Eva Lys im Porträt: Mit Kopf und viel Herz
Die 22-jährige Eva Lys hat sich inzwischen auf der WTA-Tour etabliert. Die Hamburgerin lebt ihren Profitraum – trotz Autoimmunerkrankung.
Eva Lys ballt die Faust. Ihr Blick wandert sofort in Richtung ihrer Box – zu ihrem Vater Vladimir, Mutter Maria und ihren Schwestern Lisa (26 Jahre) und Bella (9 Jahre). Soeben hat sie ihren Matchball gegen ihre Mannschaftskollegin und Landsfrau Ella Seidel verwandelt. Es ist das Achtelfinale beim WTA-125er-Turnier in Hamburg. Es ist ihr Heimspiel. Es ist ihr Platz. Den Centre Court am Rothenbaum kennt die 22-Jährige, die für den Club an der Alster spielt, in- und auswendig. Eine Stunde nach ihrem Sieg empfängt Lys tennis MAGAZIN in den Katakomben des Deutschen Tennis Bundes zum Gespräch. Wir möchten mehr erfahren über die Hamburgerin, die seit einigen Jahren als Hoffnung im deutschen Damentennis gilt.
Wie beschreibt Eva Lys sich selbst? „Ich verknüpfe meinen Charakter gut mit meinem Tennisspiel. Ich bin eine sehr emotionale Person. Man sieht mir meine Emotionen gut an. Ob es gut oder schlecht läuft, kann man in meinem Gesicht ablesen. So ist es auf dem Platz und auch außerhalb“, sagt sie. Verstellen und das Pokerface während ihrer Matches aufsetzen: Das möchte Lys nicht. „Sobald man anfängt, sich zu verstellen, kann man nicht sein ganzes Potential erreichen. Wenn man aufgeregt ist, darf man das nicht verstecken. Deswegen versuche ich, meinen Emotionen immer freien Lauf zu lassen und gleichzeitig nicht zu sehr in eine negative Schiene zu springen“, erzählt sie.
Eva Lys: Von der Ukraine nach Norddeutschland
„Eva hat klare Vorstellungen, was sie will. Und sie geht diesen Weg Schritt für Schritt“, sagte Vater Vladimir Lys in unserer Schwesterzeitschrift tennis SPORT über seine Tochter. Vladimir Lys ist auch dafür verantwortlich, dass Eva zum Tennis gekommen ist. Der Diplomsportlehrer war ukrainischer Davis Cup-Spieler, später im Trainerstab der Nationalmannschaft tätig. Im August 2003, da ist Eva anderthalb Jahre alt, zieht Familie Lys mit den Kindern Lisa und Eva von Kiew nach Deutschland, in die Kleinstadt Quickborn in Schleswig-Holstein. „Wir haben 2003 die Ukraine verlassen, weil wir wollten, dass unsere Kinder in einem westeuropäischen Land leben. Das hatte den Nachteil, dass wir komplett auf uns allein gestellt waren. Meine Frau Maria hat damals Jura studiert, ich arbeitete schon als Trainer. Also habe ich die Kinder von der Schule abgeholt, sie mit auf den Tennisplatz genommen. Damit sie nach ihren Hausaufgaben nicht nur herumsitzen, habe ich für sie eine Einheit Training geplant. Auf diese Art habe ich mit Lisa und Eva jahrelang nach der Schule Tennis gespielt. Am Anfang in erster Linie mit Lisa, die schon im Förderkader des DTB war. Aber Eva war dabei und hat in den Trainingspausen auch zum Schläger gegriffen“, berichtet Vladimir Lys.
Zunächst in Quickborn und dann später in Hamburg bringt Vater Lys seiner Tochter Eva die Kunst des Tennisspielens bei. Bis heute fungiert er als ihr Trainer. „Ich sehe das als einen Vorteil. Bei uns funktioniert diese Beziehung Vater-Tochter-Trainer-Spielerin sehr gut. Es gibt viele Beispiele, bei denen es nicht so gut klappt. Natürlich haben wir auch schwierige Phasen, aber die gehören dazu. Genauso wie in einem Match gibt es Höhen und Tiefen. Ich kann mich unglaublich glücklich schätzen, solch eine Person wie meinen Vater neben mir zu haben“, sagt sie. Einen Ratschlag, den ihr Vater ihr mit auf den Weg gegeben hat: alles mit einem Lächeln tun, auch auf dem Platz. „Ich spiele mein bestes Tennis, wenn ich mich gut fühle. Das positive Denken treibt mich voran. Mein Vater sagt eine Sache häufig: ‚Tennis ist wie Schach, nur in Bewegung.‘ Jeder kann gut Tennis spielen. Es geht darum, wer die schlaueren Züge macht und wer den kühleren Kopf am Ende hat“, sagt sie.
