Yannick Hanfmann: „Meinen Namen habe ich von Yannick Noah”
Er ist einer der deutschen Aufsteiger der ersten Jahreshälfte 2023. Yannick Hanfmann spricht im Interview über seine prägende Zeit als College-Spieler in den USA, die harte Saisonvorbereitung und seine Schwerhörigkeit.
Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 7/2023
Es war einer der Höhepunkte der French Open aus deutscher Sicht. Auf Court 6 rang Yannick Hanfmann in der ersten Runde nach 4:56 Stunden um 23:19 Uhr Ortszeit den Brasilianer Thiago Monteiro nieder – sein erster Sieg in einem Fünfsatzmatch. „Diesen Tag werde ich nie vergessen. So viele Emotionen. Erleichterung, Ungläubigkeit, Freude, Erschöpfung. Ein surreales und geiles Gefühl. Da ist so viel dabei“, kommentierte Hanfmann seinen Sieg. Es war einer der größten Erfolge in der Karriere des 31-jährigen Karlsruhers. Ohnehin spielt Hanfmann das beste Jahr seiner Karriere. Beim Masters-1000-Turnier in Rom erreichte er als Qualifikant das Viertelfinale, schlug dabei mit Taylor Fritz und Andrey Rublev zwei Top-10-Spieler und steht kurz vor dem erstmaligen Einzug in die Top 50. Zeit, um Yannick Hanfmann, der von Geburt an schwerhörig ist, die Bühne, die ihm zusteht, zu geben. Nach seiner Zweitrundenniederlage in Paris gegen Francisco Cerundolo nahm sich Hanfmann Zeit für ein Gespräch mit tennis MAGAZIN.
Herr Hanfmann, mit Anfang 30 spielen Sie so gut wie nie. Würden Sie sich als Spätstarter bezeichnen?
Ein bisschen schon. Den Spätstarter nehme ich gerne, wenn es jetzt noch einen richtigen Start gibt. Mit der Erfahrung bin ich etwas reifer geworden und habe gute Entscheidungen getroffen. Ich würde nicht sagen, dass ich jetzt in der Blüte meiner Karriere bin, aber in einem guten Stadium.
Sie sind nach dem Abitur in die USA aufs College an der University of Southern California in Los Angeles gegangen. Erklären Sie uns diesen Schritt?
Ich habe in meinem Umfeld viele Freunde, die auf einem College waren. Dadurch hat es irgendwie Sinn ergeben. Als ich 2011 Abitur gemacht hatte, war ich noch nicht wirklich bereit für die Profitour. Vor dem letzten Schuljahr habe ich mit meiner Familie entschieden, aufs College zu gehen. Ich habe International Relations studiert, das kann man mit Politikwissenschaften in Deutschland vergleichen. Ich hatte vier Jahre Zeit, mich in den USA weiterzuentwickeln. Daher war der Weg, ans US-College zu gehen, rückblickend völlig richtig.
Wurden Sie in Deutschland nicht entsprechend gefördert?
Das geschah unabhängig vom Fördersystem, weil ich in diesem nie wirklich drin gewesen bin. Ich habe damals wenige Juniorenturniere gespielt. Meine sportliche Heimat war das Landesleistungszentrum in Baden in Leimen. Dort trainierte ich während meiner Schulzeit neben meinem Heimatclub in Karlsruhe. Meine beste Juniorenplatzierung in Deutschland war auch nie so gut. Erst in der U18-Alterklasse war ich zum Abschluss in den Top 5, glaube ich.
Inwieweit hat das College Sie als Mensch und Spieler geprägt?
In den vier Jahren in Los Angeles, in denen man weit entfernt von zu Hause ist, entwickelt man sich als Person schnell weiter. Los Angeles wurde zu meiner zweiten Heimat. Man sammelt so viele Eindrücke, vor allem diesen „american way of life“. Ich war auch schon immer ein Riesenfan der NBA, vor allem von den Dallas Mavericks wegen Dirk Nowitzki, und auch der NFL. Ich habe am Wochenende immer viel Sport konsumiert. Spielerisch habe ich mir durch die College-Zeit die nötige Matchhärte erarbeitet. Man bekommt immer wieder Matches in kurzer Zeit. Die finden zwar alle auf Hartplatz statt, aber die Bedingungen sind immer unterschiedlich. Ich kann mich erinnern, dass wir bei einem Trip ein Spiel in Salt Lake City hatten – in der Halle auf 1.300 Meter Höhe! Am nächsten Tag spielten wir in Arizona in der Wüste. Man muss sich an unterschiedliche Bedingungen immer wieder anpassen. Das ist auf der Profitour genauso. Dadurch habe ich viel gelernt.
Wie war es, als Sie 2012 die US-College-Meisterschaft gewannen?
