Mail aus Melbourne: Das große Legendentreffen
Der neunte Tag der Australian Open war auch ein Treffen der „Legends“, wie die Senioren hier genannt werden. Es war sozusagen das Warm-up zur großen Nick Kyrgios-Show, die allerdings nicht das hielt, was sich die Australier erhofften.
Es war ein hübsches Selfie, das die Legenden da schossen. Dafür rückten alle näher zusammen. Michael Chang quetschte sich dichter an Henri Leconte heran. Goran Ivanisevic und Ivan Ljubicic steckten die Köpfe zusammen. Barbara Schett, die von Moderator Todd Woodbridge als „Star von Eurosport“ vorgestellt wurde, nahm auf dem Schoß von Nicole Pratt Platz. Und Iva Majoli durfte auf den Auslöser drücken.
14 Ex-Profis auf einem Fleck – der Veranstalter hatte den Termin arrangiert, weil die Oldies immer noch interessant sind. Während Damen und Herren um Australian Open-Meriten kämpfen, spielen Leconte & Co ihre Doppel – in der Regel vor vollen Rängen. Sie pfeffern die Bälle durch die Beine, lachen sich kaputt auf dem Platz, veräppeln sich gegenseitig. Jetzt erzählen sie vor drei Dutzend Medienvertretern aus aller Welt Storys von früher und berichten, wie sie das Turnier erleben.
Der verrückte Leconte
Als erster ist Mark Philippoussis dran. Er erzählt, dass es ein unglaubliches Gefühl ist, wieder in der Heimat zu sein, vor allem mit Frau und Sohn. Der Mann hat einen ziemlich weiten Weg zurückgelegt, lebt jetzt in Kalifornien. Zeitunterschied: unfassbare 19 Stunden. Er erzählt von seinen Anfängen im Melbourne Park mit 13 Jahren und davon, wie es ist, mit dem „verrückten“ Leconte Doppel zu spielen. Der Franzose verbirgt sein Gesicht theatralisch in den Händen.
Dann darf er auch etwas sagen. Leconte, unrasiert, die Haare lang, sagt, wie toll er Nick Kyrgios findet, welche Show er bietet und dass das, was der Australier auf dem Court tut, „komplett unvorhersehbar ist“. Eigentlich wird ziemlich viel über Kyrgios gesprochen. Thomas Johansson, 2002 Sieger der Australian Open, schwärmt ebenfalls vom Potenzial des Youngsters, nur nicht so blumig wie Leconte, sondern schwedisch zurückhaltend. Überhaupt: Die Schweden sind gut vertreten – Thomas Enqvist ist da, Jonas Björkman auch.
Raonics Geheimnis
Als Ljubicic das Mikrofon ergreift, ruft Leconte empört „Was macht er hier? Er ist zu jung!“ und alle lachen. Ljubicic verrät dann das Geheimnis seines Schützlings Milos Raonic: „Asse schlagen. Das hat man mir und Goran, als wir jung waren, auch eingetrichtert – schlag ein Ass, dann musst du für den Punkt nicht arbeiten.“
Björkman, angesprochen, wen er denn als Australian Open-Champion 2015 sieht, scherzt: „Ich muss aufpassen, hier sitzen ja so viele Coaches.“ Recht hat er: Ljubicic, Chang, Santoro, der jetzt Sergiy Stakhovsky, trainiert. Björkman sagt: „Djokovic“ – und wird für den Sicherheitstipp von seinen Kollegen ausgebuht.
Es ist eine launige Runde. Als der Termin zu Ende ist, versammeln sich die „Legends“ alle unter zwei Flatscreens und sehen – perfektes Timing – den Matchball von Tomas Berdych gegen Rafael Nadal. Aber die Drei-Satz-Niederlage des Mallorquiners ist heute nicht die Geschichte. Die Story des Tages ist Nick Kyrgios, der es als erster Teenager seit Urzeiten bereits in sein zweites Grand Slam-Viertelfinale geschafft hat.