Federer: „Meine Passion war immer ehrlich”
2022 beendete Roger Federer beim Laver Cup seine Karriere. In Vancouver traf tennis MAGAZIN die Ikone zum Interview. Ein Gespräch über die Erfüllung seines Herzensprojekts, seine Bucket List und die Zukunft seines Sports.
Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 11/2023
Der Konferenzraum im grundsätzlich sehr luxuriösen JW Marriott Hotel ist eher schmucklos. Heller Teppichboden, dunkle Tische, keine Blumen, weiß-graue Gardinen vor den bodentiefen Fenstern. Es ist der 20. September, 9.15 Uhr morgens. Bereits eine Stunde zuvor hatte sich Roger Federer von seinem Sponsor Mercedes an einem deutlich schöneren Ort fotografieren lassen: an der herrlichen Hafenfront von Vancouver, der spektakulär gelegenen Metropole an der kanadischen Westküste. Federer ist in Vancouver, weil hier der Laver Cup ausgespielt wird.
Zusammen mit seinem Manager Tony Godsick hat Federer diesen Wettbewerb erfunden und seit der ersten Austragung 2017 immer weiterentwickelt. Federer hat seine grandiose Laufbahn 2022 beendet. Doch weiterhin nimmt Tennis einen ganz zentralen Platz in seinem Leben ein. Das wird sofort deutlich, als der Schweizer Weltstar zum Exklusivinterview mit tennis MAGAZIN Platz nimmt. Kräftiger Händedruck zur Begrüßung, offener Blick. Er fragt: „Wie geht’s?“ Und während er aufmerksam und interessiert der Antwort auf diese Frage lauscht, greift er nach der Wasser-Karaffe auf dem Tisch. Erst füllt er das Glas seines Gesprächspartners, dann sein eigenes.
Herr Federer, warum gibt es den Laver Cup?
Ich fand es schon immer schade, dass es im Tennis nicht mehr Möglichkeiten gibt für Spieler, die ihre Karriere beendet haben. Wer nicht als Coach oder Kommentator arbeitet, der hat ansonsten kaum Alternativen. Das ist beim Golf beispielsweise ganz anders. Oder im Fußball. Da gibt es tausend Jobs für Ex-Spieler. Wer im Tennis auf der Tour aufgehört hat, der verliert ein wenig den Anschluss. Ich habe immer schon gedacht – nicht für mich, sondern generell – wie können wir den Generationen vor uns danken? Es waren sie, die das Fundament gelegt haben, von dem wir heute profitieren. Form angenommen hat das Ganze dann in einem Auto, in Shanghai.
Klingt spannend!
Mein Manager Tony und ich mussten beim Turnier in Shanghai immer eineinviertel Stunde im Mercedes zwischen dem Hotel und der Anlage pendeln. Auf diesen langen Fahrten haben wir uns dann sehr konkret mit dem Ganzen beschäftigt. Und am Ende kristallisierte sich der Rahmen des Formats heraus. Tony hat eine größere Golf-Affinität als ich. Er hatte schließlich die Idee, sich am System des Ryder Cups zu orientieren.
Federer über den Laver Cup: „Rivalen werden zu Teamkollegen“
Warum heißt der Laver Cup denn Laver Cup?
Wir haben uns gefragt: Wer ist im Tennis die Mega-Legende schlechthin? Das war und ist für uns Rod Laver. Also kontaktierten wir ihn und fragten, ob wir für dieses neue Format seinen Namen nutzen dürfen. Er war begeistert. Unser Plan war, dass der Laver Cup ein Tennisfest wird. 2024 sind wir mit dem Laver Cup in Berlin. Ich bin sicher: Berlin wird super.
Es ist ein Teamwettbewerb, es geht insgesamt entspannter zu als bei Grand Slam-Turnieren. Siege am dritten Tag geben drei Punkte, am ersten Tag nur einen Punkt. Weltranglistenpunkte gibt es nicht. Ist es das erwünschte Tennisfest?