Wir hatten in jenem Jahr – es war mein erstes an der University of Southern California (USC) – eines der besten College-Teams der Geschichte, unter anderem mit Steve Johnson, der wohl größten Legende im College-Tennis. Ich habe damals an Position fünf gespielt. Als sogenannter Freshman habe ich die Hallenmeisterschaft gewonnen, im Finale haben wir 4:2 gegen Ohio State gewonnen. Im Frühjahr 2013 spielten wir dann auch bei der Freiluftmeisterschaft, den NCAA Championships, um den Titel. Ich habe in den vier Spielen zuvor nicht gewonnen und dabei auch nicht gut gespielt. Im Endspiel habe ich in der finalen Partie dann 7:6 im dritten Satz gewonnen. Das war der Punkt zum Meistertitel! Das sind Erfahrungen und Momente, die ich nie vergessen werde. Jetzt bei den French Open war unter anderem Eric Johnson, mit dem ich vier Jahre auf dem College war, als Zuschauer dabei. Da kommen die Erinnerungen an meine College-Zeit wieder hoch.
Viele Spieler geben sich nach dem College ein bis zwei Jahre Zeit, um auf der Profitour durchzustarten. Wie war es bei Ihnen?
Ich hatte mir kein Zeitlimit gesetzt, auch wenn das Leben auf der Tour einen sehr fordert. Nach dem College-Abschluss habe ich zunächst geschaut, wie ich mein Umfeld strukturieren möchte. Es war für mich früh klar, dass ich nach München gehe. In meinem letzten Jahr auf dem College habe ich durch Beziehungen eine Wildcard für die Qualifikation in Indian Wells bekommen. Dort habe ich gegen Paul-Henri Mathieu, einen ehemaligen Top-20-Spieler, in der ersten Runde gewonnen. Mein späterer Trainer Lars Uebel hat damals mein Match gesehen. Wir haben uns anschließend über das Trainingsumfeld in München ausgetauscht. Nach meinem College-Abschluss habe ich erste Trainingswochen an der SportScheck-Anlage in München absolviert. Das hat gut geklappt. Lars bekam dann einen Job beim Bayerischen Tennis-Verband als Cheftrainer an der TennisBase in Oberhaching. Ich ging ich mit ihm dorthin. Es hat bei mir etwas Zeit gebraucht, aber nicht so viel Zeit, dass ich Jahre auf der Future-Tour verschenkt habe. Wie fast jeder Spieler habe ich mit Future-Turnieren angefangen. Anderthalb Jahre habe ich mich dort konsequent nach oben in der Weltrangliste gespielt. 2017, zwei Jahre nach meinem Abschluss, war schließlich das Jahr meines Durchbruchs als Profi. Beim ATP-Turnier München kam ich als Qualifikant bis ins Viertelfinale. Danach habe ich in Wimbledon erstmals eine Grand Slam-Quali gespielt und beim ATP-Turnier in Gstaad als Qualifikant mein erstes ATP-Finale erreicht.
In den USA steht die Devise „think big“ im Vordergrund. Wie verträgt sich das mit der bescheidenen und bodenständigen Denkweise in Deutschland?
Es passt insofern zusammen, dass in den USA die Sportverrücktheit riesig ist. Da habe ich viel mitgenommen. Auf dem College habe ich mir jede Sportart angeschaut und die Teams von meinem College unterstützt, sei es Wasserball, Volleyball, Basketball oder Softball. Der Zusammenhalt auf dem College ist unglaublich. Dadurch wurde mir einiges an Emotionalität eingeimpft. Der Ami ist manchmal etwas drüber, da bin ich deutlich ruhiger.
Sie haben mittlerweile einen argentinischen Trainer. Wie ist es dazu gekommen?
Seit 2022 arbeite ich mit Pablo Brzecki zusammen. Er hat früher in der Bundesliga für meinen Heimatverein TC Rüppurr Karlsruhe gespielt. Damals war ich Ballkind. Der Kontakt kam durch Ex-Profi Frank Moser zustande, der mich gelegentlich auf der Tour begleitet. Es passt gut, auch wegen der Verbindung zu meiner Karlsruher Heimat.
Sie haben die Saisonvorbereitung in Argentinien absolviert. War dies eine bewusste Entscheidung, um aus der Komfortzone herauszukommen?
Ich habe dies als Möglichkeit gesehen, um mich noch mal zu verbessern und etwas aus mir herauszukitzeln: neue Trainingsphilosophie zu erleben, Trainingsumfänge mit längeren Ballwechseln zu machen. Ja, die drei Wochen in Argentinien haben mich etwas aus der Komfortzone gebracht. Etwas Neues zu erleben, ist immer interessant und bringt dich weiter, auch wenn es eine schlechte Entscheidung gewesen wäre. Ich habe in den letzten Jahren immer darüber nachgedacht, eine Vorbereitung bei warmen Temperaturen zu machen, sei es in Miami oder Teneriffa. Bei meinem neuen Trainerteam war es naheliegend, dass ich die Vorbereitung in Buenos Aires absolviere. Rückblickend war es eine gute Entscheidung, auch wenn meine letzte Saison sehr lang war und die Flugzeit nach Buenos Aires aus Deutschland 13 Stunden beträgt. Ich war Ende November noch beim Davis Cup-Finalturnier in Malaga dabei. Danach gab es einen kurzen Urlaub, anschließend flog ich nach Argentinien zur Vorbereitung, für Weihnachten jettete ich zurück nach Hause. Und danach ging es schon nach Australien. Das war alles ziemlich hektisch. Dass ich bei den Australian Open in der ersten Runde viereinhalb Stunden ohne körperliche Probleme gespielt habe, war wichtig für meinen Kopf, auch wenn ich das Match verloren habe. Diese Erfahrung hat mir bei den French Open enorm geholfen.Dass ich fünf Stunden spielen und dann auch gewinnen kann, war eine wertvolle Erkenntnis. Es zeigt mir, dass mein Team und ich gute Arbeit in Argentinien geleistet haben.
