Iga Swiatek ( POL ) looks dejected during the 2024 French Open at Roland Garros on May 31, 2024 in Paris, France. ( Phot

Schockmoment: Im August wurde Iga Swiatek positiv auf Doping getestet. Bild: IMAGO / PanoramiC

Dopingfall Iga Swiatek: „Mit Schwellenwerten hätten wir diesen Fall nicht“

Bei Iga Swiatek wurden winzige Mengen der verbotenen Substanz Trimetazidin entdeckt. Der Chef der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA), Olivier Niggli, will nun über mögliche Änderungen der Doping-Regeln nachdenken.

Iga Swiatek hatte einen positiven Dopingtest, der möglicherweise dazu beiträgt, dass die Regeln im Anti-Doping-Kampf angepasst werden. Der Grund dafür ist die extrem geringe Menge eines verbotenen Wirkstoffs, der bei Swiatek festgestellt wurde. Aber der Reihe nach.

Swiateks Urinprobe, die sie am 12. August 2024 beim Turnier Cincinnati den Dopingfahndern aushändigte, enthielt die Substanz Trimetazidin (TMZ). Der Wirkstoff wird normalerweise zur Behandlung von Herzkrankheiten wie Angina Pectoris eingesetzt. Die WADA hat TMZ 2014 auf der Liste ihrer verbotenen Substanzen setzen lassen, weil es erwiesenermaßen eine leistungssteigernde Wirkung hat. Der Effekt: TMZ lässt das Herz effektiver arbeiten, wodurch sich die Ausdauer erhöht. Dadurch wiederum lassen sich Trainingsintensität und Trainingsumfänge steigern.

Dopingfall Swiatek: Die Sache mit den verunreinigten Tabletten

Iga Swiatek beteuert, TMZ nicht wissentlich eingenommen zu haben. Stattdessen soll es über verunreinigte Tabletten in ihren Körper gelangt sein. Die 23-Jährige nahm im August 2024 das Schlafmittel Melatonin, um ihren Jetlag zu bekämpfen. Melatonin ist in Polen, Swiateks Heimat, ohne Rezept erhältlich. Sie konnte diese Kontamination gegenüber der ITIA, die im Tennissport die Dopingfälle behandelt, durch Labortests der Tabletten und einer Haarprobe so erklären, dass sie mit einer Mini-Strafe über einen Monat davonkam.

 

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Die Frage ist nun: Warum glaubte ihr die ITIA? Es gibt dafür mehrere Gründe.

Erstens: Swiatek wird als ehemalige Nummer eins ziemlich gut „überwacht“. Das heißt: Sie wurde im August 2024 insgesamt viermal auf Doping getestet. Anfang August bei den Olympischen Spielen in Paris ergaben zwei Tests keine Auffälligkeiten. Am 12. August wurde sie positiv getestet. Ende August schließlich folgte der vierte Test bei den US Open, der wieder negativ war.

Zweitens: Swiateks Verunreinigung soll von einem Medikament herrühren, das in Polen nach EU-Standards produziert und entsprechend kontrolliert wird. Solche Fälle werden von den ITIA grundsätzlich anders eingestuft als Kontaminationen mit einem Nahrungsergänzungsmittel. Bei den sogenannten „Supplements“ sind die Bestimmungen während der Produktion nicht derart strikt und es gibt eine höhere Wahrscheinlichkeit für Verunreinigungen. Das heißt: Bei Kontaminationen mit Nahrungsergänzungsmitteln liegt die Verantwortung der Sportler und Sportlerinnen grundsätzlich höher als bei verunreinigten Medikamenten und sie haben allein dadurch längere Strafen zu erwarten.

Inzwischen hat sich der polnische Hersteller der Tabletten mit einem öffentlichen Statement gemeldet. Tenor: Man bedauere die Situation, in der Swiatek nun stecke, und wolle darauf hinweisen, dass man stets nach den höchsten Standards Medikamente herstelle. Zitat: „Melatonina LEK-AM 1 mg (das von Swiatek benutzte Medikament, Anm. d. Red.) unterliegt in jeder Phase der Herstellung einer strengen Kontrolle. Die in den geprüften Packungen des Arzneimittels festgestellten Spuren von Verunreinigungen liegen weit unter der zulässigen Norm, was bedeutet, dass sie die Gesundheit und das Leben der Patienten in keiner Weise gefährden. Melatonina LEK-AM 1 mg Melatonin ist für Patienten sicher.“

Dopingfall Swiatek: Unabhängige WADA-Labore bestätigten die Angaben

Drittens: Die ITIA führte Dringlichkeitstests an den von Swiatek gelieferten Melatoninproben durch. Dies geschah während ihrer vorläufigen Suspendierung, die am 12. September einsetzte, nachdem die ITIA ihr das positive Testergebnis aus Cincinnati mitgeteilt hatte. Am 22. September legte Swiatek Einspruch gegen die vorläufige Suspendierung ein. Dies erfolgte fristgerecht, nämlich innerhalb von maximal zehn Tagen, damit das positive Testergebnis nicht der Öffentlichkeit mitgeteilt wurde. Diese Praxis entspricht den ITIA-Regeln und führte unter anderem dazu, dass der positive Test vorerst nicht bekannt wurde. Die ITIA-Tests in unabhängigen WADA-Laboren bestätigten schließlich die Angaben von Swiatek.

