ITF Wahl: Das Duell – von Arnim vs. Haggerty
Am Sonntag wird in Cancun, Mexiko entschieden, wer künftig den Weltverband ITF als Präsident führt. Mit Dietloff von Arnim geht erstmals ein deutscher Kandidat ins Rennen
ITF Wahl: Ausgangslage
Der sportlich wichtigste Termin des Jahres hat wahrscheinlich schon stattgefunden. Carlos Alcaraz schlug Novak Djokovic im Finale von Wimbledon in atemberaubenden fünf Sätzen. Viele glauben, das Match zwischen dem 20-jährigen Weltranglistenersten und dem 24-maligen Grand Slam-Champion sei die Wachablösung gewesen. Einer der tennispolitisch wichtigsten Termine des Jahres steht noch aus. Am Sonntag findet in Cancun, Mexiko, das sogenannte AGM der ITF statt. AGM steht für Annual General Meeting. Die ITF ist die International Tennis Federation. Es ist der Weltverband des Tennis, wobei man darüber streiten kann, ob der Begriff der ITF noch gerecht wird. Längst gilt das Grand Slam-Board, der Zusammenschluss der vier Majorturniere, als das mächtigste Organ im Tennis. Was Durchsetzungskraft angeht, rangiert auch die ATP, die Vereinigung der Spieler und Turniere der Herren, vor der ITF.
Andererseits: Historisch gesehen ist die ITF das Maß aller Dinge. Die Grand Slam-Turniere hatten nicht die Eigenständigkeit von heute, der Davis Cup, den die ITF immer noch organisiert, hatte eine stärkere Bedeutung. Aktuell ist das olympische Tennisturnier eines der wichtigsten Kapitale der ITF.
Was das „AGM“ in diesem Jahr spannend macht: die Wahl des ITF-Präsidenten. Es ist ein klassisches Duell, dazu mit deutscher Beteiligung. Auf der einen Seite der Herausforderer Dietloff von Arnim, zurzeit DTB-Präsident, auf der anderen der Amtsinhaber, der Amerikaner David Haggerty.
ITF Wahl: von Arnim „In einer guten Position“
„Ich sehe mich in einer guten Position, nicht als Außenseiter“, sagt von Arnim. Der Zwei-Meter-Mann sitzt beim Hamburger Turnier mit Blick auf den Centre Court in der DTB-Lounge und nippt an einer Cola Light. Er erzählt, wie es zu der Nominierung kam. Dass man ihn vorgeschlagen habe, weil er die Erfahrung habe, einen großen Verband zu führen – seit Januar 2021 ist er DTB-Chef – und ein Profiturnier zu leiten. Bis 2012 verantwortete von Arnim den World Team Cup in Düsseldorf.
Bekannt wurde seine Kandidatur bei der letzten Hauptversammlung in Glasgow. Von Arnim formuliert es so: „Ich tanze noch nicht lange auf dem Parkett der ITF.“ Den Stallgeruch, den im englischen Roehampton beheimateten Weltverband zu führen, das weiß von Arnim, hat er nicht. Welchem Apparat er vorstehen würde, darüber ist sich der 63-Jährige sehr wohl bewusst. An der Spitze einer rund 130-köpfigen Mannschaft aus haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern steht der ITF-Präsident. Darunter gibt es 13 sogenannte Board Members. Im Gegensatz zu ihrem Chef bekleiden sie ein Ehrenamt.
Der ITF-Präsident ist festangestellt, sein Arbeitsplatz ist London. Sein Gehalt liegt bei etwa 500.000 Euro ohne Boni. Für die Erreichung von soften und harten Zielen, etwa das Akquirieren von guten Sponsoren beim Davis Cup, winken Tantiemen. Die Haupteinnahmequellen der ITF sind Davis Cup, Billie Jean King Cup, Mitgliedsbeiträge, Turniergelder und Datenrechte – es gibt einen Vertrag mit einem Wettanbieter, der dem Verband jährlich einen zweistelligen Millionenbetrag bringt. Das Jahresbudget der ITF beträgt zwischen 80 und 90 Millionen Euro.
Ein Batzen Geld. „Im Vergleich zu den Summen, die die Grand Slam-Turniere generieren, ist es aber überschaubar“, sagt ein Insider. Auf 150 bis 180 Millionen Euro Gewinn vor Steuern werden die jeweiligen Einnahmen in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York taxiert.
ITF Wahl: Wofür steht von Arnim?
Wofür steht von Arnim, sollte er der nächste ITF-Boss werden? Im Gespräch mit ihm fällt oft der Begriff „Grasroot-Tennis“. Die Tennisentwicklung in allen Winkeln der Erde liegt ihm am Herzen. „Wir wollen mehr Tennisspieler weltweit und mehr in den Vereinen“, sagt von Arnim.
Für seine Wahlkampf-Kampagne reiste er nach Asien und zu den Grand Slam-Turnieren nach Melbourne, Paris, Wimbledon und nach New York. „Demokratischer, transparenter und kommunikativer“ müsse der Verband werden, sagte er den nationalen Entscheidungsträgern, bei denen er für sich warb. Von Arnim: „Wir müssen mehr miteinander reden.“ Der Fußball sei viel mehr „united“, als es das Tennis ist. Der „fragmentierte Tennismarkt“ mit den Grand Slams, der WTA, ATP und vielen Organisationen, die bestimmen wollen, sei ein „Riesenproblem“. Den Einfluss, den die ITF über Jahrzehnte verloren hat – das sagt er nicht, aber das kann man zwischen den Zeilen lesen – will er zurückgewinnen.
