Claudia Kohde-Kilsch: „Steffi Graf war keine Konkurrentin, sie war eine Ausnahme“
Claudia Kohde-Kilsch hat ihre Autobiographie herausgebracht, in der sie auch über ihr Verhältnis zu Steffi Graf schreibt. Aber nicht nur. Zum Glück.
Am Ende ihrer jüngst erschienen Autobiographie „Regenpause“ schreibt Claudia Kohde-Kilsch den Satz: „Ich habe keinen Bogen um die unangenehmen Themen meines Lebens gemacht und Ihnen alles erzählt.“ Wer das Buch komplett gelesen hat, wird ihr zustimmen müssen.
Denn Kohde-Kilsch, eine der besten deutschen Tennisspielerinnen überhaupt, schafft es, in ihrem eigenen, leicht verständlichen Stil jeden Aspekt ihrer wechselvollen Laufbahn mit einem gewissen Erkenntnisgewinn anzusprechen. Wer allerdings nun das große Enthüllungsbuch erwartet, wird enttäuscht. Claudia Kohde-Kilsch bleibt sich selbst treu. Sie tritt nirgendwo nach, sie verliert nie die Contenance. Alles andere hätte auch nicht zu ihr gepasst.
Claudia Kohde-Kilsch: Top 5 in Einzel und Doppel
Claudia Kohde-Kilsch war Mitte der 80er-Jahre im Einzel die Nummer vier der Welt und im Doppel die Nummer drei. Fünf Jahre am Stück stand sie gleichzeitig in den Top 10 von Einzel und Doppel. Sie gewann zwei Grand Slam-Titel im Doppel (Wimbledon 1987, US Open 1985) und holte 1988 die olympische Bronze-Medaille im Damen-Doppel mit Steffi Graf. Kohde-Kilsch war auf dem Weg, eine deutsche Sport-Heldin der 80er-Jahre zu werden, bis eben die sechs Jahre jüngere Steffi Graf auftauchte, die im Damentennis alles in Grund und Boden spielte.
1988 Australian Open SF:
(1)Steffi Graf def. (8)Claudia Kohde-Kilsch 6-2, 6-3
Graf made her 4th straight major final & her 1st in Australia. It was the 1st year at Melbourne Park.
Kohde-Kilsch lost in the Australian Open SF for the 3rd straight year.
🎥: Just Tennis Channel 2 pic.twitter.com/QFaur9ReVC
— Tennis Historian (@HistorianTennis) January 24, 2024
Graf stand fortan im Spotlight, Kohde-Kilsch „nur“ in ihrem Schatten. An viele Stellen ihrer Autobiografie lässt die heute 61-Jährige durchblicken, dass man mit ihr nicht immer ordentlich umgegangen sei. Da ist die übergroße Graf, die sich – angetrieben von ihrem überehrgeizigen Vater Peter Graf – nicht großartig dafür anstrengte, mit Kohde-Kilsch ein normales Verhältnis unter Sportlerinnen aufzubauen. Obwohl sich Kohde-Kilsch als die Ältere der beiden um Steffi gekümmert hatte, als diese auf der großen Tennisbühne erschien.
Es gab den Stiefvater Jürgen Kilsch, der sie jahrelang auf der Profitour begleitete und dem sie dafür auch ausdrücklich dankt, doch der sie eben auch systematisch in ihre private Insolvenz trieb, weil er ihre Preis- und Sponsorengelder über Jahrzehnte veruntreut hatte. Auch Oskar Lafontaine ist so eine Überfigur in ihrem Leben, der sie eine Menge zu verdanken hat.
Claudia Kohde-Kilsch: plötzlich in der Politik
Lafontaine führte sie in die Politik. Sie war erst bei den Linken, später bei der SPD, doch am Ende wendet sich Kohde-Kilsch enttäuscht von der politischen Arbeit ab. „Ich habe mit einer solch schäbigen Vorgehensweise ehrlicherweise nicht gerechnet und nun endgültig beschlossen, die Politik jetzt erst mal Politik sein zu lassen“, schreibt sie.
