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Reformen auf der ATP-Tour

Kräftige Windböen fegten kleine Äste über Wiesen und Straßen, starke Regenschauer gingen nieder – Schmuddelwetter an der Hamburger Außenalster. Doch die Herren, die in einer edlen Stadtvilla mit Alsterblick zur Pressekonferenz baten, trotzten dem Ungemach auf ihre Weise: Sie lächelten und bemühten sich, Zuversicht zu verbreiten. Georg von Waldenfels, Präsident des Deutschen Tennis Bundes (DTB), Walter Knapper, Direktor des Hamburger Masters-Turniers, sowie dessen Nachfolger ab 2008, Carl-Uwe Steeb, versprachen im Einklang: „Wir werden den Status des Hamburger Turniers in jedem Fall halten und alle rechtlichen Mittel ausschöpfen, wenn es hart auf hart kommt.“

Das Trio reagierte damit auf die neuesten Pläne der ATP, die die internationale Tennistour der Herren organisiert. Die ATP will ab der Saison 2009 ihrer Tour ein frisches Gesicht verpassen. Die größten Veränderungen wird es bei den Prunkstücken der ATP geben, den derzeit neun Events der Masters-Series, zu denen auch das Hamburger Turnier gehört. Sie stehen in der Hierarchie des Welttennis direkt unterhalb der vier Grand Slam-Turniere. Wie konkret die Reformvorhaben der ATP tatsächlich sind, wurde eine Woche nach der Hamburger Pressekonferenz während der ersten Turnierwoche der Australian Open deutlich. In den klimatisierten Konferenzzimmern des Grand Hyatt Hotels an der Melbourner Collins Street tagte drei Tage lang das oberste Gremium des Herrentennis, das sogenannte „Board Of Directors“. Ihm gehören sieben Personen an: jeweils drei Spieler- und Turniervertreter sowie der ATP-Boss Etienne de Villiers. Was sie beschlossen, dürfte den Verantwortlichen in Hamburg nicht gefallen: 2009 wird es nur noch acht – statt neun – Masters-Series-Turniere geben. Vier von ihnen sollen als „Combined Event“ (Herren und Damen gemeinsam) gespielt werden – wie in Miami und Indian Wells. In China und Europa sollen die zwei zusätzlichen kombinierten Turniere entstehen. „Wir müssen unsere Topveranstaltungen stärken und unsere Turnierserie für die Fans verständlicher machen“, erklärte de Villiers in Melbourne.

Großturnier vor Paris

Fest steht: Das europäische Großturnier für Damen und Herren soll auf Sand und vor den French Open stattfinden. Genau in dieser Zeit trifft sich seit Jahrzehnten die Weltelite in Monte Carlo, Rom und eben Hamburg. Für das komplette Trio wird es im neuen Kalender aus zwei Gründen keinen Platz mehr geben.

Erstens: „Back-To-Back“-Masters-Turniere (sie folgen direkt aufeinander – wie Rom und Hamburg) werden ab 2009 abgeschafft. Welche Schwäche der direkte Anschluss zweier Premiumturniere hat, wurde letztes Jahr deutlich: Als Rafael Nadal und Roger Federer das über fünfstündige Finale von Rom bestritten hatten, erwartete man wenig später ihren Auftritt am Hamburger Rothenbaum – vergebens, beide sagten wegen Erschöpfung ab. Zweitens: Seit Dezember 2006 haben die traditionellen, aber auch andere Turnierorte die Gelegenheit, sich für das neue Kombi-Event im Vorfeld der French Open zu bewerben. Kriterien sind Fernseh- und Sponsoren-Situation, Größe der Anlage, Zuschauerinteresse, Lage des nationalen Tennismarktes und einige andere Faktoren, die nur das ATP-Board kennt. Ob zum Beispiel der Punkt „Tradition“, der für Hamburg spricht, für die ATP von Belang ist, kann niemand abschätzen. Beim Turnier Mitte März in Miami wird verkündet, wo das neue Event ab 2009 durchgeführt wird. Als heißester Kandidat wird das von Ion Tiriac organisierte Masters-Turnier in Madrid gehandelt, das von seinem Termin im Oktober ins Frühjahr rücken würde. Das Argument gegen Monte Carlo, Rom und Hamburg: Ihre Anlagen seien klein und zu eng.

