Julia Görges: „Hätte nie gedacht, so weit zu kommen”
Julia Görges war eine der erfolgreichsten Spielerinnen im deutschen Damentennis. Im Interview mit tennis MAGAZIN spricht die 35-Jährige über das Leben nach ihrer Karriere, neues Wohlbefinden, ihre Lieblingsspielerin und gibt Tipps für die junge Generation.
Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 12/2023
Frau Görges, vor drei Jahren haben Sie Ihre Karriere beendet. Wie ist es Ihnen seitdem ergangen?
Ich habe nach meinem Karriereende einen anderen Rhythmus kennenlernen dürfen. Vorher waren 24 Stunden, sieben Tage die Woche durchgetaktet mit viel Training. Danach befand ich mich in der Phase des Abtrainierens, diese hat fast zweieinhalb Jahre gedauert. Erst seit März dieses Jahres trainiere ich nicht mehr so viel. Ich habe mit dem Krafttraining aufgehört und mich mehr auf Yoga und Meditation fokussiert, um in dem Bereich fitter zu sein und ein anderes Körpergefühl zu entwickeln. Als Athletin hatte ich immer sehr hohe Ansprüche und habe deshalb viel Krafttraining gemacht.
In den letzten Jahren habe ich mich aber auch damit beschäftigt, meinen Körper anders kennenzulernen. Ich habe auf meinen Körper gehört und entwickele mich nun in andere Richtungen, die nicht unbedingt etwas mit Tennis zu tun haben. Ich habe auch eine Serie an Blogbeiträgen geschrieben. In diesen Beiträgen geht es viel um Bewusstsein und Achtsamkeit sich selbst gegenüber. Die großen Fragen sind: Was sind deine Bedürfnisse und hörst du auf diese Bedürfnisse? Das ist bei jedem anders. Im Tennis bin ich gelegentlich als Kommentatorin aktiv, wie dieses Jahr in Wimbledon auf Sky.
Wann standen Sie das letzte Mal auf einem Tennisplatz?
Vor einem Jahr im Oktober 2022 beim Einladungsturnier in Luxemburg.
Sie haben keinerlei Bedürfnis, Tennis zu spielen?
Nein, ich vermisse Tennis überhaupt nicht. Vielleicht spiele ich demnächst mal eine Stunde mit meinem Freund Wesley (Anm. d. Red.: Profispieler Wesley Koolhof), aber es ist nicht so, dass wir sagen: Wow, lass uns heute Tennis spielen!
Julia Görges: „Man muss aufpassen, dass man sich nicht verliert“
Ist Ihre Liebe zum Tennis erloschen? Oder ist eine andere Art Liebe zum Tennis entstanden?
Wie definiere ich Liebe zum Sport? Damals war es mein Beruf. Es war auch mein Traum, den ich zu meinem Beruf gemacht habe. Aber man muss aufpassen, dass man sich nicht verliert, denn die Tenniswelt ist speziell. Freude wird oft nur über Sieg und Niederlage definiert. Das sollte nicht so sein. Als das Kapitel Profitennis beendet war, habe ich einen harten Schnitt gemacht. Es fühlte sich in dem Moment richtig an aufzuhören. Wegen Wesley schaue ich noch ein bisschen Tennis. Aber es ist nicht so, dass ich zu Hause sofort den Fernseher einschalte, um Tennis zu gucken. Meine Erinnerungen an alles, was ich erlebt habe und erleben durfte, sind immer noch in meinem Herzen. Der Tennissport ist trotzdem cool.
Sie sind eines der neuen Gesichter der Kampagne „New Personal Best“ von ASICS. Worum geht es in der Kampagne?
Im Sport gilt meist das Motto: „No pain, no gain“, also ohne Schmerz kein Erfolg. Man muss über seine Grenzen gehen, um erfolgreich zu sein. Bis zu einem gewissen Grad ist das auch in Ordnung, aber ich merke mit dem Abstand zu meiner Karriere, dass dieses Körpergefühl, das du hast, wenn es dir nicht so gut geht, eine andere Bedeutung bekommt. Zum Beispiel, wenn dein Körper dir sagt, dass du dich heute regenerieren musst. Wenn ich bei einem Grand Slam-Turnier spiele und mein Körper mir sagt, dass er gerne einen Tag Pause hätte, aber heute ist Matchday, dann ist es schwierig, aus dem Turnier auszusteigen.
