Ben Shelton: „Mein Vater ist der beste Mensch”
Er ist der Shootingstar des vergangenen Jahres: Ben Shelton spricht im Interview über seinen gefürchteten Aufschlag, seine Beziehung zu seinem Trainervater und seine Teilnahme am bevorstehenden Laver Cup.
Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 9/2024
Mister Shelton, berühmte Köche haben ein „signature dish, also ein Gericht, mit dem sie bekannt geworden sind. Ihr „signature dish“ ist Ihr pfeilschneller Aufschlag. Warum ist er so gut?
Mein Aufschlag ist effektiv, weil er eine Kombination aus Schnelligkeit, Präzision und Überraschungsmoment ist. Als Linkshänder bringt er natürlich einen anderen Winkel und Spin mit sich, mit dem viele Gegner nicht regelmäßig konfrontiert werden. Als Linkshänder bin ich definitiv eine zusätzliche Herausforderung für meine Gegner. Der Ball kommt aus verschiedenen Winkeln und mit Drehungen auf sie zu, die sie nicht so gewohnt sind, was es für sie schwieriger machen könnte, zu antizipieren und effektiv zu reagieren.
Wie haben Sie ihn entwickelt?
Mein Aufschlag war schon immer meine eigentliche Waffe. Mein Vater hat mir geholfen, daran zu arbeiten, seit ich ein Kind war. Angesichts der vielen freien Punkte, die man mit dem Aufschlag machen kann, war es immer wichtig, ihn täglich zu üben und zu verbessern. Ich arbeite immer noch daran, meinen Treffpunkt zu optimieren. Das wird mir helfen, meinen Aufschlag auf die nächste Ebene zu bringen.
Sie schlagen in Matches mit bis zu 150 Meilen, also über 240 km/h auf. Ist Ihr Service im Training manchmal sogar noch schneller?
Hahaha! Da bin ich mir nicht so sicher. Ich denke aber, dass es heute auf der Tour wichtiger ist präzise zu treffen, als ständig auf Geschwindigkeit zu setzen. Natürlich ist es schön, wenn man ab und zu einen „150er“ hat.
Sie haben erst mit etwa zwölf Jahren angefangen, ernsthaft Tennis zu spielen. Das ist ziemlich spät, warum?
Ich habe in meiner Kindheit verschiedene Sportarten betrieben, was mir geholfen hat, eine starke athletische Grundlage zu entwickeln. Später habe ich mich auf Tennis konzentriert, weil ich meine Leidenschaft und mein Potenzial für dieses Spiel erkannt habe.
Musste Ihr Vater Sie überzeugen, mit dem Tennis anzufangen?
Mein Vater hat mich immer unterstützt, aber er musste mich nicht überreden. Sobald ich meine Liebe zum Spiel entdeckt hatte, war ich fest entschlossen, Tennis ernsthaft zu betreiben.
Vater Ex-Profi. Sohn Profi. Das kann knifflig sein. Streiten Sie sich manchmal über Tennis?
Wir haben gelegentlich unsere Meinungsverschiedenheiten, aber diese sind konstruktiv. Die Erfahrungen und Erkenntnisse meines Vaters sind von unschätzbarem Wert, und wir versuchen beide, diese Diskussionen zu nutzen, um mein Spiel zu verbessern. Insgesamt denke ich, dass mein Vater der beste Mensch ist, wenn es darum geht, zu verstehen, wo ich geistig stehe und wann er mich pushen und wann er mir Freiraum geben muss.
Das College-Tennis war entscheidend für Ihre Entwicklung als Spieler. Wie hat es Sie auf die ATP-Tour vorbereitet?
Im College-Tennis habe ich Disziplin, Belastbarkeit und die Bedeutung der Teamdynamik gelernt. Die Wettkämpfe auf hohem Niveau im College haben meine Fähigkeiten geschärft und mich geistig und körperlich auf die Anforderungen der ATP-Tour vorbereitet. Heutzutage würde ich den meisten Kids, die darüber nachdenken, Profi zu werden, raten, aufs College zu gehen. Das ist ein großartiger Weg.
Sie spielen viel Doppel. Ist das hilfreich, um sich als Spieler zu verbessern, oder lenkt es nicht doch zu sehr ab, ist es zu viel Stress?
Doppel zu spielen bringt mir unglaublich viel. Es verbessert mein Netzspiel, meine Reflexe und mein strategisches Denken. Einzel und Doppel unter einen Hut zu bringen, kann eine Herausforderung sein, aber es macht mich letztendlich zu einem vielseitigeren Spieler.
Mit wem würden Sie gerne mal Doppel oder Mixed spielen?
Ich freue mich darauf, in ein paar Wochen mit Coco Gauff bei den US Open in New York bei der Double Night während der Fan Week Mixed zu spielen. Coco ist eine gute Freundin von mir und ich weiß, dass es eine lustige Nacht auf dem Platz werden wird, wenn wir zusammen spielen.
Die US Open stehen vor der Tür. Was ist dieses Jahr für Sie drin, im Vorjahr verloren Sie erst im Halbfinale gegen Novak Djokovic.
Ich bin optimistisch, was meine Chancen bei den US Open angeht. Ich habe hart trainiert und fühle mich sicher in meinem Spiel. Mein Ziel ist es, in das Turnier zu gehen und mein bestes Tennis zu zeigen.
