Verletzungen und Comebacks auf der Tennistour
Rückkehr mit Hindernissen. Nach einer schweren Verletzung ist der Weg zurück zur alten Form oft beschwerlich. tennis MAGAZIN wirft einen Blick auf große Comebacks und erklärt, von welchen Faktoren ihr Verlauf abhängig ist.
Sie beeinflussen das Leben eines Sportlers wie kaum etwas anderes: Verletzungen. Wer so wie Tennisprofis tagtäglich auf einen komplett intakten Körper angewiesen ist, den stellen Muskelprobleme, Bänderrisse, Sehnenentzündungen oder lädierte Gelenke stets vor die bange Frage: Wann kann ich wieder zurück auf den Court? Nichts ist ihnen wichtiger als das Comeback, um schnell die alte Form zu finden und keine Zeit zu verlieren. Doch einfach ist eine Rückkehr selten.
„Die Komplexität einer Verletzung ist grundsätzlich von drei Faktoren abhängig: Art der Verletzung, Ort der Verletzung und Schwere der Verletzung. Je höher die Vielschichtigkeit einer Verletzung, desto länger wird die Ausfallzeit“, erklärt Uwe Liedtke, schon seit mehr als zehn Jahren Physiotherapeut von Jan-Lennard Struff. Liedtke ist kein Schnacker, sondern einer, der direkt auf den Punkt kommt. Er will gerne Auskunft zum Thema „Comebacks“ geben, ohne dabei aber auf bestimmte Profis explizit einzugehen. Selbst zu diesem Schritt sind viele seiner Kollegen nicht bereit. tennis MAGAZIN-Anfragen beantworteten die meisten „Physios“, die auf der Tour unterwegs sind, entweder gar nicht oder mit dem Hinweis, sie dürften darüber nicht sprechen – Ansage vom Management des zu betreuenden Profis.
Verletzungen & Comebacks: Man muss geduldig sein
Warum manche Profis schneller zurückkommen als andere ist also vor allem eine Frage der Verletzungsdiagnose. Logisch. „Erfahrungsgemäß dauert es bei Hand-, Ellenbogen- oder Schulterverletzungen am längsten, bis ein Spieler wieder sein altes Level erreicht. Problem: Er kann länger keine Bälle schlagen. Ist jemand am Sprunggelenk verletzt, ist zwar sein Bewegungsapparat eingeschränkt, aber er kann recht schnell wieder einen Schläger in die Hand nehmen und behält so besser das Gefühl für den Ball“, erläutert Liedtke. Legendäres Beispiel ist Thomas Muster, der 1989 mit kaputtem Knie auf einem Spezialgestell – halb liegend, halb sitzend – Bälle schlug. Auch Alexander Zverev stand nach seiner schweren Bänderverletzung 2022 schon relativ schnell wieder auf dem Platz – dank eines Spezialstiefels, der seinen Knöchel schützte. Bei einer Blessur am Handgelenk, wie sie Dominic Thiem 2021 erlebte, ist hingegen mehr Geduld gefragt, bis der Griff zum Schläger wieder möglich ist.
„Am schwierigsten für einen verletzten Tennisprofis ist es, seine Ungeduld im Zaum zu halten“, sagt auch Davis Cup-Teamchef Michael Kohlmann. Er habe es, so Kohlmann, schon öfter erlebt, dass Profis zu schnell zurückkamen, ohne die erforderliche Basis dafür mitzubringen. Auch Alexander Zverev wollte bei seiner Rückkehr zu schnell zu viel. Als er seine Bänderverletzung überwunden hatte und beim Davis Cup-Heimspiel im September 2022 in Hamburg auflaufen wollte, stoppte ihn ein Knochenödem im Fuß. Ein klares Indiz für eine Überbelastung. „Ich habe im Training wohl einfach schon zu viel gemacht“, räumte Zverev ein, der seine Comebackpläne auf Anfang 2023 verschieben musste.
Der finanzielle Background spielt eine Rolle
Rückschläge in der Aufbauphase nach einer Verletzung sind normal – und man sollte sie als Profi auch einkalkulieren. Doch das tun die Wenigstens von ihnen. Denn: Verletzungen gänzlich auszukurieren, bedeutet für die Profis, dass sie ihren Job länger nicht ausüben können und länger kein Geld verdienen. Diesen Luxus kann sich nicht jeder leisten. „Der finanzielle Background spielt bei Ausfällen eine große Rolle“, sagt Kohlmann. Heißt: Topspieler, die schon mehrere Millionen Preisgeld eingenommen haben, können sich mehr Zeit lassen als der Durchschnittsprofi, der auf jeden Euro achten muss.
