Die zwei Gesichter des Pariser Publikums
Das Publikum bei den French Open gilt als speziell. Dies wurde am ersten Turniertag in Paris wieder deutlich. In den Hauptrollen: die Ukrainerin Marta Kostyuk und der Franzose Lucas Pouille.
„Es gibt nur eine Art von Zuschauern, die schlimmer sind als der Franzose, und das sind die Pariser. Sie sagen es ja selbst und es ist wahr – das Pariser Publikum ist ziemlich dumm. Zu wollen, dass jemand verliert, ist eine ziemlich eitle Art, sich selbst zu amüsieren. Es zeigt die Dummheit der Leute, die sich für etwas Besseres halten.“ Rumms! Gesagt von Toni Nadal nach der überraschenden Niederlage seines Neffen Rafael Nadal bei den French Open 2009 im Achtelfinale gegen Robin Söderling. Nadal sprach das aus, was viele denken: Das Publikum bei den French Open ist das unfairste, das es gibt. Entweder man mag die leidenschaftliche Art der Pariser mit dem schmalen Grat zwischen Unterstützung und Unsportlichkeit oder man mag sie nicht. Viel dazwischen gibt es nicht. Die zwei Gesichter des Pariser Publikums sind nicht jedermanns Sache.
Leconte über Pariser Publikum: „Es war der Horror”
„Es ist eine Schande Eine Schande. Wir haben ein Publikum, das keine Sportkultur hat“, sagte Julien Benneteau im Jahr 2015, als Stan Wawrinka im Halbfinale der French Open gegen Lokalmatador Jo-Wilfried Tsonga gnadenlos ausgepfiffen wurde. „Ich geniere mich für das französische Publikum“, meinte daraufhin Henri Leconte, der selbst weiß, dass sich das Pariser Publikum auch mal gegen einen Franzosen richten kann. Im Finale der French Open 1988 wurde aus dem vielleicht schönsten Tag in der Karriere von Leconte der schlimmste, als er bei der Dreisatzniederlage gegen Mats Wilander von den Zuschauern ausgebuht wurde. „Bei der Pressekonferenz wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Ich war so beschämt, dass die Zuschauer mich ausgebuht hatten. Es war der Horror. Die Leute haben mich sogar vorm Matchende ausgebuht. Sie haben einfach nicht gesehen, was an Arbeit dahintersteckt, an körperlicher Arbeit, und wie man mental leidet“, sagte Leconte.
Buhrufe gegen Marta Kostyuk
In der ersten Runde der diesjährigen French Open hat das Pariser Publikum wieder seine zwei Gesichter gezeigt. Als die Ukrainerin Marta Kostyuk nach der Niederlage gegen die Belarussin Aryna Sabalenka den obligatorischen Handschlag verweigerte, pfiff das Publikum auf dem größten Platz der Anlage, dem Court Philippe-Chatrier, gnadenlos gegen Kostyuk. Dabei sollte jedem Tennisinteressierten vorher klar gewesen sein, dass es zu keinem Handschlag kommen würde. Dies hatte Kostyuk bereits vor dem Match betont, dass sie Spielerinnen aus Russland und Belarus nicht mehr die Hand reichen werde.
Dies ist auch gängige Praxis bei den anderen ukrainischen Spielern und Spielerinnen. So wie bei Elina Svitolina. Doch anders als bei Svitolina, die einen Tag zuvor in Straßburg ihren ersten WTA-Titel als Mutter gewann, im Finale gegen die Russin Anna Blinkova, wurde Svitolina anders als Koytyuk frenetisch gefeiert, statt ausgebuht. Vielleicht liegt es daran, dass Svitolina mit dem Franzosen Gael Monfils verheiratet ist und als halbe Französin betrachtet wird. Vielleicht liegt es aber auch am Straßburger Publikum, das anders als das Pariser Publikum, ein Gespür für Feinfühligkeit besitzt.
