Es gibt Momente, da denkt man: Gleich passiert Historisches. Etwas, worüber man noch in zehn Jahren reden wird. Alles nimmt man dann intensiver auf. Der Rasen ist noch grüner, die Bälle größer. Das Publikum ist ganz ruhig – so, als breche gleich ein Sturm aus. Die Spannung ist geradezu elektrisch. Montag nachmittag. Centre Court Wimbledon. Roger Federer spielt gegen Alejandro Falla. Man hatte nicht viel erwartet von diesem Match. Lieber Dustin Brown gucken, den Deutsch-Jamaikaner mit den irren Dreadlocks, die ein halbes Kilo wiegen müssen, so schwer sehen sie aus (er verlor glatt gegen Jürgen Melzer). Oder Florian Mayer gegen Marin Cilic (Mayer spielte beim 6:2, 6;4, 7:6 fast perfekt gegen die Nummer 11 der Welt).
Der Maestro spielte grauenvoll
Doch plötzlich stand es 0:2 in Sätzen gegen den Titelverteidiger. Auf der ganzen Anlage schien es, als flüsterten Zehntausende: „Federer ist gleich draußen.“ Wie konnte es so weit kommen? Gegen Falla? Als die beiden 2004 hier zuletzt spielten, siegte Federer 6:1, 6:2, 6:0. Vor zwei Wochen in Halle gewann der Schweizer 6:1, 6:2. Federer führt das Tableau an (obwohl er kurioserweise „nur“ an Nummer zwei gesetzt ist), Falla ist die Nummer 65 der Welt.
Aber der Kolumbianer führte 2:0. Im dritten Satz sah es auch nicht gut aus: 4:4, 0:40. Drei Breakbälle gegen Federer (später kam noch ein weiterer Breakpunkt dazu). Und nicht nur das: Der „Maestro“ spielte grauenhaft: kaum erste Aufschläge im Spiel, Fehler über Fehler bei Vor- und Rückhand. Federer schien ohne Energie, stand komplett neben sich. Harry Potter mit dem Zauberstab, wie sie früher in Wimbledon über ihn schwärmten? Nein, eher ein Normalsterblicher, der auch schlechte Tage hat, und die Bälle wie ein Anfänger mit dem Rahmen trifft.
Ein Yeahhh, das man noch am Buckingham Palace hörte
Hätte Falla diesen einen Volley, den er zu dem Zeitpunkt hatte, ins Feld gespielt – es wäre wohl vorbei gewesen. Das sah auch Federer später so: „Da wäre ich nicht mehr rausgekommen.“ Doch Federer machte das Spiel, und das „Yeahhhh“, das durchs Stadion dröhnte, hat man wahrscheinlich noch am Buckingham Palace gehört. Federer gewann den dritten Satz.
Die Wende? Nein. Federer blieb blass, Falla druckvoll. Immer wieder schoss er die Vorhand die Linie herunter. Er ließ sich treiben von der Sensation, die in der Luft lag. Im vierten Satz führte Falla 2:0, 3:1, 4:2, 5:3. Bei 5:4 schlug der Linkshänder zum Match auf. Später sagte er: „Das war das erste Mal, das ich anfing zu denken.“
Das Last Minute Break
Das Denken kostete Falla die Partie. Er hatte bis zu diesem Zeitpunkt das Match seines Lebens gespielt. Und dann ging alles ganz schnell. Federer breakte, gewann den Tiebreak und den letzten Satz praktisch ohne Gegenwehr – 5:7, 4:6, 6:4, 7:6, 6:0.
„Ich hatte in dieser Saison so oft Pech bei Matchbällen. Diesmal hatte ich Glück“, kommentierte Federer. Immer wieder lobte er den Gegner. Falla sei gut, solide, unbequem, ein Talent. Was fair ist, für einen Champion. Andererseits: Die eigenen Fehler wollte er nicht analysieren. Und bei der eigenen Einschätzung lag er daneben: „Ich habe nicht das Match meines Lebens gespielt, aber zeitweise habe ich nicht schlecht gespielt.“ Einspruch. Selten sah man Federer so fehlerhaft, so energielos (den fünften Satz ausgeklammert). Es war ein bisschen so, als halfen Federer in den entscheidenden Momenten höhere Mächte. Was gut ist. Das Turnier braucht ihn.