Juniorenszene: Helden von Morgen
Court Nummer drei in Roland Garros. Ein paar hundert Zuschauer passen auf diesen Platz knappe 50 Meter Luftlinie vom Philippe Chatrier, dem berühmten, großen Stadion, in dem gleich Rafael Nadal auftreten wird. Jetzt, an diesem bewölkten Montagmorgen, sind nur ein paar Dutzend Hardcore-Fans anwesend. Sie sitzen auf dem kalten Betonboden der Tribüne oder beobachten das Geschehen von oben, die Ellbogen auf ein Geländer gestützt. In Paris hat die Juniorenkonkurrenz begonnen.
Es spielen ein Franzose namens Nassim Slilam und ein Australier namens Bernard Tomic.
Tomic, 15 Jahre alt, ist ein schlaksiger Junge mit kurzem, dunklem Haar. Jünger ist keiner im Wettbewerb der unter 18-Jährigen. Bei Insidern gilt Tomic als Wunderkind. Aber darauf nimmt der bullige Slilam keine Rücksicht, gewinnt den ersten Satz klar. Doch Tomic schlägt zurück und siegt in dieser Erstrundenpartie am Ende 2:6, 6:4, 6:2. Auffällig ist dabei, wie cool er bei Rückständen agiert. Wie er das Spiel des Gegners liest. Wie er das Tempo herausnehmen und dann unvermittelt Gas geben kann. Wird er ein Großer, einer der Helden von morgen?
Es sind immer wieder die gleichen Fragen, die sich stellen, wenn zu Beginn der zweiten Woche eines Grand Slam-Turniers der Nachwuchs die Plätze bevölkert. Wer wird später einmal zu den Besten gehören? Wer schafft den Sprung vom Junioren- in den Herren- oder Damenciruit? Und welches hochgejubelte Talent bleibt trotz Investitionen von hunderttausenden von Dollars auf der Strecke?
Prestige und Pokale
Die Mini-Profitour sie ist ein hochinteressanter Mikrokosmos, ein bunter Mix von Spielern unterschiedlichster Nationalitäten. Was sie vereint und uniformiert: Sie tragen die globalen Bekleidungslinien und spielen die gleichen Rackets wie Federer, Nadal und Co. Einige reisen mit eigener Entourage, Coach, Masseur und Eltern um die Welt, andere in Gruppen mit Verbandstrainern.
Wer in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York um Punkte, Pokale und Prestige kämpft, hat sich längst herauskristallisiert aus einem Heer von angehenden Profis, 13- bis 18-jährigen Mädchen und Jungen, die ebenfalls von der großen Karriere träumen. Für sie alle gibt es einen eigenen Turniercircuit, den der Weltverband ITF organisiert (siehe auch Kasten Seite 28). Die Grand Slam-Turniere sind wie später bei den Erwachsenen die Sahnestücke der Tour. Insgesamt finden in diesem Jahr 321 Veranstaltungen in 113 Ländern statt. Rund 10000 Jugendliche nehmen zur Zeit an den Turnieren der ITF teil, sagt Faye Andrews, beim Weltverband für Juniorentennis zuständig. Zum Vergleich: Als das Programm 1977 startete, gab es gerade einmal neun Turniere.
Die Zahl macht deutlich, wie hungrig die Talente sind, aber auch wie groß der Markt geworden ist. Denn neben dem Sport geht es ums Geschäft. Und neben den Kids sind Trainer, Agenten, Talentspäher, Sponsoren und Ausrüs-ter die Hauptpersonen im Millionen-Dollar-Spiel. Es gibt immer mehr gute Junioren, sagt Dirk Hordorff, Manager von Alexander Waske und Rainer Schüttler, vor ein paar Jahren waren es vielleicht 50, heute sind es 300. Ihre Resultate fließen in die ITF-Junior-Rangliste ein. Je nach Wertigkeit des Events erhalten sie mehr oder weniger Punkte. Am Ende jeder Saison kürt der Verband die World Junior Champions bei Jungen und Mädchen.
Schaut man sich die Listen der Jahrgangsbesten an, tauchen illustre Namen auf, wie Federer und Roddick, Mauresmo und Kuznetsova. Aber es gibt auch Spieler wie die Argentinierin Maria Emilia Salerni (Siegerin 2000) oder die Tschechin Barbara Strycova (2002), von denen man später nie wieder etwas hörte.
Frühe Verträge
Nach einer Untersuchung der ITF über einen Zeitraum von 14 Jahren schaffen es im Durchschnitt 54 Prozent der besten zehn Jungen und 64 Prozent der zehn besten Mädchen unter die Top 100 der WTA- und ATP-Tour kein schlechter Indikator für späteren Erfolg. Allerdings ist der Weg an die Spitze des Juniorentennis weit und zäh. Wer auf globaler Ebene zu den Besten zählen will, muss schnell internationale Erfahrungen sammeln, reisen, täglich mehrere Stunden trainieren und die großen Turniere spielen.
