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Imposante Kulisse: Der Center Court der Western & Southern Open von Cincinnati bietet knapp 11.500 Zuschauern Platz.Bild: Oliver Hardt

Cincinnati: Hinter den Kulissen des Masters-Turniers

Ein Trip nach Cincinnati. Ins „Heart of Tennis“, wie die Veranstalter ihr Masters-Turnier liebevoll nennen. Per Auto ging es auch zu den Wurzeln des Turniers im Bundesstaat Ohio.

Erschienen in tennis MAGAZIN-Ausgabe 10/2023

Als der letzte Ball gespielt wurde, war das Team von tennis MAGAZIN schon wieder in Deutschland gelandet. Eigentlich schade. 3:49 Stunden hatten sich Novak Djokovic und Carlos Alcaraz im Finale von Cincinnati die Bälle um die Ohren geprügelt. Dieses 5:7, 7:6, 7:6 aus Sicht des Serben war das längste Dreisatzmatch in einem Finale, das seit den Aufzeichnungen von ATP-Statistiken 1990 auf der Tour gespielt wurde. Der Thriller passte ins Bild. Es war das spektakuläre Ende einer außergewöhnlichen Reise.

Novak Djokovic gewann 2023 zum dritten Mal das Masters in Cincinnati. In einem packenden Finale schlug er Carlos Alcaraz.Bild: Imago/John Whitman

Auf den Spuren der Western & Southern Open

Als wir vor ein paar Monaten gemeinsam mit unserem Partner Porsche die Idee entwickelten, nach Cincinnati zu fliegen, ging es zwar auch um den großen Sport. Die Western & Southern Open, das kombinierte Damen- und Herrenmasters, stehen in einer Reihe mit Events wie Indian Wells, Miami oder Madrid. Die Dichte der Topmatches ist noch beeindruckender als bei Grand Slam-Turnieren, weil die Teilnehmerfelder noch kompakter sind.

Uns interessierte aber auch: Wie ist die Atmosphäre vor Ort? Wie nehmen die Fans das Turnier wahr? Was läuft hinter den Kulissen? Wir wollten Cincinnati mit allen Sinnen inhalieren: das Turnier, die Menschen, die Stadt. Wobei: Cincinnati selbst ist überschaubar. Rund 300.000 Menschen leben hier. Wenn von „Cincy“, wie die Stadt im Mittleren Westen der USA hier genannt wird, die Rede ist, dann geht es immer um die Metropolregion mit riesigen Ausmaßen und reichlich Platz für seine 2,2 Millionen Einwohner. Tri-state heißt die Gegend, weil im Süden Kentucky und im Norden Indiana an Ohio grenzen. Drei Bundesstaaten im Herzen der USA verschmelzen praktisch miteinander.

Durch die Straßen von Cincinnati

Es ist Sonntagmorgen. Das Wetter ist für einen Sommer in Ohio bescheiden. Schwülheiße 30 Grad und azurblaue Himmel bietet der August normalerweise. Heute ist es bewölkt und vergleichsweise kühl. Wir steuern unseren enzianblauen Macan T durch die Downtown von Cincinnati. Rechts das Paycor Stadium, wo die Bengals, das NFL-Footballteam, zuhause sind. Links der Great American Ball Park, wo das Major League Baseball-Team, die Cincinnati Reds, ihre Heimspiele austragen. Die Stadien liegen nur ein paar hundert Meter auseinander – ein Eldorado für Sportfans.

Wir rollen die Race Street hinunter Richtung Ohio River und überqueren die John A. Roebling Suspension Bridge, eine historische Hängebrücke von 1866, die ein bisschen aussieht wie die Brooklyn Bridge in New York und vom gleichen Architekten gebaut wurde. Auf der anderen Uferseite: Kentucky. Wir umrunden den Kreisverkehr hinter der Brücke und fahren über die 322 Meter lange Stahl- und Betonkonstruktion zurück nach Ohio, vor uns gepflegte Grünanlagen und die Skyline von Cincinnati. Das Ziel heißt jetzt: Lindner Family Tennis Center.

Die Familie Lindner

Lindner – der Name taucht während unseres Trips immer wieder auf. Straßen und Gebäude sind nach den Lindners benannt. Es ist die prominenteste Familie in der Gegend, etwa das, was die Rockefellers und Vanderbilts in New York sind. Laut Forbes gehören die Lindners zu den 130 reichsten Familien in den USA.

