Erfolgssaison ohne Lehrbuch

Nach dem Matchball verbarg er seinen Kopf in den Armen und schien für einen Moment Tränen unterdrücken zu müssen. Während er dem unterlegenen Pablo Andujar und dem Schiedsrichter die Hand gab, schüttelte er ungläubig den Kopf. Danach drehte er eine kleine Ehrenrunde und warf eine Kusshand ins Bukarester Publikum. Ungewohnte Bilder nicht für einen Turniersieger, aber für einen Spieler, der sonst für seine zurückhaltende Art und stoische Ruhe bekannt ist. Doch sein erster Turniersieg nach über einem Jahrzehnt als Profi ließ auch Florian Mayer für einen Moment emotional werden. Später sagte er, dass er seinen Sieg erst mit ein paar Tagen Abstand langsam zu realisieren beginnt: Es fühlt sich verdammt gut an. Bereits fünfmal stand er vorher in einem Finale. Der späte Erfolg ist ungewöhnlich für einen Spieler, der unter den Top 25 der Weltrangliste steht: Neben ihm war nur noch Janko Tipsarevic (aktuell Platz 13) ohne Turniersieg. Der Serbe konnte den Fluch der Endspielniederlagen eine Woche nach Mayer besiegen mit seinem Triumph beim Turnier in Kuala Lumpur.

Der Unkonventionelle

Doch bei Florian Mayer ist vieles nicht gewöhnlich. Obwohl er schon lange Profi ist und seine Spielweise längst bekannt ist, kann es sich kaum ein Fernsehkommentator verkneifen, bei seinen Matches die unkonventionellen Schläge zu analysieren. Denn in ihrer Kombination sind sie eine Rarität: seine extreme Ausholbewegung bei der Vorhand, dazu die regelmäßig eingesprungene Rückhand. Dazwischen streut er häufig beidhändige Rückhand-Stopps ein. Es ist nicht das Tennis aus modernen Lehrbüchern, aber es ist erfolgreich. Er spielt eine starke Saison 2011: Neben dem Turniersieg erreichte er ein Finale, zwei Halbfinals und gewann mit Philipp Kohlschreiber und Philipp Petzschner den World Team Cup. Mit Platz 18 erreichte er Mitte des Jahres die beste Weltranglistenposition seiner Karriere. Als er nach dem Schlüssel für den Erfolg gefragt wird, sagt Mayer: Ich bin mental stärker geworden und verstecke mich nicht mehr. Die Erfahrung des inzwischen 28-Jährigen und sein Umfeld machen ihn in dieser Saison so erfolgreich. Seit 2008 arbeitet er zudem mit einem neuen Coach zusammen, mit Tobias Summerer. Der deutsche Ex-Profi ist genauso alt wie Mayer wieder so etwas Ungewöhnliches.

Wiederentdeckung der Leidenschaft

Zwei Extreme prägen die bisherige Karriere von Florian Mayer: 2004 begann mit der Viertelfinalteilnahme in Wimbledon sein Aufstieg. Ende des Jahres erhielt er die Auszeichnung zum Newcomer of the year. Diesen Titel hatte im Jahr zuvor Rafael Nadal erhalten. Vor knapp drei Jahren folgte die komplette Ernüchterung. Mayer hatte genug vom Leben auf der Tour, die Lust am Tennis war verlorengegangen, er rutschte auf den 450. Weltranglistenplatz ab. Schließlich stellte er den Tennisschläger in die Ecke. Er reiste umher, las viel und besuchte Freunde. Die achtmonatige Auszeit zeigte Wirkung: Ich entdeckte die Leidenschaft für Tennis neu und vergegenwärtigte mir, was für einen Traumjob ich habe. Die Lehren aus diesen Erfahrungen hat er inzwischen ins Positive verwandelt.

Die Fans werden sich öfter solch einen ungewohnt emotionalen Florian Mayer wie in Bukarest wünschen. Das will heißen: mehr Turniersiege. Denn nur solch außergewöhnliche Momente lassen den stoischen Mayer auch nach außen hin zum emotionalen Tennisprofi mutieren. Und es sieht gut aus für eine Fortsetzung der Erfolgsgeschichte. Der stille Bayreuther ist in der psychisch und spielerisch stärksten Phase seiner Karriere. Der Erfolg in Bukarest dürfte ihn zusätzlich beflügeln. Am Mittwoch hat er Geburtstag mit einem guten Abschneiden beim ATP-Turnier in Peking könnte er sich selbst beschenken. Auch wenn der Bayreuther angeblich keine Wünsche hat außer der Meisterschaft für seinen Lieblingsverein FC Bayern München. Momentan geht`s mir richtig gut und ich bin wunschlos glücklich. Zu weiteren Turniersiegen in der Zukunft würde er wohl trotzdem nicht nein sagen.

Silvia Möbus

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