Für die Altersklasse der 12- bis 14-Jährigen (U12) heißt das Maß aller Dinge Les Petits As. Es ist nicht nur die inoffizielle Weltmeisterschaft, die jedes Jahr im Februar in Tarbes, Frankreich, stattfindet es ist auch eine gewaltige Casting-Show für die Agenten der Managementagenturen und die Scouts der Bekleidungs- und Rackethersteller. Allerdings: Die Besten stehen bereits zu diesem Zeitpunkt unter Vertrag.
Kann man bei einem zwölfjährigen Jungen schon absehen, dass er später einmal ein Star wird? Nein, sagt Claus Marten, zuständig für Global Sports Marketing Tennis, aber es gehe darum den Nachwuchs mit dem größten Potenzial zu entdecken. Entscheidend dafür sei ein weltweites Netzwerk von Coaches und Talentspähern. Bei der nächsten Generation haben wir die Besten unter Vertrag, versichert Marten.
Seit 21 Jahren beobachtet der frühere Bundesligaspieler und Cheftrainer im Düsseldorfer Rochusclub die Szene für Adidas. Er hat die Aufstiege von Ivan Lendl, Stefan Edberg und Steffi Graf, allesamt Protagonisten der Marke mit den drei Streifen, erlebt. Fingerspitzengefühl, Erfahrung und Knowhow seien bei seinem Job das Entscheidende, sagt er. Und manchmal auch Glück und gute Kontakte. Den Tipp, Novak Djokovic und Ernests Gulbis zu verpflichten, bekam er von Trainerlegende Niki Pilic. Heute ist der eine ein Star, der andere, erst 19 Jahre alt und schon die Nummer 56 der Weltrangliste, auf dem Weg dorthin.
Poker um die Besten
Markus Hämmerle, sechs Jahre lang beim Rackethersteller Head für die Tour zuständig, zählt die Kriterien auf, die neben Turniererfolgen und Ranglistenplätzen für eine Förderung ausschlaggebend sind: Physis, schlagtechnisches Potenzial, Persönlichkeit, Trainingsarbeit, Konzept, familiäres Umfeld. In der Regel bekommen die Talente das Equipment gestellt: Schläger, Saiten, Bälle, Shirts, Trainingsanzüge, Schuhe. Entwickeln sie sich entsprechend, gibt es Zuschüsse für Flüge und Hotels. Teilweise werden auch Trainingswochen in Camps wie bei Emilio Sanchez und Sergio Casal in Barcelona oder bei Nick Bollettieri in Florida mitfinanziert. Agenturen wie IMG, Octagon oder SFX stellen zusätzlich Wildcards für Herrenturniere zur Verfügung.
Wieviel Geld genau fließt für Reisen, Training, Coaches , darüber will niemand sprechen. Insider schätzen, dass das Jahresbudget für einen Topjunior etwa 50 bis 60000 Euro beträgt. Oft lohnen die Investitionen und der Poker um die vermeintlich Besten nicht. Hämmerle sagt: Zukunftsprognosen bei Pubertierenden sind oft so aussagekräftig wie Kaffeesatzleserei. Und manchmal setzt man auch nicht aufs richtige Pferd.
Bei Head gab man vor ein paar Jahren Gael Monfils den Vorzug vor Novak Djokovic. Nicht, dass der Franzose, 2004 dreifacher Junioren-Grand Slam-Sieger, eine schlechte Wahl war, aber er wartet immer noch auf den Durchbruch in die absolute Spitze. Djokovic, der beim Konkurrenten Wilson unter Vertrag steht, hat sich als drittbester Spieler der Welt etabliert.
Frankreichs Star
Die Philosophie der Marke mit dem charakteristischen W: auf die Technologie setzen, einen optimalen Service bieten. Große finanzielle Leistungen, sagt Thorsten Nowak, Vertriebsleiter bei Wilson, gebe es für Jugendliche nicht. Stattdessen versuche man sie von Anfang an in die Wilson-Familie zu integrieren. So bucht man bei Grand Slam-Turnieren sogenannte Equipment Suites, in denen alle Vertragsspieler mit Schlägern, Saiten und Griffbändern versorgt werden. Auch Snacks und Getränke werden gereicht. Die Besucher Manager, Trainer, Profis und Eltern sollen sich wohlfühlen und die Möglichkeit haben, Geschäftsgespräche in einer angenehmen Atmosphäre zu führen.
Wieviel in einen Jungen oder ein Mädchen investiert wird, hängt auch von den Märkten ab. Schafft es ein Japaner später einmal in die Top 50, wird er ein Held sein, die Sponsoren sich um ihn reißen. Traditionell ein guter Markt ist auch Frankreich, und der neue Star der Grande Nation steht auch schon bereit Jonathan Eysseric, 17 Jahre alt, Nummer vier der Juniorenweltrangliste und aktueller Australian Open-Finalist. Spielerisch halten ihn viele Experten für den stärksten Junior den Welt. Bekannt ist der Linkshänder, der mit seinem Vater zu Turniren reist, jetzt schon als Sparringspartner von Roger Federer, der ihn in der Sandplatzsaison als Nadal-Double verpflichtete. Gesponsert wird Eysseric von Adidas, Head und vor allem vom mächtigen Medien- und Rüstungskonzern Legadere, der auch Verträge mit Monfils und Richard Gasquet abgeschlossen hat.
