Rudi Molleker

Zurück in der Spur: Rudi Mollekers Ziel: Er will wieder Spaß haben am Tennis und die Zeit auf der Tour genießen. ©Wittert

Rudi Molleker im Porträt: Weniger Druck, mehr Spaß

Rudolf „Rudi“ Molleker legte seine Tenniskarriere auf Eis. Jetzt ist er wieder da. Was hat ihn zu der Auszeit bewegt? Wie haben ihn die vergangenen sechs Jahre geprägt? Und wie blickt er in die Zukunft? tennis MAGAZIN hat ihn getroffen.

Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 6/2024

Er zählte zu den aufstrebenden Tennistalenten Deutschlands, war auf dem Vormarsch in die Top 100, wurde verglichen mit Alexander Zverev oder gar als der nächste Boris Becker. 2019, als er gerade 18 Jahre alt war, lautete sein erklärtes Ziel: die Top 100. Aber es kam alles anders. Ohne dass die Öffentlichkeit Wind davon bekam, entschied sich Rudolf „Rudi“ Molleker seine Tenniskarriere vorerst zu beenden. Er setzte einen völlig anderen Fokus, suchte den Weg zu seinen privaten Interessen und legte den Tennisschläger für über ein Jahr komplett beiseite. Nun, knapp fünf Jahre später, reist der 23-Jährige wieder um die Welt und versucht das Leben im Tenniszirkus zu genießen. tennis MAGAZIN hat Molleker getroffen und sich ausführlich mit ihm über seine Auszeit, seine persönliche Entwicklung und sein angestrebtes Leben unterhalten.

Als wüsste niemand, wer der junge Mann eigentlich ist, tritt Rudolf Molleker ins Clubhaus beim Hamburger Tennisverband und reicht den tennis MAGAZIN-Kollegen die Hand. Dabei stellt er sich vor: „Hey, ich bin Rudi!“ Inmitten von Spielern und Zuschauern, die das Challenger-Turnier in Hamburg besuchen, nimmt er im Restaurant Platz. Er wirkt kein bisschen genervt oder gestresst von dem Pressetermin, der ihm bevorsteht. Ganz im Gegenteil: Er ist aufgeschlossen, reflektiert und absolut bereit, die vergangenen Jahre seines Lebens Revue passieren zu lassen. 

Zuletzt hatte tennis MAGAZIN mit Molleker gesprochen, als er gerade 18 Jahre alt war, 2018 also. Zu diesem Zeitpunkt galt der „Berliner Jung‘“ als polarisierendes Talent. Er ließ seinen Emotionen auf dem Court freien Lauf und gewährte in den sozialen Medien tiefe Einblicke in sein Privatleben. Professionellen Beobachtern gefiel das nicht immer. Aber sein damaliger Coach Benjamin Thiele, der ihn auch heute wieder begleitet, sagte damals schon: „Wir lechzen hierzulande nach echten Typen, die mitreißen und auch mal polarisieren. Wenn es dann mal jemanden gibt, regen sich viele schnell auf und es wird einem das Negative vorgehalten. Aber viele Zuschauer können eine Bindung zu ihm aufbauen und fiebern und fühlen mit.“

Einstellung zum Sport hat sich verändert

Heute wirkt „Rudi“, wie er gerne genannt wird, gelassen. Zwar platziert er seine Emotionen weiterhin auf dem Court und scheut sich nicht vor einer Diskussion mit den Offiziellen, wenn er sich ungerecht behandelt fühlt. Dennoch sagt er selbst über sich mit einem Schmunzeln: „Mein Leben hat sich in den vergangenen sechs Jahren nicht wirklich verändert. Vielleicht bin ich ein bisschen ruhiger geworden.“

Betrachtet man die blanken Tatsachen, stimmt es: Molleker spielt immer noch oder besser wieder professionell Tennis, er arbeitet mit dem gleichen Coach, der auch weitestgehend mit ihm zu den Turnieren reist, pflegt immer noch ein enges Verhältnis zu seiner Familie und organisiert sich und sein Leben selbst. Auch seine Vorliebe für deutsche Rapmusik und Schuhe ist geblieben.

Rudi Molleker

Teilt sein Leben: Auf seinem Instagram-Kanal (@rudimollo) gibt Molleker Einblicke in sein Leben. ©Instagram

Was sich aber verändert hat: seine Einstellung zum Sport. Noch 2018 nahm er die Top 100 fest ins Visier. Heute weiß er nicht mal sicher, welche Position er in der Weltrangliste belegt. „Ich weiß, dass ich zu den besten 200 Spielern gehöre. Ungefähr habe ich im Blick, welche Turniere ich spielen kann.“ Sein Credo lautet mittlerweile eher: „Ich spiele einfach Tennis und wenn ich gute Erfolge erziele, kommt das Ranking von allein.“ Im Gespräch wird deutlich, dass doch einiges bei der deutschen Nachwuchshoffnung passiert ist, er scheint nachdenklich zu sein. Was hat ihn also zu seiner Pause bewegt und was hat sie mit ihm gemacht?