Die Kampagne soll Menschen, die bereits Sport treiben oder auch noch nicht, zeigen, wie wichtig es ist, auf die Bedürfnisse des Körpers zu hören und wie Bewegung dazu beitragen kann, das mentale Wohlbefinden zu steigern – unabhängig von Zahlen und Statistiken. Die Kampagne von ASICS vermittelt das komplette Gegenteil zu anderen Kampagnen, in denen es um immer höher, schneller, weiter, besser und möglichst viel trainieren geht, um Erfolg zu haben. Dabei werden die Signale des Körpers oft nicht wahrgenommen und man kann dem Körper zu viel zumuten. Man erreicht dann nicht die Leistung, die man eigentlich erreichen könnte.
Julia Görges: „Ich glaube, dass viele Leute sich nicht ins Fitnessstudio trauen, weil sie nicht dem Bild entsprechen“
Inwiefern kann solch eine Kampagne helfen, den Leistungsdruck zu verringern?
Jeder Satz und jede Kampagne, die man liest, bleibt im Kopf hängen und wird verarbeitet. Was jemand daraus macht, ist jedem selbst überlassen. Das Wort Schmerz mit der Botschaft „no pain, no gain“ definiert für mich etwas Negatives. Das „New Personal Best“ von ASICS fokussiert sich auf das gute Gefühl, welches durch Bewegung entsteht. Es ist ein anderer Ansatz, der ganz anders auf die Menschen wirkt. Ich glaube, dass viele Leute sich nicht ins Fitnessstudio trauen, weil sie nicht dem Bild entsprechen, das andere Leute als perfekten Sportkörper ansehen. Es hat nichts damit zu tun, wie man aussieht, sondern wie man sich fühlt und wie man das ausstrahlt. Jeder ist gut so, wie er ist.
Früher war es wahrscheinlich Ihre Weltranglistenplatzierung. Wie sieht Ihr „New Personal Best“ heute aus?
Mein „New Personal Best“ ist, dass ich jeden Tag auf die Bedürfnisse und Signale meines Körpers und Geistes achte. Das war früher deutlich weniger der Fall. Wenn ich aufstehe, dann will ich genau in mich hineinhören und sagen: Das sind meine heutigen Bedürfnisse. Heute fühle ich mich danach, Laufen zu gehen, Yoga zu machen oder etwas anderes. Es geht darum, jeden Tag aufzustehen und dankbar zu sein, dass man noch da ist, was mittlerweile als selbstverständlich genommen wird. Wenn wir anfangen, mehr in uns hineinzufühlen, womit wir geboren werden als Kind, nämlich zu fühlen, wie es in uns ausschaut, weil wir uns nicht sprachlich ausdrücken können, dann sind wir ein Stück weiter. Man kann festhalten, dass sich meine Einstellung zum Sport und Leben deutlich verändert hat.
Julia Görges: „Dass ich im Ausland erkannt werde, kommt seltener vor“
Ihr Alltag als Profi war extrem strukturiert. Wie sieht Ihr Alltag heute aus?
Ich habe einen gut gefüllten Terminkalender, vor allem für die nächsten Monate. Es ist nicht mehr nur Training von sieben bis elf Uhr. Jetzt gibt es auch mal Leerlauf, aber dafür gibt es auch andere schöne Dinge, die man in dieser Zeit machen kann. Ab und zu genieße ich Momente, für die ich früher keine Zeit hatte. Ein gutes Buch lesen oder mit einem Kaffee in der Natur sitzen. Für all diese Dinge habe ich jetzt Zeit und kann sie genießen. Früher hatte ich dafür keine Zeit. Damals war das auch normal, wenn man die ganze Zeit unterwegs ist. Jetzt habe ich die Möglichkeit, mich anders zu entwickeln und andere Leute kennenzulernen. Das ist total spannend.
Sie waren eine der bekanntesten Sportlerinnen in Deutschland. Wie häufig werden Sie noch auf der Straße erkannt?
Wir wohnen in einem kleinen Dorf mit 600 Menschen in der Nähe der niederländischen Grenze. Da kennt man sich untereinander. Für mich ist es in Ordnung, wenn ich erkannt werde. Das kommt im Ausland mittlerweile eher selten vor, außer ich bin bei Turnieren vor Ort.
