2022 French Open – Day Thirteen

Heftige Schmerzen: Alexander Zverev knickte im Halbfinale von Paris 2022 gegen Rafael Nadal um. Bild: Getty Images

Verletzungen und Comebacks auf der Tennistour

Rückkehr mit Hindernissen. Nach einer schweren Verletzung ist der Weg zurück zur alten Form oft beschwerlich. tennis MAGAZIN wirft einen Blick auf große Comebacks und erklärt, von welchen Faktoren ihr Verlauf abhängig ist.

Sie beeinflussen das Leben eines Sportlers wie kaum etwas anderes: Verletzungen. Wer so wie Tennisprofis tagtäglich auf einen komplett intakten Körper angewiesen ist, den stellen Muskelprobleme, Bänderrisse, Sehnenentzündungen oder lädierte Gelenke stets vor die bange Frage: Wann kann ich wieder zurück auf den Court? Nichts ist ihnen wichtiger als das Comeback, um schnell die alte Form zu finden und keine Zeit zu verlieren. Doch einfach ist eine Rückkehr selten.  

„Die Komplexität einer Verletzung ist grundsätzlich von drei Faktoren abhängig: Art der Verletzung, Ort der Verletzung und Schwere der Verletzung. Je höher die Vielschichtigkeit einer Verletzung, desto länger wird die Ausfallzeit“, erklärt Uwe Liedtke, schon seit mehr als zehn ­Jahren Physio­therapeut von Jan-Lennard Struff. Liedtke ist kein Schnacker, sondern einer, der direkt auf den Punkt kommt. Er will gerne Auskunft zum Thema „Comebacks“ geben, ohne dabei aber auf bestimmte ­Profis explizit einzugehen. Selbst zu diesem Schritt sind viele seiner Kollegen nicht bereit. tennis MAGAZIN-Anfragen beantworteten die meisten „Physios“, die auf der Tour unterwegs sind, entweder gar nicht oder mit dem Hinweis, sie dürften darüber nicht sprechen – Ansage vom Management des zu betreuenden ­Profis. 

Verletzungen & Comebacks: Man muss geduldig sein

Warum manche Profis ­schneller zurückkommen als andere ist also vor allem eine Frage der Verletzungsdiagnose. Logisch. „­Erfahrungsgemäß dauert es bei Hand-, Ellenbogen- oder Schulterverletzungen am längsten, bis ein Spieler wieder sein altes Level erreicht. Problem: Er kann länger keine Bälle schlagen. Ist jemand am Sprunggelenk verletzt, ist zwar sein Bewegungs­apparat eingeschränkt, aber er kann recht schnell wieder einen Schläger in die Hand nehmen und behält so besser das Gefühl für den Ball“, ­erläutert Liedtke. Legendäres Beispiel ist Thomas Muster, der 1989 mit kaputtem Knie auf einem Spezialgestell – halb liegend, halb sitzend – Bälle schlug. Auch ­Alexander Zverev stand nach seiner schweren Bänder­verletzung 2022 schon relativ schnell wieder auf dem Platz – dank eines Spezial­stiefels, der seinen Knöchel schützte. Bei einer ­Blessur am Handgelenk, wie sie Dominic Thiem 2021 erlebte, ist ­hingegen mehr Geduld gefragt, bis der Griff zum Schläger wieder möglich ist. 

„Am schwierigsten für einen verletzten Tennisprofis ist es, seine Ungeduld im Zaum zu halten“, sagt auch Davis Cup-Teamchef Michael Kohlmann. Er habe es, so Kohlmann, schon öfter erlebt, dass ­Profis zu schnell zurückkamen, ohne die erforderliche Basis dafür mitzubringen. Auch Alexander Zverev wollte bei seiner Rückkehr zu schnell zu viel. Als er seine Bänderverletzung überwunden hatte und beim Davis Cup-Heimspiel im ­September 2022 in Hamburg auflaufen wollte, stoppte ihn ein Knochenödem im Fuß. Ein ­klares Indiz für eine Überbelastung. „Ich habe im Training wohl einfach schon zu viel gemacht“, räumte Zverev ein, der seine Comebackpläne auf Anfang 2023 verschieben musste.

Der finanzielle Background spielt eine Rolle

Rückschläge in der Aufbauphase nach einer Verletzung sind normal – und man sollte sie als Profi auch einkalkulieren. Doch das tun die Wenigstens von ihnen. Denn: Verletzungen gänzlich auszukurieren, bedeutet für die Profis, dass sie ihren Job länger nicht ausüben können und länger kein Geld verdienen. Diesen Luxus kann sich nicht jeder leisten. „Der finanzielle Background spielt bei Ausfällen eine große Rolle“, sagt Kohlmann. Heißt: Topspieler, die schon mehrere Millionen Preisgeld eingenommen haben, können sich mehr Zeit lassen als der Durchschnittsprofi, der auf jeden Euro achten muss.