Wir tippen die Adresse ins Navi ein. 26 Meilen sind es von Downtown bis zur Anlage, die genaugenommen in Mason, Ohio liegt. Heute, am Sonntag, sind die Straßen frei. Wir lassen unseren 265 PS-Schlitten mit 65 Meilen pro Stunde und Classic Rock im Ohr über die Interstate 71 gen Norden gleiten. Von der Autobahn sieht man das Tennisstadion links, rechts ein Vergnügungspark mit Achterbahn und einer Miniaturausgabe des Eiffelturms.

Magische Atmosphäre von Anfang an

Volunteers weisen uns den Weg zu unserem Parkplatz. Die Massen an Autos geben einen ersten Eindruck von den Dimensionen der Western & Southern Open, kurz WSO. Klar, wir sind in den USA. Mit Bus und Bahn kommt hier niemand zum Turnier. Am Hintereingang, wo nur Spieler und Presse Zugang haben, prangt der Schriftzug: „The heart of Tennis“ garniert mit dem Turnierlogo.

Wie sehr vor Ort das Herz für Tennis pocht, das spüren wir überall. Bei den freundlichen Damen im klimatisierten Pressezentrum, die einem jeden Wunsch erfüllen – inklusive einer Führung durch die Katakomben des Stadions –, bei den 1.335 Volunteers, den freiwilligen Helfern, die für einen reibungslosen Ablauf sorgen und bei den Fans, die vier Etagen tiefer vor dem „Walk of Fame“ den eintreffenden Profis laut zujubeln, sich Autogramme geben lassen oder für Selfies posieren.

Beeindruckende Anlage

Der beste Blick über das Tennisgeschehen bietet sich im Stadion hoch oben auf einer Terrasse unterhalb des Pressezentrums. Von hier sieht man fast die komplette Anlage mit seinen 17 Courts. Direkt unten: der Center Court mit Platz für 11.435 Zuschauer, rechts davon der Grandstand (für 5.000 Zuschauer), auf dem Alexander Zverev in einem fantastischen Match ein paar Tage später im Achtelfinale Daniil Medvedev mit 6:4, 5:7, 6:4 schlagen wird.

 

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Das sogenannte South Building, das 2018 für 25 Millionen Dollar gebaut wurde und alle erdenklichen Annehmlichkeiten für die VIPs bietet, trennt die beiden Hauptplätze. Links unten von der Terrasse gesehen: der Porsche Court. Der Automobilhersteller aus Germany hat hier nicht nur einen eigenen Showcourt, der rund 2.200 Zuschauer fasst, er stattet auch die Stars mit netten Flitzern aus, 20 an der Zahl, je neun für die besten Damen und Herren und zwei Extra-Fahrzeuge, die bei der Porsche ­Players Party am Samstag vor Turnierbeginn ­verlost wurden.

Fanerlebnis im Fokus

Weiter hinten tut sich was. An diesem Sonntag finden noch kaum Hauptfeldmatches statt. Aber Stadium 3 ist rappelvoll. 4.000 Zuschauer passen rein. Die Wärter haben Stress, die Fans von den Gängen fernzuhalten. Jeder will dabei sein. Dann laufen auf: Novak Djokovic und Hubert Hurkacz samt ihrer Teams – für ein Trainingsmatch! Als tennis MAGAZIN Djokovic nach der Session bei der obligatorischen Pretournament-Pressekonferenz fragt, ob er so etwas schon einmal erlebt habe, muss der Serbe schmunzeln. „Ich dachte, wir haben uns mit dem Court vertan und hier findet ein Match statt“, antwortet ein gut gelaunter „Djoker“.

Fanerlebnis heißt das Stichwort. Auf den Hauptcourts gibt es riesige Screens, auf denen man keinen Ballwechsel verpasst. Auf Mini-Courts kann man selber spielen. Daneben der Food Court mit Sushi- und Burgerständen. Und überall schwingt im „Heart of Tennis“ die gewaltige Tradition mit. Tennis in Cincy – das ist Kult. Nach den U.S. National Championships, dem Vorgänger der US Open, die 1881 erstmals gespielt wurden, ist Cincinnati das älteste Turnier in den USA. In diesem Jahr werden 125 Jahre Turniertennis gefeiert. Eingefleischte Fans schwärmen jetzt noch von „Boris“. Boris Becker ist der jüngste Cincinnati-Champion mit 17 Jahren und acht Monaten, als er 1985 hier gewann. Der Spieler mit den meisten Titeln, insgesamt sieben zwischen 2005 und 2015, heißt Roger Federer.