Ich bin dafür, dass beim Laver Cup sehr ernsthaft um den Sieg gespielt wird, das ist keine Ferienwoche. Die Spieler sollen ausführlich spielen, aber nicht halb gebrochen aus dem Wochenende herausgehen. Wir haben drei Turniertage, das ist ein überschaubarer Zeitraum. Wichtig ist auch, dass der Termin in den Kalender passt.
Erwarten Sie, dass mittelfristig die besten Spieler der Welt grundsätzlich beim Laver Cup antreten?
Die Idee ist: Man hat als Team zusammen eine tolle Zeit und lernt voneinander. Man geht auf den Platz und gibt einfach alles. Rivalen werden Teamkollegen. Dann ist da Rod Laver. Und unsere Teamkapitäne sind John McEnroe und Björn Borg. Das sind inspirierende Persönlichkeiten, mit denen die heutigen Spieler Zeit verbringen können. Das Zusammensein der verschiedenen Generationen ist total spannend. Rod Laver, Björn Borg und John McEnroe. Dann ist da die Generation mit Rafael Nadal, Novak Djokovic und mir. Nun rückt die Generation um Carlos Alcaraz nach. Und so geht es immer weiter. Generation folgt auf Generation.
Federer: „Ich will, dass der Laver Cup ernst genommen wird”
Wie viel Ihrer Zeit verwenden Sie auf die Entwicklung des Laver Cups?
Es ist alles eine Frage der Priorität. Wenn einem etwas wichtig ist, dann nimmt man sich die Zeit. Egal, ob es sieben Uhr am Morgen oder acht Uhr abends ist. Der Laver Cup ist mir wichtig. Dafür nehme ich mir sehr gerne die Zeit. Ich will, dass der Laver Cup ernst genommen wird. Von den Spielern und von den Medien. Das ist keine „Exhibition“, kein Schaukampf.
Sie haben Ihre Laufbahn beim Laver Cup 2022 beendet. Wie fit sind Sie denn noch?
Ich bin viel im Gym. Lustigerweise hatte ich während meiner aktiven Zeit gar kein eigenes Gym, nutzte immer öffentliche Gyms. Aber eine Woche nach dem Laver Cup im vergangenen Jahr haben meine Frau Mirka und ich uns einen Raum angemietet und Fitnessgeräte besorgt. Eigentlich schizophren, dass ich mir das erst nach meiner Laufbahn angeschafft habe. Jetzt bin ich viermal die Woche im Gym. Ich will aktiv bleiben, dran bleiben.
Wie oft spielen Sie noch Tennis?
Für mich selbst eigentlich gar nicht so richtig. Aber schon mit unseren Kindern. Das sind sehr schöne Erlebnisse.
Federer: „Wäre schön, wenn Rafa in Paris die French Open und die Olympischen Spiele bestreiten könnte“
Wie intensiv verfolgen Sie noch die Profitour?
Ganz ehrlich, ich bin ganz schnell der Fan. So war es, als ich dieses Jahr in Wimbledon in der Royal Box saß. Da schaute ich Tennis durch die Fanbrille. Und das mit Freude. Das wiederum bestätigte mir, dass meine Passion für Tennis, für das Spiel immer ehrlich war.
Coco Gauff, die von Ihrer Agentur team8 betreut wird, hat mit 19 Jahren die US Open gewonnen. Sie gilt als kommender Weltstar. Ihr langjähriger Rivale Novak Djokovic ist wieder die Nummer eins, Rafael Nadal kämpft gegen Verletzungen. Wie verfolgen Sie das?
Der Erfolg von Coco ist eine tolle Geschichte. Das hat mir richtig gut gefallen. Sie ist seit fast fünf Jahren bei team8, ich habe sie wachsen sehen. Der junge Carlos Alcaraz gegen Novak Djokovic, das ist eigentlich das klassische Duell. Man merkt bei Novak, dass er taktische Veränderungen vorgenommen hat. Das muss man auch, wenn man älter wird. Er spielt etwas weniger. Und er spielt immer noch dann gut, wenn er es muss. Für Rafa wäre es schön, wenn er 2024 in Paris die French Open und die Olympischen Spiele bestreiten könnte.