Sie geht ausführlich auf die vielen Enttäuschungen in ihrem Leben ein, ohne dabei in Selbstmitleid zu versinken. Ganz im Gegenteil: Sie schafft es immer, auch die positiven Aspekte jedes noch so harten Schicksalsschlags zu sehen. Das verdient nicht nur Anerkennung. Das zeigt vor allem, welch optimistischer und gutmütiger Mensch Claudia Kohde-Kilsch ist, die seit 2017 DTB-Bundestrainerin ist.
Exemplarisch steht dafür das Verhältnis zu Steffi Graf, das streng genommen keines war. Kohde-Kilsch bedauert an mehreren Stellen in ihrem Buch, dass sie mit Steffi nicht öfter Doppel spielen konnte. Nur beim Federation Cup 1987 und bei den Olympischen Spielen 1988, aber nie auf der regulären WTA-Tour: „Wir wären ein gutes Doppel gewesen, auch ohne viele Worte zu wechseln.“
Legendär ist der Sieg von Kohde-Kilsch und Graf im Finale des Federation Cup 1987 in Vancouver. Sie lagen gegen Pam Shriver und Chris Evert 1:6, 0:4 zurück – und drehten das Ding noch. „Wir wollten einfach nicht glatt untergehen und nahmen uns bei einem Seitenwechsel im zweiten Satz Jimmy Connors zum Vorbild. Der hatte im selben Jahr in Wimbledon ein schier aussichtsloses Match noch drehen und gewinnen können“, schreibt Kohde-Kilsch.
#OnThisDay 1987: Tennis-Weltmeisterinnen: Mit Claudia Kohde-Kilsch (li.) und Steffi Graf gewinnt zum ersten Mal ein deutsches Team den Federation Cup, die inoffizielle
Frauen-Mannschafts-WM im Tennis. pic.twitter.com/rWF2MUr56r— dpa (@dpa) August 2, 2019
1988 bei den Olympischen Spielen in Seoul holten Kohde-Kilsch/Graf die Bronzemedaille. Als die beiden das Halbfinale verloren hatten, soll Peter Graf zu Jürgen Kilsch („zwei Alphatiere trafen aufeinander“) den Satz gesagt haben: „Meinst du, die Claudia soll auch noch eine Goldmedaille gewinnen?“ Hintergrund war, dass Steffi ihren sicheren Rückhand-Slice-Return plötzlich nicht mehr eingesetzt hatte und stattdessen mit der Rückhand voll durchzog, was zu mehreren Fehlern geführt hatte und als Hauptgrund für die Niederlage angesehen werden konnte. Kohde-Kilsch stellt in ihrem Buch unmissverständlich klar, dass sie Graf niemals den Siegeswillen abgesprochen hätte: „Das käme mir auch nie in den Sinn.“
Überhaupt: Sie stellt sich schützend vor Steffi. Unterstellt ihr niemals böse Absichten und räumt mit dem Vorurteil auf, dass sie unter der Graf-Dominanz gelitten hätte: „Die Menschen können nicht verstehen, dass man als Sportlerin auch als Nummer Zwei mit dem Erreichten zufrieden und mit sich im Reinen sein kann.“ Und weiter: „Ich habe Steffi nie als Konkurrenz gesehen, weil sie eine absolute Ausnahme-Athletin war.“ Sie lobt Steffi für ihre unglaubliche mentale Stärke und ihre Gabe, den Druck von allen Seiten einfach ausblenden zu können.
