigentlich überhaupt nicht vorhanden“. Die Tage, die er in seiner neuen Heimat, Essen, verbringt, nutzt er mit seiner Freundin oder seinem Hund Hank, einem Cocker Spaniel. „Für den Sommer habe ich mir einen Grill gekauft. Ein paarmal habe ich schon angegrillt“, erzählt er. Wenn die Zeit es zulässt, stattet er seiner Familie in Köln einen Besuch ab. „Mittlerweile dreht sich alles um Tennis. Aber wenn ich es nicht lieben würde, wäre ich nicht so weit gekommen“, sagt er.
Spätestens nachdem Otte das Achtelfinale bei den US Open im vergangenen Jahr als Qualifikant erreicht hatte, war klar: Er kann mit den besten Spielern der Welt mithalten. Derzeit steht der 28-Jährige kurz vor dem Einzug in die Top 50, wodurch sich seine finanzielle Situation – im Vergleich zum Beginn seiner Karriere – enorm verbessert hat. „Ich kann mich nicht beklagen“, sagt er. Gleichzeitig betont er aber auch, dass es natürlich abhängig sei vom Lebensstil: „Ich lebe sehr normal, habe mir noch kein fettes Auto oder eine teure Uhr gekauft.“ Lediglich in ein Pferd für seine Freundin hat er investiert. Erst wenige Wochen ist es her, dass Otte selbst zum ersten Mal im Sattel saß. „Ich hatte ein bisschen Schiss, weil das Pferd echt groß ist“, gesteht er lachend. „Dann habe ich mich getraut und mich mal drauf gesetzt. Ich muss zugeben, es hat wirklich Spaß gemacht.“
Oscar Otte: „Könnte mir nichts besseres vorstellen“
Was Otte noch Spaß macht: Fußball schauen. Er ist leidenschaftlicher Fan des 1. FC Köln. „Ich versuche, jedes Spiel zu gucken und auch ins Stadion zu gehen“, sagt er. „Es ist eine geile Sportart und eine schöne Abwechslung zum Tennis.“ Den Teamgedanken, der den Fußballsport so prägt, vermisst Otte im Tennis allerdings nicht. „Klar, spiele ich gerne Bundesliga oder Davis Cup, das ist eine schöne Abwechslung. Aber ich mag es, Mann gegen Mann zu spielen. Wenn du gewinnst, ist es dein Sieg und wenn du verlierst, bist du der Trottel für dich – blöd gesagt“, erklärt er seine Auffassung. Ganz alleine ist er auf der Tour aber nicht. Sein Coach, Peter Moraing, der Vater seiner Freundin Emma und der Onkel von Profi und Ottes Kumpel Mats Moraing, begleitet ihn seit mittlerweile viereinhalb Jahren. Neuerdings hat er auch einen eigenen Physiotherapeuten dabei, Leander Wallmann. Je nach Turnier und Entfernung reisen auch Mutter, Vater oder die Freundin mit, um den 1,93-Meter-Mann zu unterstützen.
Auch wenn er nur wenig Zeit mit seiner Familie verbringen kann, möchte Otte das Leben auf der Tour nicht missen. „Man sieht eine Menge von der Welt, reist viel, hat oft Sonne. Ich könnte mir nichts Besseres vorstellen“, sagt er. Schattenseiten gibt es dennoch: „Das vergessen Außenstehende häufig, wie anstrengend es ist, viel unterwegs zu sein, auch der Druck von den Medien ist nicht ohne.“ Besonders im Hinblick auf seinen holprigen Aufstieg in der Karriereleiter, ist sich der 28-Jährige aber sicher: „Ich habe mir meinen Traum erfüllt und bin mehr als glücklich darüber.“
Oscar Otte: „Wenn es nicht klappt, geht die Welt nicht unter“
Wohin wird seine Reise gehen? Otte will sich nicht genau festlegen. „Klar, ist es ein Traum, die Nummer eins zu sein oder in den Top Ten zu stehen. Aber es gibt so viele Tennisspieler und alle wollen gewinnen“, sagt er. Für ihn sei wichtig, weiter an seine erfolgreiche Zeit anzuknüpfen, sich mit seinem Team weiter auf sich zu fokussieren und hart zu arbeiten. „Die Top 50 anzupeilen, ist nicht allzu weit weg. Langfristig vielleicht die Top 20. Wenn es klappt, wäre es super schön, wenn nicht, geht die Welt auch nicht unter“, sagt er so locker und entspannt, wie er eben privat ist. Sollte er sich am Ende wirklich in die Top 20 vorspielen, wäre es absolut eine „oscar-reife“ Leistung.
Steckbrief Oscar Otte
Geburtsdatum: 16. Juli 1993
Größe: 1,93 Meter
Herkunft: Köln
Rang: 59 (Stand 2. Juni 2022)
Höchster Rang: 53 (2. Mai 2022)
Bestes ATP-Ergebnis: Halbfinale München 2022
Bestes Grand Slam-Ergebnis: Achtelfinale US Open 2021
Titel: 8 Future-Titel, 5 Challenger-Titel, Deutscher Meister 2015
Davis Cup: Erste Nominierung März 2022 (gegen Brasilien)
Coach: Peter Moraing
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