„Profis, die sich noch nicht so viel Preisgeld erspielen konnten, haben einen höheren Druck, möglichst schnell auf den Court zurückkehren zu müssen“, weiß auch ­Physio Liedtke. Ein weiterer wichtiger ­Faktor, ob ein Comeback zügig und erfolgreich verlaufen kann, ist der Zeitpunkt der Verletzung innerhalb einer Profi­laufbahn. Liedtke erklärt: „Wenn jemand schon viel erreicht hat, kann er es gelassener angehen. Verletzt sich jemand kurz vor dem Erreichen eines großen Ziels, ist das Comeback ein ganz anderes.“ Wieder muss man an Alexander Zverev denken, dessen ­Bänder genau in dem Moment rissen, als er das beste Tennis seines Lebens spielte und sogar die Nummer eins der Welt hätte werden können. „So etwas kriegt man nur ganz schwer ­wieder raus aus dem Kopf“, sagt Teamchef Kohlmann. Umso erstaunlicher sei es, dass Zverev sich jetzt, ein gutes halbes Jahr nach seinem Wiedereinstieg, ­wieder seiner alten Form annähert und sogar das Halbfinale in Paris erreichte.

Die Fabel-Comebacks von Stich und Federer

Was aber ist mit Fabel-Comebacks wie dem von Michael Stich 1995? Als Stich sich in Wien 1995 die Bänder riss – TV-Zuschauer von damals werden sich mit einem Schaudern daran erinnern –, siegte er nur vier Monate später beim Turnier in Antwerpen. Oder Federer? Der nahm 2016 eine halbjährige Verletzungspause, kam Anfang 2017 zurück und siegte gleich bei den ­Australien Open. Das, so der ­einhellige Tenor, seien Phänomene, die heute kaum noch möglich sind (Stich) und wenn doch, dann gelingt so etwas nur absoluten Ausnahme­athleten (Federer). 

„Der normale Profi braucht einfach Matchpraxis, das ist ein absolutes Muss. Noch wichtiger aber ist die nächste Off-Season, um sich optimal auf die ­kommende Saison vorzubereiten“, meint Liedtke. Sein Schützling Jan-Lennard Struff ist dafür ein gutes Beispiel. Struff brach sich Ende März 2022 in Miami den großen Zeh des rechten Fußes – weil er aus Frust gegen eine Bande trat. Er musste knapp zwei Monate aussetzen. Eigentlich ein überschaubarer Zeitrahmen, in dem Liedtke „den Jan“ vor allem körperlich fit halten musste.

Als Struff dann zurückkam, gewann er bei vier Rasenturnieren nur ein Match. Das hieß: Der Druck, endlich wieder gewinnen zu müssen, stieg gleich in mehrfacher Hinsicht: Struff brauchte Punkte für die ­Weltrangliste, um nicht ­weiter ­abzurutschen. Und er brauchte Siege, um Matchpraxis zu bekommen. Auch wenn er zwischenzeitlich auf der ­Challenger-Tour einige Erfolge feierte (Titel in Braunschweig, Finale in Bergamo), ging es abwärts für ihn – bis auf Platz 168 im ­Ranking. Was ihn aus dieser Negativ­spirale wieder rausholte? „Die intensive Vorbereitung auf die neue Saison in der Off-Season auf Teneriffa“, betonte Struff in Madrid 2023, als er bis ins Finale des Masters-Events vorstieß – sein bislang größter Karriere­erfolg. Erst auf Teneriffa hätte er sich in die körperliche Verfassung bringen können, die für die erweiterte Weltspitze auf der ATP-Tour erforderlich sei. 

Verletzungen: Welche Rolle spielen mentale oder persönliche Probleme?

„Ein Comeback zu planen, ist für einen Physio auch ein Glücksspiel. Man muss genau die richtigen Punkte erwischen, sonst droht die Gefahr einer Fehlbelastung und die Verletzungspause verlängert sich“, gibt Liedtke zu. Wann kann der Spieler wieder zurück auf den Platz, wie hoch dürfen die Umfänge am Anfang sein? Dafür gibt es keine Blaupausen, höchstens Erfahrungswerte. Aber selbst auf die kann man sich nicht immer verlassen, weil jeder Profi indivi­duell auf die gesetzten Reize reagiert. 

