Dominic Thiem: Ein Abschied, der wehtut
Dominic Thiem hat in der Wiener Stadthalle sein letztes Match auf der ATP-Tour gespielt. Gefühlt war seine Karriere viel zu kurz.
2014 in der Players Lounge bei den Australian Open in Melbourne traf ich Dominic Thiem zum ersten Mal. Günter Bresnik, sein damaliger Trainer, stellte ihn mir vor. Thiem war 20 Jahre alt, aber er wirkte jünger. Sein Blick: neugierig. Seine Art: grundweg symphatisch. Er erzählte mir gleich, dass er immer tennis MAGAZIN lese. Ich muss zugegeben: Als Spieler hatte ich ihn nicht auf dem Schirm. In der zweiten Runde verlor er damals gegen den an Position 21 gesetzten Kevin Anderson.
Über die Jahre traf ich Dominic immer wieder. Er hatte sich im Ranking hoch gespielt und war noch genauso freundlich wie bei der ersten Begegnung. Warum auch nicht! Wobei: Auf der Tour ist das keine Selbstverständlichkeit.
Dominic siegte und siegte. In Österreich wurde er zum neuen Thomas Muster, sein Spitzname: Dominator, weil ihn alle „Domi“ nennen. International war er auf dem Weg, es mit den Big Four aufzunehmen. Als er so richtig in Fahrt kam, hatte er nur noch zwei Legenden vor sich: Novak Djokovic und Rafael Nadal.
2020 bei den Australian Open hatte er im Viertelfinale Nadal geschlagen und im Halbfinale Zverev. Im Finale unterlag er Djokovic in fünf Sätzen. Später verriet mir Nadals PR-Mann Benito Perez-Barbadillo: „Dominic hat im Training so unglaublich schnell gespielt. Für Rafa war es auch etwas zu schnell.“
Hochprofessionell und bescheiden
Ein paar Monate später folgte bei den US Open sein erster (und einziger) Grand Slam-Titel. Das Finale im coronabedingten gähnend leeren Arthur Ashe-Stadium hätte eigentlich Zverev mit einer 2:0-Satzführung im Rücken gewinnen müssen, aber Thiem gewann am Ende im Tiebreak des fünften Satzes. Der Österreicher gegen den Deutschen – es schien das Duell der Zukunft. Aber daraus wurde aus verschiedenen Gründen nichts.
Im ersten Heft des Jahres 2021 setzte die tennis MAGAZIN-Redaktion den vollen Fokus auf Thiem. Er war unser Mann des Jahres in spe. Wir waren uns fast alle sicher: Er wird die Nummer eins. Ich telefonierte per Video-Call mit ihm. Er spielte zur Vorbereitung auf die Australian Open in Adelaide. Ich saß morgens um 8.30 Uhr zuhause in Hamburg. Er war wie immer hochprofessionell, auf die Minute pünktlich und beantwortete alle Fragen. Seine Botschaft gleich zu Beginn des Gesprächs: „Ich gehe schon in jedes Grand Slam – vielleicht mit der Ausnahme von Wimbledon – , dass ich das Turnier gewinnen will, definitiv.”
Wir sprachen auch mit seinem direkten damaligem Umfeld und Weggefährten: seinem Trainer Nicolas Massu, seinem Manager Herwig Straka, seinem Vater Wolfgang, dem Szenekenner Alex Antonitsch, Thiems bestem Freund Profikollege Dennis Novak und seinem Ex-Coach Bresnik. Ich weiß noch, dass Wolfgang Thiem mir im Gespräch sagte, dass es ihm eigentlich nicht passe, wenn Bresnik zu Wort kommt. Dominic Thiem und er hatten sich in einem schmutzigen Streit, in dem es auch um Geld ging, getrennt. Andererseits: Bresnik war der Ziehvater, 16 Jahre lang sein Trainer. Also mussten wir auch mit ihm reden.
Thiem bekam nichts geschenkt
Was mir leid tat und worüber ich oft nachdenken musste: Als wir Thiem auf den Titel hoben, ging es mit ihm bergab – das lädierte Handgelenk, das ihn bis zu seinem Karriereende begleiten sollte. Gefühlt musste er die Karriere viel zu früh beenden. Mit 31 Jahren, als Nummer 318 der Welt. 31 – das ist heute kein Alter für einen Tennisprofi.
Es ist ein Abschied, der einerseits schmerzt und einen andererseits freut, weil seine Karriere so gewürdigt wurde. Unter dem Strich war es eine fantastische Laufbahn. Von einem, der sich alles erarbeitet hat. Der keine Vorhand geschenkt bekam wie Sampras, keinen Aufschlag wie Ivanisevic, keinen Volley wie Edberg. Thiem schaffte es bis auf Platz drei der Welt. Er gewann 17 Turniere, kassierte mehr als 30 Millionen Dollar Preisgeld.
Vor Kurzem gab es noch den Versuch, ein letztes großes Interview zu führen. Wir waren zu spät dran im Abschiedsrummel um den „Domi“. Aber wie immer war die WhatsApp-Nachricht seines Managers, Bruder Moritz, freundlich und professionell: „Es tut mir leid, derzeit sind Interviews nicht möglich. Es stehen jetzt die letzten zwei großen Events an und sonst bleibt keine Zeit. Thema derzeit ist nur noch das Karriereende und irgendwann muss dann auch Schluss sein.“
Wir haben uns für die Zeit danach verabredet. Für den Moment heißt es: Servus, Domi!