Deutsches Doppelhoch: so viele Top 100-Spieler wie noch nie
Das deutsche Herrentennis stellte im Juli 2024 einen neuen Rekord auf – mit elf Doppelspielern in den Top 100. Über die Gründe für den deutschen Doppel-Boom auf der ATP Tour.
Wenn sich deutsche Tennisfans aktuell durch die Top 100 der Weltranglisten scrollen, finden sie zunächst kaum Gründe, um in Jubelstürme auszubrechen. Bei den Damen gibt es im Einzel nur noch zwei Vertreterinnen: Tatjana Maria (Platz 71) und Laura Siegemund (Platz 93). Bei den Herren sieht es zwar besser aus, weil mit Alexander Zverev (4.), Jan-Lennard Struff (36.), Dominik Koepfer (82.), Daniel Altmaier (87.) und Yannick Hanfmann (98.) fünf Deutsche zu den Top 100 zählen. Aber die Aussicht auf frische Kräfte und neue Namen ist derzeit eher mau.
Wer sich aber die Mühe macht, in die Doppel-Rankings reinzuschauen, wird positiv überrascht sein. Gut, bei den deutschen Damen steht nur Laura Siegemund (6.) in den Doppel-Top 100. Aber in der Herren-Doppelweltrangliste tummeln sich die deutschen Spieler: Seit Ende Juli 2024 stehen elf von ihnen in den Top 100 (s. Tabelle unten). Das ist ein historischer Rekordwert, wie die ATP auf Anfrage von tennis MAGAZIN bestätigte.
Deutsches Doppelhoch
Elf deutsche Profis stehen in der Doppel-Weltrangliste in den Top 100
Rang | Spieler |
22. | Tim Pütz |
22. | Kevin Krawietz |
45. | Constantin Frantzen |
45. | Hendrik Jebens |
59. | Andreas Mies |
78. | Andre Begemann |
81. | Alexander Zverev |
84. | Yannick Hanfmann |
87. | Dominik Koepfer |
92. | Mark Wallner |
93. | Jakob Schnaitter |
Feste deutsche Doppel in der Jahres-Wertung („Doubles Race“)
Rang | Duo |
6. | Pütz/Krawietz |
20. | Frantzen/Jebens |
28. | Schnaitter/Wallner |
30. | Hanfmann/Koepfer |
Die bisherige Bestmarke lag bei neun deutschen Profis in den Top 100 der Doppel-Weltrangliste. Ende Mai 1989 gab es diese Anzahl mit Eric Jelen, Boris Becker, Charly Steeb, Patrik Kühnen, Udo Riglewski, Michael Stich, Ricki Osterthun, Patrick Baur und Martin Sinner erstmalig. Viermal wurde der Rekord danach eingestellt, aber erst am 15. Juli 2024 mit zehn Spielern wirklich übertroffen. Nun sind es sogar elf.
Struff fehlt sogar noch in den Doppel-Top 100
Was auffällt: Es sind einige Namen dabei, die nur den Hardcore-Tennisfans auf Anhieb etwas sagen. Und es fehlt mit Jan-Lennard Struff einer der nachweislich besten deutschen Doppelspieler. Struff tritt aufgrund seiner Hüftproblematik nur noch selten im Doppel an. 2024 spielte er zwei ATP-Doppelturniere mit einer erstaunlichen Quote: Titel in Dubai (mit Tallon Griekspoor), Finale in München (mit Andreas Mies). Macht 7:1 ATP-Doppelsiege 2024.
Aber auch ohne Struff ist die aktuelle Liste beeindruckend, weil keine andere Nation bis auf die USA mit ebenfalls elf Akteuren in den Doppel-Top 100 mit Deutschland mithalten kann. Australien kommt auf sieben Spieler, Frankreich auf neun, Großbritannien auf acht und die zuletzt so hochgelobten Italiener nur auf drei.
Aus deutscher Sicht ist der Mix der Spieler, die es in die Top 100 geschafft haben, spannend. Das deutsche Top-Duo Kevin Krawietz und Tim Pütz führt die Liste an. Die beiden sicherten sich 2024 den Titel in Hamburg und verloren die Endspiele von Brisbane und Halle. Allerdings waren sie bislang recht weit von ihrem selbstgesetzten Ziel, gemeinsam Grand Slam-Titel zu holen, entfernt: In Wimbledon und Melbourne scheiterten sie im Viertelfinale, in Roland Garros schon im Achtelfinale. Sie sind Deutschlands bestes Doppel, aber das unangefochtene Top-Duo sind sie nicht mehr.