„Profis, die sich noch nicht so viel Preisgeld erspielen konnten, haben einen höheren Druck, möglichst schnell auf den Court zurückkehren zu müssen“, weiß auch Physio Liedtke. Ein weiterer wichtiger Faktor, ob ein Comeback zügig und erfolgreich verlaufen kann, ist der Zeitpunkt der Verletzung innerhalb einer Profilaufbahn. Liedtke erklärt: „Wenn jemand schon viel erreicht hat, kann er es gelassener angehen. Verletzt sich jemand kurz vor dem Erreichen eines großen Ziels, ist das Comeback ein ganz anderes.“ Wieder muss man an Alexander Zverev denken, dessen Bänder genau in dem Moment rissen, als er das beste Tennis seines Lebens spielte und sogar die Nummer eins der Welt hätte werden können. „So etwas kriegt man nur ganz schwer wieder raus aus dem Kopf“, sagt Teamchef Kohlmann. Umso erstaunlicher sei es, dass Zverev sich jetzt, ein gutes halbes Jahr nach seinem Wiedereinstieg, wieder seiner alten Form annähert und sogar das Halbfinale in Paris erreichte.
Die Fabel-Comebacks von Stich und Federer
Was aber ist mit Fabel-Comebacks wie dem von Michael Stich 1995? Als Stich sich in Wien 1995 die Bänder riss – TV-Zuschauer von damals werden sich mit einem Schaudern daran erinnern –, siegte er nur vier Monate später beim Turnier in Antwerpen. Oder Federer? Der nahm 2016 eine halbjährige Verletzungspause, kam Anfang 2017 zurück und siegte gleich bei den Australien Open. Das, so der einhellige Tenor, seien Phänomene, die heute kaum noch möglich sind (Stich) und wenn doch, dann gelingt so etwas nur absoluten Ausnahmeathleten (Federer).
„Der normale Profi braucht einfach Matchpraxis, das ist ein absolutes Muss. Noch wichtiger aber ist die nächste Off-Season, um sich optimal auf die kommende Saison vorzubereiten“, meint Liedtke. Sein Schützling Jan-Lennard Struff ist dafür ein gutes Beispiel. Struff brach sich Ende März 2022 in Miami den großen Zeh des rechten Fußes – weil er aus Frust gegen eine Bande trat. Er musste knapp zwei Monate aussetzen. Eigentlich ein überschaubarer Zeitrahmen, in dem Liedtke „den Jan“ vor allem körperlich fit halten musste.
Als Struff dann zurückkam, gewann er bei vier Rasenturnieren nur ein Match. Das hieß: Der Druck, endlich wieder gewinnen zu müssen, stieg gleich in mehrfacher Hinsicht: Struff brauchte Punkte für die Weltrangliste, um nicht weiter abzurutschen. Und er brauchte Siege, um Matchpraxis zu bekommen. Auch wenn er zwischenzeitlich auf der Challenger-Tour einige Erfolge feierte (Titel in Braunschweig, Finale in Bergamo), ging es abwärts für ihn – bis auf Platz 168 im Ranking. Was ihn aus dieser Negativspirale wieder rausholte? „Die intensive Vorbereitung auf die neue Saison in der Off-Season auf Teneriffa“, betonte Struff in Madrid 2023, als er bis ins Finale des Masters-Events vorstieß – sein bislang größter Karriereerfolg. Erst auf Teneriffa hätte er sich in die körperliche Verfassung bringen können, die für die erweiterte Weltspitze auf der ATP-Tour erforderlich sei.
Verletzungen: Welche Rolle spielen mentale oder persönliche Probleme?
„Ein Comeback zu planen, ist für einen Physio auch ein Glücksspiel. Man muss genau die richtigen Punkte erwischen, sonst droht die Gefahr einer Fehlbelastung und die Verletzungspause verlängert sich“, gibt Liedtke zu. Wann kann der Spieler wieder zurück auf den Platz, wie hoch dürfen die Umfänge am Anfang sein? Dafür gibt es keine Blaupausen, höchstens Erfahrungswerte. Aber selbst auf die kann man sich nicht immer verlassen, weil jeder Profi individuell auf die gesetzten Reize reagiert.
Wenn dann noch mentale oder persönliche Probleme zu einer verletzungsbedingten Zwangspause hinzukommen, wird es erst recht kompliziert. Ein Aspekt: Motivationsprobleme. „Die mentale Grundeinstellung eines Athleten ist natürlich ein Faktor. Wer schon eher satt ist, dem fällt eine Rückkehr unter Umständen schwerer“, sagt Liedtke. Große Triumphe führen nicht automatisch zu noch mehr Erfolgen. Eine Erfahrung, die Dominic Thiem nach seinem Sieg bei den US Open 2020 machen musste.
„Ich bin danach in ein Loch gefallen“, gab Thiem schon im April 2021 zu. Kurz danach verletzte er sich am Handgelenk. Er pausierte, kam um eine OP herum und sucht bis heute nach seiner Form. Im April 2023 war er zwischenzeitlich aus den Top 100 gefallen. Nach dem Erstrundenaus in Paris sagte er, dass er erst seit sechs Wochen wie ein Profi trainieren würde.
