„Tennis fehlt nötige Konsequenz und Transparenz im Dopingkampf“
Iga Swiatek ist nach einem positiven Dopingtest vorläufig für nur einen Monat suspendiert worden. ARD-Dopingexperte Hajo Seppel vermisst im Tennissport ein striktes Durchgreifen beim Kampf gegen Doping.
Der positive Dopingtest von Iga Swiatek und der Umgang damit durch die dafür zuständige ITIA sorgt im Tennis für eine Menge Unruhe. Swiatek wurde am 12. August 2024 beim WTA-Turnier in Cincinnati positiv auf die verbotene Substanz Trimetazidin getestet. Einen Monat später, am 12. September 2024, ist für einen Monat vorläufig suspendiert worden. Sie verpasste drei Turniere in Asien, die auf die Sanktion angerechnet wurden. Bei den WTA-Finals und beim Billie Jean King-Cup trat Swiatek an, die letzten acht Tage der Sperre „verbüßt“ die Polin aktuell.
Swiatek soll verunreinigtes Medikament eingenommen haben
Die 23-Jährige hatte nach eigener Aussage das in Polen nicht verschreibungspflichtige Medikament Melatonin gegen die Folgen von Jetlag eingenommen. Eine Verunreinigung dieses Medikaments habe zum positiven Testergebnis geführt. Die Ermittler stuften die Aussagen der Polin als glaubwürdig ein und werteten es als nicht schwerwiegenden Fall. Swiatek selbst sprach in einem Instagram-Post von der „schlimmsten Erfahrung meines Lebens“. In den letzten 2,5 Monaten sei sie einem „strengen ITIA-Verfahren unterzogen“ gewesen, „das meine Unschuld bestätigte.“
„Die Ausrede, die wir alle benutzen können, ist, dass wir es nicht wussten. Einfach nicht wussten. Profisportler auf höchstem Niveau können jetzt einfach sagen: Wir wussten es nicht“, schrieb der Tennisprofi Nick Kyrgios bei X. Der Australier hatte schon den Freispruch des Weltranglistenersten Jannik Sinner aus Italien im Spätsommer nach dessen Dopingfall kritisiert.
The excuse that we can all use is that we didn’t know. Simply didn’t know. Professionals at the highest level of sport can now just say “we didn’t know” 👏
— Nicholas Kyrgios (@NickKyrgios) November 29, 2024
Auch die deutsche Spielerin Eva Lys monierte den Ausgang des Verfahrens. „Ich fange langsam an zu denken, dass nicht jeder das gleiche Verfahren bekommt“, kommentierte die 22-Jährige bei X: „Es gibt viele Spieler mit niedrigerem Rang, die nicht die gleiche Behandlung erfahren wie Spieler mit höherem Rang. Ich sage nicht, dass jemand unschuldig ist oder nicht, ich sage, dass jeder die gleichen Chancen verdient.“
Ungleiche Behandlung auf der Tennis-Tour
Hintergrund: Andere Profis in ähnlich gelagerten Dopingfällen wurden entweder härter sanktioniert oder mussten viel länger auf eine Klärung ihres Falles warten. Im Dopingfall der früheren Weltranglistenersten Simona Halep traf sogar beides zu. Erst ein Jahr nach ihrem positiven Dopingbefund verhängte die ITIA eine Sperre von vier Jahren. Der Internationale Sportgerichtshof CAS reduzierte diese später auf neun Monate. „Ich stehe da und frage mich, warum es so große Unterschiede in der Behandlung und Beurteilung gibt“, schrieb Halep bei Instagram: „Ich kann keine logische Antwort finden und glaube auch nicht, dass es eine geben kann.“ Sie unterstellte der ITIA sogar „böse Absicht“.
Simona Halep with some STRONG words on Instagram.
“Why is there such a big difference in treatment and judgment? (…) the ITIA has done absolutely everything to destroy me”. pic.twitter.com/FrFCciWzSL
— José Morgado (@josemorgado) November 29, 2024
Die ITIA verteidigte sich gegen die Vorwürfe. „Keine zwei Fälle sind gleich, die Umstände sind oft sehr unterschiedlich und direkte Vergleiche sind nicht immer hilfreich“, ließ die Agentur verlauten. Bei Swiatek habe es sich um ein reguliertes Medikament gehandelt und kein Nahrungsergänzungsmittel wie bei Halep.