Eva Lys: „Ich konzentriere mich auf den Prozess, nicht auf das Ergebnis”
Ein wichtiger Ratgeber auf dem Weg zum Profi war für Lys neben ihrem Vater vor allem ihre Schwester Lisa, die bis zum Alter von 23 Jahren professionell spielte (WTA 420) und mittlerweile Jura studiert. „Als Lisa gespielt hat, konnte ich viel beobachten. Ich habe auf die guten Dinge auf der Tour geschaut und über die Fehler gelernt, die man machen kann. Ich hatte sie immer als Trainingspartnerin. Wenn man eine Schwester hat, die bei den Profis spielt, lernt man Sachen, die man nicht lernt, wenn man den Weg alleine geht. Lisa war eine der wichtigsten Personen in meiner Entwicklung, nicht nur spielerisch, sondern vor allem menschlich“, sagt sie. So sieht es auch ihre Mutter Maria, eine Juristin, die beim Jobcenter Hamburg als Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt arbeitet. „Die große Schwester ist das große Vorbild. Dadurch, dass Eva bei fast allen Turnierreisen dabei war, hat sie viel vom Profileben mitbekommen. Als sie begann, auf der Profitour zu spielen, hat Lisa oft ihre Freundinnen kontaktiert und beispielsweise eine Trainingseinheit für Eva organisiert. Heute ist Eva bei allen bekannt und überall willkommen“, sagte Maria Lys gegenüber tennis SPORT.
Inzwischen ist Eva Lys nicht nur bekannt und überall willkommen, sie ist voll etabliert auf der WTA-Tour. „Ich fühle mich angekommen. Ich weiß, was ich kann. Ich fühle mich selbstbewusst in meinem Spiel, egal, welche Höhen und Tiefen es auch gibt. Ich hatte bereits unglaublich tolle Matches und oft genug gegen Top-100-Spielerinnen gewonnen. Ich konzentriere mich auf den Prozess, nicht auf das Ergebnis“, sagt sie. Bei den US Open 2024 spielte sie sich zum fünften Mal über die Qualifikation ins Hauptfeld. Auch wenn sie bei den US Open 2023 erstmals die zweite Runde bei einem Grand Slam-Turnier erreichte, bleibt die erfolgreiche Qualifikation für Wimbledon in diesem Jahr der große Höhepunkt auf der Grand Slam-Bühne. „Im dritten Versuch hat es mit der Qualifikation geklappt. Der große Unterschied ist, dass in Wimbledon die Qualifikation auf einer anderen Anlage stattfindet. Als ich es dann auf die Hauptanlage in Wimbledon geschafft habe, war dies ein kleiner Kulturschock für mich, weil ich das alles nur aus dem Fernsehen kannte“, berichtet sie.
Öffentliches Statement war ein Befreiungsschlag
Von der direkten Qualifikation für die Grand Slam-Turniere ist Lys nicht allzu weit entfernt. Seit einiger Zeit kratzt sie immer wieder am erstmaligen Einzug in die Top 100 (bestes WTA-Ranking: 108), was nicht nur gleichbedeutend wäre mit der Teilnahme an größeren Turnieren, sondern auch mit finanzieller Planungssicherheit. Das Erreichen der Top 100 ist für viele Spielerinnen und Spieler eine Schallmauer. Durchbricht man diese zum ersten Mal, läuft vieles deutlich einfacher. Lys hat auf der WTA-Tour neben der fünfmaligen Qualifikation für ein Grand Slam-Turnier einige aussagekräftige Ergebnisse vorzuweisen, darunter zwei Halbfinalteilnahmen bei den WTA-Turnieren in Budapest und Cluj-Napoca. Dass sie noch nicht in den Top 100 steht, hat auch mit ihrem Körper zu tun, der sie immer wieder dazu zwingt, Matches aufzugeben oder gar nicht erst anzutreten.
Im März dieses Jahres machte sie in den Sozialen Medien ihre Autoimmunkrankheit Spondyloarthritis (Symptome: Kreuzschmerzen, Erschöpfung) öffentlich, die im Jahr 2020 direkt nach ihrem ersten Profititel diagnostiziert wurde. „Dies ist eine körperliche Herausforderung, der ich mich tagtäglich neben der sportlichen Belastung stellen muss. Dank der großartigen Unterstützung und Behandlung von meinem Ärzteteam kann ich trotzdem meinen sportlichen Traum nachgehen und das Beste aus mir herausholen. Ab und zu bin ich aber gezwungen, meine Turnierplanung kurzfristig zu verändern und anzupassen. Mir wurde oft von außen gesagt, ich sei zu schwach dafür. Desto stärker hat es mich gemacht. Ich bin überzeugt, dass meine Leidenschaft für den Sport mich weiterhin antreiben wird“, schrieb sie.