Würden Sie einen Sieg in New York als wichtiger einstufen als in Melbourne, Paris oder Wimbledon?
Jedes Grand Slam-Turnier hat seine eigene Bedeutung und ein Sieg bei einem dieser Turniere ist ein großer Erfolg. Der Sieg bei den US Open wäre jedoch etwas Besonderes, weil es das wichtigste Turnier meines Heimatlandes ist.
Was sind Ihre Hauptziele im Tennis? Sind es Titel oder ist es die Ranglistenplatzierung?
Mein Hauptziel ist es, jedes einzelne Talent, das ich in diesem Sport habe, zu maximieren. Ich will hart arbeiten, den Kopf unten halten und meine Form weiter aufbauen.
Nach jahrzehntelanger Durststrecke ist das US-Tennis wieder groß im Kommen. Was ist das Geheimnis, dass die USA wieder so viele Spitzenspieler haben? Im Moment sind zehn unter den Top 100.
Der Wiederaufschwung des US-Tennis kann auf eine Reihe von Faktoren zurückgeführt werden, aber letztlich sind die meisten Spielerinnen über den Weg der USTA (US-amerikanischer Tennisverband) gekommen. Die Gruppe, die im Moment große Fortschritte macht – Frances Tiafoe, Taylor Fritz und Tommy Paul – hat von klein auf Hilfe von der USTA erhalten. Wenn der Verband stark ist, dann sind es in der Regel auch die Spieler. Es gibt ein 360-Grad-Investment: Veranstaltungen, Entwicklung, Basisarbeit. Außerdem gibt es unter uns eine große Kameradschaft und einen gesunden Wettbewerb, der jeden antreibt, sich zu verbessern. Der Wettbewerb ist definitiv gut. Er spornt uns an, mehr zu leisten und mehr zu erreichen. Trotzdem pflegen wir starke Freundschaften und unterstützen uns gegenseitig bei unseren Erfolgen.
Wer sind Ihre engsten Freunde unter den US-Spielern?
Ich bin mit einigen der US-Spieler eng befreundet, darunter Chris Eubanks, Reilly Opelka und Taylor Fritz. Wir haben ein gutes Verhältnis auf und neben dem Platz.
Andy Roddick ist der letzte männliche Grand-Slam-Sieger der USA, das war 2003. Wer wird der Nächste sein?
Das ist schwer zu sagen, aber ich glaube, dass der nächste US-Grand-Slam-Sieger aus unserer aktuellen Gruppe von Spitzenspielern kommen wird. Wir alle haben das Potenzial und die Entschlossenheit, diesen Meilenstein zu erreichen.
Gibt es eine Verbindung zwischen der aktuellen und der erfolgreichsten Generation von Pete Sampras, Andre Agassi, Jim Courier und Michael Chang?
Es gibt definitiv eine Verbindung. Der Erfolg der vorherigen Generation inspiriert uns, und ihre Leistungen sind ein Maßstab für das, was wir erreichen wollen. Wir lernen auch viel von ihren Erfahrungen und Ratschlägen.
Das bringt uns zum Laver Cup. Ab 2025 wird Andre Agassi der Nachfolger von John McEnroe als Kapitän des Team World sein. Was denken Sie über Agassi, stehen Sie bereits in Kontakt mit ihm?
Andre Agassi ist eine Legende in unserem Sport und ihn als unseren Kapitän zu haben, wird unglaublich sein. Ich freue mich darauf, von ihm zu lernen und von seiner großen Erfahrung und seinen strategischen Einsichten zu profitieren.
Team World wird in Berlin gegen Team Europe antreten. Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein, die 2023 in Vancouver gewonnene Trophäe zu behalten?
Unsere Chancen sind groß. Wir haben ein talentiertes und motiviertes Team, und mit der richtigen Vorbereitung und Teamarbeit glaube ich, dass wir den Laver Cup verteidigen können. Alex, Taylor und Tommy waren in diesem Jahr alle in Topform. Wir werden auf jeden Fall kämpfen.
Was ist für Sie das Besondere am Laver Cup?
Der Laver Cup ist etwas Besonderes, weil er die besten Spieler aus der ganzen Welt in einem einzigartigen Teamformat zusammenbringt. Die Atmosphäre, die Kameradschaft und die hochkarätigen Wettkämpfe machen den Laver Cup zu einem Ereignis, das jedes Jahr auf der Bucket List steht.
Mit wem würden Sie beim Laver Cup am liebsten Doppel spielen?
Ich würde gerne mit einem Teamkollegen Doppel spielen, der einen komplementären Stil zu mir hat, vielleicht jemand wie Taylor. Ich liebe diese Formate, weil die Zuschauer elektrisiert sind und die Doppel so schnell sind.
Haben Sie eine Lieblingserinnerung an den Laver Cup?
Nun, letztes Jahr war mein erster Laver Cup. Alles daran hat Spaß gemacht und war erstklassig, aber das letzte Jahr war etwas ganz Besonderes, weil das Team World das ganze Wochenende so gut gespielt hat.
Was hat Sie bei Ihrem ersten Laver Cup am meisten überrascht – in Bezug auf den Wettbewerb und das Event?
Ich war überrascht von der Intensität und der Kameradschaft unter den Spielern. Obwohl wir regelmäßig gegeneinander antreten, bringt uns der Laver Cup auf eine einzigartige und unterstützende Weise zusammen.