Ernährung im Profisport: „Alkohol ist kein No-Go“
Welche Rolle spielt Ernährung im Leistungs- und Freizeitsport? Deckt eine vegetarische oder vegane Ernährung den Bedarf? Und ist Alkohol ein absolutes NoGo? Ernährungswissenschaftler Dr. Hans Braun von der Deutschen Sporthochschule Köln liefert Antworten.
Dr. Braun, wie unterscheidet sich die Ernährung eines Leistungs- bzw. Profisportlers von einer herkömmlichen Ernährung?
Es gibt nicht „die“ eine Sporternährung. Das ist individuell. Man muss sich fragen: Was sind die Ziele des jeweiligen Sportlers? Wie sind die Rahmenbedingungen? Im Alltag haben die meisten Leute eine gewisse Routine. Bei Athleten gibt es eine Trainings- und Wettkampfperiodisierung – das Jahr ist relativ lange, insbesondere bei den Profis. Dadurch variiert der Energiebedarf stark bei jedem Einzelnen, aber auch zwischen den Sportlern.
Wenn wir Sportart übergreifend blicken, haben wir in der Leichtathletik z.B. 50 Kilo leichte Marathonläufer aber auch Werfer mit 120 oder 130 Kilo Körpergewicht. Selbst im Tennis gibt es sehr unterschiedliche Spielertypen und mit unterschiedlichem Körpergewicht. Dadurch haben wir einen individuellen und variablen Energiebedarf. Der Energiebedarf wird durch Kohlenhydrate, Proteine und Fette abgedeckt.
„Sportler nehmen 40 % der Nahrung über Snacks ein“
Welches sind die relevanten Nährstoffe, die jeder braucht?
Man kann pauschal sagen: Je mehr und intensiver eine Person trainiert, desto höher sollte die Kohlehydrat-und Protein-Zufuhr sein. Auf diesen beiden Nährstoffen liegt der Fokus, plus natürlich Wasser. Wasser verlieren wir in Form von Schweiß, das müssen wir ersetzen. Das sind die drei zentralen Punkte, auf die man immer schaut – sowohl als Profi- als auch als Freizeitsportler.
Es gibt verschiedene Weisen sich zu ernähren. Beispielsweise drei größere Mahlzeiten am Tag oder viele kleinere. Was macht Sinn?
Es gibt keine optimale Vorgabe. Auch hier muss man das individuell auf den Tagesablauf anpassen. Aber klar ist, dass ein hoher Energiebedarf im Regelfall nicht über drei Mahlzeiten abgedeckt werden kann. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass Sportler bis zu 40 Prozent ihrer Energie über Snacks zu sich nehmen. Einige Athleten, nicht zwingend Profis, studieren noch nebenher oder machen eine Ausbildung. Da ist es dann wichtig, sich auch nach diesen Zeiten zu richten, in denen man sich adäquat versorgen kann.
Bleiben wir bei einem Tennisspieler. Wann sollte man vor einem Match essen? Ich möchte ja gut vorbereitet sein, aber auch keinen vollen Magen beim Spielen haben.
Wenn wir jetzt von einem Wettkampftag sprechen, dann wäre es wichtig, dass auf jeden Fall gefrühstückt würde. Wenn das Match um 10:00 Uhr ist, sollte man um 7:00 Uhr frühstücken. Wie wir gelernt haben, sind Kohlenhydrate essenziell, deshalb würde man drei Stunden vor dem Match eine kohlenhydratbetonte Mahlzeit wählen. Das können Brot oder Brötchen, Porridge, aber auch ein klassisches Nudel-Gericht sein. Der Fettanteil sollte eher gering sein, weil Fett eine lange Magen-Darm-Verweildauer hat. Das würde im Wettkampf belasten.
Gerade im Tennis ist es nie leicht: Es gibt die Profis, die um die Welt tingeln. Auch bei Medenspielen finden Auswärtsspiele statt, wo man nicht weiß, was es zu essen gibt. Um unabhängig zu sein, kann man sich eigene Snacks einpacken, um für sich selbst die Verpflegung sicherzustellen, sodass die Speicher bei Bedarf wieder gefüllt werden können.
„Für Veganer kann die Grundversorgung auf Reisen schwierig sein“
Was sollte ich bestenfalls nach einem Match essen?
