Christopher Kas

Christopher Kas kennt beide Seiten des Spiels: Er war Tour-Spieler, ist nun Trainer und Coach. ©Imago/Schreyer

Christopher Kas zum Coaching: „Keep it simple”

Christopher Kas trainiert Weltklassespieler, aber auch die Herren-Bundesliga-Mannschaft des TC Großhesselohe. Tipps und Erläuterungen von einem, der als Spieler, Trainer und Coach genau weiß, worauf es ankommt im Match – egal in welcher Leistungsklasse.

Interview: Martina Goy
Erschienen in der tennis SPORT 3/2024

Herr Kas, Sie trainieren sowohl Profispieler als auch die Bundesliga-Mannschaft des TC Großhesselohe. Haben Sie als Profi Tipps für Kollegen und Hobby-Coaches?

Richtig ist die Unterscheidung in Trainer und Coach. Der Trainer kümmert sich in der Regel während der Trainingswochen um die technische Weiterentwicklung der Spieler, bringt eventuell die Fitnesswerte nach oben und kümmert sich um die Spielidee. Der Coach ist dann tatsächlich bei den Spielen dabei. Dabei geht es, auch in den unteren Ligen, vor allem um bestmögliche Vorkenntnisse und danach um Absprachen.

Was meinen Sie damit?

Für das Coaching ist es enorm wichtig, Spieler sehr gut zu kennen. Das betrifft die Spielidee des Einzelnen, aber auch die mentalen Eigenschaften, also wie der Spieler in der Situation Wettkampf reagiert. Um das herauszufinden, muss man sich vor dem Spiel Zeit nehmen und mit dem Spieler sprechen. Es gilt als Coach herauszufinden, was er von mir wissen will, aber auch, was er selbst im Spiel von sich sehen will. Das nenne ich Vorkenntnisse. Wenn man die ausgetauscht hat, muss man eine Vereinbarung treffen. Denn nur, wenn eine Vereinbarung zwischen Spieler und Coach besteht, kann ich im Wettkampf helfen und Situationen bewerten. 

Tipps sind Bewertungen?

Stellen Sie sich vor, der Spieler sagt vor dem Match, ich werde im Spiel immer offensiv agieren. Im Spiel vergisst er das aber plötzlich, zieht sich passiv hinter die Linie zurück. Das ist ein Zeitpunkt, wo man als Coach an die Vereinbarung erinnern sollte: Du wolltest offensiv spielen. Geh‘ wieder ans Netz. Das hat doch sehr gut geklappt. Trau‘ dich, deine Vorhand durchzuziehen. Ein anderer sagt vor dem Spiel, dass er fitter ist als der Gegner, die Ballwechsel also maximal lang gestalten will. Da macht es keinen Sinn, ihm zu sagen, geh‘ ans Netz, versuch‘ den schnellen Punkt zu spielen. Aber egal, wie die Kommunikation abgesprochen ist, ganz wichtig ist es, immer positive Rückmeldungen zu geben – vor allem wenn der Spieler jemand ist, der sich mit negativen Gedanken selbst runterzieht.

Um Hinweise zu akzeptieren, muss man den anderen akzeptieren und ihm vertrauen?

Unbedingt! Vertrauen ist eine Grundvoraussetzung beim Coachen – auch und vor allem, wenn der Mitspieler der Coach ist. Man sollte immer wissen, wieviel man sagen darf. Zuviel Einfluss nehmen, kann schnell den gegenteiligen Effekt haben. Und schon läuft das Match in die falsche Richtung.

Dann ist Coach the Kumpel nicht immer die richtige Idee?

Es gibt ja keine andere Möglichkeit. Aber: Sie kann auch richtig gut sein. Derjenige, der von außen auf das Spiel schaut, ist dem anderen vielleicht technisch nicht überlegen, manchmal noch nicht einmal ebenbürtig, aber er ist objektiv oder versucht es wenigstens zu sein. Und er ist auf jeden
Fall entspannt, weil er keinen Wettkampfstress hat. 

Zudem kennt man sich aus den Trainingseinheiten…

Genau. Teamkollegen kennen sich am besten. Jeder weiß vom anderen: Aha, sein Slice ist absolut zuverlässig. Oder die Vorhand ist der beste Schlag. Da kann man im Spiel dann auch mal sagen: ,Im Training ziehst du die Vorhand prima durch, mach‘ es jetzt einfach genauso!‘

Was tun, wenn der Teamkollege draußen nur halb bei der Sache ist, obwohl er angekündigt hat, zu helfen?

