Neuen Tennisschläger? Lass ich mir bauen
Was klingt wie ein Traum für Hobbyspieler, will das Unternehmen myRacket wahr werden lassen: den maßgeschneiderten Tennisschläger, perfekt passend zum eigenen Spiel – ein Selbstversuch
Fotos: Gerrit Staron
Der Ball kommt auf mich zu, ich bringe mich in Position, hole aus, treffe ihn voll mit meiner Vorhand, nur: Irgendetwas fühlt sich komisch an. Aber was? Ich kann es nicht genau zuordnen. Und Zeit, länger darüber nachzudenken, habe ich auch nicht. Schon schleudert mir die Ballmaschine den nächsten Ball entgegen. Volle Konzentration jetzt, schön runter gehen, Oberkörper eindrehen, den Ball weit vorne treffen. Die über Jahrzehnte eingebrannten Bewegungsmuster meiner Vorhand spule ich routiniert ab, aber im Treffpunkt merke ich, dass etwas fehlt. Das Gefühl ist matt und der Ball wird nicht so beschleunigt wie sonst.
Tennisschläger im Blindtest
Markus Harnack grinst mich an, als er mir in mein fragendes und verschwitztes Gesicht blickt und mir einen anderen Schläger in die Hand drückt. Er unterscheidet sich von dem Racket, mit dem ich gerade kein gutes Gefühl bei der Vorhand hatte, nur in einer einzigen Eigenschaft – alles andere ist gleich. Ich weiß aber nicht, welcher Parameter sich nun geändert hat. Ich weiß nur: Den Ball treffe ich plötzlich vieler satter, so dass ich mich auf Anhieb mit der zweiten Keule pudelwohl fühle.
Willkommen beim „Fitting-Day“ des jungen deutschen Unternehmens myRacket. Markus Harnack, mit dem ich vor den Toren Hamburgs auf dem Platz stehe, ist einer der beiden Gründer und führt mit mir einen Blindtest durch. Es ist also gewollt, dass ich etwas verwirrt meine Grundschläge raushaue und dabei nie so recht weiß, worin sich der eine vom anderen Schläger unterscheidet. Ich soll immer nur sagen, mit welchem Racket ich mich wohler gefühlt habe. Der Blindtest ist ein wesentlicher Bestandteil in einem Prozess, den der ein oder andere Hobbyspieler vielleicht schon aufgegeben hat: den perfekten Schläger für sein eigenes Spiel zu finden. Denn genau das verspricht myRacket.
„Mein Mitgründer Steffen Dempfle und ich waren vor einigen Jahren selbst auf der Schlägersuche, aber wir fanden keine objektive Möglichkeit, um wirklich in Erfahrung zu bringen, welcher Schläger am besten zu unserem Spiel passt. Daraus entstand die Idee, einen Fitting-Prozess für Tennisspieler zu entwickeln, wie man ihn beispielsweise aus dem Golfsport kennt“, erzählt Harnack. Mit Steffen Dempfle verbindet ihn eine Kindheitsfreundschaft: Beide stammen aus Radolfzell und spielten zusammen Tennis. Harnack, 36, studierte dann Maschinenbau, Dempfle, 36, Elektrotechnik. Über ihr gemeinsames Hobby hielten sie Kontakt.
Ein gemeinsamer Bekannter leitet Europas größtes Fitting-Studio für Golfschläger und wurde zu einem Vorbild für die beiden Gründer. Im Golfsport ist „customization“, also an den jeweiligen Sportler angepasste Sportgeräte, auch im Hobbybereich längst Standard. Im Tennis ist es nur im Profibereich normal, dass die Schläger für die Stars individuell angepasst werden. Amateure und Breitensportler müssen sich mit der Ware von der Stange begnügen. „Das wollen wir ändern. Jeder Spieler ist individuell. Wir wollen deshalb, dass sich der Schläger dem Spieler anpasst und nicht umgekehrt. Doch aktuell ist es so, dass der Spieler sich dem Schläger anpassen muss – zumindest im Amateurbereich“, stellt Harnack klar.
