Hamburg: Das deutsche Tennis lebt!
Es war eine spannende, emotionale und vor allem zufriedenstellende Woche bei den Hamburg European Open 2023 für Tennisfans. Gleich drei Endspiele mit deutscher Beteiligung gab es sowie ein unfassbar lautes und volles Stadion. Einen Wermutstropfen gibt es trotzdem.
Schon vor Beginn der Turnierwoche am Hamburger Rothenbaum war Turnierdirektorin Sandra Reichel überaus euphorisch: „Das wird die perfekte Turnierwoche“, prophezeite sie. Dass die Veranstalter ihr Turnier natürlich bewerben und den Tennisfans und Medienvertretern das Event schmackhaft machen müssen, ist klar. Aber Reichel war sich mehr als sicher, dass in diesem Jahr alles anders, alles besser werden würde als in den Jahren zuvor.
Dabei standen die Zeichen für sie und ihr Team der Agentur „MatchMaker“ zu Beginn nicht ganz so rosig. Die einzige Top-20-Spielerin, die in der Damenkonkurrenz des Combined-Events gemeldet war, Daria Kasatkina, sagte zwei Tage vor Start ab. Auch Jan-Lennard Struff, der in den vergangenen Monaten sein wohl bestes Tennis spielte, musste verletzungsbedingt passen. Die freigewordenen Plätze im Hauptfeld füllten die Veranstalter dann mit Wildcards an deutsche Profis auf – mit Erfolg, wie sich später zeigte.
Insgesamt waren 24 deutsche Profis konkurrenzübergreifend am Start. Heißt: bei den Damen, Herren, im Einzel, Doppel und in der Qualifikation. Da kann man schon mal die Hoffnung haben, dass einige im Feld weit vorrücken. Aber auch die internationale Konkurrenz war bemerkenswert gut aufgestellt. Casper Ruud und Andrey Rublev waren die Vertreter aus den Top Ten. Ebenfalls gespielt hat Vorjahressieger Lorenzo Musetti und die Geheimfavoriten der Turnierdirektorin Andrea Petkovic: der 19-jährige Arthur Fils aus Frankreich und der chinesische Rekordjäger Zhizhen Zhang. Mit Donna Vekic und Mayar Sherif waren auch in der Damenkonkurrenz hochkarätige Spielerinnen dabei.
Die größten Karriere-Erfolge der deutschen Damen
Dass es dann trotz der wirklich gut besetzten Konkurrenzen zu deutschen Festspielen am Rothenbaum kam, ist umso erstaunlicher. Man könnte es aber auch anders formulieren: Vielleicht ist das deutsche Tennis doch mehr am Leben, als der ein oder andere Tennisfan oder Experte in den letzten Monaten kritisierte. Mit Jule Niemeier, Eva Lys und Noma Noha Akugue schafften es drei deutsche Damen, alle unter 24 Jahre alt, bis ins Viertelfinale. Niemeier setzte sich nicht nur gegen Kollegin Ella Seidel, sondern auch gegen die an Position sechs gesetzte Yulia Putintseva durch.
Für eine der größten Überraschungen sorgte dann Eva Lys. Die 21-Jährige war selbst bei der Auslosung dabei und musste dort bis zum bitteren Ende warten, als sie der an zwei gesetzten Sherif zugelost wurde. Taffe Erstrundenpartie, aber Lys freute sich dennoch. „Dann kann ich sehen, wo ich mit meinem Tennis stehe, wenn ich gegen eine so gut platzierte Gegnerin spiele“, sagte sie im Anschluss an die Auslosung.
Wo sie dann wirklich mit ihrem Tennis steht, zeigte sie mit ihrem 6:1, 6:1-Sieg über die Top-40-Spielerin. Und ihr zweites Match ging ebenso souverän weiter. 6:4, 6:1 siegte sie auf dem Centre Court am Rothenbaum gegen Panna Udvardy und stand somit im Viertelfinale. „Ich bin ein bisschen müde, aber wie fühlt man sich schon nach dem größten Erfolg seiner Karriere?“, sagte sie hinterher schmunzelnd. Gegen die Niederländerin Arantxa Rus war dann allerdings im Viertelfinale Schluss. 2:6, 2:6 lautete das klare Ergebnis gegen die spätere Turniersiegerin.
Noma Noha Akugue: Beim ersten WTA-Turnier ins Finale
Auf das erfolgreiche Abschneiden von Lys setzte ihre 19-jährige Teamkameradin Noma Noha Akugue dann noch einen drauf. Per Wildcard spielte sich die gebürtige Reinbekerin (bei Hamburg) bis ins Endspiel. Das Erstaunliche: Noha Akugue stand in Hamburg zum ersten Mal überhaupt in einem WTA-Hauptfeld. Dementsprechend gewann sie hier auch ihr erstes WTA-Match. Mit WTA-Ranking 207 war sie deshalb auf eine Wildcard des Veranstalters angewiesen.
