Jannik Sinner

Einsatz in Indian Wells: Beim Masters in der kalifornischen Wüste wurde Jannik Sinner positiv auf das verbotene Mittel Clostebol getestet. ©Imago/Brandon Magpantay

Dopingfall Jannik Sinner: „Das ist ein Super-GAU für den Tennissport“

Zwar wurde die Nummer eins trotz zweier positiver Dopingbefunde nicht gesperrt, unser Kolumnist Alexander Waske glaubt aber trotzdem, dass der Fall Jannik Sinner ein Super-GAU fürs Tennis ist.

Eins vorweg: Ich habe keinen Zugang zu internen Akten, die den Fall Jannik Sinner betreffen. Ich kenne veröffentlichte Informationen und ich bin Insider, weil ich früher selber Spieler war und weil ich viele Spieler betreue, die regelmäßig getestet werden. Was ich aber schon wenige Stunden, nachdem der Fall öffentlich gemacht wurde, sagen konnte: Es ist ein Super-GAU für den Tennissport. Weil wir über die Nummer eins reden. Einen National Hero. Einen Spieler mit unfassbar hohen Sympathiewerten. Sinner ist so wichtig für das Tennis, weil er und Carlos Alcaraz die neuen Stars sind. Roger Federer ist schon abgetreten, Rafael Nadal und Novak Djokovic werden folgen. Sinner und Alcaraz schließen die Lücke.

Vertrauensverlust und mangelnde Transparenz

Die Fakten: Sinner wurde im März zweimal positiv auf das verbotene Clostebol getestet und wurde fünf Monate später freigesprochen. Wie das Mittel in Sinners Körper kam, klingt für mich nicht plausibel. Sein Physiotherapeut hatte eine Wunde am kleinen Finger, benutzte ein Spray mit der verbotenen Substanz Clostebol, massierte seinen Schützling und die Substanz dringt auf diese Weise in den Körper Sinners. Aber: Ich kann nicht ausschließen, dass es so war. Sinners Anwälte jedenfalls waren erfolgreich mit dieser Argumentation. Die Suspendierungen für Sinner, die es als Folge der beiden positiven Tests gab, wurden aufgehoben. Gesperrt wurde er nicht.

Das Entscheidende bei der Geschichte ist für mich nicht, ob es sich tatsächlich so ereignet hat. Das wird man nicht erfahren. Es geht auch nicht darum, dass Jannik Sinner, wie sein Trainer Darren Cahill sagt, jemand ist, der nie dopen würde. Entscheidend ist der Vertrauensverlust und die mangelnde Transparenz. Es schwingt immer mit: Wäre ein niederrangiger Spieler auch freigesprochen worden? Wäre es zu einer Aufhebung der Suspendierung gekommen, wenn Sinner nicht die besten Anwälte hätte?

Dopingfall Jannik Sinner: Das Misstrauen ist immer da

Formal ist in dem Fall, so weit ich es beurteilen kann, alles richtig gewesen. Die International Tennis Integrity Agency (ITIA), ein von ATP, WTA und den Grand Slams geschaffenes Gremium, ließ Sinner anonym testen. Die Blutprobe bekommt eine Nummer. Keiner der Mitarbeiter, die den Test bearbeiten, kennt seinen Namen. Anschließend wird das positive Ergebnis dem Athleten mitgeteilt. In dem Moment liegt die Beweislast beim Athleten, also Sinner. Er muss beweisen, dass er nichts dafür kann, dass das Mittel in seinen Körper gekommen ist. Auch an dieser Stelle bleibt der Name noch anonym – bis das Urteil gefällt ist. Anschließend veröffentlicht die ITIA den Fall. 

Ist damit alles gut? Nein. Weil das Misstrauen immer da ist. Weil es hinter vorgehaltener Hand heißt: Die ATP schützt seine Topspieler und die Regeln gelten nicht für alle. Denn eines darf nie passieren: dass der Sport in Verruf kommt wie vor Jahren die Tour de France. In der jüngeren Geschichte der ATP hat es einen Fall wie bei der WTA nie gegeben. Auf der Damentour wurden mit Maria Sharapova und Simona Halep Stars gesperrt. 

Sollte die WADA das Sinner-Urteil nicht anfechten, ist der Fall formal beendet. Ich bin gespannt, wie Sinner selbst damit umgeht. Einer, der als Saubermann schlechthin galt, der für Tennis so ein Riesengewinn ist, der jetzt aber erstmals mit etwas Negativem in Zusammenhang gebracht wird. Ein Makel wird bleiben. Oder wie der Schwabe sagt: Es hat Geschmäckle.