Geschenk von Steffi: ein T-Shirt von Bryan Adams
Fast schon freundschaftlich wirkt eine Anekdote, als Graf vor dem Federation Cup 1987 ein Konzert von Bryan Adams besuchte und Kohde-Kilsch davon ein T-Shirt mitbrachte. „Sie wusste von mir, dass ich ein Fan von ihm war, weil wir uns mal über Musik unterhalten hatten“, heißt es in dem Buch. „Dass sie mir ein T-Shirt schenkte, ist auch ein Beispiel dafür, was sie für ein Herz hatte. Für mich war das damals ein richtig schöner Moment, und das T-Shirt habe ich immer in Ehren gehalten.“
Ohne die verbissenen Väter im Hintergrund wären aus Steffi und Claudia vielleicht wirklich Freundinnen geworden. So aber gibt es immer wieder Hinweise im Buch, wie Peter Graf im Hintergrund die Fäden zog, um Kohde-Kilsch nicht größer werden zu lassen, als sie es ohnehin schon war. Für die Olympischen Spiele 1992 in Barcelona hätte Kohde-Kilsch an der Seite von Steffi Graf wieder Doppel können, aber es kam anders: „Mir wurde zugetragen, dass Peter Graf dann aber in der Entscheidungsfindung, welche beiden Spielerinnen das olympische Doppel bestreiten sollten, mitmischte. Nach dem Motto: Die Steffi spielt nicht mit der Claudia im Doppel, sie spielt mit Anke Huber! Zack!“
Claudia Kohde-Kilsch als Pionierin im Tennis
„Regenpause“ beinhaltet thematisch aber wesentlich mehr als das Verhältnis zwischen Kohde-Kilsch und Graf – zum Glück. Was auch viele Tennisnerds vermutlich nicht mehr auf dem Zettel haben: Kohde-Kilsch war eine Pionierin in ihrem Metier, weil sie die erste deutsche Spielerin war, die von der Schule nach der mittleren Reife abging, um Profi zu werden – mit nur 15 Jahren. Kohde-Kilsch beschreibt die damaligen Bedenken, die von allen Seiten auf sie einprasselten, auch anhand ihres Deutschlehrers am staatlichen Ludwigsgymnasium in Saarbrücken.
„Wie, Tennis spielen? Das macht doch kein Mädchen! Das wird doch nichts. Du willst doch später mal heiraten und einen richtigen Beruf ausüben“, soll der Herr seiner Schülerin mit auf den Weg gegeben haben. Als Kohde-Kilsch dann 1987 den Doppel-Titel in Wimbledon gewann, erhielt sie ein Fax von eben jenem Deutschlehrer: „Er schrieb, dass er sich ja nicht so sicher war, aber sich jetzt von Herzen für mich freuen würde. Und dass der Mut sich ausgezahlt und ich den für mich richtigen Weg eingeschlagen hatte.“
Die große Stärke von „Regenpause“ liegt genau in diesen vielen kleinen Geschichten und Anekdoten, die Kohde-Kilsch immer wieder in ihren Text einfließen lässt. Besonders spannend ist das, wenn sie über ihre Anfänge als Profi zu Beginn der 80er-Jahre schreibt und von ihrem täglichen Kampf um Weltranglistenpunkte auf irgendwelchen Wald-und-Wiesen-Turnieren in den USA. Kaum vorstellbar etwa, dass sie eine mehrtägige Anreise zu einem Turnier in Kalifornien in Kauf nahm, nur um dann festzustellen, dass der Deutsche Tennis Bund im Vorfeld vergessen hatte, die Teilnahmegebühr über 30 US-Dollar zu überweisen. Kohde-Kilsch konnte nicht starten.
Aber allen Widrigkeiten zum Trotz schob sie sich nach oben, rutschte in die großen Turnierfelder und hatte – lange vor Steffi Graf und Boris Becker – international beachtliche Erfolge vorzuweisen. 1981 schlug sie in Oakland als 17-Jährige die große Martina Navratilova, damals die Nummer eins der Damen-Weltrangliste. Gemeinsam mit Bettina Bunge und anderen deutschen Spielerinnen erreichte Kohde-Kilsch schon 1982 und 1983 jeweils das Finale im Federation Cup.
Was in der Öffentlichkeit zuletzt immer viel zu kurz kam durch die private Insolvenz, öffentliche Ämter in der Politik oder einem Auftritt bei Promi-Big Brother ruft „Regenpause“ wunderbar in Erinnerung: Nämlich, dass Claudia Kohde-Kilsch eine begnadete Tennisspielerin war und nach wie vor ein feiner Mensch ist.
„Regenpause“, die Autobiographie von Claudia Kohde-Kilsch, ist beim Sibost-Verlag erschienen und kostet 19,90. Hier kann das Buch direkt bestellt werden.