Sie haben die meiste Zeit Ihrer Karriere außerhalb der Top 100 verbracht. Wie kommt man finanziell über die Runden? Die Corona-Zeit muss für Spieler wie Sie sehr hart gewesen sein.
Wir Deutsche haben noch etwas Glück, dass wir mit der Bundesliga die populärste Liga haben. Darüber können wir Einnahmen generieren, die andere Spieler nicht haben. Trotzdem wird es, wenn man die meiste Zeit außerhalb der Top 100 verbringt, finanziell schwer, wenn man sich ein komplettes Team leisten möchte: Trainer, Fitnesstrainer, Physio. Dass ich mit einem argentinischen Privattrainer und einem eigenen Physio reise, war ein Investment in meine Karriere, das ich mir geleistet habe. Ich habe letztes Jahr darüber nachgedacht, ob sich das lohnt. Das Schöne ist, dass es sich voll ausgezahlt hat, weil ich nun deutlich mehr Geld verdient habe und ich die nächsten Wochen und Monate viel besser planen kann. Es hilft enorm zu wissen, dass ich sicher bei den großen Turnieren wie Wimbledon und den US Open dabei bin. Daher leiste ich mir für die nächsten Monate eine volle Betreuung. Meine Ausgaben sind dadurch aber auch höher. Vorher in München war dies etwas einfacher, weil ich durch den Bayerischen Tennis-Verband entsprechend gefördert wurde, sodass es für die Profis nicht
zu teuer wird.
Sie sind von Geburt an schwerhörig und hören auf beiden Ohren nur zu 60 Prozent. Haben Sie mal versucht, mit Hörgerät zu spielen?
Ich habe es mal probiert, aber irgendwann ist das System so überfordert mit all den Begleitumständen. Damit kann ich nicht fünf Stunden spielen.
War Tennis eine Art Therapie für Sie, als Sie jung waren?
Das kann ich nicht wirklich sagen. Ich bin so geboren und aufgewachsen. Mit dem Hörgerät komme ich gelegentlich in eure Welt hinein. Es fühlt sich für mich nicht an, dass ich etwas verpasse. Ich lebe in meiner Welt seit ich denken kann. Und diese ist eben etwas leiser.
Was auffiel: Sie spielen in den Outfits des französischen Ausrüsters Le Coq Sportif, mit denen Yannick Noah 1983 als bislang letzter Franzose in Roland Garros gewonnen hat. Ihr Vorname hat die französische Schreibweise. Hat das etwas mit Noah zu tun?
Ja, tatsächlich. Ich wurde nach Yannick Noah benannt. Er war der Lieblingsspieler meiner Eltern. Le Coq Sportif hatte im Jahr 2017 die Strategie, jeweils einen Spieler aus einem Land zu sponsern, aus Frankreich, Spanien, Italien, Deutschland und so weiter. Damals habe ich das Finale in Gstaad gespielt. Le Coq Sportif ist dann auf mich zugekommen. Das war mega für mich wegen der Verbindung zu Noah. Ich habe ihn leider noch nicht getroffen, zweimal war ich kurz davor. Mit meinem Fünfsatzsieg in der ersten Runde von Paris, 40 Jahre nach Noahs Triumph in Roland Garros, schließt sich für mich ein Kreis.
Vita Yannick Hanfmann
Der Karlsruher, 31, ist von Geburt an schwerhörig. Sein Hörvermögen liegt bei 60 Prozent. Neben Tennis spielte er in seiner Jugend beim Karlsruher SC Fußball. Nach dem Abitur ging er in die USA aufs College an die University of Southern California in Los Angeles. Nach seinem Abschluss fasste er schnell Fuß auf der Profitour. 2014 gewann er bei einem ITF-Turnier in seiner Heimatstadt seinen ersten Profititel. Auf der ATP-Tour erreichte er in Gstaad (2017) sowie Kitzbühel (2022) das Finale jeweils als Qualifikant. 2017 debütierte er für das deutsche Davis Cup-Team im Relegationsspiel in Portugal. 2018 schaffte er den erstmaligen Einzug in die Top 100. Seine bestes ATP-Ranking: 45.