Der unfassbare Señor Nadal: Stationen einer Karriere
Am 10. Oktober verkündete Rafael Nadal mit einer emotionalen Videobotschaft sein Karriereende. tennis MAGAZIN verneigt sich vor einem Jahrhundertsportler.
Einmal wird er als Profi noch in Erscheinung treten: Bei den Davis Cup-Finals vom 19. bis 24. November in Malaga. Ob im Einzel, im Doppel oder als Edeljoker auf der Bank – das wird man erst wissen, wenn es so weit ist. Klar dürfte aber sein. Es wird noch einmal eine Party für Rafael Nadal geben, die ihn und sein Wirken auf den globalen Plätzen so würdigt, wie es dem 38-jährigen Jahrhundertspieler gebührt.
Aus „Vamos Rafa“ wird „Adios Rafa“. Daran wird sich die globale Fangemeinde gewöhnen müssen. Neben all den Rekorden in seiner 23-jährigen Karriere wird eine Leistung wohl für die Ewigkeit bleiben. Zwischen 2005 und 2022 gewann der Mann aus Mallorca 14 Roland Garros-Trophäen. Danach folgt mit großem Abstand Björn Borg. Der Schwede siegte zwischen 1974 und 1981 sechsmal. „Was für eine Karriere, Rafa. Ich hatte immer gehofft, dass dieser Tag nie kommen würde“, schrieb sein großer Rivale Roger Federer. Wir auch!
Olympia: Für sein Land gibt er alles
Den Golden Slam gibt es nur einmal. Steffi Graf gewann 1988 alle Grand Slam-Turniere plus Olympia in einem Jahr. Aber Nadal schaffte immerhin ein Kunststück, das nur zwei anderen Spielern gelang: alle Majors zu gewinnen und die Olympischen Spiele, jeweils im Einzel. Die anderen beiden heißen Andre Agassi und Novak Djokovic. 2008 siegte Nadal in Paris, Wimbledon und bei Olympia in Peking. Doppel-Gold holte er mit Marc Lopez bei den Spielen in Rio 2016. In diesem Jahr kam es bei Olympia in Paris zur Traumpaarung im Doppel mit Carlos Alcaraz (Niederlage im Viertelfinale). Zuvor war er bei der Eröffnungsfeier an der Seine einer der Fackelträger.
Voller Einsatz: So weit die Schuhe tragen
In 1.307 Karrierematches kommen so einige Kilometer zusammen. Zum Vergleich: Roger Federer kam auf sagenhafte 1.526 Partien. Novak Djokovic steht bei 1.346 Matches. Dass es bei Nadal weniger sind, lag auch an den vielen Verletzungen. Aber wenn er auf dem Platz stand, gab der „Stier von Manacor“ alles. Das Kämpfen um jeden Ball war sein Lebenselixier, „Vamos Rafa“ seine Religion. Die Möglichkeit der Niederlage war in seinem Mindset nicht vorhanden. Dass er Grenzen überschritt, weiß er selbst. 2022 auf dem Weg zu seinem letzten Titel in Paris hatte er sich Spritzen in seinen Fuß injizieren lassen, bis dieser taub war und Nadal die Schmerzen nicht mehr ertragen musste.
Rituale: So geht er in den »Tunnel«
In der lesenswerten Autobiographie „Rafa – mein Weg an die Spitze“ beschreibt Rafael Nadal, wie er sich in der Umkleidekabine von einem schüchternen Jungen in einen Kämpfer wandelt, der es schafft, alles auszublenden. Was ihm dabei hilft, in eine Art Trancezustand, in den berühmten Tunnel, zu kommen, sind Rituale. Wie er sein Stirnband, das Bandana, wickelt, wie er seine Trinkflaschen beim Seitenwechsel positioniert. Die immer wiederkehrenden Ticks vor seinen Aufschlagspielen. Wer an Rafa denkt, hat auch seine Rituale im Kopf. Anders formuliert: Ohne sie hätte es den Champion Rafael Nadal nicht gegeben.
Besondere Rivalität: Nadal vs. Federer
40 Mal spielten Rafael Nadal und Roger Federer gegeneinander; 24 Mal siegte der Spanier. Das lag vor allem an der Übermacht von Nadal auf Sand. Nur zweimal konnte Federer auf Nadals Lieblingsbelag gewinnen: 2007 in Hamburg und 2009 in Madrid, wo die Bälle schnell sind, weil die spanische Hauptstadt rund 670 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Die erste Begegnung – 2004 in Miami – gewann überraschend Nadal. Der „Neue“ auf der Tour war in das Revier des Superstars eingedrungen. Der Freundschaft zwischen den beiden, die sich über Jahre entwickelte, tat dies keinen Abbruch.