Federer: „Ich arbeite an meiner bucket list“
Als Basketball-Star Dirk Nowitzki seine Karriere beendet hatte, da machte er sich daran, eine „bucket list“, eine Wunschliste, abzuarbeiten mit Dingen, die er schon immer machen wollte. Und auch Orte zu besuchen, die er schon immer mal sehen wollte. Haben Sie auch eine solche „bucket list“?
Dirk ist ein großer Tennis-Fan, wir kennen uns ein wenig. Er war jetzt ja auch hier in Vancouver beim Laver Cup. Nie werde ich vergessen, als wir beide bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking zur Eröffnungsfeier ins Stadion einliefen. Er als Fahnenträger der deutschen Mannschaft, ich als Fahnenträger für die Schweiz. Die deutsche Mannschaft trug hellblaue Hemden. Aber es war so unfassbar heiß, dass das Hemd von Dirk völlig verschwitzt war – und damit dunkelblau. Aber Sie fragten nach der „bucket list“.
Genau.
In der Tat arbeite ich an meiner „bucket list“. Mirka und ich sind mit meinen Eltern im Orientexpress von Paris nach Venedig gefahren. Ich war erstmals in St. Tropez und Portofino, beides Orte, die ich schon immer mal sehen wollte. Ich schaue mir andere Sportarten an, war bei der Leichtathletik-Diamond-League in Zürich. In New York habe ich erstmals ein Play-off-Spiel der NBA gesehen. Und besonders schön ist, dass ich meine Kinder nun in meine Stiftungsarbeit mit einbeziehen kann. So waren sie dabei, als wir nach Südafrika und Lesotho gereist sind. Dabei haben wir übrigens auf eine Safari ganz bewusst verzichtet.
Warum?
Meiner Roger Federer Foundation geht es um die Unterstützung von Kindern, daher haben wir Kinder in Afrika besucht. Meine Kinder sollten die Eindrücke von diesen Kindern mitnehmen. Das ist wichtiger als Eindrücke von Löwen, Giraffen und Nashörnern.
Federer: „Tennis muss nicht zwingend immer in Hallen oder Stadien stattfinden”
Welchen Eindruck haben Sie von der Zukunftsfähigkeit des Tennis. Ist die Sportart attraktiv genug für Kinder?
Tennis ist in einer guten Verfassung. Das Spiel entwickelt sich immer weiter fort. Wenn ich heute auf Social Media Acht- oder Zehnjährige Tennis spielen sehe – dann sind die mir, als ich in diesem Alter war, um Lichtjahre voraus. Aber wir müssen innovativ und kreativ denken. Ich finde es daher gut, wenn wir Events haben, die anders sind – wie zum Beispiel UTS (siehe Story Seite 28; Anm. d. Red.). Auch finde ich, dass Tennis nicht zwingend immer in Hallen oder Stadien stattfinden muss. Warum nicht mal mitten in der Stadt spielen? Andere Sportarten machen das auch. Ich denke schon, dass wir nicht immer zu traditionell sein sollten. Wichtig ist immer: Wie erreichen, kitzeln, motivieren und inspirieren wir die Jugend?
Wie zum Beispiel?
Indem wir die Kinder und Jugendlichen richtig coachen. Ich denke, auch da müssen wir uns neu erfinden. Nicht immer das Gleiche machen Jahr für Jahr. Ich hatte das riesige Glück, immer die besten Coaches und die richtigen Coaches zur richtigen Zeit gehabt zu haben. Die Art und Weise, wie man Tennis beibringt, ist enorm wichtig. Es ist wie in der Schule. Wenn du einen schlechten Mathe-Lehrer hast, dann ist es sehr schwer, Mathe gern zu haben.
Vita Roger Federer
Der Schweizer, 42, ist einer der größten und beliebtesten Sportler der Geschichte. Im Tennis gewann er nahezu alles, was man gewinnen kann, darunter 20 Grand Slam-Turniere, den Davis Cup und die olympische Goldmedaille im Doppel. Beim Laver Cup 2022 in London beendete er seine glanzvolle Karriere. Mit seiner Stiftung unterstützt er Bildungsprojekte in der Region des südlichen Afrikas und in der Schweiz. Er ist Vater von den Zwillingspärchen Myla und Charlene (14 Jahre) sowie Leo und Lenny (neun Jahre).