Wenn dann noch mentale oder persönliche Probleme zu einer verletzungs­bedingten Zwangspause hinzukommen, wird es erst recht kompliziert. Ein Aspekt: Motivationsprobleme. „Die mentale Grundeinstellung eines ­Athleten ist natürlich ein Faktor. Wer schon eher satt ist, dem fällt eine Rückkehr unter Umständen schwerer“, sagt Liedtke. Große ­Triumphe führen nicht automatisch zu noch mehr Erfolgen. Eine Erfahrung, die Dominic Thiem nach seinem Sieg bei den US Open 2020 machen musste. 

„Ich bin danach in ein Loch ­gefallen“, gab Thiem schon im April 2021 zu. Kurz danach verletzte er sich am Handgelenk. Er pausierte, kam um eine OP herum und sucht bis heute nach seiner Form. Im April 2023 war er zwischenzeitlich aus den Top 100 gefallen. Nach dem Erstrundenaus in Paris sagte er, dass er erst seit sechs Wochen wie ein Profi trainieren würde. 

Rafael Nadal sind solche Probleme anscheinend fremd. Kein anderer Profi kam so oft und so erfolgreich nach seinen vielen Verletzungen zurück auf die Tour. Und wer, wenn nicht er, kann es schaffen, für seine Abschiedstournee 2024 wieder fit zu ­werden? Denn: Nadal ist nicht nur der „King of Clay“, er ist auch der „König des Comebacks“. Und der ist eben einmalig.

Die Verletzungen und Comebacks der Profis im Überblick

Thomas Muster

Verletzung: Knie

Thomas Muster, damals 21 Jahre alt, stand im April 1989 im Finale von Key Biscayne, als er am Abend zuvor von einem Auto umgefahren wird. Diagnose: Riss der Seiten- und Kreuzbänder seines linken Knies. 

Thomas Muster, Verletzung

Schnell zurück auf den Platz: Thomas ­Muster beim Schlagtraining auf einem Spezialgestell mit kaputtem Knie im Mai 1989.Bild: Imago

Comeback

„Aufgegeben wird nur ein Brief!“ Getreu seines Mottos kämpft sich Muster schnell zurück. Legendär sind seine Schlageinheiten auf ­einem Spezialgestell (s. Foto oben). Im September 1989 bestreitet er sein erstes Turnier nach der ­Verletzung. 

Thomas Muster

Sein Letzter Titel: 1997 gewann Muster in Key Biscayne – ausgerechnet. 1989 hatte er dort seinen Horrorcrash erlebt.Bild: Getty Images

Roger Federer

Verletzung: Knie

Badewannenunfall: Roger Federer wollte nur das Badewasser für seine Zwillingstöchter einlassen – da machte es Klick im Knie, Meniskusschaden. Die Saison 2016 war seine schlechteste seit 2000. 

Federer, Verletzung

Geknickt: Roger Federer verlor 2016 in Wimbledon gegen Milos Raonic und beendete die Saison – das Knie.Bild: Getty Images

Comeback

Perfekter Kaltstart: Federer setzte ein halbes Jahr aus, schlug dann beim Hopman Cup auf und legte bei den Australian Open 2017 einen Traumlauf hin, um seinen 18. Grand Slam-Titel zu holen.

Federer, Comeback

18. Grand Slam-Titel: 2017 gewann Federer die Australian Open – als Nummer 17 der ­Setzliste. Im Finale bezwang er ­Dauerrivale Rafael Nadal.Bild: Imago

Michael Stich

Verletzung: Knöchel

Jeder, der die TV-Bilder sah, wird sie nie vergessen: Wie Michael Stich in Wien 1995 umknickte, war einfach nur furchtbar. Diagnose: Außenbandriss und eine beschädigte Kapsel. Auf einer Trage trug man ihm vom Court.

Stich, Verletzung

Zum Weggucken: Beim Wiener Hallenturnier 1995 knickte Michael Stich böse um. Die Zeitlupenauf­nahmen davon gingen den TV-Fans unter die Haut und blieben unvergesslich.Bild: Picture-Alliance

Comeback

Nach nur vier Monaten Pause gewann Stich im Februar 1996 das Turnier in Antwerpen. In Roland Garros hatte er dann sogar die Chance auf seinen zweiten Grand Slam-Titel, aber Stich verlor das Endspiel gegen Yevgeny Kafelnikov 6:7, 5:7, 6:7. 

