Nächste Generation im Tennis: Sinner (l.) und Alcaraz

Auf ein Neues: Sinner vs. Alcaraz geht in die fünfte Runde.Bild: AFP/SID/FREDERIC J. BROWN

Sinner vs. Alcaraz: Die nächste große Rivalität?

Jannik Sinner gegen Carlos Alcaraz. Das erste Halbfinale bei den French Open bot wieder einmal Tennis der Extraklasse. Nicht nur wir Zuschauer, sondern auch die Kontrahenten selbst freuen sich auf viele weitere Duelle in der Zukunft.

Während viele Tennisfans noch immer den legendären Spielen von Roger Federer und Rafael Nadal oder dem Spanier und Novak Djokovic hinterhertrauern, steht womöglich bereits die nächste große Rivalität in den Startlöchern. Jannik Sinner und Carlos Alcaraz lieferten in ihren noch jungen Karrieren bereits reichlich Tennis der Extraklasse. Nicht zuletzt auch in ihren bisherigen Begegnungen. Die Chancen, dass uns dieses Duell über lange Zeit begleiten wird, stehen gut.

Sinner & Alcaraz: Key Facts

Das Halbfinale von Roland Garros war das fünfte Aufeinandertreffen der beiden. In fünf hochklassigen Sätzen holte sich Alcaraz nach über vier Stunden den Sieg. Im Head-to-Head steht es somit jetzt drei zu zwei für den Spanier. Fun Fact: Ein allererstes Spiel bestritten die beiden bereits 2019 bei einem Challenger in Alicante, wo Alcaraz siegreich war. Die erste Begegnung auf der ATP-Tour datiert auf die zweite Runde in Paris-Bercy 2021, wo sich ebenfalls der Spanier durchsetzen konnte. Die nächsten beiden Duelle, im Achtelfinale von Wimbledon und im Endspiel von Umag/Kroatien, entschied der Italiener für sich. Das dritte Spiel im Jahr 2022, das Viertelfinale bei den US Open, ging dann wieder an Alcaraz. Die letzten vier Matches der beiden waren allesamt Halbfinals. So wie auch jetzt die Begegnung in Paris. Während Sinner in Miami und Beijing/China gewann, behielt der Spanier zweimal in Indian Wells die Oberhand. Zuletzt Mitte März, wo er die zu dem Zeitpunkt anhaltende Serie von 16 ungeschlagenen Spielen in Folge des Italieners durchbrach.

Carlos AlcarazJannik Sinner

Land

SpanienItalien
Alter2122
Körpergröße183 cm188 cm
Körpergewicht74 kg76 kg
Live-Ranking21
Bestes Ranking11
Größter KarriereerfolgTitel US Open 2022, Wimbledon 2023, French Open 2024Titel Australian Open 2024
Karrieretitel14

13

Bestes Ergebnis bei den French OpenTitelgewinn 2024Halbfinale 2024

Carlos Alcaraz: Variabilität, Geschwindigkeit und Vorhand

Das Komplettpaket Carlos Alcaraz ist absolute Weltklasse. Klar, ansonsten ist man mit 21 Jahren nicht bereits zweifacher Grand Slam-Champion. Auch wenn sicherlich alle Aspekte seines Spiels zum Erfolg beigetragen haben, gibt es einige, welche von besonderer Bedeutung und Klasse sind. Zum einen seine Vorhand. Diese wird regelmäßig mit hoher Geschwindigkeit über das Netz gepeitscht. Alcaraz nutzt den Semi-Westerngriff, also einen Mittelweg zwischen dem extremen Westerngriff (Rafael Nadal) und dem eher konservativen Easterngriff (Roger Federer). Somit macht er sich die Vorteile beider Griffarten zunutze.

Carlos Alcaraz: mit Spin & Power

Carlos Alcaraz

Extremer Griff: Carlos Alcaraz spielt mit dem Semi-Western-Griff.Bild: Imago/ Antoine Couvercelle/ Panoramic

Zum einen schafft es Alcaraz enormen Topspin aufzubauen. Mit bis zu knapp 3500 rpm (revolutions per minute), also Umdrehungen pro Minute, kommt er sogar an die Werte von Nadal heran, welcher über Jahre den härtesten und stärksten Topspin aller Zeiten spielte (Bestwerte von bis zu 5000 (!) rpm). Zum Vergleich: Federers Vorhand kam auf durchschnittlich 2500 rpm. Spieler wie Andre Agassi und Pete Sampras erreichten früher nur auf 1800 rpm. Auf Topspin ausgelegte Griffarten bergen oft zwei Risiken: Schulterhohe Bälle sind schwieriger, gerade und ohne Spin zu spielen und auch Volleys sind komplizierter, da man den Schläger durch den Griffwechsel fast um 180 Grad drehen muss. Probleme die beim amtierenden Wimbledon-Champion so gut wie gar nicht auffallen.

