Zu Besuch bei Nick Bollettieri
Wie wird es wohl sein in der Nick Bollettieri Academy? Sieht man da Dutzende von Stars? Hunderte von Junioren, die stundenlang Bälle prügeln? Steht der sonnenbebrillte, immer braungebrannte Meister selbst auf dem Platz? All diese Fragen spuken durch den Kopf, als wir nachts in einem Van über die Interstate 75 von Miami nach Sarasota rauschen. Nach einem Cheeseburger mit Pommes frites, ein paar Stunden Schlaf in einem Motel mit höllisch laut brummenden Eismaschinen, sind wir jetlag-geplagt, aber pünktlich morgens um neun Uhr an der verabredeten Stelle: 5500 34th. Street West, Bradenton. Inzwischen haben sie die Straße umbenannt. Sie heißt jetzt Bollettieri Boulevard, und damit haben die Väter der 60000-Einwohner-Stadt dem Meistertrainer zu Lebzeiten ein Denkmal erschaffen.
Wir sind angemeldet. Also dürfen wir das weiße Wärterhäuschen passieren. Eine Schranke öffnet sich – und hinein geht es auf den „härtesten Spielplatz der Welt“, wie es in der Eigenwerbung heißt. Backofenluft, Palmen, manikürte Rasenflächen, weißgetünchte, zwei-stöckige Villen im Floridastil. Auf einer Mauer steht „IMG Academies“. Die mächtige Marketingagentur kaufte Bollettieri die Tennisschule schon vor vielen Jahren für angeblich 15 Millionen Dollar ab und gründete weitere Talentschmieden – für Fußball, Baseball, Basketball, Golf, Fitness. Aber Tennis ist immer noch das Herzstück dieses Imperiums. Dafür bürgt der Name Bollettieri. Und die Tradition: 1978 gründete der Sohn eines neapolitanischen Metzgers die NBTA (Nick Bollettieri Tennis Academy) mit zehn Trainern und 30 Schülern. Heute trainieren hier, an der Westküste Floridas, jährlich 11000 Junioren, Profis, College- und Freizeitspieler aus über 70 Ländern auf einer Fläche von 130 Fußballplätzen.
Disney World und Agassi
Die Bollettieri Tennis Academy ist ein Mythos. Das Lebensgefühl im „Sunshine State“ Florida mit seinen Klischees von Disney World, Flipper, Flamingos und Surfen, die Geschichten, die sich um den Namensgeber, den ehemaligen Fallschirmjäger und Privatcoach des Rockefeller-Clans ranken, das Heer der Champions von A wie Agassi bis W wie Williams, das in der NBTA trainiert hat – all das trägt zur Legendenbildung bei. Als „Mr. PR“ wurde Bollettieri einmal bezeichnet. Wer zu Besuch in seiner Akademie ist, bekommt schnell einen Eindruck warum. Nachdem wir geduldig im Foyer in beigefarbenen, gut gepolsterten Sesseln unter Kronleuchtern gewartet und Bilder von Agassi, Muster und McEnroe im Andy Warhol-Stil betrachtet haben, erscheint der Marketing-Koordinator Gregg Paliokas. Er ist unser Guide auf der Tour durch die Traumfabrik, bei der nichts dem Zufall überlassen wird. Termine mit dem Chefcoach, Fitness- und Mentaltrainern sind fest vereinbart, für die weiten Wege steht ein Golfkart bereit, die Sekretärin ist bereits damit beschäftigt, eine PR-Mappe mit unzähligen Infos, Fotos und DVDs zusammenzustellen, die einem beim Abschied in die Hand gedrückt werden.
Treffen mit Nick Bollettieri
„Nick hat jetzt kurz Zeit. Deswegen gehen wir zuerst zu ihm“, sagt Gregg. Kurioserweise treffen wir den Hausherren nicht auf einem der sonnen-überfluteten Courts, sondern in einer Halle. Zwei Junioren schlagen Bälle, und ein alter Bekannter gibt Kommandos – David „Red“ Ayme, früher Trainer von Tommy Haas und inzwischen für den Nachwuchs in der Akademie zuständig. Bollettieri steht etwas abseits und beobachtet das Training. Er winkt uns zu sich. Klein ist er, höchstens 1,70 Meter. Die Sonnenbrille hat er abgesetzt, und die wachen, blauen Augen des 75-Jährigen fixieren den Gesprächspartner. „Ah, Tennis Magazine Germany“, sagt er mit etwas brüchiger Stimme, „das ist eine der besten Tenniszeitschriften, die es gibt.“ Vielen Dank, Mister Bollettieri. Komplimente hört man immer gern, und das weiß der Mann mit der Julio Iglesias-Haut genau.
Fragen zu stellen, braucht man ihm nicht, denn er kennt sie alle. Also lässt man das Aufnahmegerät laufen, und Bollettieri doziert, untermalt vom Donner der Schläge: über das „Bollettieri System“, das man seit Anfang der 90er Jahre auch auf die anderen Sportarten übertragen hat, über das „phänomenale“ Fitnesscenter, „eines der besten der Welt“, darüber, wie sich Tennis geändert hat. „Es geht um viel mehr, als nur den Ball zu schlagen. Physis, Strategie, mentale Stärke – wir unterrichten das ganze Spiel“, sagt er. Seine Paradedisziplin: Motivation. Er hält Reden an Universitäten, Colleges, in Militärakademien, an der Börse. Sein Credo: „Jeder kann ein Champion des Lebens sein.“ Dass es in seiner Akademie nur wenige schaffen können, Top-Profis zu werden, sei klar. Doch selbst die, die es nicht schaffen, können lernen, wie wichtig Disziplin, Hingabe und harte Arbeit für den Erfolg sind. Jeden Samstag um sechs Uhr morgens trommelt Bollettieri alle Spieler und Coaches zusammen und trichtert ihnen seine Parolen für Erfolg ein.
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