Newcomer Frantzen/Jebens auf der Erfolgsspur
Die Newcomer von 2023, Constantin Frantzen und Hendrik Jebens, spielen sich immer weiter noch oben und konnten beim ATP-Turnier in Stuttgart sogar gegen Pütz/Krawietz gewinnen, die ihrerseits aber die Oberhand im Halbfinale von Hamburg behielten. Frantzen/Jebens standen zuletzt im Viertelfinale von Wimbledon und im Finale von Kitzbühel. Nachdem sie zu Beginn der Saison mit vielen Niederlagen zu kämpfen hatten, haben sich sie mittlerweile auf ein ordentliches Level gespielt.
Dahin wollen auch Jabok Schnaitter und Mark Wallner, die noch 2023 auf der unterklassigen ITF-Tour spielten und die nun – nach vier Challenger-Titeln 2024 – immer häufiger auf der großen ATP-Bühne auflaufen. Ihr Ziel sind die sind Grand Slam-Felder spätestens ab der Saison 2025. Dafür müssen beide in der Doppel-Weltrangliste etwa um Platz 65 stehen. (Mehr zum neuen deutschen Doppel Schnaitter/Wallner gibt es in unserer nächsten Printausgabe, die am 20. August 2024 erscheint!)
Mies auch ohne festen Partner erfolgreich
Andreas Mies, zweimaliger Roland Garros-Doppelsieger mit Kevin Krawietz, hat aktuell keinen festen Doppelpartner auf der Tour, aber selbst mit einem „Zufallspartner“ gewinnt er noch Turniere – wie zuletzt in Kitzbühel an der Seite von Alexander Erler. Erstaunlich auch die Erfolgswelle, auf der Andre Begemann mit seinen 40 Jahren noch reitet. Nach einer längeren Coronapause hat Begemann 2024 schon zwei Challenger-Titel gewonnen. Zur Erinnerung: „Bege“ siegte zwischen 2012 und 2014 bei vier ATP-Turnieren (unter anderen mit Martin Emmrich) und wurde zweimal im Davis Cup-Doppel eingesetzt.
Neben den acht reinen Doppelspezialisten sind mit Alexander Zverev, Dominik Koepfer und Yannick Hanfmann auch drei deutsche Einzelprofis in den Doppel-Top 100 vertreten. Zverev profitiert dabei von seinem Finaleinzug in Madrid mit Kumpel Marcelo Melo. Koepfer und Hanfmann legten bei den Australian Open 2024 einen Doppel-Traumlauf bis ins Halbfinale hin. Die aktuell großartige Doppelsituation der deutschen Spieler wurde also ein Stück weit vom Zufall begünstigt.
Kohlmann: Kraweitz/Mies waren Auslöser des deutschen Doppelhochs
Aber DTB-Bundestrainer Michael Kohlmann sieht auch konkrete Gründe für den deutschen Doppel-Boom. „Ich glaube, dass diese tolle Anzahl stark mit den Erfolgen von Kevin Krawietz und Andreas Mies zusammenhängt. Da haben einige deutsche Spieler, die es im Einzel vielleicht nicht geschafft haben, gesehen, dass man trotzdem noch eine erstklassige Doppelkarriere hinlegen kann“, vermutet Kohlmann. Und: „Bei vielen Spielern ist es auch einfach die Liebe zum Sport. Zudem sind aktuell viele deutsche Doppelteams so erfolgreich, weil sie sich gegenseitig zu Bestleistungen antreiben.“
Zur Wahrheit gehört aber ebenfalls: Neun der elf deutschen Top 100-Doppelspieler spielten früher Collegetennis in den USA. Die einzigen Ausnahmen sind Kevin Krawietz und Alexander Zverev. Wer sich in der Szene umhört, bekommt schnell den Eindruck: Collegetennis ist eine Art zweiter Bildungsweg insbesondere für spätere Doppelprofis geworden. Kohlmann bestätigt dies: „Die Doppelausbildung ist dort sehr gut. Davon profitieren die deutschen Teams jetzt auf der Tour.“
Doppelprofis wie Constantin Frantzen, Andreas Mies, Andre Begemann oder Jakob Schnaitter waren in ihrer Jugendzeit keine Überflieger. Sie wurden zwar zum Teil gefördert, aber wenn die Förderung mit der Vollendung des 18. Lebensjahrs endet und man nicht sofort Fuß fassen kann im Profibereich, ist es für diese Jungs verdammt schwierig, sich ihren Traum vom Profitennis zu erfüllen. Für sie ist dann der Weg an ein US-College die beste Alternative.
In den College-Tennismannschaften erfuhren sie dann, was echter „Teamspirit“ ist. Und welch große Bedeutung dem Doppel beigemessen wird – allein schon deshalb, weil es vor den Einzeln absolviert wird.
Das deutsche Tennis kann sich aktuell als Profiteur dieser Entwicklung sehen – wenn auch „nur“ im Herrendoppel.