TMZ war sowohl auf der Oberfläche als auch im Inneren der Tabletten in einer Weise vorhanden, die auf eine Kontamination während der Produktion schließen ließen. TMZ-Spuren wurden in Tabletten aus der Packung, die Swiatek in der Nacht vor dem Test vom 12. August benutzt hatte, als auch in Tabletten aus einer versiegelten Packung desselben Produkts, die zu derselben Produktcharge gehörte, nachgewiesen.

Viertens: Die bei ihr in dem positiven Dopingtest festgestellte Menge an TMZ ist minimal. Laut den Messdaten wurden bei ihr 50 Pikogramm in einem Milliliter Urin gefunden. Das sind 0,00000000005 Gramm/ml. Dr. Andrzej Pokrywka von der Medizinischen Universität Warschau, Anti-Doping-Experte am Zentrum für Sportmedizin und jemand, der ursprünglich empfohlen hatte, TMZ auf die WADA-Verbotsliste zu setzen, sagte in einer Analyse, die das Swiatek-Lager am Donnerstag veröffentlichte: „Die Konzentration der Substanz in der Urinprobe ist extrem niedrig, und das negative Ergebnis der Analyse der Haarprobe der Athletin bestätigt, dass sie kein Trimetazidin in einer Menge eingenommen hat, die auch nur der niedrigsten therapeutischen Dosis für diese Substanz entspricht.“ Leistungsförderung kann eine so geringe Menge nicht sein.

Dopingfall Swiatek: Noch gilt das Prinzip des „strengen Haftung“

Allerdings: Wie hoch die Dosis der festgestellten verbotenen Substanz ist, spielt im Anti-Doping-Kampf eigentlich keine Rolle. Es geht nur darum, dass etwas Verbotenes gefunden wurde, wofür der Athlet oder die Athletin die Verantwortung trägt. Schwellenwerte gibt es im Anti-Doping-Kampf bislang nicht. Entweder man ist positiv oder man ist es nicht. Es gilt das Prinzip der „strengen Haftung“ (strict liability) der WADA gemäß ihrem Welt-Anti-Doping-Code.

Weil nun aber die Messtechnik in den Laboren immer genauer wird, können auch geringste Spuren von Stoffen entdeckt werden, die mitunter zwar auf der Dopingliste stehen, die aber aufgrund ihrer Dosis offensichtlich keine Vorteile für den Sportler oder die Sportlerin bringen. Angeblich sollen einige Messgeräte in zertifizierten WADA-Laboren so empfindlich sein, dass sie dazu imstande sind, den Tropfen einer Substanz zu detektieren, den man in ein Schwimmbecken mit olympischen Ausmaßen fallen lässt.

Zu genau diesem Punkt äußerte sich nun der WADA-Chef Olivier Niggli in einem Interview mit der französischen Sport-Tageszeitung „L’equipe“: „Es gibt ein Problem mit der Kontamination“, sagte der Schweizer. „Die Labore sind heute besser und können kleinere Mengen feststellen. Das müssen wir im Auge behalten. Die Mengen sind so gering, dass man sich heute durch alltägliche Dinge kontaminieren kann. Man hört viele Geschichten, und ich verstehe die Öffentlichkeit, die denkt, dass wir naiv sind und alles glauben. Das ist ein Problem. Wenn wir es uns einfach machen wollten, würden wir Schwellenwerte setzen und hätten all diese Fälle nicht. Die Frage, die sich stellt, ist, ob wir bereit sind, das Mikrodosieren zu akzeptieren? Und wo hört das auf? Wir werden sicherlich eine Arbeitsgruppe einrichten.“

Niggli spricht damit auch indirekt den Dopingfall von Jannik Sinner an. Bei der Nummer eins der ATP-Weltrangliste fielen zwei Dopingtests im Frühjahr positiv aus. In beiden Proben wurde Clostebol gefunden. Sinner wurde aber nicht gesperrt. Die ITIA glaubte ihm, dass das Clostebol über die Hände eines Physios in seinen Körper gelangte – per Massage. Die Menge Clostebol, die in Sinners Urin gefunden wurde, betrug 121 Pikogramm pro Milliliter. Das sind 0,000000000121Gramm/ml. „Selbst wenn die Verabreichung absichtlich erfolgt wäre, hätten die möglicherweise verabreichten Spurenmengen keine relevante doping- oder leistungssteigernde Wirkung auf den Spieler gehabt“, erklärte damals Professor David Cowan, der die von der ITIA durchgeführte Untersuchung leitete.