Wimbledon: Das Gespür für Gras
Dass Rafael Nadal Paris mehr liebt als Wimbledon, ist eine Mär. Das Turnier, das er schon als kleiner Junge unbedingt gewinnen wollte, hieß Wimbledon. Natürlich. Denn bei aller Wertschätzung für Roland Garros – und die ist gewaltig –, Wimbledon ist der Primus inter pares. Es ist das wichtigste Turnier der Welt. Für Nadal, der sich der Tradition immer bewusst war, eine Binsenweisheit. Als er 2008 erstmals Federer besiegen konnte, war es für ihn wie eine Erlösung. 2006 und 2007 hatte er dem Schweizer schon epische Schlachten geliefert. 2008 setzte allem die Krone auf und ging als „the greatest final ever“ in die Geschichtsbücher ein.
Pokale: 92 allein auf der ATP-Tour
Die Insignien seiner Triumphe stehen in seinem Haus auf Mallorca und in dem Museum seiner Tennisakademien. Den ersten von 92 Titeln insgesamt feierte Rafael Nadal im polnischen Sopot 2004. Sein Gegner: Jose Acasuco. Coup Nummer 92 zelebrierte er standesgemäß bei den French Open. Vor zwei Jahren ließ er Casper Ruud beim 6:3, 6:3, 6:0 keine Chance. Sein häufigster Finalgegner: Novak Djokovic. 28 Mal standen sich die beiden gegenüber, 15 Partien gewann der Serbe. In der Finalbilanz gegen den anderen großen Kontrahenten, Federer, führt Nadal 14:10. In diesem Jahr gab es noch eine Chance auf Titel Nummer 93. Fast überraschend spielte sich Nadal ins Finale von Bastad. Aber der Portugiese Nuno Borges gewann 6:3, 6:2.
Fußball: Noch eine große Leidenschaft
Mit elf Jahren gewann Rafael Nadal mit seinem Team die Balearenmeisterschaft im Fußball. Sein Onkel, Miguel Angel Nadal, war spanischer Nationalspieler, gewann mit dem FC Barcelona die Champions League und kickte 18 Jahre lang in der Primera División für RCD Mallorca. Nadal selbst ist Real Madrid-Fan. Warum das so ist, erklärte er einmal so: „Mein Vater und meine ganze Familie waren immer Real-Fans.“ Wer sich davon überzeugen will, wie talentiert Nadal im Fußball war, findet im Netz einige Videos. Keine Frage: Eine Karriere als Weltklasse-Fußballspieler hätte er wohl auch gemacht. Dass er den Weg zum Tennis fand, hat er einem anderen Onkel zu verdanken. Toni Nadal, ein ausgezeichneter Tischtennisspieler, entdeckte das Talent seines Neffen früh und machte den Rechtshänder zum Linkshänder auf dem Platz.
Davis Cup: Finale in Malaga
Beim ältesten Mannschaftswettbewerb der Welt wird der Einzelspieler Nadal zum Teamplayer. Seine Geschichte begann mit einem Paukenschlag. 2004 im Finale schlug Spanien mit dem 18-jährigen Nadal die USA vor 24.000 Zuschauern im Olympiastadion von Sevilla. Die Amerikaner waren mit Top-Star Andy Roddick und den Bryan-Brüdern angereist. Bei 23 Begegnungen startete Nadal für Spanien. Von seinen 30 Einzeln verlor er nur ein Match. Seine Doppelbilanz: 8:4. Vor den Davis Cup-Finals in Malaga (19. – 24.11.) sagte Nadal, nur noch die Nummer 153 der Welt, dass er im Sinne des Teams auf einen Einsatz im Einzel verzichten würde.
Die Zeit danach: Viel Zeit für alles
„I am sailing, I am sailing“, sang Popikone Rod Stewart. Es ist die Hymne aller Segelfans. Nadal ist auch einer. Hat seinen eigenen 5,5 Millionen Euro teuren Luxus-Katamaran. Der liegt in der Nähe seines Hauses in Porto Cristo auf Mallorca. Wie der berühmteste Sohn der Insel künftig seine Zeit verbringen wird? Geäußert hat er sich noch nicht. Naheliegend wäre: viel Zeit mit Frau Maria Francisca und Sohn Rafael junior verbringen. Sein Business rund um die Rafa Nadal Academy vorantreiben. Dass er seinem Team auch nach der Karriere treu bleibt, hat er bereits angekündigt. Er wird Fußball gucken, Golf spielen – und natürlich Segeln!