Der US-Amerikaner Taylor Fritz äußerte sich nicht über den Fall Swiatek, kritisierte auf X jedoch das Verhalten der Fans in den sozialen Netzwerken: „Es macht mich wahnsinnig, wenn Geschichten unterstützt werden, die in eine Richtung gehen, die man sich wünscht. Selbst wenn du als Spieler deine Unschuld beweisen kannst, werden Leute, die deine Konkurrenten unterstützen, immer blindlings behaupten, du seist ein Betrüger. Das macht mich traurig.“
What drives me CRAZY about these situations (in terms of going on X) is not the actual cases themselves. It’s tough to know exactly what happened/all the details in all of these specific instances, so the speculation talk isn’t really my favorite thing to do. It’s fine to have…
— Taylor Fritz (@Taylor_Fritz97) November 28, 2024
Das bei Swiatek festgestellte Trimetazidin wird bei Durchblutungsstörungen des Herzens angewendet. Die Präparate kommen vor allem zur Prophylaxe von Angina-pectoris-Anfällen zum Einsatz. Trimetazidin kann dazu beitragen, dass Athleten und Athletinnen die enormen Trainingsbelastungen besser ertragen können. Statt Fettsäure werden Kohlenhydrate in den Zellen verbrannt, das benötigt weniger Energie und Sauerstoff. Wer das Mittel zu sich nimmt, ringt weniger stark nach Luft und der Puls bleibt konstanter. Die Muskeln ermüden nicht so schnell und erholen sich nach großen Anstrengungen rascher.
Zuletzt erlangte der Wirkstoff aufgrund des Doping-Vorfalls der erst 15-jährigen Eiskunstläuferin Kamila Walijewa Bekanntheit. Die damals 15-Jährige war das große Thema bei den Olympischen Winterspielen 2022 – wegen eines positiven Dopingtests und des Umgangs mit Minderjährigen im Sport. Der CAS sperrte sie schließlich rückwirkend für vier Jahre.
„Tennis nicht mit der nötigen Konsequenz im Doping-Kampf“
„In dem von der ARD-Dopingredaktion aufgedeckten Fall der 23 chinesischen Schwimmer war auch Trimetazidin nachgewiesen worden. Die Erklärung der Chinesen, dass Trimetazidin ins Essen der Sportler gelangt sei, wurde von den meisten Beobachtern angezweifelt. Es passiert immer wieder, dass für Trimetazidin-Befunde im Sport seltsam anmutende Erklärungen angeführt werden“, sagt ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt auf Sportschau.de. Er findet es „auffällig, wie häufig in den vergangenen Jahren Trimetazidin bei Dopingtests nachgewiesen wurde“. Es habe „eine klar leistungssteigernde Wirkung und ist daher als verbotene Dopingsubstanz gelistet.“
Zu den beiden prominenten Dopingfällen im Tennissport mit Jannik Sinner im Sommer und Iga Swiatek jetzt sagt Seppelt: „Mein Eindruck ist seit langem, dass im Tennissport nicht mit der nötigen Konsequenz und zugleich erforderlichen Transparenz Doping bekämpft wird. Schon im Fall Sinner gab es fragwürdige Erklärungsversuche, die von den Verantwortlichen in diesem Sport akzeptiert wurden.“
ITIA-Geschäftsführerin Karen Moorhouse meinte zur Vorgangsweise in den Fällen von Jannik und Iga Swiatek: „Dies sind keine Fälle von vorsätzlichem Doping. Wir haben es mit unbeabsichtigten Verstößen gegen die Regeln zu tun. Ich glaube also nicht, dass dies für Tennisfans Anlass zur Sorge gibt.“
Die Welt-Doping-Agentur WADA will im Fall Sinner im ersten Quartal 2025 zu einem abschließenden Urteil gelangen – allerdings nach den Australian Open. Dem Italiener droht eine Zwei-Jahres-Sperre. Ob die WADA auch im Fall von Swiatek Einspruch einlegen wird, ließ sie noch offen. „Wie in allen Fällen wird die WADA sich die Entscheidung genau anschauen und sich das Recht behalten, Einspruch beim CAS einzulegen, wenn es angezeigt ist“, teilte die Wada auf Anfrage mit.