Tennisschläger-Werkstatt in Frankfurt
Um dieses hoch gesteckte Ziel auch zu erreichen, haben Harnack und Demple nicht nur einen Fitting-Prozess für Tennisspieler entwickelt. myRacket baut auch gleich die Schläger exakt nach den Daten, die dabei am Ende herausgekommen. Dazu beziehen die Schlägerspezialisten Racket-Rohlinge aus Fernost, die dann in ihrer Frankfurter Schläger-Werkstatt individuell konfiguriert werden.
Der Fitting-Prozess ist eine Symbiose aus einem Online-Fragebogen mit einem theoretischen Vorabergebnis, dem On Court-Fitting mit wissenschaftlich fundierten Blind- und Halbblindtests und einem On Court-Kamerasystem, das die Daten der gespielten Bälle aufzeichnet. Daraus ergibt sich das Bild eines Schlägers, der optimal zum Spieler passen soll. „Wir wollten weg von der reinen gefühlsbasierten Kaufentscheidung, hin zu einem datengetriebenen Entschluss“, sagt Harnack.
Ich habe schon wieder einen anderen Schläger in der Hand und versuche damit ordentliche Grundschläge hinzubekommen. Mein erster Gedanke: „Der ist mir zu leicht, da kommt doch nichts raus.“ Als ich das Markus Harnack mitteile, sagt er nur: „Dabei war das der schwerere der beiden Schläger, die du gerade gespielt hast.“ Es ist nicht die einzige Erkenntnis beim On Court-Fitting, die mich erstaunt. Völlig perplex bin ich, als ich mein Urteil zu einem Schlägerpaar fälle, dessen Quintessenz Harnack so zusammenfasst: „Ich denke auch, dass der längere Schläger besser zu dir passt!“
Das längere Modell misst 69,5 Zentimeter, Standardschläger sind einen Zentimeter kürzer. Zunächst verunsichert mich allein der Gedanke, dass mein Optimal-Racket einen Zentimeter länger sein soll. Als ich mit ihm dann aber aufschlage, kommt der nächste Aha-Moment: Der Aufschlag, mein Lieblingsschlag, fühlt sich plötzlich so leichtgängig an; gleichzeitig ist er zügiger und präziser unterwegs.
Insgesamt werden vier Parameter beim Fitting abgeklopft: Gewicht, Schwunggewicht, Länge, Besaitungshärte. Allein daraus ergeben sich schon unendlich viele Variationen. Weitere Stellschrauben wie Kopfgröße (645 cm²) oder Saitenmuster (18/20) sind bei den myRacket-Rohlingen vorgegeben und aktuell nicht veränderbar. Harnack begründet das so: „Unser Saitenmuster bietet die höchstmögliche Kontrolle. Power und Spin lassen sich über andere Schlägerparameter steuern.“
Dafür lässt sich aber der Griff anpassen, den myRacket zeitgemäß in den gängigen Größen von XS bis XXL anbietet und die aus einem Stück im 3D-Drucker entstehen. Der gewählte Griff verschmilzt mit dem konfigurierten Rahmen. „Unser Prozess ermöglicht es uns, komplett identische Schläger für einen Spieler herzustellen. Bei normalen Schlägern gibt es zum Teil Abweichungen von mehreren Gramm, bei uns liegt der Toleranzbereich unter einem Gramm“, erklärt Yannic Nobel, 26, der seit April 2024 zum myRacket-Team gehört.
Mein On Court-Fitting ist zu Ende. Ich entscheide mich für einen Rahmen in weiß – schön und schlicht. Er wird leichter und länger als mein Wilson Shift werden. Der myRacket-Schläger kommt anderthalb Wochen später an. Ich teste ihn gleich abends beim Mannschaftstraining. Der erste Eindruck: Er liegt toll in der Hand und alle Schläge funktionieren ordentlich. Aber: Eine Wunderwaffe ist auch dieser Schläger nicht. Inzwischen allerdings habe ich mehr als zehnmal mit ihm gespielt, inklusive Punktspiel. Jetzt ist eine große Vertrautheit eingekehrt und ich habe das Gefühl, dass er mich in den meisten Bereichen meines Spiels gut unterstützt.