Julia Görges: „Mein Wohlbefinden ist jetzt anders und auch besser”
Ist Ihr individuelles Wohlbefinden nun höher als in Ihrer Profizeit?
Damals kannte ich Wohlbefinden noch nicht so wie heute. Damals habe ich es wahrscheinlich als Wohlbefinden empfunden. Ich würde sagen, mein Wohlbefinden ist jetzt anders und auch besser. Ich habe sicher einen gesünderen Lebensstil als früher, wegen all dem Stress, den ich damals hatte und jetzt nicht mehr. Das Wort „anders“ trifft es gut.
Wie sind Sie mit dem ständigen Leistungsdruck und der Erwartungshaltung als Tennisprofi umgegangen?
Meine Generation war die nach Boris Becker und Steffi Graf. Deshalb war es für mich am Anfang schwierig, gefragt zu werden: Wann kommt der Durchbruch? Wann schafft es eure Generation endlich? Das waren Standardfragen in der Presse. Mit Mitte 20 habe ich für mich einen Weg gefunden, dass ich mir gesagt habe: „It’s part of the job“. Man kann nie beeinflussen, was die Leute denken und schreiben. Solange ich meinen Weg gehe und mich dabei gut fühle, ist es okay für mich. Je älter ich wurde, desto besser habe ich gelernt, damit umzugehen. Mit bestimmten Aussagen kann man gewisse Dinge ein wenig steuern. Wenn man wenig anbietet, besteht die Gefahr, dass Dinge geschrieben werden, die man nicht möchte. Es kommt darauf an, was man ausstrahlt und was man sagt.
Wenn man nicht über sein Privatleben reden will und das dreimal deutlich gesagt hat, dann ist es beim dritten Mal angekommen. Wenn man ein Türchen offen lässt, dann gibt es Möglichkeiten, bestimmte Dinge anzubieten, die okay sind, wenn man sich andere Sportarten anschaut, dann sieht man, dass es überall gleich ist. Die Erwartungen sind überall da. Ich hätte mir damals gewünscht, dass die Leute ein bisschen mehr wahrgenommen hätten, was es eigentlich braucht, um in die Weltklasse zu kommen. Leute, die es nicht selbst erlebt haben, sollten sich nicht so weit aus dem Fenster lehnen, weil sie die Hintergründe nicht kennen. Manchmal ist es besser, einen Schritt zurückzutreten, um sich in die Lage der Menschen zu versetzen.
Es gab bislang nur neun Top-10-Spielerinnen aus Deutschland. Sie sind eine davon. Finden Sie, dass Ihre Leistungen von den Medien genug gewürdigt wurden? Kritik war trotzdem immer vorhanden. Man wünschte sich eine Generation wie damals bei Steffi Graf.
Genau, das ist die Frage. Wurden unsere Erfolge damals so gewürdigt, dass wir heute wehmütig zurückblicken müssten? Ich kann nur für mich sprechen. Mit dem was ich erreicht habe, bin ich im Reinen. Ich bin dankbar und glücklich über das, was ich in meiner Tenniskarriere geschafft habe. Das ist das, was für mich zählt. Was andere Leute denken, ob sie mich schätzen, respektieren oder akzeptieren, liegt nicht in meiner Hand. Irgendwann habe ich gelernt, damit umzugehen. Man kann nicht alle Menschen glücklich machen, das war auch nicht meine Aufgabe und mein Ziel.
Was haben Sie in Ihrer Karriere getan, um mental gesund zu bleiben? Gab es Techniken, die Sie angewandt haben?
Ich habe mit jemandem im Hintergrund gearbeitet, aber nicht sportpsychologisch. Es ging um Meditation. Es ging darum, dass mein Nervenkostüm ein anderes ist, dass ich mehr tolerieren kann, dass ich nicht so schnell gestresst bin, dass ich die Emotionen runterfahren kann, dass ich Niederlagen in die richtige Perspektive rücken kann. Das war unglaublich wichtig für mich. Ich habe die letzten vier, fünf Jahre meiner Karriere damit verbracht. Diesen Ansatz habe ich auf mein Leben nach der Karriere übertragen. Ich habe den mentalen Bereich von einer anderen Seite kennengelernt und erfahren, was man damit alles Schönes machen kann. Es geht nicht nur um Begriffe wie Burnout oder Depression, sondern darum, einen Weg zu finden, das positiv zu formulieren. Das ist mir wichtig, das Positive zu finden. Es gibt immer Gründe, warum etwas passiert.
