US Open Stories: Grönefelds zweite Karriere
Irgendetwas muss der Tenniscoach Dirk Dier mit ihr angestellt haben. Wie hat er es nur hinbekommen, dass seinem Schützling Anna-Lena Grönefeld solch ein Comeback gelingt? Nach fast neunmonatiger Auszeit vom Profitennis verlor sie erst kein Spiel in der Bundesliga, gewann vier Turniere auf der kleineren ITF-Tour und steht jetzt als letzte Deutsche im Achtelfinale der US Open.
Was ich mit ihr gemacht habe?, wiederholt Dier belustigt die Frage. Eigentlich nichts besonderes, sagt er dann, überlegt kurz und fügt etwas leiser hinzu: Vielleicht habe ich ihr einfach klar machen können, dass Tennis ein Spiel ist. Man könnte jetzt fünf Euro für das Phrasenschwein von dem ehemaligen Profispieler verlangen denn so platt klingt sein Erfolgsgeheimnis für die wieder gewonnene Stärke Grönefelds. Doch wer die 23-Jährige an diesen Tagen bei den US Open hat spielen sehen, muss dem Coach zustimmen. Grönefeld wirkt befreit, fast schon losgelöst. Und das sieht man ihrem Spiel auch an. Okay, nach wie vor dominieren knallharte Grundlinienschläge und ein exzellenter Aufschlag ihre Taktik. Aber immer öfter blitzt ein neuer Spielwitz auf: Hohe Bälle für plötzliche Rhythmuswechsel, eingestreute Stopps, gemeine Winkel, gut vorbereitete Netzattacken noch nie zuvor war Anna-Lena Grönefeld so variabel. Sie hat ihr Spiel weiterentwickelt, so dass sie für ihre Gegnerinnen nur schwer auszurechnen ist, analysiert Fed Cup-Chefin Barbara Rittner.
Ende einer unrühmlichen Partnerschaft
Ausgerechnet bei den US Open erlebt Grönefelds zweite Karriere, wie sie es selbst formuliert, den ersten Höhepunkt. Genau hier kam es vor zwei Jahren zum Bruch mit ihrem damaligen Trainer Rafael Font de Mora. Im August 2006 hatte sie auf einem der Nebenplätze ein Spiel der ersten Runde verloren, während Font de Mora demonstrativ die Zuschauerränge verlassen hatte. Sie sollte seine Abwesenheit als Strafe empfinden. Zunächst nahm die Deutsche ihren Coach noch in Schutz, ein paar Tage später war die Trennung offiziell das Ende einer unrühmlichen Partnerschaft.
Font de Mora hatte Grönefeld regelrecht schikaniert. Er kontrollierte penibel ihr Gewicht, untersagte ihr den Kontakt zu den Eltern und brummte ihr bei schlechten Leistungen oder geringen Gewichtszunahmen Strafeinheiten auf. Im Nachhinein ist es Grönefelds Glück, dass sie von diesem Tyrann loskam, auch wenn die Abnabelung negative Folgen hatte: extreme Gewichtszunahme, schlechte Leistungen, freier Fall in der Weltrangliste. Grönefeld betont, dass sie diese Begleiterscheinungen in Kauf nimmt: Ich habe jetzt ein eigenes Leben das ist am Wichtigsten. Damals bin ich wie ein fremdbestimmter Roboter herumgelaufen. Mehr will sie zu ihrer Vergangenheit nicht sagen. Nur noch: Es ist ein Teil von mir, mit dem ich abgeschlossen habe.
Sie lebt jetzt in einer Welt, in der sich nicht alles nur um Tennis, Tennis und noch einmal Tennis dreht. In Saarbrücken, ihrem Trainingsstandort, hat sie sich eine eigene Wohnung ganz nach meinen Vorstellungen eingerichtet. Dirk Dier und seine Frau Nathalie haben ihr ein Umfeld geschaffen, in dem Grönefeld neue Freunde fand. Ich fühle mich frei, sagt sie.
Die Folgen ihres neuen Lebens: Auf den Courts von New York liefert sie beeindruckende Leistungen. Sechs Matches hat sie hier jetzt schon gewonnen (drei in der Quali, drei im Hauptfeld), ohne einen einzigen Satz abzugeben. Grönefeld weiß zwar, dass sie noch weiter an ihrer Fitness arbeiten muss. Aber auch so überrollt sie ihre Gegnerinnen, allein durch ihre enorme Power. Gegen Hantuchova, Moore und Cornet, alle eher zierliche Spielerinnen, entwickelte Grönefeld einen Druck in ihrem Spiel, als ob ein LKW über kleine Autos hinwegbraust.
„Sie wird bald in den Top 10 stehen“
In ihrem Drittrundenspiel gegen die Französin Cornet hatte Grönefeld eine Phase, in der ihr alles gelang. Symptomatisch waren die Gesten Cornets: Sie stand auf dem Platz, zuckte mit den Schultern und schüttelte ihren Kopf. Als ob sie sagen würde: Was ich auch mache, es bringt nichts gegen diese übermächtige Gegnerin. Am Ende wurde es zwar noch einmal eng (Grönefeld verspielte eine 5:0-Führung, gewann dann 6:4, 7:5), aber für Cornet stand nach dem Match fest: So wie Grönefeld heute teilweise spielte, wird sie bald in den Top 10 stehen.
Grönefeld hat ihr Ranking in wenigen Wochen von Platz 436 auf Position 141 verbessert. Und wenn es in diesem Tempo weitergehen würde, wäre das natürlich toll, gibt sie zu. Ob sie ihr bestes Ranking (Platz 14 im Juni 2006) noch einmal übertreffen könne? Darüber mache ich mir keine Gedanken.
Auch Coach Dier wird nicht konkret. Wir sind voll im Plan und es ist schön, wie viel Spaß Anna-Lena auf dem Platz hat. Darum geht es doch: um Spaß, sagt er. Er dreht sich schon um, verabschiedet sich, als ihm noch einfällt: Das heißt aber nicht, dass wir nicht jeden Tag hart arbeiten. Schon klar. Sonst würde Grönefeld jetzt auch nicht im Achtelfinale gegen Dinara Safina stehen.
Tim Böseler, Redakteur, berichtet täglich in seinem Blog „US Open Stories“ aus New York City
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