Carlos Alcaraz: Tempo & Defensive-zu-Offensive

Ein weiterer extrem wichtiger Aspekt im Spiel des 21-jährigen Spaniers ist seine Geschwindigkeit und Beweglichkeit, gepaart mit der Fähigkeit aus der Defensive in die Offensive zu kommen. Alcaraz ist einer der schnellsten Spieler auf der Tour und schafft es immer wieder aus unmöglichen Situationen den Ball auf die andere Seite zu bringen. Aber nicht nur das: Seine Defensivschläge trudeln nicht einfach über das Netz. In vielen Fällen schafft er es, Winner zu spielen oder den Gegner zumindest so unter Druck zu setzen, dass er im nächsten Schlag den Punkt gewinnen kann. Eine Fähigkeit, die der eines jungen Novak Djokovic sehr nahe kommt. Nach dem letztjährigen Wimbledonfinale lautete der Konsens nicht umsonst, dass der Serbe im Prinzip gegen eine junge Version seiner selbst gespielt und verloren habe.

Die Effektivität dieser Schnelligkeit wird durch den Willen und die Mentalität von Alcaraz noch weiter gestärkt. Er kämpft um jeden Punkt. Selbst wenn es 40:0 für den Gegner steht, rennt er jedem Ball hinterher. Sein Gegner muss sich jeden einzelnen Punkt verdienen. Geschenkt gibt es nur selten etwas.

 

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Carlos Alcaraz mit Kreativität und Spielwitz

Zu den größten Stärken des Spaniers zählen unbestritten auch seine Kreativität sowie sein Spielwitz. Wenige Spieler haben ein solch variables Spiel. Aus allen möglichen Lagen schafft er es, Winner zu spielen und den Gegner unter Druck zu setzen. Begünstigt durch seine Abdeckung des gesamten Courts, gibt es nur wenig Positionen, aus welchen er nicht agieren kann. Seine Schlagauswahl ist durchdacht und auch unter Druck scheut er sich nicht spektakuläre Schläge zu verwenden. Seien es Tweener, „behind-the-back“ Schläge oder Stopps. Letzteres ist dabei genau das richtige Stichwort.

Carlos Alcaraz: Stopp als Allzweckwaffe

Den Stoppball hat sich Alcaraz zu eigen gemacht. Aktuell ist dieser der Beste auf der Tour, teilweise wird er schon als der beste aller Zeiten angesehen – obwohl dieser auf den ersten Blick eher schwierig in das wuchtige Spiel einzubinden scheint. Der Übergang von Powerplay mit harten Grundschlägen zum butterweichen Stopp ist nicht jedermanns Sache. Doch der Mann aus Murcia hat diese Technik nahezu perfektioniert. So hart die Schläge sind, mit denen der Gegner zunächst hinter die Grundlinie gedrängt wird, so gefühlvoll und vor allem schwer vorhersehbar ist der folgende Stopp.

Bemerkenswert: Alcaraz bevorzugt, im Gegensatz zu den meisten anderen Spielern, den Stopp mit der Vorhand. Dieser ist anspruchsvoller als jener mit der Rückhand. Gerade der Griffwechsel und somit auch die Tarnung des Schlages sind erschwert. Statistisch gesehen spielt der amtierende Wimbledon-Sieger durchschnittlich knapp drei Vorhandstopps pro Match. Deutlich mehr als die meisten anderen. Mit der Rückhand sind es ungefähr eineinhalb.

Jannik Sinner: Konstanz, Beweglichkeit & Rückhand

Für Jannik Sinner gilt grundlegend dasselbe: Neben der Klasse des Gesamtpakets ragt die ein oder andere Fähigkeit heraus. Beim Italiener ist es unter anderem die Rückhand, seine druckvolles Spiel und seine Konstanz. Hier gibt es nur wenige Spieler, welche an diese Qualitäten herankommen.

Jannik Sinner: Zweihändige Wucht

Was bei Alcaraz die Vorhand ist, ist bei der designierten Nummer eins der Welt die Rückhand. Der Topspin mit an die 1900 rpm und die durchschnittliche Geschwindigkeit von über 110 km/h machen es für Gegner äußerst schwer diesen Schlag zu kontern. Die Rückhand des Südtirolers ist die härteste auf der Tour und er spielt sie besonders gerne longline. Bei der Schlagqualität lag er im letzten Jahr mit 8,04 Punkten auf Rang zwei hinter Borna Coric. Seine Fehlerquote bei diesem Schlag ist zudem verschwindend gering. Im Vergleich zu anderen Rückhandspezialisten unterscheidet sich die des 22-Jährigen. Alexander Zverev, Novak Djokovic oder auch Daniil Medvedev zeichnen sich nicht primär durch die Härte des Schlags aus. Präzision und Power machen ihre beidhändige Rückhand zu regelrechten Waffen. Kombiniert mit seiner Power, ist die Rückhand von Sinner nicht nur eine der härtesten, sondern auch eine der besten auf der Tour.

