Carina Witthöft: „Es ist unnötig, Angst zu haben“
Wie sieht das Leben von Carina Witthöft nach ihrem Rücktritt aus? Wie blickt sie heute auf ihre Karriere zurück? Und gibt es eine Chance auf ein Comeback? tennis MAGAZIN hat bei der 28-Jährigen nachgefragt.
Fotos: Jahr Media/Julian Jankowski
Sie galt als eines der vielversprechendsten Talente im deutschen Tennis, hatte 2017 ihren ersten WTA-Titel gewonnen und stand bereits unter den Top 50 im WTA-Ranking. Dennoch entschied sich Carina Witthöft mit 24 Jahren dazu, ihre Karriere vorerst auf Eis zu legen. 2019 sagte sie im tennis MAGAZIN-Interview: „Es ist definitiv nicht so, dass ich sage, ich werde nie wieder Profiturniere spielen. Es ist aber auch noch nicht so, dass ich mich bereit fühle, auf ein nächstes Turnier hinzuarbeiten. Ich nehme mir die Zeit, die ich brauche.“
Eigentlich plante Witthöft, wieder auf die Tour zurückzukehren. Mal um Mal hatten sich ihre Comebacks verschoben, bis sie sich komplett von der Tour zurückzog. Stattdessen hat die nun 28-Jährige einen neuen Weg eingeschlagen. In ihrer Heimat Hamburg hat sie sich selbstständig gemacht und erwartet nun ihr erstes Kind. tennis MAGAZIN hat Carina Witthöft getroffen. Im Interview spricht sie darüber, was sie zu ihrem Karriereende bewogen hat, den Umgang mit Druck und wie ihr neues Leben aussieht.
Außerdem: Carina Witthöft im tennis MAGAZIN-Filmporträt
Carina Witthöft war professionelle Tennisspielerin, bis sie 24 Jahre alt war. Dann beendete sie überraschend ihre Karriere. Sie war gefangen zwischen zwei Ebenen: Glück und Angst. Wie sie die Angst überwunden hat, erfahrt ihr im Filmporträt.
Carina Witthöft: „Es war die beste Zeit in meinem Leben“
Carina, welche Bedeutung hat Tennis für dich?
Tennis hat eine große Bedeutung für mich. Ich spiele seit über 20 Jahren Tennis, habe meine Leidenschaft zum Beruf gemacht und bin bis heute im Tennis aktiv.
Was hast du aus deiner Profi-Karriere mitgenommen?
Das war mit die beste Zeit in meinem Leben. In den Jahren habe ich unheimlich viel gesehen und gelernt. Gleichzeitig war es eine intensive Zeit. Ich hatte viele positive als auch negative Emotionen. Dadurch dass man in kürzester Zeit unfassbar viel erlebt, durchlebt man auch einige Tiefen. Das macht das Ganze so intensiv, aber auch besonders und emotional. Es ist nicht so ein 08/15-Ding. Es ist verbunden mit Aufregung und absolut emotionalen Up and Downs.
Was waren die Highlights deiner Karriere?
Wenn ich erst mal anfange zu erzählen, kann ich wahrscheinlich nicht mehr aufhören. Es sind unglaublich viele aufregende und spannende Dinge passiert. Ein großes Highlight: als ich bei den US Open gegen Serena Williams gespielt habe. Sie ist eine unglaubliche Sportlerin. Sie war, als ich klein war, mein absolutes Vorbild. Früher habe ich vor dem Fernseher gesessen und für sie mitgefiebert. Dann habe ich auf einmal gegen sie gespielt – bei einem Grand Slam, in den USA, im Arthur Ashe Stadium, in der Night-Session. Das war der Wahnsinn.
Carina Witthöft: „Ich stand ständig unter Stress“
Wie geht man mit den steigenden Herausforderungen und dem steigenden Druck im Profi-Alltag um?
Der Druck steigt, je höher man steht. Es ist schwer, das zu ignorieren. Man bekommt es mit, wenn man mehr im Fokus steht und die Leute mehr erwarten. Man erwartet selbst mehr von sich. Ich musste Wege finden, das auszublenden oder zu relativieren, um diese Erwartungen nicht so hoch zu bewerten. Jeder geht damit anders um. Mir ist es nicht leichtgefallen und ich bin an meine Grenzen gekommen. Das sind aber alles Erfahrungen und Privilegien: mehr im Fokus zu sein, mehr Druck zu verspüren. Man sollte versuchen, das positiv zu sehen.