Rafael Nadal sind solche Probleme anscheinend fremd. Kein anderer Profi kam so oft und so erfolgreich nach seinen vielen Verletzungen zurück auf die Tour. Und wer, wenn nicht er, kann es schaffen, für seine Abschiedstournee 2024 wieder fit zu werden? Denn: Nadal ist nicht nur der „King of Clay“, er ist auch der „König des Comebacks“. Und der ist eben einmalig.
Die Verletzungen und Comebacks der Profis im Überblick
Thomas Muster
Verletzung: Knie
Thomas Muster, damals 21 Jahre alt, stand im April 1989 im Finale von Key Biscayne, als er am Abend zuvor von einem Auto umgefahren wird. Diagnose: Riss der Seiten- und Kreuzbänder seines linken Knies.
Comeback
„Aufgegeben wird nur ein Brief!“ Getreu seines Mottos kämpft sich Muster schnell zurück. Legendär sind seine Schlageinheiten auf einem Spezialgestell (s. Foto oben). Im September 1989 bestreitet er sein erstes Turnier nach der Verletzung.
Roger Federer
Verletzung: Knie
Badewannenunfall: Roger Federer wollte nur das Badewasser für seine Zwillingstöchter einlassen – da machte es Klick im Knie, Meniskusschaden. Die Saison 2016 war seine schlechteste seit 2000.
Comeback
Perfekter Kaltstart: Federer setzte ein halbes Jahr aus, schlug dann beim Hopman Cup auf und legte bei den Australian Open 2017 einen Traumlauf hin, um seinen 18. Grand Slam-Titel zu holen.
Michael Stich
Verletzung: Knöchel
Jeder, der die TV-Bilder sah, wird sie nie vergessen: Wie Michael Stich in Wien 1995 umknickte, war einfach nur furchtbar. Diagnose: Außenbandriss und eine beschädigte Kapsel. Auf einer Trage trug man ihm vom Court.
Comeback
Nach nur vier Monaten Pause gewann Stich im Februar 1996 das Turnier in Antwerpen. In Roland Garros hatte er dann sogar die Chance auf seinen zweiten Grand Slam-Titel, aber Stich verlor das Endspiel gegen Yevgeny Kafelnikov 6:7, 5:7, 6:7.
Rafael Nadal
Verletzung: Knie
Die „Hoffa-Krankheit“ im linken Knie setzte Rafael Nadal 2012 zu. Schmerzen in der Patellasehne zwangen ihn zum vorzeitigen Saisonabbruch.
Comeback
Nach 222 Tagen kehrte Nadal im Februar 2013 in Chile zurück auf den Court. Später gewann er in Paris und New York.
Novak Djokovic
Verletzung: Ellenbogen
Nach langwierigen Problemen am Ellenbogen zog Novak Djokovic 2017 in Wimbledon die Notbremse und beendete die Saison. Lange wehrte er sich gegen eine OP („Körper sind selbstheilende Maschinen“), aber im Januar 2018 unterzog er sich einem Eingriff.
Comeback
Richtig Fahrt nahm Djokovic 2018 erst auf Rasen auf: Finale in Queen‘s, Titel in Wimbledon. Danach holte er bei den US Open seinen 14. Grand Slam-Pokal und beendete das Jahr als Nummer eins.
Andre Agassi
Verletzung: Handgelenk
1997 war für Andre Agassi ein Seuchenjahr. Zu seinen ständigen Schmerzen im Handgelenk kamen mentale Probleme hinzu. Folge: Absturz im Ranking
bis auf Position 141.
Comeback
1999 wurde zu seinem Erfolgsjahr: Zum ersten Mal in einer Saison holte er sich zwei Grand Slam-Titel (Paris, New York) und war am Jahresende die Nummer eins der Welt.
Dominic Thiem
Verletzung: Handgelenk
Schreckmoment auf Mallorca 2021: Dominic Thiem verletzte sich am rechten Handgelenk (Einriss in der Sehnenscheide und der Gelenkkapsel) – die Saison war vorbei.
Comeback
Nach 280 Tagen Pause kehrte Thiem im März 2022 zurück, doch gute Resultate blieben aus. Im Mai 2022 flog er erstmals seit acht Jahren aus den Top 100. Thiem machte auch Motivationsprobleme für das bis heute anhaltende Formtief verantwortlich.
Alexander Zverev
Verletzung: Knöchel
Alexander Zverev konnte in Roland Garros 2022 die Nummer eins der Welt werden – und riss sich im Halbfinale gegen Rafael Nadal sieben Bänder im rechten Knöchel, von denen drei operiert wurden.
Comeback
Anfang 2023 kassierte Zverev viele frühe Niederlagen und suchte länger nach seiner Form. Erst in Paris gewann er mehr als drei Matches bei einem Turnier und erreichte das Halbfinale – Talsohle durchschritten.