Verkauf des Turniers nach Charlotte?

Der Mann, der die Turniergeschichte aufgeschrieben hat, steht jetzt im Pressezentrum. Phillip S. Smith begrüßt uns. Sein Buch hat er dabei. 520 Seiten dick. „From Club Court to Center Court“, Untertitel: Die Evolution des Profitennis in Cincinnati, heißt das Werk, in dem er alles über das Turnier aufgeschrieben hat: Turnierhistorie, Champions, alle erdenklichen Statistiken. Jedes Jahr wird es aktualisiert. Die Frage ist, was künftig mit der liebevoll gestalteten Chronik passiert. Denn wenn nicht alles täuscht, wird es das Masters in Cincinnati künftig nicht mehr geben. Die Kurzversion geht so: Die Lizenz des Turniers gehörte vor kurzem noch der USTA, dem amerikanischen Tennisverband. Inzwischen wurde sie an den Finanzdienstleister Beemok Capital verkauft, angeblich für 250 Millionen Dollar.

Firmenboss ist der Philanthrop und Milliardär Benjamin Navarro, ein glühender Tennisfan. Seine Tochter, US-Profi Emma Navarro, ist die Nummer 57 der Welt. Navarro senior, in Charleston, South Carolina, zuhause, möchte das Turnier ab 2026 nach Charlotte, North Carolina, in einen neuen Tennistempel verlegen. Die Kosten für den Bau sollen bei 400 Millionen Dollar liegen. In Cincinnati ist man davon nicht begeistert. Wahrscheinlich auch nicht von einem genialen Schachzug des neuen Besitzers.

Todd Martin als neuer Drahtzieher

Als Turnierdirektor hat er in diesem Jahr schon einmal die frühere Nummer vier der Welt, Todd Martin, installiert. Der Zwei-Meter-Mann Martin, inzwischen ergraut, war schon immer ein Sympathieträger des amerikanischen Tennis. Im neuen Konstrukt ist er der „Head of Tennis“, zuständig für alle Tennisaktivitäten für Beemok Sports and Entertainment, eine Unterfirma von Beemok Capital. „Seit ich 2004 meine Karriere beendet habe, war ich nicht oft hier, aber das Turnier hat sich sehr gut entwickelt“, sagt Martin. Er sitzt in einem klimatisierten Büro im Bauch des Center Courts. Auch bei Martin fällt immer wieder das Wort Fanerlebnis. Martin sorgte auch dafür, dass das Stadium 3 für das Training von Djokovic reserviert wurde – der Effekt war gewaltig. „Wir haben sogar überlegt, den Grandstand für das Training zu blocken, anstatt dort Quali-Matches zu spielen. Dann hätten dort Swiatek, Sabalenka, Pegula, Djokovic, Alcaraz und Medvedev trainiert“, schwelgt Martin.

Der neue Chef in Cincinnati. Todd Martin ist seit 2023 Turnierdirektor der Western & Southern Open.Bild: Oliver Hardt

Wie sensibel das Thema Umzug ist, ist ihm klar. Er weiß um die große Tennis­tradition in Cincinnati. „Unser größtes ­Kapital sind die 11.000 Zuschauer, die gerade jetzt im Stadion sitzen. Ich bin in Michigan und Ohio aufgewachsen. Hier im Mittlerem Westen der USA ist Cincinnati das Zentrum des Universums“, sagt er. Aber er sagt auch: „In den nächsten Jahren wird es ein zwölftägiges Turnier mit jeweils 96 Spielern bei Damen und Herren geben. Die Doppel- und Quali-Startfelder werden ebenfalls größer. Dieses Wachstum, von dem wir begeistert sind und an das wir glauben, wird dieses Gelände ans Limit bringen.“