Jannik Sinner: Die Konstanz in Person

Jannik Sinner

Auch Jannik Sinner spielt mit dem Semi-Western-Griff.Bild: Imago/SMG

Konstanz ist ein essenzieller Bestandteil im Spiel des Australian Open-Champions. Auch Vorhand, Aufschlag und Return stehen der Rückhand in Sachen Stabilität in nichts nach. Bei jemandem der mit solch einer Härte spielt eigentlich bemerkenswert. Oftmals weisen Power-Player eine höhere Fehlerquote auf, da ihr Spiel deutlich risikobehafteter ist. Nicht so beim Italiener. Die Rückhand mit einer Schlagqualität von 8,04 im letzten Jahr wurde bereits erwähnt. Doch auch die Vorhand, übrigens im ähnlichen Griff wie Alcaraz (Semi-Western), steht mit einem Rating von 8,6 nur hinter Djokovic. In Sachen Returnqualität steht er mit 7,47 ebenfalls auf Platz zwei, wobei nur Medvedev in dieser Disziplin stärker ist.

Bemerkenswert ist auch der Aufschlag. Lange hatte Sinner hiermit Probleme. Besonders Fußstellung und Aufschlagbewegung waren ausbaufähig. Seit vergangenem Jahr hat er daran viel gearbeitet und infolgedessen veränderte er seine Fußstellung von einer offenen zu einer geschlossenen. In seine Aufschlagbewegung baute er erst vor kurzem eine kleine Pause ein. Umso bemerkenswerter, dass er mit 76,4 Prozent gewonnener Punkte beim ersten, sowie 56,8 Prozent beim zweiten, mit die höchsten Quoten auf der Tour hat.

Jannik Sinner: Überraschende Agilität

Groß, schlank und eher wenig muskelbepackt — so ist zumindest das äußerliche Erscheinungsbild von Jannik Sinner. Dennoch überrascht, mit welch einer Agilität und Schnelligkeit er sich über den Platz bewegt. Viele hochgewachsenen Spieler gestalten ihre Verteidigung hauptsächlich durch ihre Größe. Mit großen Schritten und langen Armen schaffen sie es Bälle wieder zurückzuspielen. Oft jedoch ohne ernsthafte Gefahr für den Gegner zu erzeugen. Ganz anders Sinner: Er dominiert zwar ebenso mit seinen Grundlinienschlägen. Doch auch wenn er in Bedrängnis gerät, bringt er trotz seiner „Schlaksigkeit“ eine enorme Beweglichkeit mit, durch welche er es schafft, den gesamten Court zu verteidigen. Zusätzlich rutscht er auf allen Belägen, was in Kombination mit der Rückhand häufig ansehliche Winner ergibt.

Sinner vs. Alcaraz: Gegenseitige Bewunderung

Dass sich hier etwas großes zusammenzubrauen scheint, zeigt auch der Respekt, den die beiden voreinander haben. Alcaraz sprach im Vorfeld des Halbfinal-Matches in Paris davon, dass er es liebe gegen Sinner zu spielen: „Gegen Jannik zu spielen ist aktuell eine der größten Herausforderungen. Gleichzeitig liebe ich es aber auch. Ich liebe es, ans Limit gepusht und dazu gezwungen zu werden, Lösungen zu finden.“

Schätzen sich sehr: Hier Jannik Sinner (li.) mit Carlos Alcaraz im Finale von Umag 2022.Bild: Imago/Marco Todaro/ Live Media

Als Beispiel führt der Spanier hier das Halbfinale von Indian Wells an, wo er Sinner nach einer 1:6 Klatsche im ersten Satz doch noch erfolgreich Paroli bieten konnte. Damals gab auch der Italiener Einblicke in die Gedanken über seinen Rivalen. Man verstehe sich außerhalb des Courts gut, respektiere sich. „Immer wenn wir spielen, ist es ein super Match. Er ist mehr der Emotionale und Kämpfer, ich mehr der Ruhige. Wenn ich gegen Carlos spiele, zeigt mir das immer sehr gut auf, woran ich noch zu arbeiten habe“, sagte Sinner im Vorfeld der Miami Open Ende März.

Das Halbfinale von Roland Garros war für Sinner die erste Niederlage bei einem Grand Slam-Turnier in diesem Jahr. Alcaraz zog somit in sein erstes Finale in der französischen Hauptstadt ein und holte sich dort gegen Alexander Zverev in einem weiteren Fünfsatzmatch seinen dritten Major-Titel. Somit ist er der jüngste Spieler, der einen Grand Slam auf allen drei Belägen gewann. Doch auch für Sinner hat das Turnier etwas Gutes. Als erster Italiener überhaupt übernimmt er Position eins in der Weltrangliste und löst damit nach 32 Wochen Novak Djokovic ab.