Michael Stich im Interview: „Wimbledon ist das Grösste!“
Michael Stich triumphierte 1991 in Wimbledon. Mit tennismagazin.de sprach Stich über das Traditionsturnier der Deutschen, er verrät, wen er für den besten Rasenspieler der Geschichte hält und was das Besondere an Wimbledon ist. Michael Stich im Interview…
Herr Stich, Sie sagten einmal, Rasen käme den Deutschen entgegen, weil der Belag den Hallenplätzen ähneln würde.
Michael Stich: Das war früher einmal so. Wir Deutschen hatten den Vorteil, dass wir im Winter auf schnellen Teppichböden gespielt haben. Rasen war damals so schnell, dass uns das entgegenkam. Deswegen gab es viele Deutsche, die auf Rasen sehr gut spielten. Das gilt für Boris und mich, aber auch für Patrik Kühnen, Eric Jelen oder einen Christian Saceanu. Das hat sich heute geändert. Der Belag ist langsam geworden. Rafael Nadal hätte zu unserer Zeit eventuell gar nicht in Wimbledon gespielt. Sergi Bruguera hat die ersten Jahre seiner Karriere nie dort gespielt. Thomas Muster hat nur einmal teilgenommen. Heute reist jeder nach Wimbledon, weil jeder eine reelle Chance hat, dort Matches zu gewinnen. Der Belag, die Bälle sind so langsam geworden. Den Vorteil, den es früher gab, gibt es für uns Deutsche nicht mehr.
Wimbledon ist aber immer noch das Grand Slam-Turnier, bei dem die Deutschen am besten abschneiden. Warum, glauben Sie, ist das so?
Wimbledon bedeutet den meisten Spielern sehr viel. Dort will man erfolgreich spielen. Das ist ein Unterschied zu allen anderen Grand Slam-Turnieren. Historisch gesehen ist der Wimbledon-Titel der größte. Vielleicht hängen sich die Spieler dort einen Tick mehr rein. Eigentlich sollten wir ja auf Sand besser sein. Denn da wachsen wir auf. Aber auf Sand, auf dem Spanier und Südamerikaner fast nur spielen, ist die Dichte größer geworden. Trotz der Verlangsamung ist Rasen immer noch ein schneller Belag, auf dem sich die Sandplatzspezialisten nicht ganz so wohl fühlen. Das könnte dafür sprechen, dass die Deutschen in Wimbledon besser sind als in Paris.
Ist Tennis auf Rasen schwerer als auf Sand?
Früher definitiv ja, heute nicht unbedingt. Man hat ein bisschen weniger Zeit zum Überlegen. Ein Match kann vier Stunden dauern, aber es ist eine andere Form der Belastung. Auf Sand rennt man vier Stunden hin und her. Die körperliche Fitness spielt in Paris eine größere Rolle. Wenn ich dort gegen Spieler antrete, die 20-mal links und rechts laufen, ist es schwerer, Punkte zu gewinnen als in Wimbledon. Dort ist ein Schlag in die Ecke mit flachem Ballabsprung eher ein Winner als auf Sand.
Wie schwer ist die Umstellung von Sand auf Rasen?
Für mich war es nie schwer. Ich glaube, das reden sich viele ein. Die Hallenböden waren früher pfeilschnell, also vergleichbar mit Wimbledon. Ich habe 1993 beim Masters gewonnen. Dann haben wir direkt danach den Davis Cup auf langsamem Sand gewonnen und danach habe ich das Finale beim Grand Slam Cup auf schnellem Teppich erreicht. 1991 war es ähnlich: Ich kam ins Halbfinale von Paris und gewann dann Wimbledon. Wahrscheinlich war die Umstellung früher sogar schwieriger, aber ich habe auch in Paris Serve-and-Volley gespielt.
Was würde ein deutscher Wimbledonsieg auslösen? Wäre es vergleichbar mit früher?
Ohne Frage wäre ein Titel toll. Man hat ja schon gesehen, was der Finaleinzug von Sabine Lisicki ausgelöst hat, aber die Zeit, die wir mit Becker, Graf, Stich erlebten, wird nie wieder kommen. Meine Generation war auch extrem vom Davis Cup getrieben. Am Ende werden Tennisspieler durch den Davis Cup groß. Die Verbindung zum Tennisfan entsteht eher über den Mannschaftserfolg als über einzelne Siege. Das hat die Generation Haas-Kiefer-Schüttler leider total unterschätzt. Sie hatte das Potenzial, den Davis Cup zu gewinnen.