Wimbledon-Missgeschick in Wimbledon nimmt Molleker mit

Eigentlich lief es bis ins Jahr 2019, kurz vor seinem Rückzug, „super“ für Molleker, wie er selbst sagt. Mit Rang 146 erreichte er sein bislang bestes Ranking mit gerade mal 18 Jahren und qualifizierte sich für zwei Grand Slam-Turniere. Dann kam die Wimbledon-Panne. Er hatte vergessen, sich für das Major in London zu melden. Die Presse, aber auch einige Tennisfans, stürzten sich auf das Missgeschick und äußerten ihr Unverständnis, wie so etwas einem Profi nur passieren könne. „Das hat mich ein bisschen mitgenommen“, gibt Molleker zu. Kurz danach zog er sich zurück. „Warum ich den Spaß am Tennis verloren habe, kann ich noch immer nicht erklären“, sagt er. Ihm bleiben nur Mutmaßungen: „Es kann sein, dass ich zu viel alleine unterwegs war. Zu dieser Zeit hatte ich keinen Coach mehr. Ich war jung, verbrachte viel Zeit alleine in irgendwelchen Hotels und wusste, dass meine Freunde zu Hause sitzen und anfangen, ihr Leben zu genießen.“ Was er meint: Er war gerade 18 Jahre alt geworden. Viele Jugendliche fangen in diesem Alter an, sich auszuprobieren. Es ist mehr erlaubt, sie gehen feiern, treffen sich mit Freunden auf Drinks und entdecken das Leben neu. „Ich konnte es nicht nachvollziehen. Am Ende des Tages war ich einfach nur ein ganz normaler Jugendlicher, der auch Spaß am Leben haben wollte, aber nicht konnte.“

Rudi Molleker

Auf Reisen: Im Rahmen der Tour sieht Molleker viele Orte, hier den Gardasee in Italien. ©Instagram

Also machte Molleker einen Cut. Er legte den Schläger beiseite, nahm diesen nicht einmal in die Hand. Er hörte auf, das Tennisgeschehen zu verfolgen, plante keine Turniere oder Flüge für die nächsten Wochen. Stattdessen zog er sich zu Hause zurück. „Ich saß bis morgens sieben Uhr vor der Playstation. Als meine Mama aufgestanden und zur Arbeit gegangen ist, bin ich schlafen gegangen. Um 19 Uhr bin ich aufgewacht und dann ging es wieder vor die Playstation“, erzählt er. Er spielte Call of Duty, ein Ego-Shooter-Game, und fing an, auf der Plattform “Twitch“ zu streamen. „Das war eine coole Zeit, ich habe neue Freunde gefunden und alles um mich herum ausgeblendet.“ Dann kam die weltweite Corona-Pandemie. Auch die Tennistour pausierte. Deshalb fiel vorerst gar nicht auf, dass der junge Spieler sich zurückgezogen hatte. „Für alle, die es nicht wussten, war ich quasi verletzt“, sagt er. Ob er jemals wieder zum Tennisschläger greifen würde, war nicht klar. Weder seine Eltern noch sein Bruder oder jemand anders im engeren Umfeld machten ihm Druck, wieder zu spielen. Sein älterer Bruder German riet ihm: „Rudi, pass auf, wenn Tennis nicht das ist, was dir Spaß macht, dann mach etwas anderes!“ Ein paar Ideen, wie eine alternative Karriere aussehen könnte, geistern Molleker noch heute durch den Kopf: „Ich interessiere mich für Autos und Immobilien. Egal, was es hätte werden können, ich bin schlau genug, einen Plan B zu finden“, versichert er. 

Molleker: „Dafür habe ich nicht meine komplette Kindheit aufgegeben”

So lange wie zu dieser Zeit, erzählt Molleker, war er noch nie zu Hause. Er war es gewohnt zu reisen, war immer auf dem Sprung. „Manchmal schätzt man Dinge erst dann, wenn sie weg sind“, zitiert Molleker einen typischen Kalenderspruch. Aber genau dieser hat die Wende in seinem Leben herbeigeführt: „Auf einmal saß ich da und habe gemerkt, dass das langfristig nicht das Leben ist, das ich leben möchte. Dafür habe ich nicht meine komplette Kindheit und Jugend aufgegeben.“ Ohne sein genaues Ziel zu kennen, betrat Molleker also wieder den Tennisplatz, um einfach mal wieder zu spielen. „Ich war nicht darauf eingestellt, bald zum nächsten Turnier zu fliegen“, sagt er. Schnell flammte seine Begeisterung für die Sportart wieder auf, er trainierte häufiger und merkte, dass er „Lust hatte, wettkampffähig zu sein“. Also bereitete er sich auf die ersten Turniere auf Challenger-Niveau vor. „Der Weg dorthin war hart“, so Molleker.