Wie bist du damit umgegangen?
Ich hatte das Glück, dass ich Leute hatte, – also mein engster Kreis, Familie, ein paar enge Freunde – mit denen ich immer reden konnte, die ein offenes Ohr hatten. Sie haben versucht, mir den Druck zu nehmen und nicht noch mehr Druck aufzubauen. Es gibt bestimmt auch viele, bei denen das engste Umfeld den Druck ausübt. Das war bei mir eher das erweiterte Umfeld, das den Druck aufgebaut hat oder ich selbst. Aber ich war immer sehr froh, dass mein engstes Umfeld bemüht war, mir den Druck zu nehmen. Aber alles abnehmen können sie einem nicht.
Du hast davon gesprochen, dass du an deine Grenzen gekommen bist. Was waren deine Grenzen und wie hast du es gemerkt?
Ich finde es schwer, zu definieren, wo der Druck am Ende wirklich herkommt. Gemerkt habe ich es, indem ich einfach durchgehend unter Stress stand. Ich hatte immer eine gewisse Grundanspannung, in Bereichen, in denen die nicht viel zu suchen hat. Ich war deutlich häufiger verletzt. Davor war ich nicht wirklich verletzungsanfällig. Man merkt, dass das zusammenhängt, wenn man nicht frei ist im Kopf, Angst hat, angespannt ist, der ganze Körper verkrampft und nicht mehr richtig im Flow ist.
Carina Witthöft: „Es ist unnötig, Angst zu haben“
Vor was hattest du Angst?
Das ist eine gute Frage. Denn wenn man ehrlich ist, ist es so unnötig, Angst zu haben. Eigentlich braucht man sie nicht. Aber ich hatte Angst vorm Verlieren, Angst davor schlechte Kritik zu bekommen, den Ansprüchen nicht gerecht zu werden – sowohl den eigenen als auch denen von Außenstehenden. Da spreche ich aber, glaube ich, nicht nur für mich allein. So geht es nahezu allen – unterschiedlich ausgeprägt natürlich.
Wenn du heute auf deine Profi-Karriere zurückblickst: Würdest du sagen, dass du der Typ bist, der dafür gemacht ist, Profi-Spielerin zu sein?
Schwierige Frage. Irgendwo bin ich auf jeden Fall dafür gemacht, sonst hätte ich es auch nicht so weit geschafft. Aber ich bin eben an meine Grenzen gekommen. Ich denke, es gibt Leute, die noch mehr dafür gemacht sind als ich. Bis zu einem gewissen Grad bin ich ein Typ dafür, dafür hat es mir viele Jahre lang viel zu viel Spaß gemacht und da habe ich zu erfolgreich für gespielt.
Du hast vor einigen Jahren noch in den Top 50 gestanden. Was würdest du sagen braucht es, um dort zu spielen?
Meines Erachtens braucht es, um in die Top 50 zu kommen, hauptsächlich Fleiß, Ehrgeiz und auch ein gewisses Talent. Das Wichtigste ist, dass du Tag für Tag am Ball bleibst. Das ist wie ein normaler Job, den du Tag für Tag ausführst, fünf, sechs, sieben Tage die Woche. Man darf keine Ausreden finden, wenn man mal müde ist, Wehwehchen hat – das gehört mit dazu. Es gibt immer Phasen, in denen es nicht so gut läuft, man nicht gut drauf ist oder nicht gut spielt, davon darf man sich aber nicht runterziehen lassen. Man muss an das Positive glauben, dass es eben gut wird.
Carina Witthöft: „Möchte keine Sekunde meines Lebens unglücklich sein“
Hattest du Rituale auf oder neben dem Platz?
Ich habe bewusst versucht, mich davon freizumachen. Wenn ich Anflüge bekommen habe, irgendetwas Bestimmtes zu machen oder dasselbe zu essen, wenn ich gewonnen habe, habe ich sofort gesagt: „Carina, hör auf damit, das ist Quatsch.“ Ich wollte vom Kopf her nicht zu festgefahren werden. Ich brauchte immer diese Freiheit, diese Lockerheit. Da haben Rituale nicht reingepasst. Ich habe bewusst gegengesteuert, wenn ich gemerkt habe, ich will mich gerade an etwas festhalten.