In ihrem Viertelfinale gegen die Italienerin Martina Trevisan, French-Open-Finalistin von 2022, hatte die deutsche Meisterin von 2020 noch mit ihrer Nervosität zu kämpfen. In den Pausen versteckte sie sich unter ihrem Handtuch auf der Spielerbank, zwischen den Ballwechseln drehte sie sich zur Bande. Als es dann zum Halbfinale endlich auf den Centre Court ging, war bei Noha Akugue nichts mehr von Aufregung zu spüren. Souverän setzte sie sich gegen ihre ebenfalls 19-jähirge Kontrahentin Diana Shnaider aus Russland mit 6:3, 6:3 durch. „Wir sind mega happy, eine Lokalmatadorin im Finale – was kann man sich mehr wünschen?“, sagte Turnierdirektorin Reichel im Anschluss. Zum Titel reichte es zwar nicht, aber im ausverkauften Stadion zeigte Noha Akugue gegen Rus auch im Endspiel, wie gut sie mit den Top-100-Profis mithalten kann. „Ich bin einfach stolz auf mich“, so die 19-Jährige in der Abschluss-Pressekonferenz. Das kann sie auch sein, denn mit ihrem Finaleinzug katapultiere sie sich von Rang 207 auf 142.
Alexander Zverev mit Heimsieg
Den Titelgewinn holten dann aber das deutsche Doppel Kevin Krawietz/Tim Pütz sowie Alexander Zverev im Einzel für Deutschland nach. Bei seiner sechsten Teilnahme in Hamburg, zweimal erreichte er zuvor das Halbfinale, schaffte Hamburger Alexander Zverev dann endlich den lang ersehnten Heimsieg. Seit seiner Verletzung in Paris 2022 und einem eher zähen Comeback holte der 26-Jährige ohne Satzverlust den Titel am Rothenbaum. Mit seinem Olympia-Sieg 2021 sei das Gefühl des „Heimsiegs“ zwar nicht zu vergleichen, dennoch war Zverev mehr als zufrieden. „Diese Woche ohne einen Satzverlust ein 500er-Turnier zu gewinnen, ist schon okay. Ich finde, dass ich vom Level her besser als in Paris gespielt habe“, sagte er nach dem Sieg. In Paris erreichte Zverev in diesem Jahr das Halbfinale.
Ähnlich zufrieden schienen auch Kevin Krawietz und Tim Pütz, die in Hamburg ihren ersten gemeinsamen Titel holten – ebenfalls ohne Satzverlust. Seit Beginn des Jahres steht das Doppel nun zusammen bei der ATP-Tour auf dem Platz. Seitdem erreichten sie zwei Endspiele und das Halbfinale in Wimbledon. „Bei so einer Atmosphäre ein so großes Turnier wie Hamburg zu gewinnen, ist etwas ganz Besonderes“, so Krawietz. Mit der Unterstützung der Familien – sowohl Pütz als auch Krawietz hatten Frau, Kinder und Verwandte mitgebracht – sei es noch schöner, den Erfolg zu feiern.
„Die perfekte Turnierwoche“ – aber ein tränendes Auge
Natürlich ist das Veranstalter-Team um Sandra Reichel mehr als zufrieden über die Erfolge der Deutschen. Doch auch alles rund um die Matches lief in diesem Jahr nach Plan. Zwar machte das Wetter in Hamburg seinem Namen alle Ehre, aber auch diesen erschwerten Bedingungen trotzten die Reichels. „Die ganze harte Arbeit der vergangenen Jahre hat sich ausgezahlt“, sagte die Turnierdirektorin. Was sie meint: Sie und ihr Vater Peter Michael Reichel haben das Event in Hamburg in den vergangenen Jahren auf ein neues Level gehoben. Nicht nur das Stadion und die ganze Turnierstätte haben sie mit Hilfe der Stadt Hamburg erneuern lassen. Auch dass die Damen mittlerweile parallel zu den Herren spielen, ist Familie Reichel zu verdanken. Mit dem Slogan „Grand Slam-Feeling am Rothenbaum“ schmücken die Veranstalter ihr Event mittlerweile. Dass Damen- und Herren parallel spielen, gibt es sonst nämlich nur bei Grand Slam-Turnieren und wenigen anderen internationalen Events – in Deutschland aber nicht.
Tennisturnier am Rothenbaum: Ein großes Fragezeichen hinter der Zukunft
Am Samstag und Sonntag war das Stadion ausverkauft, die Stimmung laut, ausgelassen und dennoch fair, allen Spielern gegenüber. „Ich weiß nicht, wer in diesem Universum das möglich gemacht hat, aber danke“, freute sich Turnierdirektorin Reichel über die erfolgreiche Turnierwoche. Trotz des gelungenen Events ist Reichel sich auch bewusst, dass sie im nächsten Jahr nicht genauso daran anknüpfen kann. Denn ab 2024 heißt der neue Veranstalter des ATP-500-Events „Tennium“, ein belgisches Unternehmen.
Ob es also im kommenden Jahr weiterhin ein kombiniertes Damen- und Herrenturnier geben wird, ist noch unklar. Die Reichels kündigten Gespräche mit dem neuen Veranstalter an. Denn die Rechte des Damenturniers liegen weiterhin in der Hand der „MatchMaker“-Agentur. Eigene Pläne für die kommenden Jahre hat Familie Reichel dennoch. Sie wollen das Turnier spätestens ab 2025 auf das WTA-500er-Level hieven. „Diese Bewerbung befindet sich jetzt im Prozess, sagte Chairman Peter Michael Reichel.
Genaue Termine für das nächste Damenturnier in Hamburg gibt es auch hinsichtlich von Olympia 2024 noch nicht. Das Herrenturnier findet in der Woche nach Wimbledon statt. Hinter dem kommenden Jahr steht also für das WTA-Event ein großes Fragezeichen.