Rudi Molleker

Hundeliebhaber: Molleker verbringt seine Freizeit gerne mit seinem Bruder German und den Hunden. ©Instagram

Acht Challenger-Turniere in Folge verlor er in der ersten Runde, also streute er ITF-Events ein, um wieder positive Erfahrungen zu sammeln. Erst 2022 schaffte es Molleker, nun 21 Jahre alt, ins Finale eines ITF-Turniers einzuziehen. Aus den Top 200 der Weltrangliste hatte er sich mittlerweile längst verabschiedet und stand jenseits der besten 400 ATP-Profis der Welt. Langsam pirschte er sich aber wieder ran, gewann im Juni 2022 das ITF-Turnier in Kamen, im August folgte ein Turniersieg in Wetzlar (ebenfalls auf ITF-Niveau) und im Dezember 2022 ein ITF-Triumph in Antalya. Über die Future-Tour und Teilnahmen bei Challenger-Events zählte Molleker ab Juni 2023 wieder zu den besten 300 Spielern der Welt. Im August des gleichen Jahres folgte der Turniersieg bei dem Challenger in Prag. In seiner Laufbahn war es der zweite Challenger-Sieg überhaupt, seit seinem ersten Titel 2018 in Heilbronn. 

Mittlerweile, knapp drei Jahre nach dem Re-Start auf der Profi-Tour, gehört Molleker wieder zu den besten 180 Spielern der Welt. „Das Leben als Tennisspieler ist eine Achterbahn-Fahrt“, hat er gelernt. „Ich muss lernen, die schönen Zeiten zu genießen, aber gleichzeitig wissen, dass auch Zeiten kommen, die nicht so schön sind.“ Für viele Außenstehende wirkt der Tennissport elitär, die Profis scheinen ein erfülltes Leben zu haben, gut zu verdienen und wöchentlich neue Städte zu entdecken. „Aber die Schattenseiten sind viel größer, als viele Leute sich vorstellen können“, sagt Molleker. Dabei spricht er einerseits von dem mentalen Druck auf Seiten der Spieler: „Es ist immer noch eine Einzelsportart und alles lastet auf deinen Schultern, beispielsweise die Bezahlung deiner Trainer, die du aus eigener Tasche vergüten musst, wenn du keine Sponsoren hast.“ Andererseits thematisiert er Hassnachrichten in den sozialen Medien – sowohl nach verlorenen als auch gewonnenen Matches. Zwar kann Molleker das Leben in der Öffentlichkeit genießen und lässt Tennisfans daran teilhaben, aber er bemerkt auch: „Die Augen sind immer auf dich gerichtet. Jede Kleinigkeit, die du falsch machst, wird bestraft.“ 

Rudi Molleker, ein Tattoo-Freund

Und auch wenn er gerne reist und viel von der Welt sieht, bergen die Reisestrapazen in seinen Augen Nachteile: „Natürlich ist es schön, in jungen Jahren von der Welt so viel zu sehen. Aber nichtsdestotrotz haben wir Familie, Freunde, Partner, die man vermisst und nicht immer mitnehmen kann. Dann gibt es Turniere, bei denen du in der ersten Runde verlierst. Dort bleibt man nicht noch und schaut sich alles an. Man will einfach nur noch weg“, sagt Molleker.

Um aber die schönen Seiten des Tennisspieler-Daseins anzunehmen, sagt der Rechtshänder, habe er aus seinen Erfahrungen gelernt und einen neuen Schwerpunkt gelegt. „Ich setzte mir nicht mehr wirklich Ziele, sondern versuche es zu genießen und wertzuschätzen, Tennis spielen zu können. Ich möchte einfach Spaß haben.“

Rudi Molleker

Dreamteam: Seinen Hund hat Molleker in Form eines Tattoos auf seinem Arm verewigt. ©Instagram

Um sich an die bedeutsamen Dinge in seinem Leben zu erinnern, fällt Molleker zum Ende des Gesprächs ein, hat sich in den vergangenen sechs Jahren doch etwas geändert: „Ein paar Tattoos sind dazu gekommen“, freut er sich. Keines davon sei ohne Bedeutung, alle mit feinen Nadelstichen gestochen: den Umriss seines Hundes, die Koordinaten seines Geburtsortes, den Geburtstag seines Bruders, ein Tattoo für seine Familie oder Sprüche, die Bestandteil seines Lebens sind und ihn an etwas erinnern. „Why not“, also „Warum nicht“ ziert beispielsweise seinen linken Unterarm. „Impossible“ mit den ersten zwei Buchstaben durchgestrichen, steht an seinem rechten Oberarm, also statt „unmöglich“ – „alles ist möglich“. Knappe Worte, die den Sportler treffend beschreiben. Er setzt sich keine Grenzen, will den Druck so gering wie möglich halten und einfach lernen, Spaß am Leben zu haben. Schließlich hat er für das Leben auf der Tennistour, sein „normales“ Leben geopfert, wie er selbst sagt. In Zukunft will Molleker sich also Zeit lassen, denn „auch wenn der Weg noch lang ist, ist auch meine Tenniskarriere noch lang“.