Ihr öffentliches Statement war eine Art Befreiungsschlag für sie. „Umso besser man spielt, umso mehr Leute schauen auf dich. Irgendwann habe ich so viele Anfragen bekommen, warum meine Turnierplanung anders aussieht als bei anderen und warum ich von heute auf morgen nicht zu einem Match antreten kann. Den Grund dafür laut auszusprechen, war eine Erleichterung, weil ich mich nun nicht mehr rechtfertigen muss“, sagt sie. Neben viel Zuspruch, den Lys für ihr Statement erhielt, ist ihre entzündlich-rheumatische Erkrankung auch eine Erklärung dafür, warum es die talentierte Hamburgerin trotz immensen Trainingseifers und guter Resultate noch nicht in die Top 100 geschafft hat. Als Ausrede für verlorene Matches möchte sie ihre Autoimmunerkrankung aber nicht geltend machen. „Ich habe diese öffentliche Erklärung nicht gemacht, um Mitleid zu bekommen oder als Ausrede für verlorene Matches zu nutzen. Bei mir stand nicht im Fokus, dass die Leute wissen, dass ich mit einer Erkrankung spiele. Mir geht es darum, andere zu motivieren. Egal, wie schwer die Situation ist, sei es eine Krankheit oder eine schwierige Situation, ob finanziell oder familiär, es ist fast alles möglich. Die Botschaft lautet: weitermachen, kämpfen und dann kann man trotz Schwierigkeiten ans Ziel kommen“, erklärt sie.
Eva Lys: Abitur mit 1,7
Mit ihren 22 Jahren wirkt Lys, die 2020 ihr Abitur mit der Note 1,7 bestanden hat, bereits extrem reif. Eloquent redet sie über Themen, die ihr wichtig sind, und bezieht eine klare Stellung, vor allem, wenn es um das Damentennis geht. So machte sie mit einem Posting in den Sozialen Medien Schlagzeilen, als sie den Pay-TV-Sender Sky wegen fehlender Unterstützung der Frauenwettbewerbe kritisierte. „Es geht zwar in die richtige Richtung. Trotzdem haben wir noch eine riesige Lücke, wenn man Männersport mit Frauensport vergleicht, sei es bei den Sponsoren oder bei der Medienberichterstattung. Es wird über uns Frauen deutlich weniger berichtet. Damit fängt es schon an. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass der Frauensport genauso spannend ist wie der Männersport. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, solche Sachen anzusprechen“, sagt Lys. Was sie auch stört, ist, dass das Turnierangebot im Herrentennis deutlich größer ist. „Die Männer haben sowohl auf ATP-Niveau als auch auf ITF-Niveau deutlich mehr Auswahl an Turnieren, die sie spielen können. Umso mehr kann auch das Interesse geweckt werden, weil jede Woche auf der Herrentour viel los ist. Wenn man die unteren Turnierkategorien zum Beispiel nimmt: Bei den Frauen gibt es in einer Woche ein gutes ITF-Turnier, bei den Männern drei bis vier gute ATP-Challenger-Turniere. Das ist ein extremer Unterschied“, erläutert sie.
Einen Plan B sowie genaue Vorstellungen, wie ihr Leben nach der Tenniskarriere aussehen soll, hat Eva Lys laut ihrer Mutter Maria immer schon gehabt. Derzeit liegt der volle Fokus aber auf ihrer immer noch jungen Profikarriere. „Das gute Abitur hilft dabei, damit der Kopf weiß: ‚Okay, egal, in welche Richtung es geht, ich habe immer einen Plan B.‘ Momentan gebe ich jedoch hundert Prozent in den Sport“, sagt Lys. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis sie ihr nächstes Zwischenziel – den Einzug in die Top 100 – erreichen wird.
Vita Eva Lys
Eva Lys, Jahrgang 2002, wurde in Kiew geboren und kam mit ihrer Familie im Alter von einem Jahr nach Deutschland. Sie lebt in Hamburg und spielt für den Club an der Alster. Ihr Trainer ist ihr Vater Vladimir. 2020 machte sie ihr Abitur (Note 1,7) und konzentriert sich seitdem auf ihre Profikarriere. Ihre Schwester Lisa spielte ebenfalls professionell (bestes WTA-Ranking: 420). 2021 wurde Eva Deutsche Meisterin. 2022 gab sie ihr Debüt für das deutsche Billie Jean King Cup-Team. Bei den Australian Open 2023 qualifizierte sie sich erstmals für ein Grand Slam-Turnier. Bestes WTA-Ranking: 105 (Stand: September 2024).