Was hat dich dazu bewegt, einen neuen Weg einzuschlagen?
Das Negative hat überhandgenommen – zu viel für die Ansprüche, wie ich mein Leben führen möchte. Ich möchte keine Sekunde meines Lebens unglücklich sein oder Sachen machen, die mich super doll stressen. Ein gewisser Stress gehört mit dazu, keine Frage. Aber ich habe den Spaß verloren. Das soll nicht sein, denn einen gewissen Spaß soll man behalten, egal, was man tut. Sonst ist man falsch. Der Zeitpunkt plus die Verletzungen, das war ein Zusammenspiel aus mehreren Sachen. Für mich war es an der Zeit, eine Pause einzulegen, Abstand zu gewinnen, mich zu sammeln, neu zu sortieren. Das hat sich am Ende als „Aufhören“ herauskristallisiert, weil ich wirklich meinen Weg gefunden habe. Jetzt bin super ausgeglichen und happy, habe keinerlei Verletzungen, Wehwehchen oder Problemchen.
Carina Witthöft: „Es ist schön, alles mit Abstand zu betrachten“
Was hat dir während Ihrer Profi-Karriere gefehlt, dass du dich nach einem anderen Leben gesehnt haben?
Gefehlt hat mir diese Konstante. Ich war schon immer gerne zu Hause. Mit zu Hause meine ich nicht, dass ich gerne zu Hause hocke. Sondern in Hamburg, wo ich meinen Alltag habe, meine Freunde und Familie regelmäßig sehen kann. Das genieße ich jetzt unheimlich. Im Profi-Alltag ist das nicht möglich. Was mir auch gefehlt hat: den Kopf mal vollständig freizubekommen. Nicht diesen dauerhaften Druck zu verspüren, diesen Leistungsdruck, nach dem Motto: „ich muss jetzt performen“. Wenn man nicht performt, denkt man immer, es passiert irgendwas, man bekommt eine schlechte Kritik oder man enttäuscht irgendjemanden. Es ist eigentlich total sinnlos so zu denken. Aber das waren normale Gedankengänge.
Wie sieht dein Alltag heute aus?
Ich habe mich vergangenes Jahr mit meiner eigenen kleinen Tennisakademie auf der Anlage meines Vaters in Hamburg selbstständig gemacht. Diese Akademie habe ich ganzheitlich aufgebaut. Das heißt, hier werden Yoga, Ernährung, Fitness, Mentalcoaching und natürlich Tennis vereint. Ich selbst gebe Tennistraining, bin beim Yoga mit dabei und organisiere das Ganze. Dann habe ich nebenher noch Werbeverträge. Dafür investiere ich täglich ein paar Stunden. Nebenbei habe ich mich noch für die Bundesliga im Sommer vorbereitet. Im Winter spiele ich Regionalliga.
Heute kannst du als Außenstehende auf die Profi-Tour und den ganzen Tennis-Zirkus schauen. Wie siehst du das jetzt?
Bei mir sind fast nur positive Sachen hängen geblieben. Ich habe unglaubliche Erfahrungen gesammelt, die ich so wahrscheinlich niemals irgendwo gehabt hätte. Ich habe viel gelernt, Erfolge gefeiert, die einfach toll sind. Aber es ist auch schön, alles jetzt mit Abstand zu sehen und unemotional zu beobachten.
Carina Witthöft: „Jetzt beginnt ein neuer Lebensabschnitt für mich“
Fehlt dir etwas aus dem Profi-Leben?
Manchmal ja, definitiv. In vielen Situationen auch nicht. Sonst hätte ich aber auch nicht aufgehört. Ich hatte die Möglichkeit wieder zu starten. Aber ich habe gemerkt, dass es an der Zeit war, etwas anderes zu machen. Manche Sachen wie der Wettkampf oder die Grand Slams fehlen mir. Die großen Turniere sind tolle Erfahrungen gewesen, Mega-Events. Aber im Alltag genieße ich das sehr, ohne den Leistungs- und Trainingsdruck und ohne immer von Turnier zu Turnier zu hetzen.
Wenn du heute an Tennis denkst, verspürst du noch Druck?
Manchmal schon. Mir fällt es schwer, komplett auf null zu setzen. Ich habe viele Punktspiele gespielt, auch Bundesliga, wo ich wirklich gefordert war. Da verspüre ich noch Druck, obwohl ich keinen haben müsste. Am Ende interessiert es quasi niemanden. Aber da merke ich selbst, dass ich diesen Druck von früher übernommen habe und ihn nicht ausschalten kann.