Eysseric ist nicht der einzige klangvolle Name, der in der Nachwuchsszene kursiert. Hoch im Kurs stehen auch der Bulgare Grigor Dmitrov, zweimaliger U16-Europameister, und der gleichaltrige Gastao Elias. Der Portugiese, der bei Bollettieri trainiert, ist in der ATP-Rangliste als zweitjüngster Top-1000-Spieler notiert. Bei den Mädchen gelten Michelle Larcher de Brito, ebenfalls aus Portugal, die Weißrussin Hanna Orlik und die Russin Anastasia Pavlyuchenkova als heiße Anwärterinnen auf einen Topplatz im WTA-Circuit. Für die 14-jährige Brito steht ein Sieg im Hauptfeld eines Damenturniers zu Buche, was im gleichen Alter erst sechs Spielerinnen vor ihr gelang. Die gleichaltrige Orlik siegte schon in Tarbes und bei der Orange Bowl. Pavlyuchenkova, 16 und die Nummer zwei im Juniorenranking, gewann in diesem Jahr die Australian Open.
Während die Mädchen normalerweise im Alter von 15 oder 16 fast ausschließlich Damenturniere spielen, verläuft der Weg für Jungen höchst unterschiedlich. Wann und wie der Wechsel auf die Herrentour vollzogen werden soll, ist eine der wichtigsten Fragen und entscheidend für die spätere Karriere. Denn über eines sind sich alle einig: Der Unterschied zwischen Junioren- und Herrentennis ist gewaltig. Ein Patentrezept gibt es nicht, weil man jeden Spieler individuell betrachten muss, sagt Fabrizio Caldarone, in Diensten des Bekleidungsherstellers Diadora.
Jüngste Nummer 1
Das Problem: Wer zu lange im Juniorencircuit verweilt, verpasst möglicherweise den Anschluss, entwickelt sich nicht weiter. Wer zu früh zu den Herren wechselt, kassiert häufig nur Niederlagen, ist frustriert. So wie Donald Young. Der farbige Amerikaner galt in den USA vor ein paar Jahren als neuer Agassi. Mit 15 war er bei den Junioren die jüngste Nummer 1 aller Zeiten. 2006 verlor Young bei den Herren zehnmal in Runde eins, war völlig überfordert, und die von IMG bereits bestens vermarktete Karriere drohte zu zerbrechen. Sein Selbstbewusstsein holte sich der 18-Jährige in diesem Jahr in der Juniorenkonkurrenz in Wimbledon zurück. Er gewann das Turnier, und spielte anschließend auch bei den Herren erfolgreich.
Für Carlos Boluda, 14 Jahre alt und zweifacher Tarbes-Gewinner, ist das noch Zukunftsmusik. Aber in Spanien, genauer gesagt in Alicante, Boludas Heimat, rechnen sie damit, dass der kräftige Teenager der nächste Rafael Nadal wird. Boluda, der noch nie ein Match gegen einen Gleichaltrigen verloren hat, spielt bereits jetzt Futureturniere in seiner Heimat. Bei den Junioren will der Sohn eines Apothekers im nächsten Jahr nur die Grand Slams spielen. Er hat die totale Kontrolle über den Ball. So stark war ich in seinem Alter nicht, urteilt Nadal, der den gleichen Weg ging: kaum ITF-Turniere, so früh wie möglich Matches gegen die Herren. Wie Nadal ist auch Boluda beim Sportartikelriesen Nike unter Vertrag. Wie Nadal wurde er auf der Nike Junior Tour entdeckt.
Sein großer Rivale am anderen Ende der Welt Bernard Tomic, nur ein Jahr älter, aber genauso hoch gehandelt wie Boluda. Über Tomic, dessen Eltern aus Kroatien stammen, der bis zum dritten Lebensjahr in Stuttgart lebte und heute in Gold Coast, Australien, schwärmt sein IMG-Manager Lawrence Frankopan: Er ist nicht das größte Tennistalent, das ich je gesehen habe er ist das größte Sporttalent. So selbstbewusst wie sein Agent scheint auch Atomic (das australische Magazin Inside Sport) selbst zu sein: Ich möchte Ivanisevics Aufschlag, die Grundschläge Federers, die mentale Stärke von Sampras und das Herz von Hewitt, tönt Tomic.
Yoga und Mountainbike
Sein Terminkalender: sechs Tage die Woche Drills auf dem Court, Krafttraining, Yogakurse, Mountainbike-Touren und Prüfungen für die Fernschule. Wer wird in ein paar Jahren ganz oben bei den Herren stehen? Der Spanier Boluda, der Australier Tomic, der Franzose Eysseric? Oder doch ein ganz anderer? Eine Garantie gibt es für niemanden.
Andrej Antic, Tim Böseler
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