Rafael Nadal

Rafael Nadal schaffte bereits mit 16 Jahren den Einzug in die Top 100. ©Imago

Rafael Nadal als 16-Jähriger – Ein irrer Typ

Rafael Nadal ist 16 Jahre alt. Und gehört schon zu den besten hundert Spielern der Welt. Eine Sensation. Der letzte, dem so früh ein Sprung in die Top 100 gelang, war Michael Chang vor 15 Jahren. Experten bescheinigen dem Mallorquiner eine große Zukunft. 

Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 7/2003

Rafael Nadal – tennis MAGAZIN

Die großen Stories bekommen oft die wenigsten mit. Monte Carlo Country Club im Mai. Die Sonne ist längst untergegangen. Und über den akkurat geschnittenen Hecken am Centre Court brennt das Flutlicht. Die meisten Zuschauer haben die Anlage schon verlassen. Sind nach Hause gegangen. Oder in ihre Hotels. Oder ins ,,Stars & Bars“, der Sportbar am Quai Albert 1er, um einen Drink zu nehmen. Rafael Nadal nimmt lieber einen Schluck aus seiner Mineralwasserflasche. Bevor er den Court wieder betritt, zupft er noch einmal sein weißes Bandanna zurecht, mit dem er seine lange, dunkelblonde Mähne zähmt. Es ist der letzte Seitenwechsel. Zehn Minuten später ist das Match vorbei. Der Außenseiter, Nadal, hat gewonnen – 7:5, 6:3. Der Verlierer ist der French Open-Sieger 2002 Albert Costa.

Nadal: „Ich konzentriere mich nur auf Tennis”

Das einzig Positive für Costa an diesem lauen Sommerabend. Er ist Teil eines sporthistorischen Moments: Rafael Nadal ist erst 16 Jahre alt. Und nach dieser Zweitrunden-Begegnung beim Masters von Monte Carlo zählt er zu den besten hundert Profis der Welt. Seit Michael Chang, der dieses Kunststück 1988 schaffte, war kein Spieler so früh so gut. Nicht Lleyton Hewitt, nicht Marat Safin und auch nicht Roger Federer. Da jubelte selbst die ehrwürdige Londoner Times euphorisch: „A star is born“. Die spanische Presse feiert den Mallorquiner schon länger als Star oder als Perle, wie es die Tageszeitung Marca formuliert. lm letzten Jahr spielte er in Mallorca sein erstes Match bei einem ATP-Turnier – und gewann. 15 Jahre und zehn Monate war er da alt.

Jetzt sitzt die Perle im Spielerrestaurant in Hamburg. Klein wirkt er, aber das muss an dem kindlichen Gesicht liegen. In Wahrheit ist er groß, misst 1,83 Meter. Sein Händedruck ist lasch, was erstaunt, wenn man bedenkt, wie kraftvoll der Linkshänder auf die Bälle einprügelt. Während des Gesprächs wandern die braunen Augen zum Nachbartisch, zum Fernseher, auf das Display seines Handys. Aber was erwartet man eigentlich von einem 16-Jährigen? Dass er seinen Gesprächspartner wie ein abgezockter Business-Profi fixiert? Dass er druckreife Sätze formuliert? Fühlt er sich als Teenie-Star? „Nein, überhaupt nicht“, antwortet Nadal mit tiefer Stimme. Nadal spricht spanisch. Englisch übt er noch. „Ich konzentriere mich nur auf Tennis. Das ist das einzige, was mich interessiert.“

Rafael Nadal: „Die Zukunft des Tennis”

Geschichten über sich in der Zeitung liest er nicht besonders gerne, auch wenn er weiß, dass die Artikel mehr werden, je öfter er gewinnt. So wie heute. „Die Zukunft des Tennis“, schlagzeilt das Hamburger Abendblatt. Am Abend zuvor hatte der Qualifikant Carlos Moya in einem fantastischen Match geschlagen. Das Verblüffende: Anschließend schien Nadal enttäuschter als sein prominenter Landsmann zu sein: „Er tat mir Leid. weil er nicht sein bestes Tennis gespielt hat“, offenbarte der Youngster den staunenden Reportern. Dazu muss man wissen, dass Moya und Nadal eine besondere Beziehung haben. Beide stammen aus Mallorca – Moya aus Palma, Nadal aus Manacor, der zweitgrößten Stadt der Insel. Und beide haben beim gleichen Trainer gelernt – Jofre Porta. Als Rafa, wie ihn seine Freunde nennen, zehn war, lernte er Moya bei einem Juniorenturnier kennen. Seitdem war die frühere Nummer eins wie ein großer Bruder für ihn. Auch heute noch trainiert Moya mit ihm und gibt ihm Tipps. „Dass Carlos mich unterstützt, ist fantastisch“, sagt Nadal.

Moya ist nicht der einzige spektakuläre Name, der in der Vita des 16-Jährigen auftaucht. Nadals Onkel ist Miguel Angel, früher Verteidiger in der spanischen Fußball-Nationalmannschaft und beim FC Barcelona, heute bei Real Mallorca unter Vertrag. Ein anderer Onkel, Toni Nadal, trainiert seinen Neffen, seit er im Alter von vier Jahren zum ersten Mal im Club Tenis Manacor Bälle schlug. Inzwischen gehört auch Carlos Costa zum Team von Nadal. Der frühere spanische Topspieler – 1992 war er die Nummer zehn der Weltrangliste –arbeitet als Manager für lMG. Ziemlich gute Voraussetzungen für den Sohn aus wohlhabendem Hause – sein Vater arbeitet für eine Firma, die Lampen herstellt, seine Mutter ist Hausfrau.

Auch mit den anderen spanischen Weltklassespielern versteht sich Nadal ausgezeichnet. Er trainiert mit ihnen im Real Club de Tenis in Barcelona, wenn er nicht gerade Turniere spielt oder für seinen Schulabschluss im „Collegia“ büffelt. „Er ist physisch jetzt schon so stark, um mit den Besten der Welt mitzuhalten“, urteilt Juan Carlos Ferrero. Beispiel gefällig? Als Alex Corretja beim Turnier von Barcelona Mitte April Nadal nur knapp schlug, führte er im ersten Satz schon 3:0. Die nächsten sechs Spiele gingen an den 16-Jährigen.

Moya über Nadal: „Er wird die jüngste Nummer eins aller Zeiten”

Der andere Schlüssel zum Erfolg ist seine mentale Stärke. Keinen Ball verloren geben, kämpfen bis zum letzten Punkt – lautet sein Motto. „Er hat unglaublich gekämpft, war sehr fokussiert“, meint auch die deutsche Nachwuchshoffnung Philipp Kohlschreiber, der Nadal im letzten Jahr bei einem Challenger-Turnier unterlag. Spielerisch hat Nadal noch einige Defizite, vor allem beim Aufschlag und beim Volley. Sein Lieblingsbelag, was bei einem Spanier nicht überrascht, ist Sand. Allerdings scheint er sich auch auf Rasen wohlzufühlen. Als er im letzten Jahr in Wimbledon zum ersten Mal auf Gras spielte, erreichte er bei den Junioren das Halbfinale.

Wie gut kann das Wunderkind werden? Moya sagt: „Er imponiert mir jeden Tag mehr. Rafael wird die jüngste Nummer eins aller Zeiten.“ Knapp vier Jahre bleiben Nadal noch. Als Lleyton Hewitt der beste Spieler der Welt wurde, war er 20 Jahre und acht Monate alt.