Analyse: Warum das deutsche Tennis ein Nachwuchsproblem hat
Benito Perez-Barbadillo lächelt verschmitzt, die Augen blitzen hinter dem grünen Brillenrahmen. „Kommt öfter auf die deutsche Insel, nach Mallorca. Gerne auch in die Nadal Academy. Vielleicht hilft das.“
Schlicht als „Benito“ bekannt, ist der Spanier im internationalen Tennis eine Instanz. Als PR-Manager von Rafael Nadal, aber auch generell als ein intimer Kenner der Szene. Eine Stunde nach dem Zweitrunden-Ausscheiden von Alexander Zverev (7:6, 4:6, 3:6, 2:6 gegen den als Lucky Loser ins Feld gerutschten US-Amerikaner Michael Mmoh) sitzt er an Tisch 158 im Pressesaal. Eigentlich als Trost-Spender für die spanischen Journalisten, die nach dem gestrigen Aus von Nadal auf der Suche nach positiven Geschichten sind. Aber Perez-Barbadillo hat auch einen sehr genauen Blick auf das deutsche Tennis. Und was er da sieht, das sieht nicht gut aus.
Nach der zweiten Runde der Australian Open sind alle deutschen Männer raus. Und bei den Frauen hat es einzig Laura Siegemund in die dritte Runde geschafft. Eine Hoffnungsträgerin mit 34 Jahren? Wohl kaum. Daher muss die Frage erlaubt sein: Ist das deutsche Tennis im Januar 2023 so schlecht wie es die desaströse Bilanz beim ersten Grand Slam des Jahres aussagt?
Perez-Barbadillo sagt dazu: „Nicht nur Deutschland nach Boris Becker und Steffi Graf. Auch Nationen wie die USA und Schweden hatten nach dem Karriereende der ganz großen Stars eine Lücke, die lange nicht geschlossen wurde. Vielleicht muss Deutschland Anregungen von Außen suchen, Kooperationen eingehen.“
Die Zukunft muss andere Namen tragen
Mit Angelique Kerber hatte Deutschland auch in der Nach-Graf/Becker-Ära einen Top Star. Nummer eins der Welt, Wimbledon-Siegerin, Triumphe bei US Open und Australian Open. Dazu Olympia-Silber. Kerber ist aktuell in der Schwangerschaftspause. Sie will wiederkommen. Am gestrigen Mittwoch hatte Kerber Geburtstag. Mit nunmehr 35 Jahren ist auch sie im Herbst ihrer Karriere. Andrea Petkovic, Julia Görges und Sabine Lisicki bildeten mit Kerber ein Quartett der „goldenen Generation“. Petkovic und Görges haben ihre Laufbahn beendet. Die von vielen Verletzungen geplagte Lisicki will noch mal angreifen.
Gleichwohl: die Zukunft des deutschen Tennis muss andere Namen tragen. Jule Niemeier zum Beispiel: 23 Jahre alt, Nummer 69 der Weltrangliste. Die Dortmunderin lieferte in der ersten Runde der Australian Open der Weltranglistenersten Iga Swiatek einen großen Kampf, verlor trotzdem in zwei Sätzen. Es waren letztlich Kleinigkeiten in den entscheidenden Momenten, die das Pendel gegen sie ausschlagen ließen.
Barbara Rittner, die Chef-Bundestrainerin der Frauen im DTB, fand immer gut, „dass sich Angie, Petko und Sabine gegenseitig gepusht haben“. Konkurrenzdruck unter Kolleginnen, das setzte Kräfte frei, machte besser. In diesem Miteinander und Gegeneinander lernten sie diese Kleinigkeiten, diese Nuancen, die über das Besiegen und Siegen entscheiden.
Aber Alexander Zverev und Jule Niemeier haben keine nationale Konkurrenz, sind um Klassen besser als ihre deutschen Mitstreiter. Bei den Frauen gibt es eine gewissen Vorfreude auf das denkbare Entfalten von Potenzial bei Eva Lys. Die 19-Jährige hatte sich tapfer durch die Qualifikation gespielt. Aber in der ersten Runde ging sie nach einen 1:0-Satzführung noch mit 0:6 und 2:6 gegen die spanische Mit-Qualifikantin Cristina Busca unter. „Kopfsache“, wertete hernach der Vater von Lys. Schade. Was kommt da noch? Schwer zu sagen.
Zverev fällt aktuell aus einer breiten Bewertung heraus. Nach seiner siebenmonatigen Verletzungspause wird er noch lange benötigen, dass schon gezeigte Weltklasse-Niveau zu erreichen: „Ich nehme viel Positives mit aus Melbourne. Aber es fehlt auch noch sehr viel.“ Vor allem Kraftaufbau und Spielpraxis: „Gut, dass es noch drei Monate bis zum nächsten Grand-Slam-Turnier sind“, sagt er. Das sind die French Open in Paris. Dort zog er sich im Halbfinale des Vorjahres gegen Rafael Nadal die so komplexe Sprunggelenks-Verletzung zu.