Die Frage ist, auf welchem Niveau wir uns bewegen. Wann ist das nächste Tennisspiel? Nehmen wir die US Open als Beispiel. Das ist höchstes Niveau. Dort gehen die Profis jeden zweiten Tag an ihr Limit. Nach einem Match muss man sich schon auf das Nächste vorbereiten. Da spielen einige Faktoreneine Rolle. Bei Hitze werden die Spielerinnen und Spieler hohe Wasserverluste haben. Sie müssen viel trinken. Kohlehydrate sind eine zentrale Energiequelle. Nach intensiven Belastungen werden die Speicher vermutlich niedrig sein. Diese Speicher würde man über Lebensmittel die Kohenhydrate liefern – wie z.B. Nudeln, Kartoffeln, Brot, Getreideprodukte wieder auffüllen. Dazu würde ich eine Portion Eiweiß mit 20-30g empfehlen, sprich ein kleines Stück Fleisch, eine Quark-Speise oder eben Hülsenfrüchte. Ziel ist es, dass der Körper mit diesem Eiweiß wieder Reparatur- und Anpassungsvorgänge unterstützen kann.
Wie hilfreich oder auch weniger hilfreich kann eine vegane oder vegetarische Ernährungsweise sein?
Im Prinzip ist es wichtig, dass ich an alle Nährstoffe komme. Wie die Ernährungsweise dann heißt, ist erst mal zweitrangig. Durch die reduzierte Lebensmittel-Auswahl bei vegetarischer oder veganer Ernährung stellt sich die Frage: Wie komme ich an meine Grundversorgung? Auch in pflanzlichen Lebensmitteln finde ich viele der Nährstoffe, die meinen Bedarf abdecken können. Bei Proteinen wird die Auswahl geringer, weil viele Proteine in Milchprodukten, Eiern, Fleisch oder Fisch zu finden sind. Man muss also etwas genauer prüfen und für sich die passenden Lebensmittel suchen. Etwas schwierig wird es dann wenn Sportler viel unterwegs sind. Gerade auf Reisen und im Ausland, kann es schwierig werden die bevorzugte Ernährungsweise umzusetzen, weil die Versorgungslage nicht adäquat ist. Darauf muss man sich vorbereiten.
„Ich würde Alkohol nicht als No-Go bezeichnen“
Auf welche Nahrungsmittel sollte ein Profi-Sportler keinesfalls verzichten?
Von Verzicht spreche ich nicht gerne, weil Essen auch Genuss und Freude sein sollte. Ich sehe daher keinen Grund, weshalb ein Sportler auf Eis oder ein Stück Kuchen verzichten sollte. Aber alles in Maßen. Generell sind alle Lebensmittelgruppen relevant, da wir daraus vielfältige Nährstoffe aufnehmen. Die Menge hängt im Sport wieder von der Trainingsbelastung ab. Sprechen wir einmal in Zahlen: Freizeitsportler, also Personen, die am Tag eine Stunde Tennis spielen, brauchen drei bis fünf Gramm Kohlenhydrate pro Kilogramm KörpergewichtEin Profi-Tennisspieler mit drei, vier Stunden Training am Tag, der braucht eher acht im Einzelfall sogar zehn Gramm pro Kilogramm Körpergewicht, also fast das Doppelte. Entsprechend muss diese Person auch mehr Lebensmittel verzehren, die Kohlenhydrate liefern. Deshalb wäre es für den Profi fatal auf z.B. kohlenhydratliefernde Lebensmittel zu verzichten.
Die Gegenfrage: Gibt es No-Gos?
Wir brauchen keinen Alkohol, dennoch würde ich Alkohol nicht als No-Go bezeichnen. Wenn ein Sportler ein Glas Wein trinkt, ist das auch Teil des Genusses. Das würde ich einem Leistungssportler nicht verbieten wollen. Trotzdem stell sich vor allem in intensiven Trainings- und Wettkampfphasen die Frage nach der Notwendigkeit und möglichen negativen Auswirkungen. Deshalb muss man beispielsweise den Umgang mit Alkohol lernen. Zurück zu dem Stück Kuchen: Gerade Leistungssportler können den Energieerhalt in einem Stück Kuchen besser wegstecken als Personen, die sich nicht bewegen.
„Koffein kann positive Effekte haben“
Wie schädlich ist es tatsächlich ein Glas Wein zu trinken? Kann das Auswirkungen auf den Wettkampf haben?
Erhöhter Alkoholkonsum kann dazu führen, dass der Ausgleich der Wasserverluste nicht adequat istund Regenerationsprozesse verlangsamt werden. Zudem wird bei übermäßigem Alkoholkonsum im Anschluß an Training oder Wettkämpfen eher vergessen, sich adäquat zu ernähren, weil man sich gedanklich nicht mehr so stark mit der Regeneration befasst. Einige Forscher sagen, dass ein Glas Wein oder eine Flasche Bier unproblematisch sind so lange die notwendige Nährstoffversorgung und ggf. medizinische Versorgung umgesetzt wird.. Ansonsten gelten auch für Sportler wie die Normalbevölkerung die Empfehlungen den Alkoholkonsum möglichst gering zu halten.