Derjenige, der draußen steht, muss unbedingt authentisch sein. Nicht am Handy spielen, während er das Match beobachtet. Und nicht mit Freunden quatschen, während er am Zaun steht. Das ist Alibi-Hilfe und sie bereitet dem Spieler im Match zusätzlichen Stress. Deshalb gilt: 100 Prozent eintauchen ins Spiel, damit man erstgenommen wird. 

Wie machen Sie das, wenn sie als Tour-Coach erst kurzfristig zu Ihrem Bundesliga-Team stoßen?

Ich arbeite mit zwei Trainern zusammen, die ein enges Vertrauensverhältnis zu den Spielern haben. Und ich bin gewissermaßen der Supervisor. Wenn in Ausnahmefällen mal einer sagt, ich würde aber gern vom Christopher gecoacht werden, dann nehme ich mir vor dem Spiel Zeit und bespreche unser gemeinsames Vorgehen. Über allem steht immer die bestmögliche Hilfe für den Einzelnen und damit für die Mannschaft. Es geht nie um richtig oder falsch, sondern nur darum, wie ich jeden Spieler individuell erreichen kann. Dazu gehört auch zu wissen, wie groß die Aufmerksamkeitsspanne in der Spielsituation grundsätzlich ist.

Also lieber eine klare Ansage als mehrere Hinweise?

Auf jeden Fall. Das gilt sowohl im Profibereich als auch bei den Altersklassen oder den Kindern. Statt mehrere Sachen auf einmal einzufordern, sollte man klar und einfach bleiben. Keep it simple! Besonders im Stress können Menschen nur bedingt diverse Anweisungen umsetzen.

Christopher Kas

Austausch auf dem Platz: Christopher Kas, Team-Manager beim Bundesligisten Großhesselohe, mit Top-Spieler Jiri Lehecka.

Darf die Ansage auch mal harsch sein?

Das hängt von der Spielerpersönlichkeit und der Vereinbarung ab. Hat man sich darauf geeinigt, dass der Stopp ein probates Mittel ist, um dem Gegner Stress zu machen, und weiß man, dass der Spieler klare Ansagen umsetzen kann, dann darf der Hinweis auch mal harsch sein. Andere mögen es mehr, wenn man erst einmal ihre Aufmerksamkeit weckt, dann in positiver Form die Ansage macht. Das bedeutet es, wenn ich sage, man muss den Spieler kennen und seine Fähigkeiten einschätzen.

Was tun, wenn der Spieler trotzdem in einer Negativspirale festhängt, sich selber runterzieht…?

Dann nutzt es wenig zu sagen, bleib‘ positiv. Besser ist es, die negativen Gedanken zu überschreiben, indem man das Augenmerk auf eine klare Anweisung richtet. Die Ansage, spiel‘ jeden Ball auf die Rückhand beispielsweise hilft, den Fokus auf ein neues Ziel zurichten. Und schon fällt es dem Spieler leichter, sich zu fokussieren und zu motivieren. 

Was, wenn ich mich nicht traue, dem anderen Spieler zu sagen, dass er mich allein lassen soll, also besser geht… 

Die eigene Befindlichkeit hat auf dem Platz Vorrang. Das sollte jeder wissen und akzeptieren. Eine gewisse Ehrlichkeit muss sein dürfen. Manchmal gibt es ja auch Spieler, die sind privat befreundet, aber im Spiel wollen sie nicht voneinander gecoacht werden. Das ist dann okay. Besser jemand geht beim Stand von 5:5 oder 8:8 im Tiebreak weg, und der Spieler kann stressfrei agieren, als dass er sich zusätzlich im Kopf mit jemandem beschäftigen muss, den er gerade nicht gebrauchen kann. 

Dann sind Aussprachen wichtig?

Und ob! Untereinander, aber auch mit dem Trainer. Es macht keinen Sinn, Groll über jemanden mit ins Spiel zu nehmen oder einen Konflikt aus der Vorsaison. Das gehört unbedingt angesprochen und wenn möglich, vor dem Match geklärt. Niemals die Vergangenheit mit auf den Platz nehmen. Punkte werden im Hier und Jetzt gemacht.

Vita Christopher Kas

Der ehemalige Davis Cup-Spieler und Doppelspezialist ist Trainer, Kommentator bei Service TV, Teamchef beim TC Großhesselohe. Er trainierte Sabine Lisicki, Mona Barthels, Peter Gojowczyk, Jule Niemeier und aktuell Noma Akugue.