Pech, Verletzungen, Formkrisen und schlechte Auslosungen als Grund?
Nadals PR-Manager Perez Barbadillo fällt bei seiner Analyse der deutschen Tennis-Tristesse auf, dass aktuell vor allem Spielerinnen und Spieler aus Nationen erfolgreich sind, in denen bei schönem Wetter dauerhaft draußen gespielt und trainiert werden kann. Daher war sein Rat „kommt nach Mallorca“ zwar launig dahingesagt, aber mit einem durchaus ernsten Hintergrund.
Doch sind es wirklich Klima und damit verbundene Trainingsbedingungen, die das deutsche Tennis aktuell so trübe ausschauen lassen? Oder ist der so triste Ist-Zustand das Resultat einer längeren Mängelliste – bei den Profis und den Funktionären?
Michael Kohlmann, der Bundestrainer der Herren, trifft sich mit tennis MAGAZIN an Platz 15 auf der Anlage der Australian Open. Fast symbolisch. Ganz hinten, im Abseits, weit weg von den großen Matches der großen Stars. Er fliegt am Freitag wieder nach Deutschland. Und wenn seine Sorgen in einen Koffer gepackt werden müssten, dann würde Handgepäck nicht ausreichen. Am 3. und 4. Februar geht es in Trier im Davis Cup gegen die Schweiz.
Nach den Resultaten von Melbourne ist keiner der von Kohlmann nominierten Profis in Bestform. Alexander Zverev nicht, Oscar Otte nicht, Jan-Lennard Struff nicht, Tim Pütz nicht. Der fünfte Nominierte steht noch nicht fest. „Im Davis Cup haben einige unserer Spieler schon öfter bessere Leistungen gezeigt als bei den großen Turnieren“, sagt Kohlmann.
Und warum ist das so, Herr Kohlmann? Er holt aus, spricht von Pech, Verletzungen, Formkrisen, schlechten Auslosungen und, und, und. Doch dann stellt er fest: „Im Fußball sagt Bundestrainer Hansi Flick auch nicht den Bundesliga-Trainern, wie sie zu trainieren haben.“
Nationale Turniere als wichtige Basis
Kohlmann kritisiert öffentlich weder Spieler noch Trainer. Lobt sogar explizit, wie exzellent zum Beispiel ein Daniel Altmaier (24) betreut wird – und wie sehr er dem Tennis alles unterordnet. Oscar Otte, hier in Melbourne vom chinesischen Qualifikanten Juncheng Shang in vier Sätzen zeitweise geradezu vorgeführt, „fehlt einfach mal ein Erfolgserlebnis, damit es wieder aufwärts geht. Deshalb ist es auch gut, dass er jetzt in Belgien ein Challenger-Turnier spielt.“ Mut holen gegen schwächere Gegner also.
Ein Sorgenkind ist auch Jan-Lennard Struff, der sein Potenzial schon seit geraumer Zeit nicht abruft. Kurzum: Zu praktisch jedem Spieler gibt es eine eigene Geschichte des Versagens, des Scheiterns, des Stagnierens, des Nachlassens. Aber Kohlmann sieht auch ein strukturelles Problem: „Wir haben in Deutschland in der Spitze eine gute Turnier-Landschaft für ATP und WTA. Uns fehlen Challenger- und Future-Turniere. Aber diese kosten Geld und man braucht Veranstalter.“ Dem pflichtet Perez-Barbadillo bei: „Diese Turniere sind eine ganz wichtige Basis. In Spanien haben wir sehr viele, das hilft ungemein.“
Siegemund: „Arschbäckle zusammenkneifen und weitermachen“
Fazit: Deutschland hat aktuell eine Generation von Spielerinnen und Spielern, für die die ganz großen Titel und Triumphe unerreichbar scheinen. Ausnahme Zverev – wenn er wieder fit wird. Beim DTB wissen sie um dieses Mangel. Und freuen sich, dass es zumindest im Jugendbereich gut aussieht. So bis zum 14. Lebensjahr. Da gibt es mitunter schöne Erfolge zu feiern.
Allerdings: Die aktuell bei den Australian Open so abgeschmetterte deutsche Riege hatte im Teenager-Alter mitunter auch zu größeren Hoffnungen Anlass gegeben. Hoffnungen, die enttäuscht wurden. Laura Siegemund, im Einzel die letzte deutsche Vertreterin in Melbourne, war nie eine Spielerin für die ganz großen Siege. Aber sie ist seit 2006 Profi und hat zudem das Studium der Psychologie abgeschlossen. Sie sagte gestern in Melbourne über ihre eigene Leistung und Einstellung: „Manchmal hilft auch – einfach Arschbäckle zusammenkneifen und weitermachen.“ Das ist generell im Leistungssport und Leben eine gute Idee. Da muss dann auch Wetter, Belag, Konkurrenz, Kollegenschar egal sein.
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