Alter gegen neuer Tennisschläger
So sehen die genauen Spezifikationen der Rackets unseres Redakteurs aus
Wilson Shift 99 | myRacket-Schläger | |
Gewicht | 300 Gramm | 287 Gramm |
Länge | 68,5 cm | 69,5 cm |
Schwunggewicht | 320 | 284 |
Balancepunkt | 32,4 cm | 32,8 cm |
Rahmenhärte | 68 | 67 |
Kopfgröße | 639 cm² | 645 cm² |
Saitenmuster | 16/20 | 18/20 |
Griffstärke | L3 | XXL (L5) |
Besaitungshärte | 23/22 | 24/23 |
Nachtrag: Inzwischen sind vier Monate seit dem On Court-Fitting im August vergangenen. Ich spiele mit dem myRacket-Schläger, den ein Mannschaftskollege aufgrund dessen Farbe und Überlänge als „weißen Riesen“ getauft hat, zweimal pro Woche. Für den Moment kann ich mir keinen passenderen Schläger für mich vorstellen. Ja, es gab auch Zweifel und manchmal dachte ich: „Mmh, da hatte ich mir doch mehr von versprochen. Soll ich nicht meinen alten Schläger wieder nehmen?“ Aber ich tat es nicht und griff erneut zum weißen Riesen. Vielleicht haben wir uns während der letzten Monate gegenseitig angepasst? Ich merke schon, dass ich weniger Hauruck-Tennis spiele, selbst auf dem megaschnellen Hallenteppich nicht. Und das ich dadurch weniger Fehler mache.
„Was für ein interessanter Tennisschläger?“
Was mich letztlich endgültig überzeugt hat: Meine Trainingskollegen attestieren mir eine höhere Schlagsicherheit und mehr Länge in meinen Grundschlägen. Das heißt nicht, dass ich sie reihenweise schlage. Ich fühle mich nur rundum wohl mit dem myRacket-Schläger in der Hand – und das ist doch schon mehr als die halbe Miete. Und außerdem: Der Aufschlag funktioniert nach wie vor richtig gut. Natürlich nicht in jeder Partie und auch nicht in jeder Matchsituation. Aber neulich beim Match-Tiebreak in der Hallenrunde waren es die drei Asse, die mir den Sieg brachten. Als mein Gegner mir am Netz gratulierte, fragte er mich direkt, mit welchem interessanten Tennisschläger ich spielen würde.
Der Weg zum maßgeschneiderten Racket
1. Kontakt mit myRacket aufnehmen über www.my-racket.de. Ein persönliches Racket-Fitting ist direkt buchbar und kostet 139 Euro. Günstiger wird es im Rahmen eines „Fitting Days“, die drei- bis viermal pro Monat rund um die Standorte in Frankfurt, München und einigen anderen Orten stattfinden. Dann kostet das Fitting 45 Euro. Wichtig: Ein Fitting verpflichtet nicht zum Schlägerkauf!
2. Vor dem Fitting gibt es ein persönliches Telefonat. Danach werden per Online-Fragebogen Daten zum aktuellen Schläger, zur körperlichen Konstitution und zum Leistungslevel abgefragt.
3. Das Fitting findet auf dem Tennisplatz statt und dauert etwa eine Stunde. Man wechselt in sogenannten Blind- und Halbblindtests oft die Schläger, damit alle relevanten Racket-Parameter erhoben werden können. Alle geschlagenen Bälle werden mit einer Kamera getrackt, wodurch objektive Daten zur Schlagqualität gesammelt werden.
4. Nach dem Fitting werden die erhobenen Daten und Eindrücke ausgewertet. Wer sich für einen myRacket-Schläger entscheidet, kann nun das Design seines Schlägers auswählen, inklusive individualisierbarem Griff. Die genauen Spezifikationen werden durchgegangen und erklärt. Der Preis für den maßgeschneiderten Schläger liegt bei 309 Euro. Wer ein persönliches Fitting gebucht hat, bekommt beim Kauf 40 Euro Ermäßigung.
5. Wenige Tage nach dem Fitting erhält man die festgelegten Schlägerdaten in schriftlicher Form. Noch sind Korrekturen möglich.
6. Spätestens zehn Tage nach dem Fitting bekommt mein seinen neuen Schläger per Post (in der Regel unbesaitet). Wer mit ihm nun gar nicht klarkommt, bekommt Hilfe von myRacket. Mehr als 95 Prozent der maßgeschneiderten Schläger sollen aber auf Anhieb zum Spieler bzw. zur Spielerin passen – behauptet myRacket.