Ein Herz für Novak
Grand Slam-Endspiel, Traumfinale, Djokovic gegen Federer, Nummer 1 gegen Nummer 2, bester Verteidiger gegen den (neuerdings) besten Angreifer – und die ganze Welt ist für Federer, ergötzt sich an literarischen Schwärmereien über den Schweizer und huldigt ihn, als wäre er ein außerirdisches Wesen mit magischen Kräften. Eine kurze, nicht-repräsentative Umfrage in meinem recht tennisaffinen Freundeskreis vor dem Hammermatch: „Hoffentlich gewinnt Federer“, „Ich würde es ihm so gönnen“, „Er hat es einfach verdient – mit 34 Jahren“, „Djokovic hat einfach kein Charisma“, „Federers Spiel ist doch viel schöner“ – ich könnte diese Reihe endlos fortsetzen. Nicht einer hat sich als Djokovic-Fan zu erkennen gegeben. Nur meine Frau, dem Tennis kaum verbunden, sah es zumindest nüchtern: „Federer ist doch zu alt, um Djokovic zu besiegen.“ Ansonsten: immer nur Federer, Federer, Federer. Ganz ehrlich: Ich bin es leid. Aber ich weiß auch, dass sich an diesem Meinungsbild nichts ändern wird. Sympathien und die Liebe der Fans kann man sich nicht durch Siege erkaufen.
Jetzt, nach dem Vier-Satz-Triumph von Djokovic in der vergangenen Nacht und dessen zehntem Grand Slam-Titel insgesamt, geht das Lamentieren der Federer-Gemeinde los. „Das hätte Federer niemals verlieren dürfen. Es ist eher seine Niederlage als ein Sieg von Djokovic“, war einer der ersten Kommentare auf unserer Facebook-Seite, nachdem wir das New Yorker Resultat gepostet hatten. Die erste Whatsapp-Nachricht am frühen Morgen von einem Mannschaftskollegen lautete: „So eine Chance bekommt Federer nicht noch einmal, Djokovic war sowas von schlagbar.“ Und wenn später meine Mutter anruft, die seit Jahrzehnten die großen Turniere verfolgt, weiß ich schon, was sie mir sagen wird: „Wie schade für Roger, ich hätte mich so für ihn gefreut. Den Djokovic mag ich ja nicht so, aber das weißt du ja.“