Michael Stich, Comeback

Endspiel in Paris: Stich wollte in Roland Garros 1996 nicht antreten, gewann dann aber sechs Matches.Bild: Getty Images

Rafael Nadal

Nadal

Abgang in Wimbledon 2012: Rafael Nadal nach seiner Niederlage gegen Lukas Rosol.Bild: Getty Images

Verletzung: Knie

Die „Hoffa-Krankheit“ im linken Knie setzte Rafael Nadal 2012 zu. Schmerzen in der Patellasehne zwangen ihn zum vorzeitigen Saisonabbruch.

Comeback

Nach 222 Tagen kehrte Nadal im Februar 2013 in Chile zurück auf den Court. Später gewann er in Paris und New York. 

Nadal, Comeback

Bester Mann 2013: Nadal mit der Trophäe für den Weltrang­listenersten am Ende der Saison.Bild: Getty Images

Novak Djokovic

Djokovic, Verletzung

Schmerzen am Ellenbogen: 2017 musste Novak ­Djokovic in Wimbledon aufgeben.Bild: Getty Images

Verletzung: Ellenbogen

Nach langwierigen Problemen am Ellenbogen zog Novak Djokovic 2017 in Wimbledon die Notbremse und beendete die Saison. Lange wehrte er sich gegen eine OP („Körper sind selbstheilende Maschinen“), aber im Januar 2018 unterzog er sich einem Eingriff. 

Comeback

Richtig Fahrt nahm Djokovic 2018 erst auf Rasen auf: Finale in Queen‘s, Titel in Wim­bledon. Danach holte er bei den US Open seinen 14. Grand Slam-Pokal und beendete das Jahr als Nummer eins. 

Djokovic Comeback

Ein Jahr später: Nach einer ­Ellenbogen-OP im Januar 2018 gewann Djokovic in Wimbledon.Bild: Getty Images

Andre Agassi

Verletzung: Handgelenk

1997 war für Andre Agassi ein Seuchen­jahr. Zu seinen ständigen Schmerzen im Handgelenk kamen ­mentale Probleme hinzu. Folge: Absturz im Ranking
bis auf Position 141. 

Agassi

Tiefpunkt US Open 1997: Nach seinem Achtel­finalaus rutschte Andre Agassi aus den Top 100 und fand sich im November 1997 auf Position 141 wieder.Bild: Imago

Comeback

1999 wurde zu seinem Erfolgsjahr: Zum ersten Mal in einer Saison holte er sich zwei Grand Slam-Titel (Paris, New York) und war am Jahresende  die Nummer eins der Welt.  

Agassi

Höhepunkt 1999: Mit dem Sieg in Paris hatte Agassi alle vier Grand Slam-Events mindestens einmal gewonnen.Bild: Getty Images

Dominic Thiem

Verletzung: Handgelenk

Schreckmoment auf Mallorca 2021: ­Dominic Thiem verletzte sich am rechten Handgelenk (Einriss in der Sehnenscheide und der Gelenkkapsel) – die Saison war vorbei.

Thiem, Verletzung, Comeback

Mit Armschiene: 2021 pausierte Thiem sechs Monate und gönnte seinem lädierten Handgelenk Ruhe.Bild: Imago

Comeback

Nach 280 Tagen Pause kehrte Thiem im März 2022 zurück, doch gute Resultate blieben aus. Im Mai 2022 flog er erstmals seit acht Jahren aus den Top 100. Thiem machte auch Motivationsprobleme für das ­bis heute anhaltende Formtief ­verantwortlich.

Thiem, Comeback

Ochsentour über die ­Dörfer: 2023 muss Dominic Thiem wieder bei Challengern antreten – wie hier im öster­reichischen Mauthausen.Bild: Imago

Alexander Zverev

Verletzung: Knöchel

Alexander Zverev konnte in ­Roland Garros 2022 die Nummer eins der Welt werden – und riss sich im Halbfinale ­gegen Rafael Nadal sieben Bänder im rechten ­Knöchel, von denen drei operiert wurden. 

Zverev, Verletzung, Comeback

Heftige Schmerzen: Alexander Zverev knickte im Halbfinale von Paris 2022 gegen Rafael Nadal um.Bild: Getty Images

Comeback

Anfang 2023 kassierte Zverev viele frühe Niederlagen und suchte länger nach seiner Form. Erst in Paris gewann er mehr als drei Matches bei einem Turnier und erreichte das Halbfinale – Talsohle durchschritten. 

Zverev, Comeback

Keine Lust auf weitere Pleiten: Zverev nach dem Auftaktaus in München 2023.Bild: Getty Images