Was hat Tennis Sie für das alltägliche Leben gelehrt?
Auf jeden Fall, dass Träume wahr werden können. Es war immer mein Traum, Tennisprofi zu werden. Ich hätte nie gedacht, dass ich so weit komme. Als ich klein war, wusste ich nicht, was alles dazugehört, um Tennisprofi zu werden. Tennis hat mir eine unglaublich interessante Welt gezeigt, die sehr viel Disziplin braucht. Es benötigt sehr viel Fokus, aber auch sehr viel Raum für Veränderung, sodass man nicht stagniert und sich immer weiterentwickelt. Tennis hat mir auch gezeigt, wie brutal hart dieses Geschäft sein kann. Man lernt Menschen kennen, mit denen man nicht unbedingt sein Leben verbringen möchte. Das Menschliche bleibt oft auf der Strecke. Das hat mich für die jetzige Zeit nach der Karriere unglaublich viel gelehrt. In der Profizeit erlebt man Dinge, die für eine gewisse Zeit schwer zu verdauen sind. Man hat sich dem gestellt und ist daraus noch stärker hervorgegangen. Ich habe sehr viel Menschenkenntnis gelernt.
Wie nervös sind Sie bei den Matches Ihres Freundes Wesley?
Am Anfang war ich ziemlich nervös. Das war kurz nach dem Ende meiner Karriere, da steckte ich noch mittendrin. Jetzt kann ich entspannter zuschauen, vor allem von zuhause aus. Wenn man live dabei ist, ist es etwas anderes. Da kommen die ganzen Emotionen dazu, das ist spannender. Beim Finale von Wimbledon dieses Jahr saß ich bei Freunden auf dem Sofa und habe es genossen.
Als Tennisprofi ist man fast nur unterwegs. Haben Sie noch manchmal Fernweh?
Wenn man ein Zuhause hat und dort auch angekommen ist, dann ist man dort sehr gerne. Das ist bei mir der Fall, es gibt nichts Schöneres, als zuhause zu sein und in seinem eigenen Bett zu schlafen. Vor allem wenn man wie ich auf dem Land lebt und seine Ruhe in der Natur hat. Das ist für mich mein perfektes Zuhause.
Sie haben knapp zehn Millionen US-Dollar Preisgeld in Ihrer Karriere erspielt. Ist dies der größte Luxus, dass man sich als Topprofi eine gewisse finanzielle Freiheit erarbeitet hat, um dann die Dinge machen zu können, die man nach der Karriere unbedingt tun möchte?
Dann ist die Gegenfrage: Was hat man dafür geopfert? Natürlich hat man danach gewisse Freiheiten. Aber man kann auch zurückschauen, was das mit einem als Mensch gemacht hat. Ich weiß nicht, wie viele Menschen 15 Jahre am Stück von morgens bis abends durch die Weltgeschichte gereist sind. Das ist schwer zu sagen. Nicht jeder ist für den Tennissport geschaffen. Es ist schön, dass es der bestbezahlte Frauensport ist. Aber es geht noch um mehr.
Wenn man sich anschaut, wie sich das Preisgeld in den letzten Jahren prozentual entwickelt hat, dann ist das im Vergleich zur Herrentour nur ein kleiner Teil. Nur bei den Grand Slams und einigen größeren Turnieren ist es ausgeglichen. Bei den kleineren Turnieren geht man, wenn man um die 100 in der Weltrangliste steht, in der ersten Runde verliert und alle Ausgaben mit einbezieht, mit einem Minus raus. Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Ich bin dankbar für die Karriere, die ich hatte. Ich kann mir jetzt Zeit nehmen, aber ich weiß auch, wie es anderen Spielerinnen geht. Was das Preisgeld angeht, gibt es noch Luft nach oben.
Gibt es im Damentennis eine Spielerin, die Sie besonders mögen und gerne spielen sehen?