Kostyuk: „Die Leute sollten sich aufrichtig schämen”
Kostyuk wollte auf der Pressekonferenz nach den Buhrufen des Publikums eigentlich nicht näher auf das Verhalten eingehen, tat es dann aber doch. „Ich will Leute in zehn Jahren sehen, wie sie darauf reagieren, wenn der Krieg vorbei ist. Ich denke, sie werden sich nicht wirklich gut fühlen wegen dem, was sie machten. Die Leute sollten sich aufrichtig schämen. Aber das ist nicht meine Entscheidung“, sagte die 20-jährige Ukrainerin.
Marta Kostyuk said she does not respect Aryna Sabalenka:
“To reject her responsibility of having an opinion on the most important things in the world, I cannot respect that. She said I hate her. I never said I hate her, I just don’t respect her”
— The Tennis Letter (@TheTennisLetter) May 28, 2023
Dass sie Gegnerinnen aus Russland und Belarus nicht die Hand reichen wolle, verteidigte sie. „Ich habe gesagt, dass ich es nicht mache, und verstehe nicht, warum die Leute denken, ich würde plötzlich meine Sicht ändern.“ Kostyuk sendete nach der 3:6, 2:6-Niederlage gegen Sabalenka eine Botschaft an die Belarussin. „Sie wird vielleicht hier die Nummer eins der Welt, in einer der bekanntesten Sportarten der Welt. Nur indem sie etwas ausspricht, kann sie schon eine Botschaft senden“, sagte Kostyuk über die riesengroße Reichweite, die Sabalenka als Nummer zwei der Welt in der populärsten Sportart bei den Damen hat. Dass Sabalenka immer wieder öffentlich gegen den Krieg ausspreche, reiche ihr nicht, meinte Kostyuk. Vielmehr sollen Journalisten Spielerinnen aus Russland und Belarus direkt fragen, wen sie sich als Sieger im Krieg wünschen.
Marseillaise mit Lucas Pouille auf Court 14
Sein zweites Gesicht, das emotionale, leidenschaftliche und pathetische, zeigte das Pariser Publikum nach den Buhrufen gegen Kostyuk viele Stunde später, als der Franzose Lucas Pouille in der Abenddämmerung sein Erstrundenmatch gegen den Österreicher Jurij Rodionov gewann. Anschließend feierte Pouille mit den Zuschauern seinen ersten Grand-Slam-Sieg im Hauptfeld seit vier Jahren. Gemeinsam wurde auf Court 14 die Nationalhymne, die Marseillaise, gesungen. Gänsehaut, viel mehr ging nicht! Auch das ist das Pariser Publikum, das manchmal ein Gespür besitzt für den Leidenskampf seiner heimischen Spieler.
🇫🇷🇫🇷🇫🇷@la_pouille I #RolandGarros pic.twitter.com/wNb6nvMJnE
— FFT (@FFTennis) May 28, 2023
Denn Pouille, ehemals Nummer zehn der Welt, fiel in den letzten Jahren in ein großes Loch und sprach ganz offen über seine Depressionen. „Ich begann, eine dunklere Seite zu haben, und ich geriet in eine Depression, die mich dazu brachte, eine Stunde pro Nacht zu schlafen und alleine zu trinken. Ich versank in etwas Gruseliges. Für meine geistige Gesundheit habe ich mit dem Tennis aufgehört. Sonst wäre ich in einer Anstalt gelandet“, sagte er. In Paris hat sich Pouille über die Qualifikation ins Hauptfeld gespielt. Bereits der Sieg im Quali-Finale, auch hier spielte er gegen den Österreicher Rodionov, wurde bereits ausgelassen zelebriert auf dem Court 14. Der Erstrundensieg von Qualifikant Pouille gegen Lucky Loser Rodionov toppte dies noch mal. „Die Energie war überragend. Es waren so viele tolle Emotionen“, sagte Pouille über das Publikum. Nach der zweiten Runde will Pouille wieder auf Court 14 mit dem Pariser Publikum die Marseillaise singen.Air Jordan 1 Outlet Store online | cheap nike jordan 1 low