Insgesamt trübt dies die Aussichten für den Turnierstandort Hamburg: Das neue, europäische Kombi-Turnier im Mai und die Entzerrung des Turnierkalenders mit maximal zwei Masters-Turnieren im Frühjahr – wo wird da noch Platz für den Rothenbaum sein?
„Wir glauben nicht, dass sich die Pläne der ATP umsetzen lassen“, verdeutlicht von Waldenfels den Standpunkt des DTB. „Madrid wird bleiben, wo es ist. Und alle anderen europäischen Turniere haben sich geschlossen gegen die Reformen der ATP gestellt.“ Hamburg ging sogar eine Allianz mit Monte Carlo und Rom ein, obwohl sich die drei Turniere in direkter Konkurrenz zueinander befinden. „Falsch“, entgegnet von Waldenfels, „wir wollen alle drei das Gleiche, nämlich die Erhaltung unserer traditionellen Turnierstandorte.“ Die ATP zeigt sich von diesem Bündnis wenig beeindruckt. Die Pläne zur neuen Tour sollen umgesetzt werden – „egal, ob es einigen passt oder nicht“, heißt es. „Ich will nicht drohen, aber wir werden alle rechtlichen Möglichkeiten wahnehmen“, warnte von Waldenfels. Von möglichen Änderungen für das Hamburger Turnier (z. B. eine Verlegung in den Sommer) will der DTB nichts wissen. „Es gibt keinen Plan X – den brauchen wir nicht“, stellte von Waldenfels klar. Eines ist aber auch sicher: Die ATP sitzt am längeren Hebel und kann sich mit sogenannten „compensations“ (Ausfallzahlungen) in Höhe von mehreren Millionen Dollar aus den Verträgen freikaufen.

E.T. von der ATP-Tour

DTB kontra ATP – das ist ein Konflikt im Kampf zwischen Traditionalisten und Erneuerern. In diesem Duell bringt sich bei der ATP der Boss persönlich in Stellung: Etienne de Villiers. Der frühere Manager bei Walt Disney mag es, als radikaler Reformer zu gelten. „Ich hatte bereits eine tolle Karriere, und es kümmert mich nicht, wenn ich diesen Job verliere“, offenbarte der Südafrikaner kürzlich. „Ich bin bereit, bis an den äußersten Rand zu gehen“, drohte der 57-Jährige. Sein größtes Anliegen: Tennis muss mehr Unterhaltung, mehr Show, mehr Entertainment sein. „Tennis ist eine der wenigen Sportarten, die hinsichtlich ihres Unterhaltungswertes wenig vorankommt“, analysiert de Villiers. „Dadurch verlieren wir Fans an andere Sportarten, die es besser machen.“

Aber de Villiers, den ATP-Kollegen wegen seiner Vorliebe zu großem Kino „E.T.“ (der legendäre Außeriridische aus dem Steven Spielberg-Film) nennen, ist nicht nur Visionär. Vor allem ist er ein Wirtschafts- und Marketing-Fachmann. Alle Aktionen der ATP werden haarklein überwacht, zu jedem Thema gibt es Studien, zu jeder größeren Tennisnation – natürlich auch Deutschland – werden aktuelle Analysen zum Zuschauerverhalten, zu Fernsehquoten und Sponsoreninteressen erstellt. Sein Ziel ist die Eroberung der Märkte, in denen sich am besten Geld mit der ATP-Tour verdienen lässt. Denn das wird im System von de Villiers immer wichtiger. Ein zusätzlicher Bonus-Pool, der Anfang 2007 eingeführt wurde, soll die vielen Absagen von Spielern eindämmen (2006: 383 Fälle!). Die ersten vier im ATP-Ranking dürfen sich Ende 2007 drei Millionen US-Dollar teilen, wenn sie mindestens acht von neun Masters-Turnieren gespielt haben, wobei die Events in Madrid und Paris Pflichtveranstaltungen werden. An den Rest der Profis wird auch gedacht: Sie bekommen insgesamt höhere Preisgelder. Im vergangenen Jahr gab es ein Gesamtpreisgeld von 60 Millionen US-Dollar – 2007 werden es zehn Prozent mehr sein. 2009 sollen es sogar 30 Prozent mehr werden. Gleichzeitig wurde der Etat für das globale Marketing der ATP von 500000 (2006) auf fünf Millionen US Dollar (2007) aufgestockt.

Kommt das Disney Tennis?

Kritiker halten dieses Vorgehen für reine Gewinnmaximierung und sehen das Ende des „alten Tennis“. Sie sprechen abfällig von „Disney-Tennis“. Unter ihnen befindet sich der DTB-Präsident von Waldenfels. Er hat Angst, das „Tennis kaputt gemacht wird“. An seiner Seite steht Francesco Ricci-Bitti, der Chef des Tennis-Weltverbandes (ITF), unter dessen Ägide die vier Grand Slam-Turniere, der Davis Cup und der Fed Cup abgewickelt werden. Ricci-Bitti sieht sich „als Wächter des Sports“ und will keine Kommerzialisierung um jeden Preis. Er ist in einer komfortablen Situation, denn die Grand Slam-Turniere bleiben unantastbar. Das sieht sogar de Villiers ein, der in Melbourne versicherte, den neuen Kalender um die vier Jahres-Highlights bauen zu wollen. Der Hamburger Rothenbaum wird davon kaum profitieren.

Tim Böseler

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