Wie sieht das ganze Szenario mit Kaffee bzw. Koffein aus?
Die Forschung zeigt,, dass ca. drei Milligramm Koffein pro Kilogramm Körpergewicht vor einem Spiel positive Effekte auf die mentale und körperliche Leistungsfähigkeit haben kann. Das kann dann eine große Tasse Kaffee, ein starker Espresso oder auch ein Koffeinpräparat sein. Deswegen experimentieren viele Athleten mit Koffein. Manche reagieren aber auch sensibel darauf. Deshalb muss die Wirkung und Verträglichkeit jeder für sich ausprobieren. Es gibt viele Gels oder Sportgetränke, die mit kleinen Mengen an Koffein angereichert werden.
Nahrungsergänzungsmittel: „Man sollte genau prüfen, welche Mittel sinnvoll sind“
Wenn wir schon beim Thema Nahrungsergänzungsmittel angelangen. Welche Rolle spielen diese? Viele Experten stellen Nahrungsergänzungsmittel in Frage, aber das Angebot ist groß.
Es ist vermutlich wie häufig: Irgendwo in der Mitte liegt die richtige Antwort. Erstmal ist es wichtig, zu erkennen, wann ein Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll sein könnte. Das muss man dann je nach Situation bewerten. Wichtig ist auch, die verschiedenen Nahrungsergänzungsmittel zu unterscheiden. Sie gehen von Gels, Riegeln bis zu Sportdrinks oder verschiedenen Kapseln. Beim Tennis können Kohlenhydratprodukte bei den Seitenwechseln oder in den Satzpausen wichtige Energie liefern. Das tun aber auch Bananen oder Säfte. Bei manchen sind Sportgetränke aber auch verträglicher. Proteinpräparate brauchen wir nicht zwingend, aber manchmal geht es schneller und einfacher an die notwendige Menge nach einem Training oder Spiel zu kommen. Bei Mikronährstoffen kann es beispielsweise Risiken einer Überdosierung geben, je nach Menge oder Kombination bei der Einnahme, deshalb sollte man sich professionell beraten lassen.
Ernährt man sich beispielsweise vegan oder vegetarisch können Mikronährstoffe aber auch wichtige Vitamine wie D3 oder B12 liefern. In jedem Fall sollte man genau hinterfragen und prüfen, wie sinnvoll welche Mittel wirklich sind.
„Diabetes ist keine absolute Barriere für den Profisport“
Momentan scheinen verschiedene Vitamin-Getränke im Trend zu sein. Sind die sinnvoll?
Mit einzelnen Getränken bin ich nicht vertraut. Allerdings zeigt das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, dass im Jahr 2022 viele Nahrungsergänzungsmittel zugelassen wurden. Studien über die Wirksamkeit sind dabei nicht notwendig. Es ist fraglich, ob solche Produkte notwendig sind, wenn eine ausgewogene Ernährung bereits die benötigten Vitamine bietet. Es wäre sinnvoller, sich hier individuell beraten zu lassen, anstatt pauschal alle Vitamine zu konsumieren.
Wie beeinflusst Diabetes Typ 1 die Ernährung und den Alltag eines professionellen Sportlers wie Alexander Zverev?
Bei Diabetes Typ 1 wird die körpereigene Insulinproduktion eingeschränkt oder fehlt. Insulin ist notwendig, um Kohlenhydrate in Form von Glukose in die Zellen aufzunehmen. Ein Sportler mit dieser Erkrankung muss wissen, wann und wie viel externes Insulin er zuführen muss, besonders im Kontext von Sport, wo der Glukoseverbrauch hoch ist. Es besteht das Risiko von Unterzuckerung. Daher muss der Sportler entscheiden, wie viele Kohlenhydrate er während des Sports konsumieren kann und möglicherweise weitere Maßnahmen zwischen den Spielen/Sätzen treffen. Es ist wichtig, dass solche Sportler individuelles Coaching von Experten in Diabetes und Ernährung erhalten und die Symptome einer Unterzuckerung kennen. Es ist keine absolute Barriere für professionellen Sport, aber es erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit Ernährung und Belastung.
Experte: Dr. Hans Braun
Dr. Hans Braun studierte Ernährungswissenschaften in Köln und Berlin und setzt sich seit über 25 Jahren mit Ernährung im Leistungssport auseinander. Seit über 15 Jahren ist er am Institut für Biochemie der Sporthochschule Köln tätig. Er befasst sich mit Sporternährung, Flüssigkeitsmanagement, Nahrungsergänzungsmitteln und allem, was im Leistungssport wichtig ist.