Sinner kann das Statement von WADA-Chef Niggli nun so interpretieren, dass er vor der angekündigten WADA-Prüfung seines Dopingfalls keine große Angst haben müsste, denn es steht immerhin eine mögliche Zwei-Jahres-Sperre im Raum. Aber noch gilt die „strict liability“ der WADA; die Berücksichtigung von Schwellenwerten ist (noch) nicht vorgesehen. Feststeht: Sinner wird die Australian Open 2025 spielen dürfen. Seine Anhörung bei der WADA soll im Februar 2025 stattfinden. Sollte die WADA danach den internationalen Sportgerichtshof (CAS) anrufen, soll es dem Vernehmen nach erst im Juni 2025 ein Verfahren geben.

Dopingfall Swiatek: Wo liegen die Unterschiede zu Nikola Bartunkova?

Zurück zum Fall von Iga Swiatek, der häufig mit dem der tschechischen Nachwuchsspielerin Nikola Bartunkova verglichen wird. Tatsächlich gibt es einige Parallelen. Bei beiden wurde TMZ gefunden, beide gaben als Grund eine Kontamination an, aber Swiatek musste nur einen Monat pausieren, Bartunkova dagegen ein halbes Jahr. Wie in den meisten Dopingvergehen kommt es auf die Details an, denn da unterscheiden sich die beiden Dopingfälle.

Bartunkova, 18 Jahre alt und Juniorinnen-Finalistin in Wimbledon 2023, wurde zweimal positiv auf TMZ getestet: beim ITF-W50-Turnier im Februar 2024 in Trnava, Slowakei, und im März 2024 beim ITF-W75-Event in Maribor, Slowenien. Im April 2024 erhielt sie die Nachricht von der ITIA, dass sie positiv getestet wurde. Bartunkova bestritt sofort, wissentlich TMZ eingenommen zu haben Das Problem: Die Tschechin konnte zunächst keine Quelle benennen, um zu erklären, wie das TMZ in ihren Körper gelangt war. Zweimal bat sie die ITIA um Aufschub ihres Verfahrens, zweimal kam ihr die ITIA entgegen. Erst Ende Oktober konnte Bartunkova eine Erklärung für die erhöhten TMZ-Werte liefern. Ihr Fall war eine Kontaminierung durch ein Nahrungsergänzungsmittel.

Mit dem Fund der TMZ-Quelle ging das Verfahren dann ähnlich schnell zu Ende wie bei Swiatek. Mitte November veröffentlichte die ITIA das abschließende Urteil. Bartunkova erhielt eine sechsmonatige Suspendierung, weil es in ihrem Fall einfach so lange gedauert hatte, um den Ursprung der TMZ-Verunreinigung zu finden. Was sich außerdem zu ihren Ungunsten auswirkte: Ein in hohem Maße unreguliertes Nahrungsergänzungsmittel beinhaltet ein größeres „Kontaminations-Risiko“ als das von Swiatek eingenommene regulierte Medikament. Daraus ergibt sich laut ITIA auch ein höheres Maß an Schuld im Fall von Nikola Bartunkova, selbst wenn es am Ende heißt, dass der Tschechin „kein signifikantes Verschulden“ nachzuweisen ist.

Neben diesen Feinheiten in der Urteilsfindung spielt an dieser Stelle die von vielen Profis und Beobachtern beanstandete Ungleichbehandlung von Top-Stars und normalen Spielern/Spielerinnen eine Rolle. Die ITIA betont stets, dass es diese nicht geben würde. Allein schon deshalb, weil alle Fälle bis zur abschließenden Anhörung anonym behandelt werden. Aber was hätte Iga Swiatek an der Stelle von Nikola Bartunkova getan? Ausgestattet mit einem großen Team und üppigen finanziellen Mittel, ist davon auszugehen, dass Swiatek dann wesentlich schneller die TMZ-Quelle gefunden hätte. Dadurch hätte sich auch ihre Sperre reduziert.

Für Iga Swiatek ist der eigene Dopingfall mit dem 4. Dezember 2024 vorerst abgeschlossen. Sie hat dann in Summe ihre einmonatige Spielsperre „verbüßt“. Gut möglich allerdings, dass die WADA wie im Fall von Jannik Sinner noch Einspruch einlegen wird.