Videobeweis im Tennis: Hintergründe der Diskussion
Mehrfach kam es in den vergangenen Wochen auf der Tour zu strittigen Szenen und Schiedsrichterentscheidungen. Immer wieder werden im Zuge dessen Stimmen laut, die sich für die Einführung eines Videobeweises im Tennis aussprechen. Was sind die Hintergründe?
Grundlegend gab es in den letzten vier Wochen drei Vorfälle, welche die Diskussion um einen Videobeweis im Tennis maßgeblich befeuerten. Angefangen am Hamburger Rothenbaum, im Match zwischen Alexander Zverev und Hugo Gaston. Beim Stand 4:5 und Satzball für den Franzosen erlief dieser einen kurzen Ball von Zverev und löffelte diesen wieder übers Netz. Allerdings war eindeutig zu erkennen, dass die Kugel bereits zweimal aufgesprungen war. Schiedsrichterin Alison Hughes gab den Punkt und damit den Satz trotzdem an Gaston. Eine eindeutige Fehlentscheidung über die sich Zverev beim Oberschiedsrichter und dem Supervisor minutenlang echauffierte. Im Anschluss sprach sich die deutsche Nummer eins für die Einführung eines Videobeweises aus: „Wir haben die Technologie des Video-Review schon mal getestet, beim United Cup, beim ATP Cup. Alle Spieler haben es geliebt. Das heißt, wenn wir die Technologie haben, können wir sie auch benutzen – ganz einfach.“ Weiter führte der 27-Jährige aus, dass einem solche Fehlentscheidungen auch das Match kosten können und nicht nur, wie in seinem Fall, einen Satz.
Eher Double-Bounce, oder? #Zverev #Gaston #HamburgOpen pic.twitter.com/yQwma8xU2i
— Tim Boeseler (@TimBoeseler) July 18, 2024
Gauff bei Olympia in Tränen
Nur zwei Wochen später war es dann die amtierende US Open-Siegerin Coco Gauff, die sich den im Fußball so verhassten „Video Assistent Referee“ (VAR) im Tennis herbeiwünschte. Bei Breakball gegen sich schlug ihre Gegnerin Donna Vekic einen Return knapp an die Grundlinie. Es ertönte zunächst ein Ausruf, der kurz darauf allerdings von Stuhlschiedsrichter Jaume Campistol überstimmt wurde. Gauff beschwerte sich daraufhin vehement und empfand den Ausruf als zu früh und dadurch störend. Im Disput mit Campistol brach die US-Amerikanerin schließlich sogar in Tränen aus. Nach dem Match sprach sie von einem frustrierenden Moment: „Sowas ist mir in diesem Jahr schon häufiger passiert. Ich denke, wir sollten im Tennis einen VAR haben, gerade für solche Situationen. Es ist sehr frustrierend, wenn erst im Nachhinein aufgeklärt wird, dass man eigentlich recht hatte. Dann bringt einem das auch nichts mehr.“
‚It isn’t fair!‘
Coco Gauff was very vocal about a call in her match against Donna Vekic earlier today 🎾#Paris2024 #Olympics pic.twitter.com/FQMxysBDs3
— Eurosport (@eurosport) July 30, 2024
Skandal bei Draper vs. Auger-Aliassime
Den größten Aufschrei gab es allerdings im Achtelfinale der Cincinnati Open zwischen Jack Draper und Felix Auger-Aliassime. Draper rückte nach dem Aufschlag direkt ans Netz vor und wollte den Return des Kanadiers als Halbvolley spielen. Der Brite war allerdings schneller am Ball als gedacht. Die Kugel sprang an seinen Schläger, von dort auf den Boden und von da wieder an den Schläger und auf die andere Seite. Auger-Aliassime war sofort überzeugt, dass Draper den Ball zweimal berührt hatte. Dementsprechend verdutzt war er, als Schiedsrichter Greg Allensworth den Punkt dennoch an den Briten gab. Draper beharrte in der folgenden Diskussion mit Allensworth und dem Supervisor auf dem Standpunkt er habe es nicht genau gesehen, da er auf Auger-Aliassime geachtet habe. Zu allem Überfluss geschah diese Situation bei Matchball für Draper. Die Fehlentscheidung entschied also nicht nur den Punkt, sondern auch das gesamte Match.
Oh my! 🫣 pic.twitter.com/FazKHlOKY9
— Stefanos Tsitsipas (@steftsitsipas) August 17, 2024
Tsitsipas & Djokovic mit Unverständnis
Die Szene rief eine Menge Reaktionen hervor, so auch bei Novak Djokovic und Stefanos Tsitsipas. Der Grieche postete auf X eine Nahaufnahme der Situation und schrieb dazu: „Ich glaube, ich habe noch nie so einen Schlag gesehen.“ Djokovic repostete diesen Beitrag und äußerte sein Unverständnis: „Es ist peinlich, dass wir keinen Videobeweis für solche Situationen haben. Noch lächerlicher ist, dass der Schiedsrichter seine Entscheidung unter keinen Umständen ändern darf. Wir leben im technologisch fortgeschrittenen 21. Jahrhundert. Bitte sorgt dafür, dass sich dieser Unsinn nicht wiederholt.“ Auch Felix Auger-Aliassime plädierte nach dem Match auf Instagram in Zukunft für „eine objektivere Möglichkeit solche Situationen zu lösen“.
It’s embarrassing that we don’t have video replay of these kind of situations on the court. What’s even more ridiculous is that we don’t have the rule in place that would allow chair umpires to change the original call based on the video review that happens off the court!… https://t.co/MQsmqpTmXK
— Novak Djokovic (@DjokerNole) August 17, 2024
US Open bereits mit Videobeweis
Der Grund dafür, dass es auf der Tennistour noch keinen Videobeweis gibt, ist vermutlich auf Kostengründen zurückzuführen. Bereits die Einführung des „Electronic Line Calling Live” (ELC Live) geriet, gerade bei kleineren Turnieren, ins Stocken, da häufig das Geld fehlte. Letztendlich setzte sich aber die ATP durch und das ELC Live ist ab 2025 bei allen Turnieren verpflichtend. Das Video-Review hingegen gibt es aktuell nur bei den US Open. Bereits 2023 wurde die neue Technologie beim letzten Major des Jahres getestet. Der Referee kann sich somit eine Szene erneut anschauen und überprüfen, ob der Ball beispielsweise zweifach aufgekommen oder berührt wurde. Wenn es nach der Meinung vieler Spieler gehen würde, gehört der Video Review auch möglichst bald auf dem Rest der Tour etabliert. Ob sich die Verantwortlichen der ATP in naher Zukunft ein Beispiel an den US Open nehmen, bleibt abzuwarten.