Du hast vorhin erwähnt, wie wichtig dir deine Familie und Freunde sind…
Mein Umfeld hat schon immer eine große Rolle in meinem Leben gespielt. Ich bin in einer harmonischen Familie groß geworden. Wir haben alle ein sehr gutes Verhältnis. Auch meine Freunde sind mir sehr wichtig. Das alles ist mir nach wie vor wichtig und es wird wahrscheinlich immer wichtiger.
Wichtiger wird es vermutlich durch deine Schwangerschaft. Was wird das in deinem Leben verändern?
Da wird sich einiges verändern. Aber ich bin bereit dafür und freue mich unglaublich darauf. Gleichzeitig ist es eine Umstellung. Manche Dinge habe ich etwas unterschätzt. Das ist ein Prozess, in dem man sich erst anpassen muss. Es ist ein neuer Lebensabschnitt für mich. Ich bin mir sicher, dass das eine Wahnsinns-Zeit wird und auch schon ist.
Carina Witthöft: „Habe den größten Respekt vor Serena Williams“
Was hast du unterschätzt?
Da ich eben aus dem Profi-Leistungssport komme, gab es früher für mich keine Ausreden. Es gab nie eine Grenze, außer ich war wirklich schlimm verletzt. Auch bei Wehwehchen habe ich weitergemacht. Jetzt merke ich, dass ich mehr auf meinen Körper hören muss, was ich vorher nicht getan habe und es nicht brauchte. Ich brauche mehr Pausen, mehr Erholung. Ich habe auch gedacht, dass ich die Punktspiele normal weiterspielen kann. Das war nicht so (lacht).
Du kannst aktuell einen guten Vergleich zu Serena Williams ziehen, die schwanger die Australian Open gewonnen hat.
Sie hat meinen höchsten Respekt dafür. Das ist unglaublich. Jede Schwangerschaft verläuft anders, deshalb kann man das nie pauschal sagen. Ich kann nur sagen, dass ich mich danach nicht gefühlt hätte (lacht).
Wie stellst du dir deine Zukunft vor?
Meine Zukunft stelle ich mir mit einer recht großen Familie vor – wenn es nach mir ginge, muss es nicht bei einem Kind bleiben. Ich möchte nebenbei meine Ziele und Träume im Beruflichen verwirklichen. Also vieles unter einen Hut bringen. Meine Selbstständigkeit möchte ich weiterführen und die Werbeaufträge weitermachen.
Carina Witthöft: Wie stehen die Chancen auf ein Comeback?
Inwieweit möchtest du dem Tennis verbunden bleiben?
Noch sehr lange, weil ich gerade erst meine Selbstständigkeit in dem Bereich angefangen habe. Tennis ist einfach ein Teil von mir. Aktuell kann ich mir ein Leben ohne Tennis nicht vorstellen. Außerdem möchte ich, sobald ich wieder kann, Punktspiele spielen. Das peile ich im nächsten Jahr oder im Winter an.
Gibt es noch Optionen für ein Comeback auf der Profi-Tour?
Ich sage immer „sag niemals nie“. Aber das ist eine Sache, in der ich mich bedeckt halten möchte. Ich habe keine Pläne – das schon mal vorweg, nicht dass da jetzt jemand etwas falsch heraushört. Aber Stand jetzt ist es nicht geplant. Man weiß nie, was kommt. Erst mal sehen die Pläne anders aus.
Wenn du heute jemandem einen Ratschlag geben könntest, den du vor ein paar Jahren gebraucht hättest, wie würde der lauten?
Jeder sollte viel mehr auf sich selbst hören und seiner eigenen Stimme folgen. Ganz viele Leute wissen im Inneren, was für sie richtig ist. Aber man lässt sich oft von außen leiten, durch Emotionen, Ängste, Sorgen. Das hat nicht nur etwas mit dem Profisport zu tun. Jeder sollte seinen eigenen Weg gehen, sein Glück selbst in die Hand nehmen und das nicht anderen überlassen. Am Ende musst du für dich deine Entscheidung treffen. Die kann dir keiner abnehmen. Du möchtest ja schließlich glücklich sein. Jeder ist für sein Glück selbst verantwortlich.