Ich mag Elena Rybakina sehr, weil ich mich mit ihrer Art, Tennis zu spielen, identifizieren kann. Sie spielt kompromisslos. Im Gegensatz zu ihren Grundschlägen und ihrem Aufschlag kann sie am Netz noch einen draufsetzen. Ich mag diese trockenen, satten Schläge und den guten Aufschlag. Ich glaube, damit gewinnt man Grand Slam-Turniere. Rybakina hofft nicht, sie spielt dafür. Iga Swiatek gefällt mir athletisch sehr gut, wie sie sich bewegt. Aryna Sabalenka habe ich eine Weile nicht gesehen. Sie trainiert unglaublich hart und hat sich über die Jahre immer weiterentwickelt. Sie steht völlig verdient an der Spitze der Weltrangliste. Aber wenn ich mich für eine entscheiden müsste, wäre es Rybakina.
Julia Görges: „Das Wichtigste ist, sich zu fragen: Will ich das zu 100 Prozent?”
Das deutsche Damentennis steckt derzeit in der Krise. Vor kurzem stand nur Tatjana Maria unter den Top 100. Ist dies nur eine Momentaufnahme oder läuft generell etwas schief im deutschen Damentennis?
Für die Generation nach uns ist es genauso schwer wie für uns damals, die wir immer mit Steffi Graf verglichen wurden. Angelique Kerber hat drei Grand Slam-Titel gewonnen. Mit ihren Erfolgen und denen von Andrea Petkovic, Sabine Lisicki und auch mir ist es schwierig für die neue Generation. Zu unserer Zeit standen viele Spielerinnen direkt im Hauptfeld eines Grand Slam-Turniers, drei davon waren gesetzt und mindestens eine hat es in die zweite Woche geschafft. Das braucht Zeit.
Ich kann nicht beurteilen, wie die einzelnen Spielerinnen arbeiten. Das will ich auch gar nicht, weil ich es schon damals nicht schön fand, wenn jemand über mich gesprochen hat und nicht wusste, was intern passiert, wie jemand arbeitet. Deshalb fällt es mir schwer, ein Urteil zu fällen. Noma Noha Akugue gefällt mir unglaublich gut, was ihre Schläge und ihre Athletik angeht. Wie es mit der Psyche aussieht, kann ich nicht beurteilen. Der mentale Aspekt hat in den letzten Jahren prozentual zugenommen und an Bedeutung gewonnen. Ich finde es unglaublich beeindruckend, wie Tatjana Maria nach der Geburt von zwei Kindern spielt und vor allem, dass sie immer noch in der Nähe der Top 50 der Weltrangliste steht. Das muss man anerkennen. Tatjana ist seit Jahren dabei.
Können Sie als langjährige Profispielerin jungen Spielerinnen, die Profi werden wollen oder auf der Schwelle zum Profi stehen, etwas mit auf den Weg geben?
Das Wichtigste ist, sich zu fragen: Will ich das zu 100 Prozent? Kann ich diese 100 Prozent jeden Tag geben? Es gibt nicht nur Schönwettertage. Bleibst du auch an den Tagen, an denen die Sonne nicht scheint, dran und arbeitest mit der gleichen Leidenschaft? Diese innere Überzeugung halte ich für sehr wichtig. Oft wollen es die Eltern mehr als die Kinder selbst. Man muss für sich selbst sorgen. Das ist das Einzige, was man kontrollieren kann.
Ihre ehemalige Kollegin Angelique Kerber kommt bald als Mutter zurück. Was trauen Sie ihr zu?
Das ist für mich schwer zu beantworten, weil ich nicht weiß, wie es ihr körperlich geht. Das kann ich nicht beurteilen. Angies Spiel war schon immer sehr physisch, es kommt darauf an, wie fit der Körper ist und wie schnell sie sich nach der Geburt regenerieren konnte. Dass Angie hart arbeitet, daran habe ich keinen Zweifel.
Vita Julia Görges
Die gebürtige Bad Oldesloerin, 35 Jahre, begann als Fünfjährige mit dem Tennis. Sie startete ihre Profikarriere 2005 und beendete diese im Jahr 2020. Höchste Platzierung: 9. Größte Erfolge: sieben WTA-Turniersiege (Bad Gastein 2010, Stuttgart 2011, Moskau und Zhuhai 2017, Auckland und Luxemburg 2018, Auckland 2019). Bestes Grand Slam-Resultat: Halbfinale Wimbledon 2018. Preisgeld: ca. 10 Millionen US-Dollar. Görges lebt mit ihrem Freund Wesley Koolhof, Wimbledonsieger 2023 im Doppel, auf dem Land in Nordrhein-Westfalen in der Nähe der niederländischen Grenze.