„Können Sie mir sagen, warum es für Davis Cup und Olympia keine Weltranglistenpunkte gibt?“, fragt von Arnim. Es wäre ein Hebel, um die Wettbewerbe für die Spieler attraktiver zu machen und damit die Wertigkeit der ITF zu unterstreichen.
ITF Wahl: Wer stimmt über die Entscheidung ab?
471 Stimmen werden in Cancun verteilt – wenn alle abstimmen. Es könnte sein, dass Vertreter einiger Nationen die weite Reise nach Mexiko nicht antreten. Rund 160 Länder sind wahlberechtigt. Etwa 50 der 210 Mitgliedsländer sind nicht stimmberechtigt.
Basisdemokratisch geht es nicht zu. Die Grand Slam-Nationen inklusive Deutschland haben die dicksten Stimmenpakete – je zwölf. In den 90er-Jahren bekam Deutschland den Status einer „großen Tennisnation“. Es folgen zehn Länder wie Spanien, Tschechien, Italien, die Schweiz, Kanada oder China mit je neun Stimmen. Nationen wie Thailand, Mexiko, Kroatien oder Serbien haben sieben Stimmen. Fünf Stimmen hat beispielsweise Österreich. Die weiteren Abstufungen sind drei und eine Stimme.
ITF Wahl: Wie stehen die Chancen für von Arnim
Hat von Arnim bei der geheimen Abstimmung überhaupt eine Chance, für vier Jahre in das Spitzenamt der ITF gewählt zu werden? Hört man sich in der Szene um, dann heißt es, ein Amtsinhaber müsse schon goldene Löffel geklaut haben, um abgewählt zu werden. Für David Haggerty wäre es die dritte Amtszeit. Mehr geht nicht, besagen die Statuten. 2027 wäre endgültig Schluss für den 66-jährigen Amerikaner, der in London residiert.
Seine Kritiker sagen, es wären vier weitere Jahre Stillstand. Haggerty mag -fleißig sein. Abends bei ihm im Büro brennt oft noch Licht, wenn die Belegschaft schon zuhause ist. Er kennt alle Vorgänge. Aber den Vorwurf, dass sein Apparat zu behäbig und zu bürokratisch ist, muss er sich immer öfter gefallen lassen. Hinter vorgehaltener Hand heißt es zuweilen, bei seinem früheren Arbeitgeber, dem Sportartikelunternehmen Head, habe er versagt.
„Vor dem Grand Slam-Turnier in Paris“, sagt ein Insider, „sei von Arnim chancenlos gewesen.“ Denn Haggerty hat in allen sechs Regionen der ITF – Europa, Afrika, Asien, Südameria, Mittelamerika und Ozeanien – seine Anhänger. Vor allem die angelsächsische Achse, zu der auch Schweden und Iren zählen, sei auf der Seite Haggertys. Aber nach Wimbledon habe sich die Stimmung gedreht. Auf 60:40 schätzt er die Chancen für Haggerty. Bis zur Wahl könne noch eine Überraschung passieren.
ITF Wahl: Vorkommnisse um Kosmos
Das liegt vor allem am „Multi Million Desaster“ um die Investorengruppe Kosmos. Das vom früheren spanischen Fußballprofi Gerard Piqué geführte Konsortium versprach 2018, den Davis Cup in neue Höhen zu hieven. Drei Milliarden Dollar sollten in 25 Jahren in den Teamwettbewerb fließen.
Das Projekt scheiterte grandios. Der Vertrag mit Kosmos ist aufgelöst, Piqué & Co. zahlen nicht mehr. Weil jedes Jahr rote Zahlen gemacht wurden und Kosmos seine Versprechungen nicht einhielt, griff die ITF auf die hinterlegten Bankgarantien zurück. Es geht um 45 Millionen Euro, die Kosmos von der ITF zurückfordert. Inzwischen liegt der Fall beim CAS, dem Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne. Ende offen.
ITF Wahl: von Arnim: „ich möchte keinen rückwärtsgewandten Wahlkampf“
Kratzer beim Amtsinhaber gab es auch bei einer ITF-Abstimmung über die „Tennis Variations“ Padel, Pickleball und Touch Tennis. Haggerty wollte die Trendsportarten in die Tennisfamilie integrieren – und scheiterte krachend. 60 Prozent votierten dagegen. Dass beim gleichen Meeting E-Sports in die ITF aufgenommen wurde, kam bei denen, die für das pure Tennis stehen, ebenfalls nicht gut an.
All das ist in der Öffentlichkeit kein Thema. Von Arnim, der von der Schwäche Haggertys profitieren könnte, sei „kein aggressiver Wahlkämpfer“, sagt ein Szenekenner. Von Arnims Credo: „Ich möchte keinen rückwärtsgewandten Wahlkampf. Ich habe ein Programm, um die ITF besser zu machen.“ Er nippt noch einmal an seiner Cola und sagt: „Ich fahre nach Cancun und sehe mir zugleich gespannt und entspannt an, was da passiert.“
Die Story erschien in der September-Ausgabe von tennis MAGAZIN. Sie wurde für die Website aktualisiert.