Rund 30 Tennisplätze benötige man, 13 mehr als bisher, neue Umkleidekabinen, mehr Platz für die Spieler. „Jedes Mal wenn ich durch den Verpflegungsbereich gehe, drücke ich die Daumen, dass die Spieler nicht stehend essen müssen“, sagt Martin. Es sei nicht einfach, die Anlage umzubauen oder neues Land zu kaufen. Fakt ist: „Die Entscheidung muss bald getroffen werden.“

Mit Josh Heller beim Kenwood Country Club

Draußen herrscht das pure Tennisglück. Die Anlage ist „packed“. Vor den Trainingsplätzen verrenken sich die Fans die Hälse. Auf einem spielt J. J. Wolf, 24 Jahre alt und die Nummer 45 der Welt. Wolf, ein Typ wie der junge Agassi, kommt aus Cincinnati. Genauso wie Top 60-Spielerin Peyton Stearns und Caty McNally, Nummer 74 der Welt. Josh Heller kennt sie alle. Stearns ist sogar Mitglied in seinem Club.
Wir haben inzwischen die WSO verlassen und biegen ab in die imposante Einfahrt des Kenwood Country Clubs. Wir sind angekündigt. Heller, Director of Racquet Sports, wartet schon im Clubhaus. Er führt uns herum, zeigt uns die vier gepflegten Har-Tru-Plätze (grüne Asche), zwei Hardcourts, sechs Pickleballplätze und vier Platform-Tenniscourts. Es ist die amerikanische Variante von Padel.

„Ihr hättet abends kommen müssen, da ist alles voll“, sagt er grinsend, während vor uns auf dem Platz einer von fünf Coaches einem Schüler Unterricht gibt. 950 Familien sind Mitglied im Country Club, rund 500 Personen spielen Tennis, vor allem Freizeittennis. Überraschenderweise finden die Ligen bei den Herren vor allem in den Hallen statt. Organisiert sind sie in der Greater Cincinnati Indoor Tennis Association, kurz GCITA. 80 bis 100 Indoorplätze existieren in der Metropolregion.

Wenn Heller, ein früherer Collegespieler an der Indiana University, über Tennis redet, spürt man seine Begeisterung und die Liebe zum Mastersturnier. „Peyton spielt mit Navarro Doppel. Ich habe ihr gesagt: ‘Erzähl ihr, dass sie bei ihrem Dad ein gutes Wort für Cincy einlegen soll’“, scherzt er. Klar, auch er ist voll im aktuellen Thema. „Ich glaube, der Staat Ohio hat eine Menge Geld geboten, um das Turnier zu halten, aber das wird wohl nicht reichen“, mutmaßt Heller und schwärmt: „Cincinnati ist eine Tennisstadt. Sie sind verrückt nach Tennis und die Profis lieben Cincy. Sie können sich frei bewegen. Unsere Leute sind Riesenfans, aber sie lassen die Spieler in Ruhe.“

Heller kennt viele Geschichten. Die von Andy Murray, der es liebte, beim Gemüsehändler in Mason einzukaufen. Oder die von Stefanos Tsitsipas, der bei einem Clubmitglied wohne. „Viele Stars“, sagt er, „mieten Häuser in Indian Hill“, den an den Country Club angrenzenden Nobelstadtteil.

Zu Besuch im Cincinnati Tennis Club

Unser letzter Stopp. Wir parken unseren Macan vor dem Cincinnati Tennis Club, hier liegen die Wurzeln der Western & Southern Open. 1880 steht auf einem Stein, bevor es auf eine Veranda mit knarzenden Dielen und gemütlichen Korbsesseln geht. Wir sind spät. Jasen Hansen, Head Coach und General Manager in Personalunion, muss Training geben. „Aber seht Euch gerne um!“, ruft er uns zu. Die Stippvisite in einem der ältesten Clubs der USA mit den Holzschlägern und den vergilbten historischen Fotos wird im Erinnerung bleiben. Genauso wie die auf der Players Party ausgelassen tanzende Coco Gauff, die eine Woche später ihren größten Erfolg auf der Tour feiert – ein Highlight wie der Djokovic-Alcaraz-Hammer. Bye bye, liebes Cincy! Wie immer deine Zukunft auch aussehen mag.

PS. Ein Jahr später sieht die Zukunft in Cincinnati rosig aus. Bereits im Oktober wurde entschieden, dass das Turnier in Ohio bleibt – passend zum Jubiläum – 125 Jahre Tennis in Cincy!